Oberlandesgericht Oldenburg
Im Namen des Volkes
Urteil

Tenor:

Auf die Berufungen beider Parteien und unter Zurückweisung der jeweils weitergehenden Rechtsmittel wird das am 22. Dezember 2023 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer (Kammer für Handelssachen) des Landgerichts Aurich geändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 72.879,89 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent p.a. für die Zeit vom 1. Oktober 2018 bis 7. August 2019 sowie Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. August 2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den in erster Instanz entstandenen Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 18% und die Beklagte 82% zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin 23% und der Beklagten 77% zur Last.
Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klägerin macht einen Anspruch auf Zahlung von Handelsvertreterausgleich gemäß § 89b HGB geltend.
Die Beklagte betreibt Tankstellen unter dem Markennamen „SCORE“. Die Klägerin führte eine Tankstelle der Beklagten in Verden, zuletzt die Tankstelle auf dem Tankstellengelände in der L. Straße 51. Das Rechtsverhältnis der Parteien wurde zuletzt durch den „Tankstellenvertrag“ vom 10. Oktober 2017 (Anlage K1, Anlagenband Klägerin) geregelt. Darin ist unter anderem festgelegt, dass die Klägerin die Tankstelle täglich während der Öffnungszeiten von 6 bis 22 Uhr ununterbrochen zu betreiben hatte. Die Klägerin übernahm als selbstständige Kauffrau unter anderem den Verkauf von Kraftstoffen im Namen und für Rechnung der Beklagten; dafür erhielt sie von der Beklagten 1,1 Cent/Liter zuzüglich Umsatzsteuer.
Die Klägerin kündigte das Vertragsverhältnis altersbedingt zum 1. Oktober 2018. In der Zeit vom 1. Oktober 2013 bis zum 30. September 2018 erzielte die Klägerin im Jahresdurchschnitt Provisionseinnahmen in Höhe von 74.845,40 € netto.
Die Klägerin hat beantragt,
1.die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Ausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB in der Größenordnung von 89.066,03 € nebst 5 Prozentpunkten Fälligkeitszinssatz seit dem 1. Oktober 2018 sowie Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Juli 2019 zu zahlen.
2. Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht die Darlegungen der Klägerin zur Ausgleichshöhe für unzureichend halten sollte:
a) Die Beklagte auf erster Stufe des Antrages zu Ziffer 2 zu verurteilen, der Klägerin in kontrollfähiger Form sämtliche bei ihr vorhandenen und für die Berechnung ihres Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB erforderlichen Informationen zu erteilen, insbesondere, welche Provisionen im letzten Vertragsjahr mit Mehrfachkunden, d. h. mit solchen Kunden, die innerhalb eines Jahres mindestens vier Tankvorgänge bei der Klägerin durchgeführt haben, erzielt wurden.
b) Auf zweiter Stufe nach Erteilung der Auskunft gemäß Ziffer 2 lit. a:
Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Ausgleichsanspruch in zu beziffernder Größenordnung nebst fünf Prozentpunkten Fälligkeitszinssatz auf diesen Betrag seit dem 1. Oktober 2018 sowie Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf den gesamten Betrag seit dem 18. Juli 2019 zu zahlen,
3. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.901,07 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil, mit dem das Landgericht – nach Einholung von Sachverständigengutachten – die Beklagte zur Zahlung von 74.586,43 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2018 verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen hat.
Dagegen richten sich die Berufungen beider Parteien, die ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholen und vertiefen.
Die Klägerin verfolgt ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiter, soweit diese vom Landgericht abgewiesen worden sind.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil insoweit abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen, als die Beklagte zur Zahlung eines Betrags verurteilt worden ist, der 19.940,58 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent seit dem 1. Oktober 2018 übersteigt.
Beide Parteien beantragen die Zurückweisung der Berufung des jeweiligen Gegners.

II.

Die zulässigen Berufungen haben jeweils nur zu einem geringen Teil Erfolg.
Der Senat verweist zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts zur Entstehung des Handelsvertreterausgleichsanspruchs der Klägerin (LGU 7 f. unter 1 a bis c), die von beiden Parteien nicht in Zweifel gezogen werden. Soweit die Parteien Einwände gegen die konkrete Berechnung des Ausgleichsanspruchs (LGU 8 ff. unter 1 d aa – ii) erhoben haben, sind diese – mit einer Ausnahme – unbegründet:

