Unwirksamkeit einer Verjährungsregelung; kein Zurückbehaltungsrecht gegenüber Rechten des Handelsvertreters aus § 87 c HGB
7 U 5781/22 Urteil verkündet am 20. März 2024 OLG München VersicherungsvertreterrechtOberlandesgericht München
Im Namen des Volkes
Urteil
Tenor:
- Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilurteil des Landgerichts München I vom 30.08.2022, Az. 14 HK O 10300/15, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses des Landgerichts München I vom 26.05.2023 in Ziffern 1 bis 3 seines Tenors abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
„1. Die Beklagte wird verurteilt, gegenüber dem Kläger Abrechnung zu erteilen über Abschlussprovisionen im Falle dynamischer Erhöhungen von Prämie und Leistung aus dem vom Kläger vermittelten Lebensversicherungsgeschäft für den Zeitraum 01.01.2012 bis 30.04.2015. Hinsichtlich des Zeitraums vom 01.01.2011 bis 31.12.2011 wird die Klage auf Abrechnung der Dynamikprovisionen abgewiesen.
- Die Beklagte wird verurteilt, gegenüber dem Kläger Abrechnung über alle von ihm aufgrund des Handelsvertretervertrages verdienten Provisionen für den Abrechnungszeitraum 01.04.2015 ‑ 30.04 2015 zu erteilen.
- Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Abrechnung über die sogenannte Günstigerprovision im Sinne des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrages für das Kalenderjahr 2014 zu erteilen.“
- Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
- Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte 6/7, der Kläger 1/7.
- Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 des Tenors bezeichnete Urteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
- Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1 Die Parteien streiten im Wege der Stufenklage um Provisionsabrechnungsansprüche des Klägers.
A.
2 Die Beklagte vermittelt Versicherungsverträge, Finanzierungen und Anlagen.
3 Der Kläger war für die Beklagte als selbständiger (Unter‑)Handels‑ und (Unter‑)Versicherungsvertreter tätig. Die Tätigkeit des Klägers erfolgte im Zeitraum vom 10.04.2008 bis 14.05.2013 aufgrund des Strategieberatervertrages vom 10.04.2008 laut Anl. K 1 (im Folgenden als SBV 2008 bezeichnet) und ab 15.05.2013 aufgrund des Strategieberatervertrages vom 15.05.2013 laut Anl. B 1 (im Folgenden als SBV 2013 bezeichnet).
4 Ziffer 13 SBV 2008 und Ziffer 14 SBV 2013 lauten wortgleich wie folgt:
5 „Verjährung
6 Ansprüche aus diesem Vertrag verjähren in 13 Monaten ab dem Schluss des Monats, in dem der Anspruchsberechtigte Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erlangt, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem die Fälligkeit eintritt. Die Verjährung tritt spätestens nach Ablauf der Frist von 4 Jahren ein, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Diese Regeln über die Verjährung gelten nicht für Ansprüche, für die das Gesetz zwingend eine längere Verjährung bestimmt hat. Der Kenntniserlangung steht es gleich, wenn der Berechtigte ohne grobe Fahrlässigkeit hätte Kenntnis erlangen müssen. Die Regelung gewährleistet, dass etwaige Unstimmigkeiten über gegenseitige Ansprüche, insbesondere Provisionen und ihre Abrechnung, aktuell und zeitnah geregelt werden.“
7 Mit Schreiben vom 03.11.2014 (Anl. WK 1) kündigte der Kläger das Vertragsverhältnis mit der Beklagten ordentlich zum Ablauf des 31.12.2015.
8 Mit an die Beklagtenvertreter gerichtetem Telefax des Klägervertreters vom 17.03.2015 erklärte der Kläger die fristlose Kündigung des bestehenden Vertragsverhältnisses.
9 Mit Schreiben vom 18.03.2015 laut Anl. WK 10 kündigte der Kläger persönlich das Vertragsverhältnis mit der Beklagten fristlos.
10 Die Beklagtenvertreter wiesen die vom Klägervertreter erklärte fristlose Kündigung des Klägers vom 17.03.2015 mit Schreiben vom 20.03.2015 zurück, da sie für derartige Erklärungen nicht zustellungsbevollmächtigt seien und im Übrigen bis jetzt weder das Schreiben noch eine Vollmacht im Original eingegangen sei.
11 Nachdem der Kläger die Abgabe einer von der Beklagten mit Schreiben 18.03.2015 von ihm geforderte Erklärung, dass er die ihm obliegenden Pflichten aus dem Handelsvertretervertrag auch zukünftig erbringen werde, verweigert hatte, kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis mit Schreiben vom 24.03.2015, dem Kläger am 25.03.2015 zugegangen, ihrerseits fristlos.
12 Die Klageschrift vom 12.06.2015 (Bl. 1 ff. d.A.), mit der der Kläger im Wege der Stufenklage u. a. die im vorliegenden Berufungsverfahren streitgegenständlichen Abrechnungsansprüche geltend machte (Ziffern I. bis III. des Klageantrags), ging am 16.05.2015 beim Landgericht München I ein und wurde der Beklagten am 29.06.2015 zugestellt.
13 Das Landgericht München I verurteilte die Beklagte entsprechend dem Klageantrag zu VI. mit Teilurteil vom 10.11.2017, Az. 14 HK O 10300/15, Bl. 265/272 d.A., dem Kläger einen Buchauszug für den Zeitraum vom 01.11.2011 bis 30.04.2015 zu erteilen. Nachdem die Beklagte dem Kläger am 04.07.2019 einen Buchauszug für den Zeitraum vom 01.11.2011 bis 30.04.2015 übermittelt hatte, hatte die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil vom 10.11.2017 nur noch insoweit Erfolg, als die Beklagte mit Endurteil des Senats vom 31.07.2019 (7 U 4012/19, Bl. 436/458 d.A.) verurteilt wurde, den zwischenzeitlich erteilten Buchauszug hinsichtlich der Stornofälle und hinsichtlich von Verträgen mit Dynamikklauseln zu ergänzen. Im Übrigen wurde die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
14 Der Kläger trägt vor, dass die Erhebung der Einrede der Verjährung durch die Beklagte treuwidrig sei, da sie sich einerseits darauf berufe, Dynamikprovisionen nicht detailliert abrechnen zu können, auf noch im Rahmen eines Gremiums festzulegende Berechnungs‑ und Abrechnungsgrundlagen verweise, diese Festlegung dann aber nicht durchführe und sich nunmehr auf die Verjährung berufe (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 02.09.2015, dort S. 14, Bl. 51 d.A.).
15 Der Kläger beantragte:
16 I. Die Beklagte wird verurteilt, gegenüber dem Kläger Abrechnung zu erteilen über Abschlussprovisionen im Falle dynamischer Erhöhungen von Prämie und Leistung aus dem vom Kläger vermittelten Lebensversicherungsgeschäft für den Zeitraum 01.01.2011 bis 30.04.2015.
17 II. Die Beklagte wird verurteilt, gegenüber Kläger [sic] Abrechnung über alle von ihm des Handelsvertretervertrages [sic] verdienten Provisionen für den Abrechnungszeitraum 01.04.2015 ‑ 30.04 2015 zu erteilen.
18 III. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Abrechnung über die sog. Günstigerprovision im Sinne des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrages für das Kalenderjahr 2014 zu erteilen, bei der sie die im Strategieberatervertrag vom 15.05.2013 in der Anlage 2, Ziffer 6., benannten Grundsätze beachtet.
