Der Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB steht Handelsvertretern unter bestimmten Voraussetzungen zu, wenn das Vertragsverhältnis mit dem Unternehmer endet. Eine zentrale Voraussetzung für die Geltendmachung ist, dass der Ausgleichsanspruch „der Billigkeit entspricht“.

Die Billigkeitsprüfung ist eine eigenständige und entscheidende Anspruchsvoraussetzung, die neben dem Unternehmernutzen (§ 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HGB) geprüft werden muss. Sie dient dazu, besondere Umstände zu berücksichtigen, die sich nicht aus einer rein rechnerischen Betrachtung der Unternehmervorteile und Provisionsverluste ergeben.

Was bedeutet „Billigkeit“ im Sinne des § 89b HGB?

  • Die Billigkeitsprüfung erfolgt anhand einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls.
  • Ziel ist es, eine gerechte und sachgerechte Lösung für beide Vertragsparteien zu finden.
  • Seit der Gesetzesänderung von 2009 ist die Billigkeitsprüfung noch stärker in den Mittelpunkt gerückt und stellt nicht nur eine Korrekturfunktion dar, sondern ist ein eigenständiges Prüfungselement.
  • Provisionsverluste sind nun ausschließlich als Aspekt der Billigkeitsprüfung zu berücksichtigen.

Wie läuft die Billigkeitsprüfung ab?

Die Rechtsprechung hat eine dreistufige Prüfungsmethode entwickelt:

  1. Identifikation relevanter Umstände
    • Welche Faktoren beeinflussen die Höhe des Ausgleichsanspruchs?
  1. Wertung der einzelnen Kriterien
    • Welche Aspekte sprechen für oder gegen eine Anpassung des Anspruchs?
  1. Gesamtabwägung der Umstände
    • Wie sind die Interessen von Handelsvertreter und Unternehmer gegeneinander abzuwägen?

Wichtige Kriterien der Billigkeitsprüfung

Die Billigkeitsprüfung orientiert sich an einer Vielzahl von Faktoren. Dazu gehören unter anderem:

1. Provisionsverluste des Handelsvertreters

  • Seit der Gesetzesänderung von 2009 sind Provisionsverluste kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal mehr, sondern werden als ein wichtiger Billigkeitsfaktor betrachtet.
  • Welche Arten von Provisionsverlusten gibt es?
    • Verlust von laufenden Provisionen: Falls der Handelsvertreter bei Fortsetzung des Vertrags weiterhin Provisionen aus abgeschlossenen Verträgen erhalten hätte, ist dies relevant.
    • Künftige Geschäftsabschlüsse mit Stammkunden: Entscheidend ist, ob die geworbenen Kunden auch nach dem Vertragsende weitere Umsätze generieren.
    • Provisionsverlust durch Unternehmensumstrukturierung: Falls der Handelsvertreter keine Provisionen mehr erhält, weil der Unternehmer den Vertrieb umgestellt hat, kann dies ebenfalls relevant sein.

2. Dauer der Geschäftsbeziehung

  • Je länger der Handelsvertreter für den Unternehmer tätig war, desto eher spricht dies für einen höheren Ausgleichsanspruch.
  • Hat der Handelsvertreter nur kurz für den Unternehmer gearbeitet, kann dies gegen einen hohen Anspruch sprechen.

3. Art der Kundenbeziehungen und Unternehmervorteil

  • Entscheidend ist, ob die Kunden dem Unternehmen nachhaltig erhalten bleiben.
  • Regelmäßige Kundenbindung spricht für einen höheren Ausgleichsanspruch.
  • Ein einmaliges, projektbezogenes Geschäft ohne langfristige Kundenbindung kann den Anspruch mindern.

4. Wirtschaftliche Lage des Handelsvertreters

  • Nach der Rechtsprechung des BGH sind auch persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse des Handelsvertreters zu berücksichtigen.
  • Faktoren wie Alter, Gesundheitszustand oder Erwerbsfähigkeit können in die Billigkeitsprüfung einfließen.
  • Ein Handelsvertreter kurz vor der Rente könnte z. B. einen höheren Anspruch geltend machen, wenn er keine neue Beschäftigung mehr aufnehmen kann.