1. Höhe der letzten Jahresprovision

Das Landgericht hat für die Berechnung des Handelsvertreterausgleichsanspruchs im Ausgangspunkt Provisionseinnahmen des letzten Vertragsjahres in Höhe von 55.802,77 € netto zugrunde gelegt (LGU 8).
Die Beklagte hält das für unzutreffend. Aus dem von ihr als Anlagenkonvolut B1 (Anlagenband Beklagte) vorgelegten Provisions-Kontoauszügen für die Jahre 2017 und 2018 ergebe sich, wie von ihr bereits in der Klageerwiderung vorgetragen, ein Betrag in Höhe von lediglich 54.360,– € netto. Die Differenz in Höhe von 1.442,77 € ergebe sich aus den in den Kontoauszügen aufgelisteten Beträgen in Höhe von 544,08 € (Buchungsdatum 13. November 2017) mit dem Buchungstext „Diff. Prov.- Abz. 01.-12.10.17“ und in Höhe von 898,69 € (Buchungsdatum 11. Oktober 2018) mit dem Buchungstext „Prov. 09/2018 Vd. 2 / JB“. Der Betrag von 544,08 € sei in der Spalte „Haben“ vermerkt; das bedeute, dass der Betrag der Beklagten zustehe und nicht zu den Provisionseinnahmen der Klägerin gerechnet werden könne (BB Beklagte S. 3 = eGA OLG 27, Rn. 7 – 9).
Der Einwand ist hinsichtlich der Buchung in Höhe von 544,08 € berechtigt. Es handelt sich insoweit um eine Korrekturbuchung zu der Buchung der Provision für Oktober 2017 in Höhe von 5.392,87 €. Das Landgericht hat sich bei der Annahme von Provisionszahlungen in Höhe von 55.802,77 € netto auf die Berechnung der Klägerin im Schriftsatz vom 7. August 2020 (S. 7 f. = GA I 83 f.) gestützt, in die die Provisionsbuchung für Oktober 2017 in Höhe von 5.392,87 € ordnungsgemäß eingestellt wurde, nicht aber die Korrekturbuchung in Höhe von 544,08 €.
Ohne Erfolg bleibt dagegen der Einwand hinsichtlich der Buchung in Höhe von 898,69 €. Dieser Betrag steht oberhalb der Buchung mit dem Buchungstext „Prov. 09/2018 Vd. 2 / RvdG“ in Höhe von 3.675,09 €. Nur der letztgenannte Betragb ist in die Berechnung der Klägerin im Schriftsatz vom 7. August 2020 (a.a.O.) eingeflossen, nicht aber die 898,69 €, bei denen es sich offenbar um die vom Nachfolger der Klägerin nach Übergabe der Tankstelle im Zeitraum vom 25. bis 30. September 2018 verdienten Provisionen handelt. Insofern hat die Klägerin einen Betrag von 918,77 € als „Hochrechnung 25.-30.09.2018“ eingestellt. Dieses Vorgehen ist, wie auch das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht zu beanstanden. Denn maßgeblich für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs sind im Regelfall die Provisionseinnahmen des letzten Vertragsjahres. Aufgrund der vorzeitigen Übergabe zum 25. September 2018 würde aber durch die im Anlagenkonvolut B1 dargestellten Provisionen der Klägerin für die Monate Oktober 2017 bis September 2018 kein vollständiges Vertragsjahr abgebildet (es sei denn, man berücksichtigt auch die an den Nachfolger gezahlten 898,69 €, woraus sich nur ein geringer Unterschied ergäbe).
Dagegen wendet sich die Beklagte im Schriftsatz vom 10. Januar 2025 mit folgender Argumentation (Rn. 5 ff. auf S. 2 f. = eGA OLG 136 f.):
„Die Parteien haben sich einvernehmlich auf die Rückgabe der Tankstelle am 25. September 2018 geeinigt. Damit hat die Beklagte die Klägerin mit deren Einverständnis für den Rest der Vertragslaufzeit freigestellt. Das hat weder eine Vertragsaufhebung zur Folge noch folgt daraus, dass die Berechnung der im letzten Vertragsjahr verdienten Provisionen der Klägerin nunmehr anhand eines anderen Zeitraums (25. September 2017 bis zum 25. September 2018) zu berechnen wären. Vielmehr hat die Klägerin im Zeitraum der Freistellung ab dem 25. September 2018 keine Provisionen mehr verdient und auch keinen Anspruch auf Zahlung von Provisionen für diesen Zeitraum (Ströbl in: MüKo, HGB, 5. Aufl., § 89 Rn. 71). Eine Abrede über eine Freistellungsvergütung, wie sie die Klägerin zu konstruieren versucht (Schriftsatz vom 29. Februar 2024, S. 4), haben die Parteien nicht getroffen. Das ergibt sich schon aus dem Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 9. August 2018 (Anlage B 3). Im Übrigen ist die Klägerin für eine vermeintliche Vereinbarung über eine Freistellungsvergütung beweisbelastet. Da sie diesen Beweis bis heute nicht erbracht hat, ist sie beweisfällig geblieben.
Aus diesem Grund verbietet sich auch eine „Hochrechnung der Provisionen“ für den Zeitraum vom 25. September 2018 bis zum 30. September 2018 auf einen Betrag in Höhe von EUR 918,77 (Schreiben vom 2. Dezember 2024, S. 2). Einer solchen Hochrechnung läge eine Schätzung gemäß § 287 Abs. 2 ZPO zugrunde, welche die konkreten Umstände des Sachverhalts außer Acht ließe. Soweit die Klägerin in diesem Zeitraum keine Provisionen verdient hat, können auch keine Provisionen bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs für diesen Zeitraum berücksichtigt werden, erst recht keine hochgerechneten Provisionen.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist das letzte Vertragsjahr als Berechnungsgrundlage für die Provisionen nicht daran geknüpft, dass der Handelsvertreter auch im gesamten Jahr tatsächlich Provisionen verdient hat. Entscheidet sich der Handelsvertreter dafür, die Tankstelle frühzeitig zurückzugeben, und verzichtet damit bewusst darauf, weiterhin Provisionen zu verdienen, ist das seine eigene unternehmerische Entscheidung, die nicht dem Unternehmer zum Nachteil gereichen kann.“
Mit dieser Argumentation dringt die Beklagte nicht durch. Als Bemessungsgrundlage oder Prognosebasis für die Ermittlung der Provisionsverluste sind die Provisionen heranzuziehen, die dem Handelsvertreter im Laufe der letzten zwölf Monate seiner Tätigkeit vor Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses aus dem Kreis der von ihm neu geworbenen bzw. intensivierten Stammkunden zugeflossen sind. Indem auf die Dauer eines Jahres abgestellt wird, wird vermieden, dass sich im Jahresverlauf eintretende Provisionsschwankungen bei der Ermittlung der Verluste zum Nachteil bzw. zum Vorteil des Handelsvertreters auswirken. Ausnahmsweise ist jedoch die Provision des letzten Vertragsjahres nicht maßgebend, wenn die Umsatzentwicklung mit neu geworbenen bzw. intensivierten Stammkunden in diesem Zeitraum atypisch verlaufen ist. Ist anhand eines Vergleichs mit den Provisionsumsätzen der vorhergehenden Jahre festzustellen, dass das letzte Vertragsjahr insoweit atypisch verlaufen ist, muss auf einen längerfristigen Jahresdurchschnitt unter Einschluss des letzten Vertragsjahres zurückgegriffen werden (vgl. MüKoHGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, § 89b Rn. 154 m.w.N.). Eine sklavische Festlegung der Bemessungsgrundlage auf die im letzten Jahr vor der Vertragsbeendigung erzielten Provisionen besteht danach nicht. Die vorzeitige Übergabe zum 25. September 2018 kann als atypischer Verlauf des letzten Vertragsjahres angesehen werden, der hier allerdings nicht den Rückgriff auf einen längerfristigen Jahresdurchschnitt unter Einschluss des letzten Vertragsjahres gebietet (das wären hier nach den Feststellungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil für die letzten fünf Jahre unstreitig 74.845,40 € netto). Vielmehr ist es im vorliegenden Einzelfall ausreichend und nicht zu beanstanden, eine Hochrechnung der Provisionseinnahmen für die Zeit nach der vorzeitigen Übergabe (25. bis 30. September 2018) vorzunehmen.
Dementsprechend sind Provisionseinnahmen des letzten Vertragsjahres in Höhe von 55.258,69 € netto zugrunde zu legen.