19 Die Beklagte beantragte
20 Klageabweisung.
21 Die Beklagte erwiderte, dass der Kläger auf die Abrechnung von Dynamikprovisionen gegen Zahlung eines Pauschalbetrages von 25.000,00 € (zur Abgeltung der Dynamikprovisionen) verzichtet habe. Eine solche Abrechnung sei der Beklagten softwarebedingt auch gar nicht möglich gewesen. Im Übrigen könne die Beklagte auch wegen der vom Kläger vernichteten bzw. entwendeten Unterlagen nicht abrechnen und habe deswegen auch ein Zurückbehaltungsrecht bezüglich der streitgegenständlichen Abrechnungsansprüche.
22 Die Beklagte erhob (auch) gegen die Abrechnungsansprüche die Einrede der Verjährung. Diese sei nicht treuwidrig, da sich der Kläger seinerseits treuwidrig von der Vereinbarung über den Verzicht auf eine Abrechnung der Dynamikprovisionen gelöst habe. Im Übrigen habe der Kläger auch gewusst, dass die Beklagte nicht über die einzelvertragsbezogenen Abrechnungsmöglichkeiten verfügt habe. Wenn er daher auf einer abredewidrigen Abrechnung der Dynamikprovisionen bestehe, wäre er gehalten gewesen, diese innerhalb der Verjährungsfrist geltend zu machen (vgl. Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 25.09.2015, S. 14 und 15, Bl. 66 und 67 d.A.).
23 Mit Teilurteil vom 30.08.2022, Az. 14 HK O 10300/15, Bl. 835/840 d.A., berichtigt mit Beschluss des Landgerichts München I vom 26.05.2023 (Bl. 963/967 d.A.), verurteilte das Landgericht München I nach Vernehmung der Zeugen D. und O. die Beklagte, dem Kläger eine Abrechnung zu erteilen über Abschlussprovisionen im Falle dynamischer Erhöhung von Prämie und Leistung aus den vom Kläger vermittelten Lebensversicherungsgeschäften für den Zeitraum 01.01.2011 bis 30.04.2015 (Ziffer 1 des Tenors), ferner dem Kläger eine Abrechnung zu erteilen über alle von ihm aufgrund des Handelsvertretervertrages verdienten Provisionen für den Abrechnungszeitraum 01.04.2015 bis 30.04.2015 (Ziffer 2 des Tenors) sowie dem Kläger eine Abrechnung über die sogenannte Günstigerprüfung im Sinne des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrages für das Kalenderjahr 2014 zu erteilen, bei der die Beklagte die im Strategieberatervertrag vom 15.05.2013 benannten Grundsätze zu beachten habe (Ziffer 3 des Tenors).
24 Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Landgericht u. a. aus, dass die Beklagte für die von ihr behauptete Vereinbarung über die Aufhebung der im ursprünglichen Vertrag enthaltenen Abrechnungsklausel beweisbelastet sei. Diesen Beweis habe sich nicht erbringen können. Vielmehr sei das Gericht aufgrund der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass es zwischen den Parteien keine rechtsgültige Vereinbarung gebe, wonach auf die Abrechnung von Dynamikprovisionen (und auch auf die Provisionen selbst) verzichtet worden sei (LGU S. 5 dritter Absatz vorletzter Satz).
25 Der Zeuge D. habe nämlich angegeben, dass er nicht mehr wisse, ob man bezüglich der Abrechnung der Dynamikprovisionen „zeitliche Absprachen“ getroffen habe. Es seien jedoch seit 2004 keine Dynamikprovisionen mehr gegenüber dem Kläger abgerechnet worden, da solche mit der Software der Beklagten jedenfalls 2005 oder 2006 nicht hätten abgerechnet werden können. Ab 2010, 2011 sei es nach einem Update vielleicht möglich gewesen. 2012 habe man dem Kläger gesagt, dass Dynamikprovisionen nicht abgerechnet, sondern durch einen Pauschalbetrag abgegolten werden würden. Eine schriftliche Vereinbarung, wonach der Kläger keine Dynamikprovisionen erhalten solle, habe er nie gesehen.
26 Der Zeuge O. habe angegeben, dass die Dynamikprovisionen nicht abgerechnet worden seien, weil die Beklagte dies nicht gekonnt habe. Für ihn (den Zeugen) habe es keine Dynamikprovisionen gegeben. Die Dynamikprovisionen seien im Unternehmen verblieben. Der Kläger habe einen Betrag von 25.000,‑‑ € als Abschlusszahlung für seine Dynamikprovisionen genannt. Seit 2015 würde mittels einer neuen Software jährlich die Dynamik abgerechnet.
27 Im Übrigen hätte nach Auffassung des Landgerichts eine solche Verzichtsvereinbarung aufgrund der Schriftformklausel in den Strategieberaterverträgen auch schriftlich getroffen werden müssen. Ein solches Schriftstück habe die Beklagte aber nicht vorgelegt (LGU S. 5 dritter Absatz letzter Satz).
28 Die Abrechnung über die Dynamikprovisionen sei der Beklagten nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch nicht unmöglich, da ‑ wie der Zeuge D. bekundet habe ‑ die Errechnung der Dynamikprovisionen auch für die einzelnen Berater mit einem Taschenrechner möglich gewesen sei.
29 Die von der Beklagtenseite angebotene Vernehmung des Klägers als Partei sei nicht durchzuführen gewesen, da angesichts der für die Beklagte nicht positiv verlaufenden Beweisaufnahme die weiteren Voraussetzungen des § 445 Abs. 1 ZPO („nicht vollständig geführt“) nicht vorlägen (LGU S. 6 zweiter Absatz).
30 Der Abrechnungsanspruch des Klägers sei auch nicht verjährt, da er mit Klageeinreichung am 16.05.2015 für den Zeitraum ab 01.01.2011 geltend gemacht worden sei und laut Punkt 13 des zwischen den Parteien geltenden „Strategieberatervertrag“ vom 10.04.2008 laut Anl. K 1 eine vierjährige Verjährungsfrist gelte, die mit dem Schluss des Jahres beginne, in dem der Anspruch entstanden sei (LGU S. 6 dritter Absatz).
31 Feststellungen zur Abrechnung über die verdienten Provisionen für den Abrechnungszeitraum vom 01.04.2015 bis 30.04.2015 sowie zur Abrechnung über die Günstigerprüfung traf das Landgericht in seinem Urteil nicht.
32 Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Teilurteils Bezug genommen.
