Kein Ausgleichsanspruch bei außerordentlicher Kündigung wegen Betriebseinstellung

Handelsvertreterrecht

OLG München, Urteil vom 11.12.2024, Az. 7 U 4623/22

Hintergrund

Die Klägerin war seit 2006 als Handelsvertreterin für die Beklagte, ein Finanzdienstleistungsunternehmen, tätig. Seit 2015 bestand zwischen den Parteien der sogenannte „Family B.-Vertrag“ (FBV), der die Vermittlung von Finanz- und Versicherungsprodukten regelte.

Die Beklagte beschloss im Jahr 2020, ihr Privatkunden-Geschäft vollständig einzustellen. Damit entfiel die Geschäftsgrundlage für die Zusammenarbeit mit der Klägerin und weiteren Handelsvertretern.

Am 28. Juli 2020 kündigte die Beklagte den Vertrag mit der Klägerin außerordentlich zum 31. Dezember 2020 und berief sich auf § 89a Abs. 1 HGB. Hilfsweise sprach sie eine ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt aus.

Die Klägerin erhob daraufhin Klage und argumentierte, dass die Kündigung unwirksam sei, weil eine Betriebseinstellung kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sei. Sie machte weitere Provisionsansprüche, einen Handelsvertreterausgleich nach § 89b HGB sowie einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden geltend, der ihr durch die Kündigung entstanden sei.

Die Beklagte hielt dagegen,

  • dass die Betriebseinstellung eine rechtmäßige unternehmerische Entscheidung sei,
  • die Fortsetzung des Vertrags für sie wirtschaftlich unzumutbar wäre,
  • kein Ausgleichsanspruch bestehe, weil sie keine Vorteile mehr aus der Tätigkeit der Klägerin ziehe.

Entscheidung des Gerichts

Das Oberlandesgericht München bestätigte die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung und wies die Klage der Handelsvertreterin in vollem Umfang ab.

Das Gericht stützte seine Entscheidung auf folgende wesentliche Punkte:

  1. Ein Unternehmer darf unrentable Geschäftsfelder einstellen

Die Beklagte hatte im Rahmen ihrer unternehmerischen Entscheidungsfreiheit das Privatkundengeschäft für Bank- und Versicherungsprodukte vollständig eingestellt.

Das Gericht stellte klar, dass ein Unternehmer grundsätzlich berechtigt ist, sein Geschäftsmodell zu überdenken und unrentable Bereiche zu schließen.

Die Beklagte konnte durch ihre geprüften Jahresabschlüsse belegen, dass das Privatkundengeschäft über Jahre defizitär war.

Im Jahr 2019 gab es einen erheblichen Verlustvortrag.

Die Fortführung des Geschäfts hätte bedeutet, dass das Unternehmen weiterhin hohe Kosten hätte tragen müssen, ohne Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg.

Das Gericht verwies auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 07.10.2004 – I ZR 18/02), wonach ein Prinzipal berechtigt ist, sein Vertriebssystem grundlegend zu ändern oder einzustellen, wenn sachliche Gründe vorliegen.

  1. Außerordentliche Kündigung nach § 89a Abs. 1 HGB

Nach § 89a Abs. 1 HGB ist eine außerordentliche Kündigung möglich, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der es dem kündigenden Unternehmen unzumutbar macht, das Vertragsverhältnis fortzuführen.

Das Gericht stellte fest, dass die Beklagte das Geschäft endgültig eingestellt hatte, so dass eine Fortführung des Handelsvertretervertrages keinen Sinn mehr machte.

Ohne das Geschäftsfeld konnte die Klägerin keine neuen Verträge mehr vermitteln.

Andernfalls hätte sie alle Handelsvertreterverträge bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist fortführen müssen, obwohl sie die Vertriebseinheit aufgelöst hatte.

Wichtig war auch, dass die Kündigung zeitnah nach der endgültigen Entscheidung über die Geschäftsaufgabe ausgesprochen wurde. Eine übermäßige Verzögerung hätte die Zulässigkeit der außerordentlichen Kündigung gefährden können.

  1. Kein Handelsvertreterausgleich nach § 89b HGB

Ein Handelsvertreter hat grundsätzlich einen Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB, wenn der Unternehmer nach Vertragsende weiterhin Vorteile aus den von ihm vermittelten Kundenbeziehungen zieht.

Das Gericht lehnte diesen Anspruch im vorliegenden Fall jedoch ab, da der gesamte Geschäftsbereich des Unternehmens eingestellt wurde. Es keine Nachfolger oder andere Handelsvertreter gab, die die Kunden übernehmen konnten.

Die Beklagte also nach Vertragsende keinen wirtschaftlichen Vorteil mehr aus der Tätigkeit der Klägerin hatte. Damit bestätigte das Gericht die bestehende BGH-Rechtsprechung, wonach ein Ausgleichsanspruch nicht besteht, wenn der Unternehmer das Geschäftsfeld komplett aufgibt und die Kundenbeziehungen nicht weiterverwendet werden (BGH, Urteil vom 30.01.1986 – I ZR 185/83).

  1. Kein Schadensersatz nach § 280 BGB

Die Klägerin verlangte Schadensersatz für Werbematerialien, die nach der Kündigung wertlos wurden, Mietkosten für Büroflächen, die sie für ihre Handelsvertretertätigkeit angemietet hatte, Kosten für die Gründung eines neuen Unternehmens nach der Kündigung.

Das Gericht wies diese Forderungen zurück, da schon keine Pflichtverletzung der Beklagten vorlag.

Die außerordentliche Kündigung war rechtmäßig, sodass keine Schadensersatzpflicht bestand.

Die Klägerin hätte als Unternehmerin mit einem solchen Risiko rechnen müssen.

Es war ihre eigene Entscheidung, nach der Kündigung ein neues Unternehmen zu gründen.

Auch hier folgte das Gericht der Linie des BGH, wonach ein Handelsvertreter sein eigenes unternehmerisches Risiko trägt und grundsätzlich keinen Schadensersatzanspruch für wirtschaftliche Nachteile aus einer rechtmäßigen Kündigung hat.

Praxisrelevanz

Das Urteil des OLG München ist im Hinblick auf die durchaus vorkommenden Betriebseinstellungen von großer Praxisrelevanz, da die unternehmerische Dispositionsfreiheit nochmals klar bestätigt wird.

Betriebseinstellung kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen: Wenn ein Unternehmen sein Geschäftsfeld endgültig aufgibt, kann es Handelsvertreterverträge auch ohne Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist beenden.

Handelsvertreterausgleich entfällt bei vollständiger Geschäftsaufgabe: Ein Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB besteht nur, wenn der Unternehmer weiterhin von den Kundenbeziehungen profitiert.

Schadensersatzansprüche bei rechtmäßiger Kündigung schwer durchsetzbar: Handelsvertreter müssen mit dem unternehmerischen Risiko leben, dass ihr Vertragspartner sein Geschäft aufgibt.

Wirtschaftliche Begründung ist entscheidend: Unternehmen sollten genau dokumentieren, warum eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar ist, um rechtliche Sicherheit zu haben.

Fazit

Das OLG München bestätigt, dass eine Betriebseinstellung ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung eines Handelsvertretervertrags sein kann. Ein Handelsvertreterausgleich entfällt, wenn das Geschäftsfeld vollständig aufgegeben wird und der Unternehmer keine Vorteile mehr aus den vermittelten Kunden zieht.

Rechtsprechung zur Besprechung
7 U 4623/22 – Kein Ausgleichsanspruch bei außerordentlicher Kündigung wegen Betriebseinstellung
Schlagwörter
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