2. Stammkundenumsatzquote

Das Landgericht hat für die Berechnung des Handelsvertreterausgleichs eine Stammkundenumsatzquote von 72,8% zugrunde gelegt (LGU 9). Dagegen meint die Klägerin, die Stammkundenumsatzquote hätte so berechnet werden müssen, wie von ihr erstinstanzlich dargelegt, also in Höhe von 87,78% (BB Klägerin S. 12 = eGA OLG 52, unter 2.2).
Damit dringt die Klägerin nicht durch. Die Feststellungen des Landgerichts zur Stammkundenumsatzquote sind nicht zu beanstanden. Allerdings heißt es in den einleitenden Ausführungen das Landgerichts, als zu berücksichtigende Stammkunden seien die Kunden anzusehen, die mehr als vier Mal im Jahr an der Tankstelle der Klägerin getankt haben, was die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zutreffend wiedergibt. Denn danach sind im Kraft- und Schmierstoffgeschäft einer Tankstelle diejenigen Kunden als Stammkunden anzusehen, die an der Tankstelle mindestens vier Mal im Jahr tanken (vgl. nur BGH, Urteil vom 19. Januar 2011 – VIII ZR 149/09, juris Rn. 22 m.w.N.). Dieser Fehler hat sich auf die Entscheidung jedoch nicht ausgewirkt, denn die Feststellungen des Landgerichts zur Stammkundenumsatzquote stützen sich auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. K. vom 29. September 2023 (Gutachtenheft), der wiederum die von der Klägerin als Anlage K4 (Anlagenband Klägerin) vorgelegte „Ermittlung der Stammkundenumsatzanteile“ der D… (D.-M. & A…systeme e.K.) vom 17. Juni 2019 auf ihre Richtigkeit überprüft hat. Aus den Angaben auf Seite 4 der „Ermittlung der Stammkundenumsatzanteile“ wird deutlich, dass dort als Stammkundenkriterium zutreffend „mind. 4x Tanken pro Jahr“ zugrunde gelegt wurde. Entsprechendes gilt für das Gutachten des Sachverständigen Dr. K., in dem das Stammkundenkriterium auf Seite 11 mit „TRX > 3“ wiedergegeben wird.
Das Landgericht hat – gestützt auf das Sachverständigengutachten – festgestellt, dass die Stammkundenumsatzquote 72,8% beträgt. Der wesentliche Grund für die Abweichung zu dem von der Firma DOCUM ermittelten und von der Klägerin vorgetragen Stammkundenanteil (87,78%) liegt nach den vom Landgericht zugrunde gelegten Darlegungen des Sachverständigen darin, dass die Firma D. lediglich die letzten vier Ziffern der Kartenzahlvorgänge bei der Ermittlung der Stammkundenquote ausgewertet hat, so dass es aufgrund der zufälligen Übereinstimmungen von nur vier Endziffern zur fehlerhaften Einordnung von Kunden als Stammkunden kommen musste (LGU 9). Ausgehend davon hat das Landgericht dann die in mehreren Schritten erfolgte Vorgehensweise des Sachverständigen dargelegt (LGU 10), mit der der Sachverständige zu einer Stammkundenumsatzquote (ohne Korrekturfaktor) von 70,3% gelangt ist (Gutachten vom 29. September 2023, Rn. 51). Diese Quote hat das Landgericht im Wege einer Korrektur angemessen erhöht und den Korrekturfaktor mit 2,5 Prozentpunkten bemessen, so dass das Landgericht insgesamt eine Stammkundenquote von 72,8% angenommen hat (LGU 11).
Dagegen bringt die Klägerin keine stichhaltigen Argumente vor. Der Verweis der Klägerin auf deren erstinstanzliche Beweisantritte hilft nicht weiter, weil die Klägerin sich in erster Instanz auf die von ihr vorgelegte DOCUM-Analyse sowie auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens berufen hat. Dem ist das Landgericht aber nachgekommen, indem es einen Sachverständigen mit der Überprüfung der D.-Analyse beauftragt hat.