33 Die Beklagte verfolgt mit ihrer Berufung ihr erstinstanzliches Klageabweisungsziel vollumfänglich weiter.
34 Sie rügt insbesondere, dass das Landgericht eine Beweisaufnahme zu einem zwischen den Parteien unstreitigen Sachverhalt durchgeführt habe. Denn das Bestehen einer Vereinbarung zwischen den Parteien, dass Dynamikprovisionen nicht abgerechnet, sondern durch einen Pauschalbetrag abgegolten werden sollten, sei immer unstreitig gewesen. Bestritten habe der Kläger lediglich, dass er sich auf den Verzicht gegen einen Betrag von 25.000,‑‑ € eingelassen habe (vgl. Berufungsbegründung S. 5, Bl. 897 d.A. und S. 13 ‑ 15, Bl. 905/907 d.A.). Auch hätte der Kläger ‑ wie von der Beklagten beantragt ‑ als Partei vernommen werden müssen (Berufungsbegründung S. 6, Bl. 898 d.A. und S. 16/17. Bl. 908/909 d.A.). Die Begründung, mit der das Landgericht von einer Vernehmung des Klägers als Partei abgesehen habe (die Beklagte habe den ihr obliegenden Nachweis durch die beiden Zeugen D. und O. nicht führen können), sei unrichtig, da nach § 445 Abs. 1 ZPO die Parteivernehmung des Gegners zu erfolgen habe, wenn der Beweis noch nicht vollständig geführt sei (Berufungsbegründung S. 11, Bl. 903 d.A.). Zu Unrecht habe das Landgericht auch angenommen, dass für eine Verzichtsvereinbarung aufgrund der in den Strategieberaterverträgen enthaltenen doppelten Schriftformklausel, die Schriftform einzuhalten gewesen wäre. Denn da sich beide Seiten über die pauschale Abgeltung der Dynamikprovisionen einig gewesen seien, habe gleichzeitig auch Einigkeit über die Abbedingung der doppelten Schriftformklausel bestanden (Berufungsbegründung S. 7, Bl. 899 d.A. und S. 16, Bl. 908 d.A.). Das Landgericht habe schließlich auch die Verjährungsfrage falsch beurteilt. Die vom Landgericht in Bezug genommene vierjährige Verjährungsfrist sei die Höchstfrist, zur Anwendung kämen aber die vertraglichen Regelungen zur kenntnisabhängigen Verjährung mit einer Verjährungsfrist von 13 Monaten (Berufungsbegründung S. 11 und 12, Bl. 904 und 905 d.A. und S. 17, Bl. 909 d.A.).
35 Hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten zur Abrechnung über verdiente Provisionen für den Monat April 2015 (Ziffer 2 des Tenors) enthalte das landgerichtliche Urteil in den Gründen keinerlei Ausführungen (Berufungsbegründung S. 13, Bl. 905 d.A. und S. 19, Bl. 911 d.A.). Im Übrigen sei im April 2015 das Vertragsvertragsverhältnis zwischen den Parteien bereits beendet gewesen und habe der Kläger nicht begründet, warum ihm nach Beendigung des Vertrages noch Provisionsansprüche zustehen sollen. Die Beklagte habe solche Ansprüche auch bestritten (Berufungsbegründung S. 19, Bl. 911 d.A.).
36 Bezüglich der Verurteilung der Beklagten zur Abrechnung über die Günstigerprüfung sei das Teilurteil des Landgerichts ebenfalls nicht zutreffend (Berufungsbegründung S. 13, Bl. 905 d.A. und S. 20, Bl. 912 d.A.). Das Landgericht habe ignoriert, dass der Kläger der Beklagten diverse Unterlagen und Daten entwendet habe (vgl. insoweit das Senatsurteil vom 02.10.2019 ‑ 7 U 13/18), was ein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten begründe. Dieses bestehe, da der Kläger die Unterlagen und Daten bis heute nicht herausgegeben habe, auch fort (Berufungsbegründung S. 20, Bl. 912 d.A.).
37 Die Beklagte beantragt daher:
38 Das Urteil des Landgerichts München I vom 30.078.2022 (Az. 14 HK O 10300/15) wird aufgehoben und die folgenden Klageanträge des Klägers werden abgewiesen:
39 1. Die Beklagte wird verurteilt, gegenüber dem Kläger Abrechnung zu erteilen über Abschlussprovisionen im Falle dynamischer Erhöhungen von Prämie und Leistung aus dem vom Kläger vermittelten Lebensversicherungsgeschäft für den Zeitraum 01.01.2011 bis 30.04.2015.
40 2. Die Beklagte wird verurteilt, gegenüber Kläger [sic] Abrechnung über alle von ihm des Handelsvertretervertrages [sic] verdienten Provisionen für den Abrechnungszeitraum 01.04.2015 ‑ 30.04 2015 zu erteilen.
41 3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Abrechnung über die sog. Günstigerprovision im Sinne des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrages für das Kalenderjahr 2014 zu erteilen, bei der sie die im Strategieberatervertrag vom 15.05.2013 in der Anlage 2, Ziffer 6., benannten Grundsätze beachtet.
42 Der Kläger beantragt:
43 Die Berufung wird zurückgewiesen.
44 Er verteidigt das landgerichtliche Urteil.
45 Der Senat hat am 20.03.2024 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.03.2024, die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
B.
46 Die zulässige Berufung der Beklagten ist nur insoweit begründet, als im Jahr 2011 entstandene Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte auf Abrechnung von Dynamikprovisionen verjährt sind und die Klage insoweit abzuweisen war. Im Übrigen ist die Verurteilung der Beklagten zur Abrechnung von Dynamikprovisionen (Klageantrag zu 1), sonstiger Provisionen für den Monat 2015 (Klageantrag zu 2) sowie über die Günstigerprüfung für das Jahr 2014 (Klageantrag zu 3) jedenfalls im Ergebnis zu Recht erfolgt und war die Berufung deshalb zurückzuweisen. Der Wegfall des Passus in Ziffer 3 des Tenors des landgerichtlichen Urteils „bei der sie die im Strategieberatervertrag vom 15.05.2013 in der Anlage 2, Ziffer 6., benannten Grundsätze beachtet.“ stellt keine inhaltliche Einschränkung der erfolgten Verurteilung dar.
I.
47 1. Die Ansprüche des Klägers auf Abrechnung von Dynamikprovisionen sind für den Zeitraum bis 31.12.2011 verjährt. Für später entstandene Ansprüche ist dagegen keine Verjährung eingetreten.
48 a. Bei den streitgegenständlichen Ansprüchen auf Abrechnung von Dynamikprovisionen, die für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis 30.04.2015 geltend gemacht werden, handelt es sich um Ansprüche aus den Strategieberaterverträgen vom 10.04.2008 laut Anl. K 1 und vom 15.05.2013 laut Anl. B 1, sodass sich die Verjährung von Ansprüchen, die bis zum 14.05.2013 entstanden sind, grundsätzlich nach Ziffer 13 der „Anlage 1 Allgemeine Vertragsbestimmungen“ zum Strategieberatervertrag vom 14.04.2008 und für danach entstandene Ansprüche nach Ziffer 14 der „Anlage 1 Allgemeine Vertragsbestimmungen“ zum Strategieberatervertrag vom 15.05.2013 richtet. Diese vertraglichen Verjährungsregelungen würden damit grundsätzlich die dispositiven gesetzlichen Verjährungsregeln verdrängen. Da die beiden vertraglichen Verjährungsregelungen wortgleich sind, gilt für alle streitgegenständlichen Abrechnungsansprüche dasselbe Verjährungsregime. Demnach würden Abrechnungsansprüche in 13 Monaten ab dem Schluss des Monats, in dem der Kläger als Anspruchsberechtigter Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erlangt, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, verjähren (vgl. Ziffer 13 S. 1 Anl. 1 SBV 2008 und Ziffer 14 Anl. 1 S. 1 SBV 2013). Kenntnisunabhängig würden Abrechnungsansprüche gemäß Ziffern 13 S. 2 Anl. 1 SBV 2008 und 14 S. 2 Anl. 1 SBV 2013 spätestens nach Ablauf von vier Jahren, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, verjähren.
49 b. Diese sowohl die gesetzliche kenntnisabhängige Verjährungsfrist der §§ 199 Abs. 1, 195 BGB als auch die kenntnisunabhängige Verjährungsfrist des § 199 Abs. 2 ‑ 4 BGB verkürzenden Regelungen kommen jedoch nur zu Tragen, wenn sie wirksam in den beiden Strategieberaterverträgen vereinbart werden konnten, wobei es sich bei der „Anlage 1 Allgemeine Vertragsbestimmungen“ zu den SBV 2008 und SBV 2013 sowohl nach dem Druckbild als auch nach dem unwidersprochenen Vortrag des Klägers (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 06.12.2021, S. 2 erster Absatz, Bl. 752 d.A.) um Allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. d. § 305 Abs. 1 BGB handelt.
