Haftung eines Terminoptionsvermittlers wegen unzureichender Aufklärung über die Risiken von Warentermin- und Optionsgeschäften

XI ZR 150/01 Urteil verkündet am 28. Mai 2002 BGH Beratungspflichten, Schadensersatz

Bundesgerichtshof
Im Namen des Volkes
Urteil

[…]

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten im Urkundenprozess auf Schadensersatz für Verluste aus Terminoptionsgeschäften an US amerikanischen Börsen in Anspruch.

Der Beklagte ist Mitgeschäftsführer einer GmbH, die gewerbsmäßig Optionsgeschäfte vermittelt. Die Klägerin, eine Zahntechnikerin, schloss mit der GmbH am 31.03.1994 einen Optionsvermittlungs- und Betreuungsvertrag. Dieser enthielt eine Risikoaufklärung, die die Klägerin gesondert unterschrieb. Ferner erhielt sie die Broschüre „Grundlagen des Terminhandels“. Bis zum 23.06.1994 zahlte die Klägerin der GmbH 90.000,– DM, die an einen US amerikanischen Broker weitergeleitet und für Optionsgeschäfte verwandt werden sollten. Hierbei hatte die Klägerin außer der Optionsprämie Gebühren der GmbH von bis zu 37,5 % der Prämie und Kommissionen des Brokers in Höhe von 90,– US Dollar je Geschäft zu entrichten. Die Optionsgeschäfte endeten insgesamt verlustreich.

Die Klägerin macht geltend, der Beklagte habe sie nicht ausreichend über die Risiken der Geschäfte aufgeklärt und durch den Abschluss einer Vielzahl von Geschäften Gebühren geschunden („churning“). LG Hagen und OLG Hamm haben die Klage auf Zahlung von 90.000,– DM abgewiesen. Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des OLG Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Entscheidungsgründe

I. … II. 1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin sei über die Risiken der Optionsgeschäfte ausreichend aufgeklärt worden, ist rechtsfehlerhaft.

a) aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind gewerbliche Vermittler von Terminoptionen verpflichtet, Kaufinteressenten vor Vertragsschluss schriftlich die Kenntnisse zu vermitteln, die sie in die Lage versetzen, den Umfang ihres Verlustrisikos und die Verringerung ihrer Gewinnchance durch den Aufschlag auf die Optionsprämie richtig einzuschätzen. Dazu gehört neben der Bekanntgabe der Höhe der Optionsprämie auch die Aufklärung über die wirtschaftlichen Zusammenhänge des Optionsgeschäfts und die Bedeutung der Prämie sowie ihren Einfluss auf das mit dem Geschäft verbundene Risiko. So muss darauf hingewiesen werden, dass die Prämie den Rahmen eines vom Markt noch als vertretbar angesehenen Risikobereichs kennzeichnet und ihre Höhe den noch als realistisch angesehenen, wenn auch weitgehend spekulativen Kurserwartungen des Börsenfachhandels entspricht. Ferner ist darzulegen, ob und in welcher Höhe ein Aufschlag auf die Prämie erhoben wird, und dass ein solcher Aufschlag die Gewinnerwartung verschlechtert, weil ein höherer Kursausschlag als der vom Börsenfachhandel als realistisch angesehene notwendig ist, um in die Gewinnzone zu kommen (Vgl. BGHZ 105, 108, 110 = DB 88, 2144; BGHZ 124, 151, 154 f. = DB 94, 1079; BGH Urteile vom 11.01.1988 – II ZR 134/87, DB 88, 1158 = WM 88, 291, 293 und vom 06.06.1991 – III ZR 116/90, DB 91, 2234 = WM 91, 1410, 1411; Sen. Urteile vom 13.10.1992 – XI ZR 30/92, DB 92, 2541 = WM 92, 1935, 1936, vom 01.02.1994 – XI ZR 125/93, WM 94, 453, 454, vom 02.02.1999 – XI ZR 381/97, DB 94, 1513 = WM 99, 540, 541 und vom 16.10.2001 – XI ZR 25/01, WM 01, 2313, 2314).

In diesem Zusammenhang ist unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass höhere Aufschläge vor allem Anleger, die mehrere verschiedene Optionen erwerben, aller Wahrscheinlichkeit nach im Ergebnis praktisch chancenlos machen. Die Aussagekraft dieses Hinweises, der schriftlich und in auch für flüchtige Leser auffälliger Form zu erfolgen hat, darf weder durch Beschönigungen noch auf andere Weise beeinträchtigt werden (Senat BGHZ 124, 151, 155 f. = DB 94, 1079).

bb) Für diese Aufklärung hat der Geschäftsführer einer Optionsvermittlungs- GmbH Sorge zu tragen. Ein Geschäftsführer der Optionsgeschäfte ohne gehörige Aufklärung der Kunden abschließt, den Abschluss veranlasst oder bewusst nicht verhindert, missbraucht seine geschäftliche Überlegenheit in sittenwidriger Weise und haftet den Optionserwerbern gem. § 826 BGB auf Schadensersatz (Senat BGHZ 124, 151, 162 = DB 94, 1079; Senat, Urteile vom 17.05.1994 XI ZR 144/93, WM 94, 1746, 1747 und vom 16.10.2001, a.a.O. (Fn. 1)).

b) Diese objektiven Haftungsvoraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

aa) Der Optionsvermittlungs- und Betreuungsvertrag vom 31.03.1994 und die Broschüre „Grundlagen des Terminhandels“ genügen den Anforderungen an die Aufklärung von Anlegern nicht.