3. Einstandszahlung an Nachfolger der Klägerin

Die Klägerin meint, eine von ihrem Nachfolger an die Beklagte (nach Behauptung der Klägerin in Höhe von 80.000,– €) geleistete Einstandszahlung sei bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs – anspruchserhöhend – zu berücksichtigen (BB Klägerin, S. 8 ff. = eGA OLG 48 ff.). Damit dringt die Klägerin nicht durch, auch wenn man unterstellt, dass vom Nachfolger der Klägerin eine Einstandszahlung in der behaupteten Höhe für die Übernahme des Kundenstamms gezahlt wurde.
Nach § 89b Abs. 1 Satz 1 HGB kann der Handelsvertreter von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und soweit (1.) der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat und (2.) die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht. In diesem Ausgleichsanspruch sieht der Bundesgerichtshof in Übereinstimmung mit der im Schrifttum weit überwiegenden Auffassung in ständiger Rechtsprechung einen Vergütungsanspruch, der dem Handelsvertreter die restliche, durch Provisionszahlungen bis zum Vertragsende noch nicht abgegoltene Gegenleistung für einen auf seiner Vermittlungstätigkeit beruhenden Vorteil verschaffen soll, der in der Schaffung des Kundenstamms besteht. Der Ausgleichsanspruch ist allerdings kein reiner Vergütungsanspruch, weil sowohl die Entstehung als auch die Bemessung des Anspruchs weitgehend durch Aspekte der Billigkeit beeinflusst werden. Dabei dürfen diese Billigkeitsaspekte nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 17 Abs. 2 der RL 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (Handelsvertreterrichtlinie; ABl. EG Nr. L 382 S. 17), der der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 89b Abs. 1 HGB mit Wirkung vom 5. August 2009 Rechnung getragen hat, zwar nicht ausschließlich zu einer Anpassung des Ausgleichsanspruchs nach unten führen (EuGH, Urteil vom 26. März 2009 – Rs. C-348/07, juris Rn. 23). Dennoch darf der Anspruch auch unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung nicht allein auf Billigkeitserwägungen gestützt werden. Denn sowohl Art. 17 Abs. 2a Spiegelstrich 1 der Handelsvertreterrichtlinie als auch § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 HGB n.F. knüpfen das Bestehen eines Ausgleichsanspruchs an die Voraussetzung, dass der Handelsvertreter für den Unternehmer neue Kunden geworben oder die Geschäftsverbindungen mit vorhandenen Kunden wesentlich erweitert hat und der Unternehmer aus den Geschäften mit diesen Kunden noch erhebliche Vorteile zieht (BGH, Urteil vom 16. Juni 2010 – VIII ZR 259/09, juris Rn. 15 f.). Auf der anderen Seite erhält der Nachfolger des Handelsvertreters Provisionen für die künftig von ihm vermittelten Geschäfte. Beide Ansprüche bestehen nach den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 87, 87a, 89b HGB nebeneinander. Dass ein Unternehmer „doppelt belastet“ wird, wenn er für die Umsätze mit Stammkunden nicht nur dem Handelsvertreter einen Ausgleich, sondern auch dessen Nachfolgern Provisionen zahlen muss, ist zwangsläufige Folge dieses Anspruchssystems. Dieser Umstand kann daher nicht zum Wegfall eines Ausgleichsanspruchs führen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2010 – VIII ZR 209/07, juris Rn. 21 m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht eine Einstandszahlung des Nachfolgers nicht anspruchserhöhend berücksichtigt hat. Der hier wie allgemein üblich anhand der voraussichtlichen Provisionsverluste errechnete Ausgleich entspricht auch unter diesen Umständen der Billigkeit und berücksichtigt die Unternehmervorteile angemessen. Eine Einstandszahlung gebietet eine Erhöhung des Ausgleichs im Streitfall nicht. Denn wie die an einen Nachfolger zu zahlenden Provisionen nicht zu einer Minderung des Ausgleichsanspruchs führen, ist es auch nicht geboten, den von einem Nachfolger für die Überlassung des Kundenstamms gezahlten Betrag erhöhend zu berücksichtigen. Ob dies in Fällen, in denen der Ausgleichsberechtigte selbst einen Einstand zahlen muss(te), unter Billigkeitsgesichtspunkten anders zu bewerten ist, kann dahinstehen. Denn nach der von der Beklagten nicht angegriffenen Beurteilung des Landgerichts (LGU 15) steht der Beklagten eine Einstandszahlung aufgrund der (Neu-)Regelung im Vertrag vom 10. Oktober 2017 nicht zu (siehe dazu auch unten, unter 7).