50 Sowohl Ziffer 13 Anl. 1 SBV 2008 als auch Ziffer 14 Anl. 1 SBV 2013 sind nach Auffassung des Senats unwirksam (in dem in derselben Sache ergangenen Endurteil des Senats vom 31.07.2019 ‑ 7 U 4012/17, Rdnr. 89 hatte der Senat dies noch mangels Entscheidungserheblichkeit ausdrücklich offengelassen), da sie gegen § 202 Abs. 1 BGB verstoßen. Denn nach dem Wortlaut der Ziffern 13 S. 1 und 2 Anl. 1 SBV 2008 und 14 S. 1 und 2 Anl. 1 SBV 2013 sind von der Verjährungsabkürzung auch Ansprüche wegen vorsätzlicher Vertragsverletzung erfasst, weil solche in den beiden Klauseln nicht ausdrücklich ausgenommen sind. Die Herausnahme von „Ansprüche(n), für die das Gesetz zwingend eine längere Verjährung bestimmt“ in Ziffer 13 S. 3 Anl. 1 SBV 2008 und 14 S. 3 Anl. 1 SBV 2013 ändert an dem Verstoß gegen § 202 Abs. 1 BGB nichts, da eine solche pauschale Herausnahme in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach § 307 BGB nicht möglich ist. Denn zum einen wird dadurch nicht hinreichend transparent gemacht, in welchem Umfang Abweichungen vom dispositiven Gesetzesrecht vereinbart werden und zum anderen kann das Verbot geltungserhaltender Reduktion von Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht durch solche salvatorische Klauseln umgangen werden (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 17.02.2016 ‑ 3 U 118/15, Rdnr. 16 zur Klausel „Unberührt bleiben gesetzliche Regelungen, die eine längere Verjährungsfrist zwingend vorsehen“ und BGH, Urteil vom 22.09.2015 ‑ II ZR 341/14, Rdnrn 19 f. zur Klausel „Ansprüche verjähren innerhalb von 6 Monaten nach Kenntniserlangung, spätestens 3 Jahre nach Beitritt, soweit nicht zwingende gesetzliche Vorschriften oder abweichende vertragliche Regelungen entgegenstehen“ sowie Fröhlich in Flohr/Wauschkuhn, Vertriebsrecht, 3. Auflage, München 2023, Rdnr. 78 zu § 87a HGB).
51 c. Aufgrund dieser Unwirksamkeit der Verjährungsregeln in Ziffer 13 Anl. 1 SBV 2008 und 14 Anl. 1 SBV 2013 bestimmt sich die Verjährung der Abrechnungsansprüche des Klägers daher nach den gesetzlichen Regeln der §§ 199 und 195 BGB.
52 aa. Gemäß Ziffer 4.1 S. 1 und 2 Anl. 2 SBV 2008 und SBV 2013 hatte die Beklagte grundsätzlich monatlich jeweils zum Monatsende über die verdienten Provisionen (und damit auch die Dynamikprovisionen) abzurechnen. Da der Kläger als Vertragspartei auch Kenntnis von der monatlichen Abrechnungspflicht der Beklagte hatte bzw. ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen und auch wusste oder ohne grobe Fahrlässigkeit zumindest hätte wissen müssen, dass er Lebensversicherungsverträge mit Dynamikklauseln vermittelt hatte, gilt für die streitgegenständlichen Abrechnungsansprüche die dreijährige kenntnisabhängige Verjährungsfrist nach §§ 199 Abs. 1, 195 BGB.
53 bb. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Klageschrift am 29.06.2015 bereits verjährt waren damit Abrechnungsansprüche, die vor dem Ablauf des 31.12.2011 entstanden sind. Abrechnungsansprüche, die nach dem Ablauf des 31.12.2011 entstanden sind, d. h. Abrechnungsansprüche für den Monat Januar 2012 und später, sind dagegen am 29.06.2015 noch nicht verjährt gewesen, sodass die Klageerhebung am 29.06.2015 gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB deren Verjährung noch hemmen konnte.
54 cc. Entgegen der Auffassung des Landgerichts beträgt die Verjährungsfrist nicht gemäß Ziffer 13 S. 2 Anl. 1 SBV 2008 bzw. Ziffer 14 S. 2 Anl. 1 SBV 2013 vier Jahre. Denn bei der vierjährigen Verjährungsfrist der Ziffer 13 S. 2 Anl. 1 SBV 2008 und 14 S. 2 Anl. 1 SBV 2013, die allein an den Entstehungszeitpunkt des Abrechnungsanspruchs anknüpft, handelt es sich ‑ wie sich bereits aus dem Regelungswortlaut ergibt ‑ um eine kenntnisunabhängige Verjährungsfrist, die ‑ wie oben unter b. dargelegt ‑ in unzulässiger Weise die grundsätzlich zehnjährige kenntnisunabhängige Verjährungsfrist des § 199 Abs. 3 BGB verkürzt, und um keinen Fall einer kenntnisunabhängigen Verjährungsfrist, da der Kläger als Vertragspartei Kenntnis vom Entstehen des Abrechnungsanspruchs zum Ende eines jeden Monats hatte oder zumindest ohne grobe Fahrlässigkeit hätte haben müssen.
55 d) Die Erhebung der Verjährungseinrede durch die Beklagte ist entgegen der Ansicht des Klägers (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 02.09.2015, dort S. 14, Bl. 51 d.A. und Berufungserwiderung, dort S. 10, Bl. 985 d.A.) auch nicht treuwidrig. Der Kläger hat nämlich selbst vorgetragen, dass eine Abrede über den Verzicht auf die Abrechnung von Dynamikprovisionen nicht erfolgt sei (wovon ‑ wie nachfolgend unter 3. noch dargelegt werden wird ‑ nach der durchgeführten Beweisaufnahme auch das Landgericht und der Senat ausgehen), sodass ihm klar war, dass noch eine Abrechnung durch die sich diesbezüglich weigernde Beklagte zu erfolgen hat. Wenn er unter diesen Umständen mit der Geltendmachung von Abrechnungsansprüchen zuwartet, so muss er sich daran festhalten lassen. Da er auch den von der Beklagten vorgebrachten Einwand, sie könne Dynamikprovisionen gar nicht abrechnen, kannte und dieser Einwand ‑ wie er von Anfang an richtig vortrug ‑ unzutreffend war, war er umso mehr gehalten, seine Abrechnungsansprüche geltend zu machen.
56 Nach alledem sind die geltend gemachten Ansprüche auf Abrechnung von Dynamikprovisionen nur für den Zeitraum bis 31.12.2011 verjährt. Im Übrigen ist keine Verjährung eingetreten.
57 2. Entgegen der Ansicht der Berufung (vgl. Berufungsbegründung S. 5 vorletzter Absatz, Bl. 897 d.A. und S. 14, Bl. 906 d.A.) hat das Landgericht zu Recht Beweis zu den erstmals bereits in der Klageerwiderung (dort S. 2 ‑ 5, Bl. 22 ‑ 25 d.A.) erhobenen Behauptungen der Beklagten, es habe zwischen den Parteien Einigkeit dahingehend geherrscht, dass die Beklagte aufgrund der hierfür fehlenden EDV‑Lösung Abrechnungen über die Dynamikprovisionen nicht habe erteilen können und letztendlich auch nicht sollen. Zum Ausgleich hierfür habe die Beklagte den für sie tätigen Handelsvertretern wie auch dem Kläger eine Gewinnbeteiligung zugesagt, die auch bezahlt worden sei. Im Kalenderjahr 2007 sei deshalb die Vereinbarung getroffen worden, dass sich die Parteien über die Höhe der Dynamikprovisionen pauschal ohne Abrechnung einigen würden. Der Kläger habe damit ausdrücklich auf eine Abrechnungserteilung verzichtet. Am 19.12.2014 habe der Kläger ihm zustehende Dynamikprovisionen in Höhe von 25.000,‑‑ € errechnet und der Beklagten in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass er ‑ wenn er die 25.000,‑‑ € erhalten würde ‑ keine Abrechnung benötige. Diesen Betrag habe die Beklagte zugunsten des Klägers in ihre Abrechnung vom 27.01.2015 (Anl. B 3) aufgenommen, womit der Abrechnungsanspruch erledigt sei.