5. Vertragsbedingungen und Sondervergütungen

  • Wurde der Handelsvertreter während der Vertragslaufzeit überdurchschnittlich vergütet?
    • Eine sehr hohe Provision oder Sondervergütung kann den Ausgleichsanspruch mindern.
  • Günstige Vertragsbedingungen (z. B. hohe Fixgehälter oder andere Vergünstigungen) können ebenfalls eine Reduzierung rechtfertigen.

6. Kostenersparnis des Handelsvertreters nach Vertragsende

  • Wenn der Handelsvertreter durch das Vertragsende erhebliche Kosten einspart, kann dies gegen einen hohen Ausgleichsanspruch sprechen.
  • Beispiel: Wegfall von Büromieten, Personalkosten oder sonstigen Betriebsausgaben.

7. Verhalten des Handelsvertreters nach Vertragsende

  • Falls der Handelsvertreter unmittelbar nach Vertragsende für einen direkten Wettbewerber tätig wird, kann dies seinen Anspruch mindern.
  • Eine solche Tätigkeit zeigt, dass er seinen Kundenstamm weiter nutzen kann und nicht vollständig auf den Ausgleich angewiesen ist.

8. Sogwirkung der Marke und Werbeleistungen des Unternehmers

  • In stark markengeprägten Branchen (z. B. Automobilhandel) kann die Sogwirkung der Marke eine Rolle spielen.
  • Falls die Kunden vorrangig wegen der Markenbekanntheit und nicht durch die Tätigkeit des Handelsvertreters gebunden wurden, kann dies den Ausgleichsanspruch verringern.

9. Insolvenz oder Betriebseinstellung des Handelsvertreters

  • Falls der Handelsvertreter bereits vor Vertragsende insolvent war oder seinen Betrieb eingestellt hat, kann dies gegen einen hohen Ausgleichsanspruch sprechen.
  • Die Rechtsprechung differenziert hier zwischen einem unerwarteten Unternehmensausfall und einer bereits länger absehbaren Insolvenz.

Welche Faktoren können den Ausgleichsanspruch mindern oder ausschließen?

Faktoren, die den Anspruch mindern können:

Hohe Sondervergütungen oder Fixgehälter während der Vertragslaufzeit

Ersparnis von Betriebskosten nach Vertragsende

Markenbekanntheit („Sogwirkung“) als Hauptgrund für Kundenbindung

Konkurrenztätigkeit nach Vertragsende

Faktoren, die den Anspruch erhöhen können:

Sehr lange Vertragslaufzeit und nachhaltiger Kundenstamm

Handelsvertreter kurz vor dem Rentenalter

Unternehmer profitiert langfristig von der Kundenakquise des Handelsvertreters

Plötzliche Vertragsbeendigung, mit der der Handelsvertreter nicht rechnen konnte

Fazit: Die Billigkeitsprüfung als entscheidender Faktor

Die Billigkeitsprüfung im Rahmen des § 89b HGB stellt sicher, dass der Handelsvertreter fair entschädigt wird, aber nicht übermäßig profitiert. Sie sorgt dafür, dass neben den rein wirtschaftlichen Faktoren auch besondere Umstände berücksichtigt werden.

Für eine erfolgreiche Geltendmachung des Anspruchs ist es entscheidend, dass der Handelsvertreter:

  • Seine Provisionsverluste detailliert nachweisen kann.
  • Belegen kann, dass der Unternehmer weiterhin wirtschaftliche Vorteile aus den vermittelten Kunden zieht.
  • Berücksichtigt, dass auch sein eigenes Verhalten (z. B. Konkurrenztätigkeit) den Anspruch beeinflussen kann.

Da die Billigkeitsprüfung immer eine individuelle Abwägung erfordert, empfiehlt sich im Streitfall eine spezialisierte anwaltliche Beratung, um den Anspruch optimal durchzusetzen oder unberechtigte Forderungen abzuwehren. 🚀