4. Billigkeitsabzug

Das Landgericht hat aus Billigkeitsgründen aufgrund der Sogwirkung von Marke, Preisbildung und Lage der Tankstelle einen Abzug von 10% vorgenommen (LGU 12 f.). Dies wird von beiden Parteien beanstandet. Während der Klägerinvertreter (eGA OLG 53 ff.) unter Verweis auf seine eigene Kommentierung (Emde in: Staub, HGB, 6. Auflage 2021, § 89b Rn. 259 bei Fn. 1601) und die Kommentierung von Semmler (in: Ebenroth/Boujong, HGB, 5. Aufl. 2024, § 89b Rn. 184) Billigkeitsabzüge jedenfalls im Tankstellengeschäft überhaupt nicht für gerechtfertigt hält, meint die Beklagte (eGA OLG 27 ff.), aus dem vom Landgericht eingeholten Marktforschungsgutachten vom 30. November 2021 (Gutachtenband) ergebe sich, dass hier ein Billigkeitsabzug von 75,3% stattfinden müsse.
Die Einwände beider Parteien bleiben ohne Erfolg. Der vom Landgericht in Anwendung des tatrichterlichen Schätzungsermessens gemäß § 287 Abs. 1, 2 ZPO vorgenommene Abzug in Höhe von 10% ist bei der hier gegebenen Situation (Tankstelle einer sogenannten B-Marke an einer von der Verdener Innenstadt zur Bundesautobahn A 27 führenden Ausfallstraße) unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls nicht zu beanstanden.
Ein entsprechender Billigkeitsabzug wird von der herrschenden Meinung anerkannt (vgl. Emde, a.a.O., Rn. 259 bei Fn. 1587 ff.; Wauschkuhn in: Flohr/Wauschkuhn, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2023, § 89b HGB Rn. 170; jeweils m.w.N.). Eine Sogwirkung kann auch dann im Wege eines Billigkeitsabzugs berücksichtigt werden, wenn sie bereits in die Bemessung der Provision eingeflossen ist (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2011 – VIII ZR 17/09, juris Rn. 30; Wauschkuhn, a.a.O., Rn. 172). Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Entscheidungen zum Ausgleichsanspruch von Tankstellenhaltern einen vom Berufungsgericht jeweils in Ansatz gebrachten Pauschalabzug von 10% – unter anderem auch für sogenannte A-Marken wie ARAL oder eine Autobahntankstelle – gebilligt (BGH, Urteil vom 21. April 2010 – VIII ZR 108/09, juris Rn. 32; Urteil vom 15. Juli 2009 – VIII ZR 171/08, juris Rn. 12, 28 f.; Urteil vom 10. Juli 2002 – VIII ZR 58/00, juris Rn. 56; Wauschkuhn, a.a.O., Rn. 172).
Soweit die Beklagte meint, dass wegen der Ergebnisse des eingeholten Marktforschungsgutachtens ein Billigkeitsabzug von 75,3% stattfinden müsse, bleibt dies ohne Erfolg. Nach dem Beweisbeschluss des Landgerichts vom 16. November 2020 (GA II 32) sollte Beweis erhoben werden zu der Behauptung der Beklagten, die spezifischen Besonderheiten der früher von der Klägerin gepachteten Tankstelle, insbesondere örtliche Lage, Ausstattung und Preisniveau innerhalb des lokalen Konkurrenzverhältnisses zu anderen Tankstellen, hätten im Sinne einer sogenannten Sogwirkung 30% des Umsatzes der Stammkunden an der Tankstelle erzeugt. Ungeachtet der Frage, ob die Einholung dieses Gutachtens unter Berücksichtigung des hier bestehenden tatrichterlichen Schätzungsermessens gemäß § 287 Abs. 1, 2 ZPO erforderlich und geboten war, lässt sich weder dem Gutachten vom 30. November 2021 noch der persönlichen Anhörung des verantwortlichen Gutachters Heuer am 25. April 2022 (GA III 62 ff.) eine brauchbare Antwort auf die im Beweisbeschluss gestellte Frage entnehmen. Denn schon die im schriftlichen Gutachten erfolgte Unterteilung der verschiedenen abgefragten Kaufmotivationen in fixe Standortaspekte, durch die Pächterin beeinflussbare Aspekte und nicht durch die Pächterin beeinflussbare Aspekte, ist nicht ohne weiteres einleuchtend. So stellt sich die Frage, warum beispielsweise die Öffnungszeiten oder auch das Angebot von Kaffee und warmen Snacks allein der Beklagten zugerechnet werden. Auch die vom Gutachter Heuer beschriebene Gewichtung der von den Kunden genannten Kaufmotivationen (Erstnennung 50%, Zweitnennung 33 1/3%, Drittnennung 16,7%, aber bei Nennung nur eines Aspekts 100%) erscheint zumindest nicht zwingend. Auffallend ist im Übrigen, dass die Marke der Beklagten bei der Bemessung der Kaufrelevanz nur auf einen Anteil von 2,0% gekommen ist, während der Preis (13,5%) und die Lage (insgesamt 28,9%) wesentlich größere Bedeutung haben. Gerade die Lage der Tankstelle nimmt im vorliegenden Fall aber eine Sonderstellung ein, weil die Tankstellengelände, auf dem die Klägerin zuletzt (seit 2007) tätig war, von der Beklagten übernommen werden konnte (siehe Protokoll vom 25. April 2022, GA III 62 f.; ferner GA I 88, I 124; II 79; II 111). Das mindert die Bedeutung dieses Faktors im Rahmen der Billigkeitsprüfung, auch wenn es einer Berücksichtigung der Lage der Tankstelle zugunsten der Beklagten – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht vollständig entgegensteht.
Nach alledem ergeben sich hier weder aus dem Marktforschungsgutachten noch aus anderen Umständen hinreichende Gründe, einen höheren Billigkeitsabzug als 10% vorzunehmen. Ohne Erfolg verweist die Beklagte auf ein Urteil des Oberlandesgerichts München vom 17. Dezember 2008 (7 U 3114/08, juris). Richtig ist zwar, dass in jenem Fall ein Billigkeitsabzug von 60% vorgenommen wurde (a.a.O., Rn. 36). In dem damals entschiedenen Einzelfall mit einem außergewöhnlich hohen Billigkeitsabzug ging es aber um Ausgleichsansprüche einer Tankstellenpächterin, die zwei Selbstbedienungstankstellen betrieben hat, die an den Einkaufszentren „B…land“ in L. beziehungsweise Sindelfingen mit jeweils rund 120 Shops und rund 3.000 Parkplätzen liegen. Diese besondere Situation ist nicht mit der hier zu beurteilenden, vormals von der Klägerin betriebenen Tankstelle vergleichbar.
