Neukundenwerbung im Sinne des § 89 b Abs. 1 Nr. 1 HGB in einem dreistufigen Vertriebssystem

3 U 44/08 Urteil verkündet am 19. November 2008 OLG Bamberg Ausgleichsanspruch, Handelsvertretervertrag

Oberlandesgericht Bamberg
Im Namen des Volkes
Urteil

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Teilurteil des Landgerichts Bamberg vom 6. Februar 2008 in Ziffer 2. (Ausgleichsanspruch gemäß § 89 b HGB) aufgehoben.

II. Dem Kläger steht gegen die Beklagte dem Grunde nach ein Ausgleichsanspruch gemäß § 89 b HGB zu.

III. Der Rechtsstreit wird zur Entscheidung über das Betragsverfahren sowie über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht Bamberg zurückverwiesen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I. Der Kläger, der seit 1991 für die Beklagte, bzw. deren Rechtsvorgängerin als Handelsvertreter tätig war (vgl. Handelsvertretervertrag in der Anlage K 1 zur Klageschrift) und dessen Vertragsverhältnis von der Beklagten zum 31.12.2006 wirksam gekündigt wurde, nimmt die Beklagte im Wege der Stufenklage auf Erteilung eines Buchauszuges, Zahlung rückständiger Provisionen, sowie auf Zahlung eines Ausgleichsanspruchs nach § 89 b HGB in Höhe von 135.001,48 EURO nebst Zinsen in Anspruch.

Hinsichtlich des beanspruchten Ausgleichsanspruchs hat der Kläger in erster Instanz vorgetragen, er habe im Einzelnen aufgeführte (S. 5 bis 7 des Schriftsatzes vom 21.01.2008 = Bl. 141 bis 143 d.A.), wiederverkaufende Einzelhändler als Neukunden oder Altkunden, die ihren Umsatz deutlich gesteigert hätten, für die Beklagte gewonnen. Die ausgleichsfähigen Nettoprovisionen aus den letzten 12 Monaten der aktiven Tätigkeit des Klägers für die Beklagte (01.07.2005 bis 30.06.2006), bezogen auf die vom Kläger angeführten Neukunden, bzw. Altkunden, die ihren Umsatz gesteigert haben, beziffert der Kläger mit 48.932,94 EURO netto. Hierbei legt er einen Umsatz dieser Kunden von 1.030.167,20 EURO und einen Provisionssatz von 4,75 % zugrunde. Unter Berücksichtigung eines Prognosezeitraums von fünf Jahren und einer geschätzten Kundenabwanderungsquote von 20 %, sowie eines Abzinsungsfaktors von 6 % ermittelt der Kläger seinen Ausgleichsanspruch in Höhe von 135.001,48 EURO brutto. Wegen der Einzelheiten der Berechnung des Klägers wird auf S. 22 bis 25 der Klageschrift (Bl. 22 bis 25 d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagte, die sowohl den Sachvortrag des Klägers hinsichtlich der geworbenen Neukunden als auch des von diesen erzielten bzw. gesteigerten Umsatzes bestritten hat, hat sich erstinstanzlich darauf berufen, dass dem Kläger ein Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB nicht zustehe, da die vom Kläger aufgelisteten Personen bzw. Firmen nicht in einer unmittelbaren Geschäftsbeziehung zur Beklagten stünden und daher nicht deren Kunden seien. Die Kunden der Beklagten seien nur die Großhändler, die von der Beklagten beliefert wurden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie des streitigen Vortrags und der Anträge der Parteien im ersten Rechtszug wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Teilurteils Bezug genommen (Bl. 150 bis 160 d.A.).

Das Landgericht hat die Beklagte durch das angefochtene Teilurteil zur Erteilung eines Buchauszuges verurteilt und die Klage hinsichtlich des vom Kläger verfolgten Ausgleichsanspruchs mit der Begründung abgewiesen, bei den von dem Kläger aufgelisteten Einzelhändlern handele es sich nicht um Kunden, die der Kläger für die Beklagte geworben habe, da diese nicht in einem Vertragsverhältnis zur Beklagten stünden. Eine durch die Tätigkeit des Klägers entstandene Umsatzförderung der Beklagten reiche nicht aus, um einen Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB zu bejahen. Voraussetzung für die Anwendung des § 89 b HGB sei, dass der Unternehmer die Vertragsgestaltung zum Kunden in der Hand habe und gegebenenfalls direkten Einfluss auf diesen nehmen könne und dem Unternehmer die unmittelbaren Vorteile der vertraglichen Beziehung aus dem vom Handelsvertreter vermittelten Geschäft zufließen. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Teilurteils (Bl. 160 bis 164 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 14.02.2008 zugestellte Teilurteil am 26.02.2008 Berufung eingelegt und diese am 25.03.2008 begründet.