(1) Der Vertrag vom 31.03.1994 enthält zwar sowohl am Beginn der ersten Seite als auch unter der Überschrift „Risikoaufklärung“ auf der zweiten Seite den Hinweis, dass der Aufschlag auf die Prämie die Gewinnchance reduziert und das Verlustrisiko erhöht, weil die Erzielung eines Gewinns eine Kursentwicklung voraussetzt, die der Börsenfachhandel für unrealistisch hält. Der entscheidende Hinweis, dass der Aufschlag vor allem Anleger, die – wie die Klägerin – mehrere verschiedene Optionen erwerben, aller Wahrscheinlichkeit nach im Ergebnis praktisch chancenlos macht, fehlt aber. Dem Anleger wird die weit gehende Ausgrenzung der Gewinnchance vielmehr verschleiert, wenn im ersten Absatz der „Risikoaufklärung“ der Möglichkeit, einen Spekulationsgewinn zu erzielen, verharmlosend nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Gesamtverlustes gegenübergestellt wird. Abgesehen davon entbehrt der Hinweis in der kleiner als der übrige Vertragstext gedruckten Risikoaufklärung der auch für flüchtige Leser auffälligen Form.

(2) Auch die 20 seitige Broschüre „Grundlagen des Terminhandels“ weist an keiner Stelle auf die praktische Chancenlosigkeit des Erwerbers mehrerer verschiedener Optionen hin. Sie erwähnt zwar wiederholt die Gefahr eines Totalverlustes des eingesetzten Kapitals, erweckt aber den falschen Eindruck, dass diesem Risiko realistische Gewinnchancen gegenüberstehen.

Bereits auf der dritten Seite, auf der die Darstellung beginnt, wird im ersten Absatz der Gefahr des Totalverlustes die „Chance zu enormen Gewinnen“ gegenübergestellt. Im dritten Absatz werden dem Anleger „erhebliche Gewinnmöglichkeiten“ in Aussicht gestellt. Und im vierten Absatz verspricht der Beklagte dem Kunden, immer nur das Geschäft zu empfehlen, das die „optimalen Gewinnchancen“ verspricht.

Die Darstellung auf den folgenden Seiten der Broschüre vertieft den falschen Eindruck realistischer Gewinnchancen und muss von aufklärungsbedürftigen Kunden zudem so verstanden werden, als ob ihre Gewinnchancen wesentlich von der Kursentwicklung (S. 16 der Broschüre), d. h. von Angebot und Nachfrage (S. 7 der Broschüre) abhingen und durch die Dienstleistungen der vom Beklagten geleiteten GmbH entscheidend verbessert würden. Nachdem sich die GmbH auf Seite 4 der Broschüre als erfolgreiche Beraterin und Vermittlerin von Termingeschäften vorgestellt hat, wird auf Seite 5 der von ihr versprochene „lnformationsvorsprung“ als „Basis des Erfolgs“ bezeichnet. Der Optionshandel soll nach der drucktechnisch hervorgehobenen Überschrift auf Seite 12 der Broschüre „vielfältige Chancen für Könner“ bieten. Auf den Seiten 18 und 19 werden unter der Überschrift „Starke Partner tragen zu unserem Erfolg bei“ zwei Broker vorgestellt, mit denen die GmbH bei ihrer „erfolgreichen Arbeit“ für ihre Kunden zusammenwirkt.

Diese Ausführungen lenken den Leser systematisch von der entscheidenden Bedeutung, den der Aufschlag auf die Optionsprämie für seine Gewinnchancen hat, ab. Dieser Gesichtspunkt wird erstmals auf Seite 10 der Broschüre erwähnt. Die hier und auf der letzten Seite der Broschüre gegebenen Hinweise werden aber nicht nur – wie dargelegt – durch ihren Kontext entwertet, sondern sind auch für sich betrachtet unzulänglich. Sie enthalten ebenso wie die Risikoaufklärung in dem Vertrag vom 31.03.1994, mit der sie weitgehend übereinstimmen, keinen Hinweis auf die praktische Chancenlosigkeit von Erwerbern mehrerer verschiedener Optionen, sondern beschränken sich auf die Aussage, dass der Aufschlag auf die Optionsprämie die Gewinnchance reduziert und das Verlustrisiko erhöht, weil ein Gewinn einen höheren Kursausschlag voraussetzt, als er vom Börsenfachhandel erwartet wird. Ob der Aufschlag „die Gewinnchance zu stark reduziert oder vielleicht sogar zunichte“ macht, wird der eigenen Prüfung des Anlegers überlassen. Dies reicht zur sachgerechten Aufklärung nicht aus.

bb) Der Beklagte, der als Mitgeschäftsführer der GmbH für die korrekte Aufklärung der Anleger Sorge zu tragen hatte, hat den Abschluss der Optionsgeschäfte der Klägerin ohne diese Aufklärung zumindest nicht verhindert.