58 Diese Behauptungen der Beklagten war nämlich mitnichten unstreitig, da der Kläger in seiner Replik (Schriftsatz des Klägervertreters vom 02.09.2015, S. 4, Bl. 41 d.A.) ausdrücklich Folgendes vortragen ließ:
59 „Die Parteien haben sich aber in 2007 nicht dahingehend geeinigt, dass eine Abrechnung hinsichtlich Dynamikprovisionen überhaupt nicht erfolgen solle. Der Kläger hat auch nicht auf eine Abrechnungserteilung ausdrücklich verzichtet. Der dahingehende Vortrag der Beklagten ist falsch und wird bestritten. (…) Richtig ist, dass der Kläger selbst mangels Abrechnung zur Abgeltung von Dynamikprovisionen einen Betrag am 19.12.2014 in den Raum gestellt hat in Höhe von EUR 25.000,00. Diese Abgeltung der Dynamikprovisionen stand aber in untrennbarem Zusammenhang mit einem Gesamtabgeltungsvorschlag, der sich ergab, wie folgt:
60 ‑ Dynamikprovisionen EUR 25.000,00
61 ‑ Abschlussprovisionen EUR 73.342,22
62 ‑ Günstiger‑Prüfung 2014 EUR 272.540,00
63 insgesamt EUR 370.882,22
64 (…) Diesem Angebot hat die Beklagte mit Schreiben vom 05.01.2015 eine Absage erteilt. Damit haben sich die Parteien abschließend nicht über eine Dynamikprovision in Höhe von EUR 25.000,00 geeinigt. Entsprechend hat der Kläger, nachdem eine Einigung nicht zustande gekommen ist, auch nicht auf eine Abrechnung sowie die Erteilung eines Buchauszugs verzichtet.“
65 Dieses Bestreiten hat der Kläger im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 20.01.2016, dort S. 7, Bl. 109 d.A., ausdrücklich wiederholt.
66 Dass die Behauptungen der Beklagten bezüglich des Verzichts des Klägers auf eine Abrechnung der Dynamikprovisionen auch im späteren Verlauf des Verfahrens nicht unstreitig wurden, ergibt sich beispielsweise aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 25.10.2021, S. 2 letzter Absatz und S. 3 oben (Bl. 739/740 d.A.), in dem die Streitigkeit der Behauptungen ausdrücklich festgestellt wird und das Landgericht deshalb eine diesbezügliche Beweisaufnahme ankündigte, woraufhin sich die Beklagte sogar veranlasst sah, mit Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 15.11.2021, S. 1 und 2, Bl. 746/747 d.A., sowohl ihre Beweisbehauptungen als auch ihre Beweisangebote zu wiederholen. Auch nach Erlass des Beweisbeschlusses vom 30.12.2021 (Bl. 761/763 d.A.), mit dem die Vernehmung der Zeugen D. und O. zum „Umfang der Abreden zwischen den Parteien über Abrechnungsmodalitäten“ angeordnet wurde, erhob die Beklagte keine Einwände gegen die Beweisaufnahme wegen Unnötigkeit aufgrund der (nunmehr in der Berufung von ihr behaupteten) Unstreitigkeit der von ihr unter Beweis gestellten Behauptungen.
67 Nach alledem war die vom Landgericht durchgeführte Vernehmung der Zeugen D. und O. zu den vom Kläger bestrittenen Behauptungen der Beklagten zum Abschluss einer Verzichtsvereinbarung, für deren Vorliegen die Beklagte die Darlegungs‑ und Beweislast trägt, da sie sich auf einen mit dem Kläger vereinbarten Verzicht auf die Abrechnung von Dynamikprovisionen beruft, nicht zu beanstanden.
68 3. Ebenso wenig zu bemängeln ist, dass sich das Landgericht aufgrund der Aussagen der Zeugen die positive Überzeugung bildete, dass es nicht zu einem Vereinbarungsabschluss kam.
69 a. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der insoweit entscheidungserheblichen Feststellungen des Landgerichts, die eine erneute Feststellung gebieten könnten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), bestehen nicht. Das Berufungsgericht ist grundsätzlich nach der genannten Vorschrift an derartige Feststellungen gebunden. Diese Bindung gilt ausnahmsweise nur dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte für fehler‑ oder lückenhafte Feststellungen bestehen und durch diese konkreten Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen begründet werden.
70 Derartige Zweifel liegen vor, wenn eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass bei Wiederholung der Beweisaufnahme die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. BGH, Urteil vom 08.06.2004 ‑ VI ZR 199/03, Rdnr. 13; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 44. Auflage, München 2023, Rdnrn 1 ‑ 3 zu § 529). Letzteres ist nicht der Fall, wenn das Erstgericht unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben aufgrund freier Beweiswürdigung nach § 286 ZPO zu den Tatsachenfeststellungen gelangt ist. Die Vorschrift fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk‑ und Naturgesetze, an Erfahrungssätze sowie ausnahmsweise an gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. Daher darf er einem Zeugen glauben, obwohl objektive Umstände Zweifel an der Richtigkeit seiner Angaben begründen mögen, oder trotz widersprüchlicher Aussagen von Zeugen eine Beweisbehauptung als bewiesen erachten (zu alledem vgl. Greger in Zöller, ZPO, 35. Auflage Köln 2024, Rdnr. 13 zu § 286).
71 b. Das Landgericht hält sich bei der Bewertung der Aussage der von ihm vernommenen Zeugen D. und O. im Rahmen der ihm gemäß § 286 ZPO hierzu eingeräumten freien Überzeugung, ohne hierbei gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung verstoßen zu haben.
72 Zunächst enthält die Berufungsbegründung schon keine konkreten Rügen bezüglich der landgerichtlichen Würdigung der Zeugenaussagen. Fehler der Beweiswürdigung sind aber auch sonst nicht ersichtlich.
73 Wie der Senat bereits in seiner früheren Entscheidung vom 31.07.2019 ‑ 7 U 4012/17, Rdnr. 60 in derselben Sache hinsichtlich des seinerzeit von der Beklagten behaupteten Verzichts des Klägers auf die Erteilung eines Buchauszugs unter Bezug auf die höchstrichterliche Rechtsprechung ausführte, sind an die Feststellung des für eine solche Vereinbarung erforderlichen Erlass‑ bzw. Verzichtswillens strenge Anforderungen zu stellen. Da bei Erklärungen, die als Verzicht, Erlass oder in ähnlicher Weise rechtsvernichtend gewertet werden sollen, das Gebot einer interessengerechten Auslegung beachtet werden muss und die der Erklärung zugrunde liegenden Umstände besondere Bedeutung haben, bedarf es konkreter Anhaltspunkte für die Feststellung des Willens einer Partei, auf einen Anspruch zu verzichten (vgl. BGH, Urteil vom 15.07.2016 ‑ V ZR 168/15, Rdnr. 35 und die weiteren Nachweise bei Grüneberg in Palandt, BGB, 83. Auflage, München 2024, Rdnr. 6 zu § 397 BGB). Solche Anhaltspunkte ergeben sich aus den Aussagen der Zeugen D. und O. nicht.