Mit seinem Rechtsmittel verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Antrag auf Zahlung eines Ausgleichsanspruchs unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags weiter. Er hält das Argument, der fehlenden vertraglichen Einwirkungsmöglichkeit der Beklagten nicht für tragfähig, da dies alleine auf die von der Beklagten gewählte Vertriebsstruktur zurückzuführen sei. Ohne die entsprechende Tätigkeit des Klägers, nämlich Einzelhändler für den Erwerb der Produkte der Beklagten zu gewinnen, könne die Beklagte ihre Waren über ihre Großhändler nicht absetzen. Entsprechend würden auch die Handelsvertreter der Beklagten nach den in ihrem Gebiet anfallenden Umsätzen, die über die Großhändler erzielt werden, vergütet. Aus § 89 b HGB ergebe sich nicht, dass eine „Einwirkungsmöglichkeit“ auf den Kunden erforderlich sei. Nach der vom Landgericht vertretenen Auffassung würde die Beklagte durch die Wahl ihres Vertriebssystems § 89 b HGB umgehen. Der Begriff „Kunde“ sei wirtschaftlich zu betrachten. Als Kunden seien die Erwerber der Produkte der Beklagten anzusehen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung (Bl. 187 bis 213 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des am 06.02.2008 verkündeten Teilurteils des Landgerichts Bamberg zu verurteilen, an den Kläger 135.001,48 EURO brutto inklusive gesetzlicher Mehrwertsteuer als Ausgleichsanspruch gemäß § 89 b HGB, nebst Zinsen in Höhe von 5 % für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis 26.02.2007, nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 27.02.2007 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Teilurteil, soweit der vom Kläger verfolgte Ausgleichsanspruch abgewiesen wurde. Sie meint, der Kläger habe das Tatbestandsmerkmal des § 89 b HGB, Werbung von „Kunden“ für die Beklagte, nicht erfüllt. Die im Einzelnen von dem Kläger benannten Heizungs- und Sanitärinstallateure seien keine Kunden der Beklagten. Die Erlangung wirtschaftlicher Vorteile der Beklagten durch die Tätigkeit des Klägers sei für die Entstehung eines Ausgleichsanspruchs nach § 89 b HGB nicht ausreichend. Der vom Kläger angeführte Umsatz der Großhändler beruhe zu einem wesentlichen Teil auf deren eigenen Akquisitionsbemühungen. Auch habe der Kläger der Beklagten die Namen und Adressen der von ihm geworbenen Einzelhändler nicht mitgeteilt. Eine Gesetzesumgehung liege nicht vor, da der von der Beklagten gewählte dreistufige Vertriebsaufbau sachlich gerechtfertigt sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungserwiderung (Bl. 226 bis 231 d.A.) Bezug genommen.

II. Die nach § 511 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung (§§ 517, 519, 520 ZPO) hat dem Grunde nach Erfolg.

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Ausgleichsanspruch gemäß § 89 b (1) HGB. Nach dieser Vorschrift kann der Handelsvertreter von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und soweit der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat.

