Ausgleichsanspruch eines Versicherungsvertreters, der vor dem 05.08.2009 entstanden ist; keine europarechtskonforme Auslegung des § 89 b Abs. 5 HGB; „Grundsätze zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs“ als Schätzgrundlage für einen Mindestausgleichsbetrag

Versicherungsvertreterrecht

Der Ausgleichsanspruch eines Handels-, Versicherungs- oder Bausparkassenvertreters entsteht mit der rechtlichen Beendigung des Vertragsverhältnisses. Liegt dieser Zeitpunkt vor Inkrafttreten der Neufassung des § 89 b Abs. 1 HGB am 05.08.2009, gilt grundsätzlich altes Recht, da das Gesetz, mit dem § 89 b Abs. 1 HGB geändert wurde, keine Rückwirkungsbestimmungen enthält und ebenso wenig ein auf Rückwirkung gerichteter Gesetzeswille hinreichend sicher feststellbar ist. Ein Versicherungs- und Bausparkassenvertreter wird von der EU-Handelsvertreterrichtlinie nicht erfasst, so dass sich die Notwendigkeit einer europarechtskonformen Auslegung nicht aus dem Europarecht ergibt. Eine europarechtskonforme Auslegung folgt vorliegend auch nicht aus dem Gebot der einheitlichen Auslegung des nationalen Rechts, weil ein Wille des Gesetzgebers zur Gleichbehandlung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters und des Ausgleichsanspruchs des Versicherungs- oder Bausparkassenvertreters nicht ersichtlich ist. Im Gegenteil: Die dogmatische Konzeption des Ausgleichsanspruchs eines Versicherungs- und Bausparkassenvertreters unterscheidet sich deutlich von derjenigen eines Handelsvertreters. Maßgeblich sind nach dem Wortlaut des § 89 b Abs. 5 HGB – in Abweichung von § 89 b Abs. 1 HGB – nicht die vom Handelsvertreter hergestellten Geschäftsverbindungen des Unternehmers mit neu geworbenen Kunden, sondern die neuen Versicherungs- und Bausparverträge, die der Vertreter vermittelt hat. Der Ausgleichsanspruch des Versicherungs- oder Bausparkassenvertreters dient damit nicht dem Ausgleich für Folgegeschäfte, die der Unternehmer nach dem Ausscheiden des Vertreters mit den von diesem geworbenen Stammkunden abschließt, sondern allein dem Ausgleich für noch nicht vollständig ausgezahlte Provisionen aus vom Vertreter neu vermittelten Verträgen, soweit diese Provisionsansprüche infolge der Beendigung des Vertretervertrags entfallen. Ausgleichsrechtlich irrelevant sind insoweit allerdings Verwaltungsprovisionen, die unter anderem für Tätigkeiten wie Bestandspflege und Kundenbetreuung gezahlt werden.

Superprovisionen, die ein Vertreter für die Vermittlungserfolge der ihm organisatorisch unterstellten unechten Untervertreter vom Unternehmer erhält, können ausgleichspflichtig sein, soweit die Tätigkeit des unechten Hauptvertreters Voraussetzung für das Arbeiten der ihm unterstellten unechten Untervertreter und daher mitursächlich für die von diesen vermittelten Abschlüsse ist. Eine solche Mitursächlichkeit setzt nicht zwingend voraus, dass der Hauptvertreter die ihm organisatorisch unterstellten Untervertreter auch tatsächlich betreut. Vielmehr kann je nach den Umständen des Einzelfalls schon die Mitursächlichkeit der Einstellung und Einarbeitung der Untervertreter ausreichen.

Die Rechtsnatur der von den Spitzenverbänden der Versicherungswirtschaft und des Versicherungsaußendienstes entwickelten „Grundsätze“ war bisher nicht abschließend geklärt. Der BGH hat sich dafür ausgesprochen, dass die „Grundsätze“ angesichts ihrer Entstehungsgeschichte jedenfalls als Schätzgrundlage herangezogen werden können, und zwar auch dann, wenn sie zwischen den Parteien nicht vereinbart wurden.

Rechtsprechung zur Besprechung
VIII ZR 203/10 – Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters; „Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs“ als Schätzgrundlage für einen Mindestausgleichsbetrag