74 aa. Der Zeuge D. gab in seiner Vernehmung an, dass im Unternehmen besprochen worden sei, dass Dynamikprovisionen nie abgerechnet würden und dass er wisse, dass mit Herrn P. vereinbart worden sei, keine Dynamikprovision zu verrechnen. Dabei bezog sich der Zeuge D. allerdings ausdrücklich auf die Lage zu Beginn der Vertretertätigkeit des Klägers („Ich meine damit die Vertragslage am Anfang“, vgl. S. 4 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 773 d.A.). Er bekundete jedoch gleichzeitig, dass er nie etwas Schriftliches gesehen habe, worin vereinbart gewesen sei, dass der Kläger keine Dynamikprovision erhält (vgl. S. 4 unten des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 773 d.A.). Nachdem die Beklagte 2005 eine Software eingeführt habe, mit der Dynamikprovisionen nicht hätten abgerechnet werden können, sei bekannt gewesen, dass die Beklagte Dynamikprovisionen nicht abrechne (vgl. S. 4 letzter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 773 d.A.). Man habe in regelmäßigen Meetings zehnmal, zwanzigmal besprochen, dass man Dynamikprovisionen nicht ermitteln könne, weil die Software dies nicht täte (vgl. S. 8 drittletzter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 777 d.A.). Es habe 2010 oder 2011 ein Software‑Update gegeben. Seitdem sei es theoretisch möglich gewesen, Dynamikprovisionen abzurechnen (vgl. S. 12 dritter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 781 d.A.). Zuletzt sei dem Kläger ca. 2012 gesagt worden, dass Dynamikprovisionen nicht abgerechnet würden (vgl. S. 5 dritter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 774 d.A.). Der in der vorläufigen Provisionsabrechnung für Januar 2015 laut Anlage B 3 unter der Rubrik „Sonstige Buchungen“ „Zuschüsse“ aufgeführte Betrag von 25.000,00 € sei keine einzelvertragliche Ermittlung der dem Kläger zustehenden Dynamikprovisionen, sondern eine Pauschalsumme (vgl. S. 8 Mitte Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 777 d.A.). In sogenannten Partnermeetings sei besprochen worden, dass die Dynamikprovisionen später abgerechnet würden und zwar pauschal (vgl. S. 12 Mitte des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 781 d.A.).
75 Aus dieser Aussage lässt sich ‑ wie das Landgericht ihre inhaltliche Richtigkeit unterstellend annahm ‑ entnehmen, dass eine (wirksame) Vereinbarung über einen Abrechnungsverzicht hinsichtlich von Dynamikprovisionen nicht abgeschlossen wurde. Die bloße Thematisierung in Besprechungen reicht nämlich für den Abschluss einer Verzichtsvereinbarung nicht aus, da eine solche ein Einverständnis des Klägers mit dem Verzicht auf die Abrechnung von Dynamikprovisionen voraussetzen würde. Ein solches Einverständnis ergibt sich aus der Aussage des Zeugen D. jedoch gerade nicht. Vielmehr führt dieser ausdrücklich aus, dass dem Kläger gesagt wurde, dass Dynamikprovisionen nicht abgerechnet würden. Es erschließt sich dem Senat auch nicht, warum ‑ wie der Zeuge D. auf ausdrückliche Nachfrage des Geschäftsführers der Beklagten aussagte ‑ in regelmäßigen Meetings „zehnmal, zwanzigmal besprochen habe“ werden müssen, dass Dynamikprovisionen nicht abgerechnet würden, und dies dem Kläger 2012 nochmals gesagt habe werden müssen, wenn doch der Kläger angeblich auf die Abrechnung ohnehin verzichtet habe. In diesem Fall hätte es nämlich für eine derartige Klarstellung gegenüber dem Kläger von Seiten der Beklagten gar keine Veranlassung gegeben.
76 Zu den Verhandlungen vom Dezember 2014/Januar 2015 zwischen den Parteien über die Abgeltung von Dynamikprovisionen ist der Zeuge D. vom Landgericht zwar vernommen worden, hat insoweit aber nichts von einem Verzicht des Klägers erwähnt (vgl. S. 2, 3 und 5 ff. des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 771, 772 und 774 ff. d.A.). Er gab nur an, dass der Kläger seine Dynamikprovisionsansprüche mit rund 25.000,‑‑ € beziffert habe und dass dieser Betrag in der Provisionsabrechnung für Januar 2015 berücksichtigt wäre (was sich im Übrigen auch aus dem Schreiben der Beklagten vom 27.01.2015 und der vorläufigen Provisionsabrechnung für Januar 2015 laut Anl. B 3/K 5 ergibt). Damit allein ist jedoch noch kein Abrechnungsverzicht des Klägers nachgewiesen, da der Kläger bereits in seiner Replik eingewandt hatte, dass er mit einer Abgeltung seiner Dynamikprovisionsansprüche mit 25.000,‑‑ € nur bei Vornahme einer Gesamtregelung einverstanden gewesen sei, und der Zeuge insoweit keine Aussage traf (wobei im Übrigen eine Gesamtregelung der Ansprüche der Parteien gegeneinander von der Beklagten auch gar nicht behauptet wird).
77 bb. Auch aus der Aussage des Zeugen O. lässt sich kein Verzicht des Klägers auf eine Abrechnung der Dynamikprovisionen entnehmen. Vielmehr stützt auch die Aussage des Zeugen O. die positive Überzeugung des Landgerichts, dass es keinen solchen Verzicht gegeben hat. Denn in seiner Aussage unterschied der Zeuge O. ausdrücklich zwischen Bestandsprovisionen und Dynamikprovisionen. Bezüglich Bestandsprovisionen habe es über die Nichtabrechnung von Anfang an eine Vereinbarung gegeben, während die Dynamikprovisionen nicht abgerechnet worden seien, weil „wir es nicht konnten“ (vgl. S. 13 letzter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 782 d.A.). Von einer Verzichtsvereinbarung auch die Dynamikprovisionen zwischen den Parteien betreffend sprach er dabei nicht, sodass davon auszugehen ist, dass es nach der Auffassung des Zeugen O. eine solche ‑ im Unterschied zu den Bestandsprovisionen ‑ auch nicht gab. In den regelmäßigen Partnermeetings seien die Dynamikprovisionen in den ersten Jahren nach 2004 nicht einmal thematisiert worden, irgendwann sei dieses Thema dann zwar „auf den Tisch gekommen“; von einem Verzicht des Klägers auf eine Abrechnung der Dynamikprovisionen hat der Zeuge O. aber nichts bekundet (vgl. S. 14 letzter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 783 d.A.). Auch aus der Schilderung der Vorgänge im Zusammenhang mit dem Ausscheiden des Klägers im Oktober/November 2014 lässt sich kein Verzicht auf die Abrechnung von Dynamikprovisionen entnehmen (vgl. S. 14 Mitte des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 783 d.A.).
78 Demnach ist durch die Aussage des Zeugen O. auch die Behauptung der Beklagten, die Parteien hätten bereits im Kalenderjahr 2007 eine Vereinbarung getroffen worden, dass sie sich über die Höhe der Dynamikprovisionen pauschal ohne Abrechnung einigen würden (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 02.09.2015, S. 4, Bl. 41 d.A.), widerlegt, da die ersten Jahre nach 2004 über Dynamikprovisionen überhaupt nicht gesprochen worden sei (vgl. S. 14 letzter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 783 d.A.). Letztendlich kann dies aber auch dahinstehen, da es sich dabei um einen für die Zukunft wirkenden Verzicht auf eine Abrechnung für die Dynamikprovisionen gehandelt hätte, der nach § 87c Abs. 5 HGB ohnehin unwirksam gewesen wäre.