Die Parteien streiten in diesem Zusammenhang alleine darum, ob § 89 b HGB voraussetzt, dass zwischen den vom Handelsvertreter akquirierten Kunden und dem Unternehmen direkte vertragliche Beziehungen entstanden sein müssen. Diese Frage hat der Bundesgerichtshof, soweit ersichtlich, bisher nicht entschieden. In der Entscheidung vom 11.10.1999 (Az.: I ZR 32/89 = NJW-RR 91, 156 bis 160) spricht der Bundesgerichtshof von „geschäftlichen Beziehungen“ zwischen neuen Kunden und Unternehmer, die vom Handelsvertreter hergestellt werden müssen. Hierzu gehöre, dass innerhalb eines überschaubaren, in seiner Entwicklung noch abschätzbaren Zeitraums Nachbestellungen zu erwarten seien. Dass die Bestellungen direkt beim Unternehmer erfolgen müssen und Bestellungen bei dem vom Unternehmer eingeschalteten Großhändler nicht genügen, hat der Bundesgerichtshof nicht entschieden. Allerdings genüge es für die Anwendung des § 89 b HGB nicht, dass Dritte, die nicht selbst Vertragspartner des Unternehmers werden, vom Handelsvertreter geworben würden, die nur einen unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss auf die Kaufentscheidung haben (BGH a.a.O.). Dies sei insbesondere der Fall, wenn der Handelsvertreter z. B. Architekten für Produkte eines Unternehmers gewinne, die ihrerseits erst die jeweiligen Bauherren davon überzeugen müssten, die Produkte des Unternehmens zu erwerben, für das der Handelsvertreter tätig sei. In der vorstehend angeführten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich offen gelassen, ob etwas anderes ausnahmsweise dann gelten kann, wenn die Kaufentscheidung wegen der besonderen Art der Produkte und ihres Vertriebs in aller Regel entscheidend von Dritten bestimmt wird, auf deren Sachkunde sich der Vertragspartner des Unternehmers mangels eigener Fachkenntnisse verlassen muss.

Nach Auffassung des Senats ist der vorliegende Fall nicht mit dem Fall vergleichbar, dass der Handelsvertreter einen Dritten, etwa einen Architekten, für die Produkte der Beklagten wirbt, der seinerseits wiederum einen anderen, den Bauherrn von den Produkten der Beklagten überzeugen muss und es von der Entscheidung des letzteren abhängt, ob die Produkte der Beklagten gekauft werden. Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die vom Kläger geworbenen Einzelhändler ihrerseits selbst die Produkte der Beklagten beziehen, um sie ihren Kunden anbieten zu können. Die Kaufentscheidung wird damit direkt von den vom Kläger geworbenen Kunden, den Einzelhändlern, getroffen und nicht etwa erst von deren Kunden, zu denen der Handelsvertreter keine geschäftliche Beziehung herstellt. Der Umstand, dass die vom Kläger geworbenen Einzelhändler ihre Bestellung nicht direkt bei der Beklagten tätigen können, sondern diese über einen zwischengeschalteten Großhändler durchführen müssen, liegt an dem von der Beklagten gewählten Vertriebssystem, ändert jedoch nichts daran, dass durch die Tätigkeit des Klägers geschäftliche Beziehungen zwischen den vom Kläger geworbenen Einzelhändlern und der Beklagten hergestellt wurden. Für die Anwendung des § 89 b HGB genügt die Werbung Dritter, die eigenverantwortlich Produkte des Unternehmens bestellen, auch wenn die Bestellungen aufgrund des vom Unternehmer gewählten Vertriebssystems nicht direkt bei dem Unternehmen, sondern nur über einen zwischengeschalteten Großhändler erfolgen können.

2. Da der Rechtsstreit nur hinsichtlich des Anspruchsgrundes, nicht aber hinsichtlich der Anspruchshöhe entscheidungsreif ist, da insoweit noch eine umfangreiche Beweisaufnahme hinsichtlich des vom Kläger behaupteten Umsatzes der von ihm geworbenen Kunden durchzuführen sein wird, war durch Grundurteil zu entscheiden und der Rechtsstreit hinsichtlich des Betragsverfahrens sowie zur Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens auf Antrag des Klägers (Bl. 244 d.A.) gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.

4. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen. Der vorliegende Fall gibt Veranlassung, einen Leitsatz für die Auslegung des § 89 b HGB aufzustellen und die bisher noch nicht höchstrichterlich geklärte Frage zu entscheiden, ob es für das Herstellen einer Geschäftsverbindung im Sinn des § 89 b (1) Abs. 1 Nr. 1 HGB genügt, dass die vom Handelsvertreter geworbenen neuen Kunden die Produkte eines Unternehmens über einen Großhändler bestellen, wenn dies der vom Unternehmer vorgesehene Vertriebsweg ist.

Schlagwörter
Werbung Dritter (1) Vertriebsystem (1) Neukundenwerbung (1) herstellen einer Geschäftsverbindung (2)