2. Auch die Begründung, mit der das Berufungsgericht die Kausalität der danach gegebenen Aufklärungspflichtverletzung für den Abschluss der Optionsgeschäfte der Klägerin verneint hat, ist rechtsfehlerhaft. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein Anleger bei gehöriger Aufklärung die verlustreichen Geschäfte nicht abgeschlossen hätte (Senat BGHZ 124, 151, 163 = DB 94, 1079; Sen.Urt. v. 17.05.1994, a.a.O. (Fn. 3), und v. 16.10.2001, a.a.O. (Fn. 1), S. 2315). Umstände, die diese Vermutung entkräften könnten, sind vom Berufungsgericht nicht festgestellt und von den Parteien nicht vorgetragen worden.

3. Die Klageforderung ist, anders als das Berufungsgericht meint, nicht verjährt. Ein etwaiger Anspruch der Klägerin gem. § 826 BGB verjährt gem. § 852 Abs. 1 BGB a. F. in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem die Klägerin von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Dazu gehört, wenn – wie im vorliegenden Fall – Schadensersatz wegen unzureichender Aufklärung über die Risiken von Optionsgeschäften verlangt wird, die Kenntnis der Umstände, aus denen sich die Rechtspflicht zur Aufklärung ergibt (BGH Urteile vom 10.04.1990 – VI ZR 288/89, WM 90, 971, 973 und vom 31.01.1995 – VI ZR 305/94, VersR 95, 551, 552; Sen. Urteil vom 29.01.2002 – XI ZR 86/01, DB 02, 992 = WM 02, 557, 558).

Die Rechtspflicht zur Aufklärung über die Auswirkungen der Gebühren der Vermittlungs- GmbH auf die Gewinnchancen des Anlegers ergibt sich daraus, dass eine Gewinnerzielung unter Berücksichtigung dieser Gebühren einen höheren Kursausschlag als den vom Börsenfachhandel als realistisch angesehenen voraussetzt, und dass höhere Aufschläge Anleger, die mehrere verschiedene Optionen erwerben, aller Wahrscheinlichkeit nach im Ergebnis praktisch chancenlos machen. Erst die Kenntnis dieser die Aufklärungspflicht begründenden wirtschaftlichen Zusammenhänge ermöglicht dem Anleger die aussichtsreiche Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Dass die Klägerin diese Umstände bereits drei Jahre vor der Klageerhebung im August 1999 kannte, ist den Feststellungen des Berufungsgerichts und dem Parteivortrag nicht zu entnehmen. Der vorgelegte Schriftwechsel der Parteien aus den Jahren 1994 und 1995 erwähnt diese Umstände nicht. Ihrem eigenen Vortrag zufolge ist der Klägerin die erforderliche Kenntnis erst im Herbst 1997 durch einen konsultierten Rechtsanwalt vermittelt worden.

III. Das Berufungsgericht wird Feststellungen zum Vorsatz des Beklagten gem. § 826 BGB zu treffen haben. Dabei wird außer den schwerwiegenden Aufklärungsmängeln zu berücksichtigen sein, dass ein etwaiger Irrtum über die Reichweite der Aufklärungspflicht vorsätzliches Handeln nicht ohne weiteres ausschließt (Senat BGHZ 124, 151, 163 = DB 94, 1079 und Urt. v. 17.05.1994, a.a.O. (Fn. 3) und vom 16.10, 2001, a.a.O. (Fn. 1), S. 2315). Feststellungen zum Vorsatz können grundsätzlich auch im Urkundenprozess getroffen werden. § 592 ZPO verlangt nicht, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen selbst durch Urkunden bewiesen werden. Es genügt, dass Urkunden wie der schriftliche Vertrag vom 31.03.1994 und die Broschüre „Grundlagen des Terminhandels“ einen Indizienbeweis ermöglichen (Vgl. BGH Urteile vom 27.10.1982 – V ZR 31/82, WM 83, 22 und vom 12.07.1985 – V ZR 15/84, DB 86, 1223 = WM 85, 1244, 1245).

Schlagwörter
Warentermin- und Optionsgeschäfte (2) Terminoptionsvermittler (2) Haftung (14) Aufklärungspflicht (18)