79 cc. Die Überzeugung des Landgerichts, wonach keine Verzichtsvereinbarung getroffen worden sei, deckt sich auch mit den von den Parteien vorgelegten Unterlagen.
80 Aus der sich aus Anl. B 3/K 5 ergebenden Einstellung einer Guthabensposition des Klägers in Höhe von 25.000,‑‑ € in eine vorläufige Provisionsabrechnung für Januar 2015 ergibt sich nämlich keine Abgeltungsvereinbarung, die mit einem Verzicht auf die Abrechnung von Dynamikprovisionen verbunden gewesen wäre. Denn dem Begleitschreiben vom 27.01.2015 zu der Abrechnung laut Anl. B 3/K 5 lässt sich überhaupt keine irgendwie geartete Einigung (egal in welchem Punkt) entnehmen. Vielmehr ist dort (S. 2 Mitte des Begleitschreibens) von einer von der Beklagten durchgeführten „Ermittlung“ der Dynamikprovisionen die Rede (auch wenn der Zeuge D. die Bedeutung des Wortes „ermittelt“ relativieren will, vgl. S. 8 Mitte des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 777 d.A.) und wird der Kläger zur Zahlung von 27.641,83 € aufgefordert.
81 Nach alledem hält der Senat eine Wiederholung der Beweisaufnahme deshalb nicht für veranlasst.
82 4. a. Soweit die Beklagte bemängelt, dass die von ihr angebotene Parteivernehmung des Klägers zu der von ihr behaupteten und zu beweisenden Vereinbarung zwischen den Parteien über den Verzicht auf die Abrechnung von Dynamikprovisionen (vgl. zur Darlegungs‑ und Beweislast insoweit oben) vom Landgericht unterlassen worden und deshalb nachzuholen sei (vgl. Berufungsbegründung S. 16/17, Bl. 908/909 d.A.), dringt sie mit dieser Rüge nicht durch. Denn ein Antrag auf Parteivernehmung des Gegners ist nach § 445 Abs. 2 ZPO dann nicht zu berücksichtigen, wenn er Tatsachen betrifft, deren Gegenteil das Gericht für erwiesen erachtet. Da das Landgericht in seinem Urteil ausdrücklich feststellte, dass es „zur Überzeugung des Gerichts (…) zwischen den Parteien keine rechtsgültige Vereinbarung, wonach auf Dynamikprovisionsabrechnungen und Ausschüttungen verzichtet worden sei“, gebe (vgl. LGU S. 5 dritter Absatz vorletzter Satz), war demnach eine Parteivernehmung des Klägers nicht erforderlich. Dass das Landgericht ‑ wie die Berufung zutreffend bemängelt (vgl. Berufungsbegründung S. 11 oben, Bl. 903 d.A.) ‑ das Unterlassen der Parteivernehmung des Klägers in seinem Urteil nicht ‑ wie richtig ‑ mit § 445 Abs. 2 ZPO, sondern fälschlich mit § 445 Abs. 1 ZPO begründet (vgl. LGU S. 6 zweiter Absatz), ist unerheblich, da es nur darauf ankommt, ob die Voraussetzung des § 445 Abs. 2 ZPO tatsächlich vorliegt.
83 b. Den von der Beklagtenseite zum Beweis der behaupteten Verzichtsvereinbarung angebotenen Geschäftsführer der Komplementärin der Beklagten, Herrn T., (vgl. das Beweisangebot im Schriftsatz des Klägervertreters vom 05.08.2015, S. 4, Bl. 24 d.A.) durfte das Landgericht in Ermangelung des diesbezüglichen Einverständnisses des Klägers gemäß § 447 ZPO nicht vernehmen. Eine Vernehmung nach § 448 ZPO war nicht durchzuführen, da es in Anbetracht des Ergebnisses der Vernehmung der Zeugen D. und O. am notwendigen Anbeweis für das Vorliegen einer Verzichtsvereinbarung fehlt.
84 c. Den Zeugen D. K. musste das Landgericht nicht vernehmen, da dieser von der Beklagten nur zur Behauptung angeboten wurde, dass man sich noch über eine Pauschale zur Abgeltung der Dynamikprovisionen einigen werde. Dies kann jedoch als wahr unterstellt werden, da sich daraus nicht ergibt, dass eine Verzichtsvereinbarung zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossen wurde.
85 5. Ob ‑ wie das Landgericht angenommen hat ‑ der von der Beklagten behauptete Verzicht des Klägers auf die Abrechnung von Dynamikprovisionen schon an der fehlenden Schriftform einer solchen Vereinbarung scheitert, kann dahinstehen, da ‑ wie oben unter 3. dargelegt ‑ zur nicht zu beanstandenden Überzeugung des Landgerichts eine solche Vereinbarung schon nicht zustande kam. Ob sie darüber hinaus auch wegen Nichteinhaltung der notwendigen Form unwirksam wäre, wenn sie denn geschlossen worden wäre, spielt daher keine Rolle und bedarf deshalb keiner Klärung.
86 6. Der demnach dem Grunde nach bestehende Anspruch des Klägers auf Abrechnung der Dynamikprovisionen ist auch nicht nach § 275 Abs. 1 BGB wegen der Unmöglichkeit der Erfüllung des Abrechnungsanspruchs ausgeschlossen, da die Beklagte, die die Darlegungs‑ und Beweislast für die behauptete Unmöglichkeit trägt, eine Unmöglichkeit nicht nur nicht nachgewiesen hat, sondern nach der Vernehmung des Zeugen D. im Gegenteil die Möglichkeit einer Abrechnung feststeht.
87 a. Eine Unmöglichkeit würde nämlich nur dann bestehen, wenn es der Beklagten auch unmöglich wäre, die Dynamikprovisionen ohne Einsatz elektronischer Datenverarbeitung, d. h. händisch unter Auswertung ihrer Unterlagen zu ermitteln. Dies ist jedoch nicht anzunehmen, da sich aus den mit den Kunden der Beklagten vermittelten Verträgen und den von den Produktanbietern mit der Beklagten abgerechneten und an sie bezahlten Dynamikprovisionen (vgl. insoweit die Aussagen des Zeugen D. laut S. 4 fünfter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 777 d.A. und des Zeugen O. laut S. 14 erster Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 777 d.A.) auch die Dynamikprovisionsansprüche des Klägers ermitteln lassen. Dass dies mit Hilfe eines Taschenrechners und damit ohne Computereinsatz möglich ist, hat der Zeuge D. ausdrücklich bestätigt (vgl. S. 4 sechster Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 777 d.A.).
88 b. Letztendlich kommt es darauf aber gar nicht entscheidend an, da nach der Aussage des Zeugen D. es seit einem Software‑Update im Jahr 2010 oder 2011 möglich gewesen sei, die Dynamikprovisionen abzurechnen (vgl. S. 12 dritter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 781 d.A.). Da aber ‑ wie oben unter 1 ausgeführt ‑ nur noch Abrechnungsansprüche für den Zeitraum ab 01.01.2012 im Raum stehen (für frühere Zeiträume sind etwaige Abrechnungsansprüche verjährt), steht damit fest, dass jedenfalls seit 2012 Dynamikprovisionen auch computermäßig abgerechnet werden konnten, sodass es nicht einmal einer händischen Berechnung bedurft hätte.