Dagegen wendet sich die Beklagte im Schriftsatz vom 10. Januar 2025 (Rn. 13 ff. auf S. 4 ff. = eGA OLG 138 f.); einleitend heißt es dort: „Es bleibt dabei, dass von dem Ausgleichsanspruch der Klägerin ein Billigkeitsabzug in Höhe von 75,30%, jedenfalls aber von 30%, vorzunehmen ist. Das ist das Ergebnis des vom Landgericht durchgeführten Sachverständigenbeweises, der nach einer aufwendigen, einzelfallbezogenen Untersuchung detaillierte Feststellungen zur Kaufmotivation der Kunden der streitgegenständlichen Tankstelle erbracht und damit den Vortrag der Beklagten zur Höhe des Billigkeitsabzugs bewiesen hat. Diese Feststellungen hätte das Landgericht bei seiner Entscheidung berücksichtigen müssen. Sie sind auch der Entscheidung des Senats zugrunde zu legen. Ihre Nichtberücksichtigung würde gegen § 286 Abs. 1 ZPO verstoßen. Soweit der Senat vorläufig zu der Einschätzung gelangt ist, dass sich dem erhobenen Sachverständigenbeweis keine hinreichende Antwort auf die Frage der Höhe des vorzunehmenden Billigkeitsabzugs entnehmen ließe oder dass Unklarheiten bestünden, wäre der Sachverständige ggf. erneut zu befragen.“
Auch mit dieser – in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausführlich erörterten – Argumentation dringt die Beklagte nicht durch. Die Prüfung von Billigkeitsabzügen und die in diesem Rahmen erfolgende Abwägung der Ursächlichkeit von werbender Tätigkeit des Tankstellenhalters einerseits und der „Sogwirkung“ von Lage, Marke oder Preis sowie anderen dem Unternehmer zuzurechnenden Faktoren andererseits gehört zum Kernbereich des tatrichterlichen Schätzungsermessens (§ 287 Abs. 1, 2 ZPO) im Rahmen der Billigkeitsprüfung nach § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2009 – VIII ZR 249/08, juris Rn. 44 m.w.N.). Der Senat ist in Anwendung dieses Schätzungsermessens zu dem Ergebnis gekommen, dass die vom Landgericht vorgenommene Einholung eines Marktforschungsgutachtens nicht erforderlich und geboten war. Eine weitere Auseinandersetzung mit dem Gutachten oder eine ergänzende Befragung des Sachverständigen ist deshalb nicht erforderlich. Die von der Beklagten erhobene Rüge eines Verstoßes gegen § 286 Abs. 1 ZPO berücksichtigt nicht das hier bestehende tatrichterliche Schätzungsermessen gemäß § 287 Abs. 1, 2 ZPO und die dadurch für das Beweismaß und das Beweisverfahren bestehenden Erleichterungen gegenüber § 286 Abs. 1 ZPO (vgl. MünchKommZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, § 287 Rn. 3 m.w.N.).
Aber selbst wenn man die Ergebnisse des Marktforschungsgutachtens ohne Einschränkung übernähme, ließe sich damit aus Sicht des Senats ein höherer Billigkeitsabzug als ein solcher in Höhe von 10% nicht rechtfertigen, schon gar nicht der von der Beklagten geforderte Billigkeitsabzug von 75,3%. Denn die gemäß § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB erforderliche Billigkeitsprüfung hat unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls stattzufinden. Als Abwägungskriterien sind die gesamten persönlichen und sachlichen Besonderheiten des Einzelfalls in die Billigkeitsprüfung einzubeziehen. Dazu gehören auch die persönlichen Verhältnisse des Handelsvertreters, wie Alter, Gesundheitszustand, Erwerbsfähigkeit (gegebenenfalls Anzahl der Kinder). Dabei ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob und inwieweit die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung der Belange des Handelsvertreters und des Unternehmers der Billigkeit entspricht. Nach der Wertung der im Einzelfall anwendbaren Billigkeitskriterien sind diese in einer Gesamtschau gegeneinander abzuwägen. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Vor- und Nachteile auf jeder Seite ist zu prüfen, ob die Interessen einer Partei so sehr überwiegen, dass sie eine Erhöhung oder Minderung des rein rechnerisch ermittelten Ausgleichsanspruchs aus sachlichen Gründen erfordern (vgl. MünchKommHGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, § 89b Rn. 96, 100 m.w.N.). Hier hat die am 2. Juli 1952 geborene Klägerin seit 2001 als Handelsvertreterin eine Tankstelle der Beklagten (zunächst an einem anderen Standort in Verden) geführt und das Vertragsverhältnis zum 1. Oktober 2018 – also im Alter von 66 Jahren nach 17-jähriger Tätigkeit – altersbedingt beendet. Der Senat kann nicht erkennen, dass die im Marktforschungsgutachten aufgeführten Umfrageergebnisse zu den Kaufmotivationen in der Gesamtschau unter Berücksichtigung des Alters und der Dauer der Tätigkeit der Klägerin ein Abwägungsergebnis rechtfertigen sollen, bei dem die Interessen der Beklagten so sehr überwiegen, dass sie eine Herabsetzung des rechnerisch ermittelten Ausgleichsanspruchs um mehr als 10% erfordern. Auf der anderen Seite stellt sich das nachvertragliche Verhalten der Beklagten hinsichtlich des Ausgleichsanspruchs aus Sicht des Senats nicht so dar, dass dies bei der Billigkeitsprüfung zu berücksichtigen wäre und einem Billigkeitsabzug entgegenstände, wie die Klägerin meint (eGA OLG 124).

5. Abzinsung

Ohne Erfolg wendet sich die Klägerin gegen die vom Landgericht vorgenommene Abzinsung mit einer Abzinsungsdauer von fünf Jahren und einem Zinssatz von 1% p.a. (LGU 13 f.), also einem Abzinsungsfaktor von 0,9515.
Es ist allgemein anerkannt, dass von dem errechneten Gesamtbetrag abschließend eine Abzinsung vorzunehmen ist, weil durch den Ausgleichsanspruch die Provisionsverluste des Handelsvertreters im Voraus abgegolten werden, während er die Provision erst innerhalb mehrerer Jahre verdient hätte (MünchKommHGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, § 89b Rn. 164; Wauschkuhn, a.a.O., Rn. 219; jeweils m.w.N.). Für die Höhe der Abzinsung lässt sich kein allgemeingültiger Prozentsatz festlegen. Häufig wird ein Zinssatz von 4 bzw. 5% p.a. und eine Abzinsung nach streng mathematischen Grundsätzen gewählt. Insofern gilt auch für die von der Klägerin zur Begründung ihrer Argumentation angeführte Niedrigzinsphase nach Beendigung des Handelsvertretervertrages zwischen den Parteien (eGA OLG 55) grundsätzlich nichts anderes (vgl. MüKoHGB/Ströbl, a.a.O., Rn. 165 m.w.N.). Gleichwohl hat das Landgericht dem niedrigen Zinsniveau durch die Wahl eines Zinssatzes von nur 1% p.a. bereits Rechnung getragen.

6. Ausgleichsberechnung

Aus alledem ergibt sich nach der Berechnungsweise des Senats, die von der Methode des Landgerichts leicht abweicht, folgender Ausgleichsanspruch:
Letzte Jahresnettoprovision 55.258,69 €
Stammkundenumsatzquote x 72,80% = 40.228,33 €
Abzug für verwaltende Tätigkeit – 10% – 4.022,83 €
Billigkeitsabzug – 10% – 4.022,83 €
Zwischenergebnis 32.182,66 €
Abwanderungsprognose
(80% + 60% + 40% + 20% = 200%) x 200% = 64.365,32 €
Abzinsungsfaktor x 0,9515 = 61.243,60 €
Umsatzsteuer +19% +11.636,28 €
Ausgleichsanspruch (brutto) 72.879,89 €
Der so errechnete Ausgleichsanspruch von 72.879,89 € brutto überschreitet nicht die gemäß § 89b Abs. 2 HGB zu beachtende Grenze einer nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des Handelsvertreters berechneten Jahresprovision (hier: 74.845,40 € netto = 89.066,03 € brutto).

7. Keine Verrechnung

Soweit das Landgericht die Aufrechnung oder Verrechnung mit einer der Klägerin gestundeten Einstandszahlung abgelehnt hat (LGU 15, unter 1 jj), wird das angefochtene Urteil von der Beklagten nicht angegriffen.