89 7. Mit der Behauptung, der Kläger habe „diverses Datenmaterial der Beklagten einbehalten“ und darüber hinaus Originalunterlagen der Beklagten vernichtet, kann die Beklagten den Anspruch des Klägers auf Abrechnung der Dynamikprovisionen ebenfalls nicht abwehren (sei es nach § 275 Abs. 1 BGB oder nach § 242 BGB). Denn dazu hätte sie konkret vortragen müssen, welche Daten der Kläger einbehalten und/oder welche Unterlagen der Kläger vernichtet haben soll und über welche Geschäfte sie dadurch nicht mehr abrechnen kann. Obwohl der Senat bereits in seinem Urteil vom 31.07.2019 (7 U 4012/17, Rdnrn 66 f.) darauf hingewiesen hatte, erfolgte in der Folge kein weiterer präzisierender Vortrag.
90 Der Einwand der Beklagten, sie könne schon deshalb keinen weiteren Sachvortrag leisten, weil nur der Kläger wisse, welche Unterlagen und Daten der Beklagten er vernichtet habe (S. 6 der Berufungsbegründung im Verfahren 7 U 4012/17, Bl. 324 d.A.), verfängt nicht, da er schon nicht schlüssig ist. Denn die Beklagte behauptet gleichzeitig, sie habe mit den Unterlagen laut Anl. B 6 jedenfalls für den Zeitraum von Januar 2013 bis November 2014 einen vollständigen Buchauszug erbracht. Allein aus dem Vergleich dieser behauptetermaßen vollständigen Unterlagen mit den nach den behaupteten Vernichtungen noch bei der Beklagten vorhandenen Unterlagen müsste die Beklagte ersehen können, zu welchen Geschäftsvorgängen nunmehr Unterlagen fehlen, und diese fehlenden Unterlagen im Verfahren benennen können.
91 8. Ob die Beklagte aufgrund von ihr geltend gemachter Gegenansprüche ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Kläger hat, kann dahinstehen, da der Prinzipal gegen die Informations‑ und Kontrollrechte des § 87c HGB, zu denen auch der Abrechnungsanspruch nach § 87c Abs. 1 HGB gehört, keine Zurückbehaltungsrechte geltend machen kann (vgl. Fröhlich in Flohr/Wauschkuhn, Vertriebsrecht, 3. Auflage, München 2023, Rdnr. 107 zu § 87c HGB, Hopt in ders., HGB, 43. Auflage, München 2024, Rdnr. 29 zu § 87c HGB, vgl. auch BGH, Urteil vom 19.01.2023 ‑ VII U ZR 787/21, Rdnr. 35 zum Anspruch auf Erteilung eines Buchauszugs).
92 9. Der Abrechnungsanspruch des Klägers hinsichtlich der Dynamikprovisionen besteht auch für den Zeitraum bis 30.04.2015, und nicht nur bis zur Beendigung des Vertragsverhältnisses am 18.03.2015, wenn von der Sachverhaltsversion des Klägers auszugehen sein sollte, bzw. am 25.03.2025 unter Zugrundelegung des Vortrags der Beklagten. Zwar besteht nach Ziffer 1.1.2 der Anlage 2 Vergütungsbestimmungen zum SBV 2013 ein Anspruch auf Dynamikprovision nur solange, als der Strategieberatervertrag besteht, jedoch schließt dies einen Abrechnungsanspruch für einen darüber hinausgehenden Zeitraum nicht aus. Da es sich bei dem streitgegenständlichen Vertragsverhältnis zwischen den Parteien um ein Unterhandels‑ bzw. Versicherungsvertreterverhältnis handelt, erfolgt nämlich die Abrechnung der von der Beklagten im Verhältnis zu ihren Prinzipalen verdienten Dynamikprovisionen gemäß § 87 c Abs. 1 HGB grundsätzlich zum Ende des Abrechnungszeitraums, d. h., selbst wenn man zugunsten der Beklagten von einem Abrechnungszeitraum von nur einem Monat ausgeht, zum Endes eines jeden Monats. Für vom Kläger im Monat März 2015 bis zur Beendigung seines Vertragsverhältnisses mit der Beklagten am 18. oder 25.03.2015 verdiente Dynamikprovisionen rechneten die Prinzipale der Beklagten damit frühestens zum Ende des Monats März 2015 und damit im Laufe des Monats April 2015 ab. Da sich damit die bis zum Ende des Vertragsverhältnisses der Parteien im März 2015 vom Kläger verdienten Dynamikprovisionen jedenfalls im Laufe des Aprils 2015 noch ändern konnten, erstreckt sich der Abrechnungszeitraum auch auf den April 2015. Dies ist unabhängig davon, dass für einen Provisionszahlungsanspruch die Provision während des Bestehens des Strategieberatervertrags verdient worden sein muss.
II.
93 Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht die Beklagte zur Abrechnung über die vom Kläger im Zeitraum vom 01.04.2015 bis 30.04.2015 verdienten Provisionen verurteilt.
94 Entgegen der Auffassung der Berufung (vgl. Berufungsbegründung S. 19, Bl. 911 d.A.) scheitert ein Abrechnungsanspruch des Klägers aus den oben unter I.9. aufgeführten Gründen für diesen Zeitraum nicht daran, dass das Vertragsverhältnis sowohl nach Ansicht des Klägers als auch nach der der Beklagten bereits im März 2015 beendet war. Im Übrigen folgt der Abrechnungsanspruch bereits aus der Provisionspflichtigkeit schwebender Geschäfte nach § 87 Abs. 3 HGB.
95 Etwaige Zurückbehaltungsrechte gegen den Provisionsabrechnungsanspruch kann die Beklagte aus den oben unter I.7 und 8 genannten Erwägungen nicht geltend machen. Da die Abrechnung für den April 2015 bereits in der Klageschrift vom 12.06.2015, die der Beklagten am 29.06.2015 zugestellt wurde, geltend gemacht wurde, ist auch keine Verjährung eingetreten.
III.
96 Erfolglos bleibt die Berufung auch bezüglich des geltend gemachten Anspruchs auf Abrechnung über die Günstigerprüfung für das Kalenderjahr 2014, da auch diesem Abrechnungsanspruch etwaige Zurückbehaltungsrechte der Beklagten nicht entgegengehalten werden können (vgl. insoweit oben unter I 8). Da nämlich in der Günstigerprüfung gemäß Ziffer 6.2 der Anlage 2 Vergütungsbestimmungen zum SBV 2013 die im jeweils abgelaufenen Kalenderjahr vom jeweiligen Strategieberater veranlassten Kosten von dessen Provisionsansprüchen in Abzug gebracht werden, handelt es sich auch bei der Abrechnung über die Günstigerprüfung um eine Provisionsabrechnung i. S. d. § 87c Abs. 1 HGB, sodass der Anspruch auf die Abrechnung über die Günstigerprüfung den gleichen Schutz genießt wie sonstige Provisionsabrechnungsansprüche. Der Abrechnungsanspruch ist auch nicht verjährt.
97 Der in Ziffer 3 des Tenors des landgerichtlichen Urteils enthaltene Passus „bei der sie die im Strategieberatervertrag vom 15.05.2013 in der Anlage 2, Ziffer 6., benannten Grundsätze beachtet“ war in Wegfall zu bringen, da er mangels eines vollstreckbaren Inhalts überflüssig ist. Ob die (noch zu erteilende) Abrechnung ordnungsgemäß ist, ist gegebenenfalls im Vollstreckungsverfahren zu prüfen.
C.
98 Der Ausspruch zu den Kosten folgt aus §§ 97, 92 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision war in Ermangelung eines Revisionsgrundes nicht zuzulassen.