8. Zinsen

Die Entscheidung des Landgerichts über die geltend gemachten Zinsen ist teilweise zu korrigieren.
a) Die Klägerin kann für den Zeitraum vom 1. Oktober 2018 bis 7. August 2019 Zinsen in Höhe von fünf Prozent nach §§ 352, 353 HGB verlangen. Der Ausgleichsanspruch entsteht und wird fällig mit der Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses, also am gleichen Tag. Der Eintritt der Fälligkeit ist nicht abhängig davon, dass der Handelsvertreter den Anspruch vor, bei oder nach Vertragsende geltend macht. Von der Fälligkeit an ist der Betrag nach §§ 352, 353 HGB mit fünf Prozent zu verzinsen (vgl. BeckOK HGB/Lehmann, 44. Ed. 01.10.2024, § 89b Rn. 140; MünchKommHGB/Ströbl, 5. Aufl., § 89b Rn. 263).
b) Jedenfalls nach Eintritt der Rechtshängigkeit, also ab dem 25. März 2020 (die Klage wurde den Beklagtenvertretern am 24. März 2020 zugestellt, GA I 23), rechtfertigt sich der für die Zeit ab dem 18. Juli 2019 geltend gemachte Zinsanspruch (neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz) aus § 291, § 288 Abs. 2 BGB. Beim Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB handelt es sich um eine Entgeltforderung (BGH, Urteil vom 16. Juni 2010 – VIII ZR 259/09, juris Rn. 14 ff.).
c) Entgegen der Auffassung des Landgerichts (LGU 15, unter 2) liegt aber auch eine verzugsbegründende Mahnung (§ 286 Abs. 1 Satz 1 BGB) vor.
Zwar ergibt sich diese, anders als die Klägerin meint, nicht aus dem Schreiben der Klägerin vom 11. Juli 2018 (Anlage B4, Anlagenband Bekl.), denn dieses Schreiben erfolgte noch vor Beendigung des Vertragsverhältnisses und damit vor Fälligkeit des Ausgleichsanspruchs. Auch das Antwortschreiben der Beklagten vom 30. Juli 2018 (Anlagenkonvolut K6, Anlagenband Klägerin) kann nicht als Selbstmahnung ausgelegt werden, durch die weitere Zahlungsaufforderungen entbehrlich würden. Denn die Beklagte verweist in dem Schreiben ausdrücklich auf eine Berechnung des Ausgleichsanspruchs, die erst nach Beendigung des Tankstellenvertrages erfolgen kann. Dass sie von selbst auf die Angelegenheit zurückkäme, hat die Beklagte in dem Schreiben nicht mitgeteilt; dies lässt sich auch nicht ohne weiteres annehmen.
Auch das Schreiben des Klägerinvertreters vom 12. Juli 2019 (Anlagenkonvolut K6, Anlagenband Klägerin) enthält weder eine ausdrückliche Zahlungsaufforderung noch eine Fristsetzung. Allerdings verweist die Klägerin mit Recht auf ein Schreiben der Beklagtenvertreter vom 22. Juli 2019 (Anlage K11, Anlagenband Klägerin), mit dem diese sich für die Beklagte legitimieren, auf ein (hier nicht vorliegendes) Schreiben des Klägerinvertreters vom 17. Juli 2019 Bezug nehmen und um Verständnis dafür bitten, dass „der bis zum 7. August 2019 gesetzten Zahlungsfrist“ (wegen der erforderlichen Prüfung des Handelsvertreterausgleichsanspruchs) nicht nachgekommen werden könne. Aufgrund des mit der Ladungsverfügung erteilten Hinweises hat die Klägerin dazu mit ihrem Schriftsatz vom 6. Dezember 2024 näher vorgetragen (S. 6 = eGA OLG 115) und als Anlage K36 (eGA OLG 118 ff.) das Schreiben vom 17. Juli 2019 vorgelegt, mit dem der Klägerinvertreter die Beklagte unter Fristsetzung zum 7. August 2019 zur Zahlung von 96.546,13 € brutto aufgefordert hat.
Entgegen der Auffassung der Beklagtenvertreter (eGA OLG 144 f.) ist dieser – unstreitige – Vortrag gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Mai 2022 – X ZR 41/20, juris Rn. 13 m.w.N.). Eine Mahnung im Sinne des § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt damit vor. Die mit dem Mahnschreiben geltend gemachte Forderung von 96.546,13 € brutto stellt sich – auch angesichts des im Rahmen von § 89b HGB bestehenden Ermessens hinsichtlich von Billigkeitsabzügen – im Streitfall nicht als unverhältnismäßig überhöhte Forderung dar, durch die die Mahnung ohne Wirkung geblieben wäre (vgl. dazu BeckOGK/Dornis, 01.06.2024, § 286 BGB Rn. 172).

9. Vorgerichtliche Kosten

Ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten kommt nicht in Betracht, weil die Beklagte zum Zeitpunkt des ersten vom Klägerinvertreter verfassten Schreibens (am 12. Juli 2019) noch nicht in Verzug war, wie soeben ausgeführt.

10. Nebenentscheidungen

Die Nebenentscheidungen beruhen hinsichtlich der Kosten auf § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO und hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.
Besprechung(en) zur Rechtsprechung
Zur Billigkeitsprüfung beim Handelsvertreterausgleich
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Tankstellenhalter (6) Sogwirkung der Marke (3) Handelsvertreterrecht (3) Handelsvertreterausgleich (2) Billligkeitsprüfung (1)