Vertraglicher Ausschluß des Ausgleichsanspruchs eines Handelsvertreters

C-381/98 Urteil verkündet am 9. November 2000 EuGH Anzuwendendes Recht im grenzüberschreitenden Vertrieb

Gerichtshof der Europäischen Union
Im Namen des Volkes
Urteil

In der Rechtssache
[…]
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) in dem bei diesem anhängigen
Rechtsstreit
[…]

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. L 382, 17)
erlässt

DER GERICHTSHOF
(Fünfte Kammer)[…]

in der Sitzung vom 26. Januar 2000, nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Mai 2000,
folgendes

Urteil

1. Der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) hat mit Beschluss vom 31. Juli 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Oktober 1998, gemäß Artikel 177 EG Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. L 382, S. 17; im Folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2. Diese Frage stellt sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ingmar GB Ltd (im Folgenden: Klägerin), einer Gesellschaft mit Sitz im Vereinigten Königreich, und der Eaton Leonard Technologies Inc. (im Folgenden: Beklagte) mit Sitz in Kalifornien über die Zahlung einer Geldsumme wegen der Beendigung eines Handelsvertretervertrags.

Rechtlicher Rahmen

Das Gemeinschaftsrecht
3. Nach ihrer zweiten Begründungserwägung wurde die Richtlinie unter Berücksichtigung des Umstandes erlassen, dass die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Handelsvertretungen … die Wettbewerbsbedingungen und die Berufsausübung innerhalb der Gemeinschaft spürbar [beeinflussen] und … den Umfang des Schutzes der Handelsvertreter in ihren Beziehungen zu ihren Unternehmen sowie die Sicherheit im Handelsverkehr [beeinträchtigen].

4. In den Artikeln 17 und 18 der Richtlinie werden die Bedingungen festgelegt, unter denen der Handelsvertreter bei Vertragsende Anspruch auf einen Ausgleich oder Ersatz des Schadens hat, der ihm durch die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Unternehmer entstanden ist.

5. Artikel 17 Absatz 1 der Richtlinie lautet:

Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen dafür, dass der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Anspruch auf Ausgleich nach Absatz 2 oder Schadensersatz nach Absatz 3 hat.

6. Artikel 19 der Richtlinie lautet:

Die Parteien können vor Ablauf des Vertrages keine Vereinbarungen treffen, die von Artikel 17 und 18 zum Nachteil des Handelsvertreters abweichen.

7. Nach Artikel 22 Absätze 1 und 3 war die Richtlinie vor dem 1. Januar 1990, im Fall des Vereinigten Königreichs vor dem 1. Januar 1994 umzusetzen. Nach Absatz 1 finden die nationalen Übergangsvorschriften zumindest auf die nach ihrem Inkrafttreten geschlossenen Verträge und auf laufende Verträge jedenfalls spätestens am 1. Januar 1994 Anwendung.

Nationales Recht

8. Im Vereinigten Königreich wurde die Richtlinie durch die Commercial Agents (Council Directive) Regulations 1993 (Regelung zur Umsetzung einer Richtlinie des Rates über die Handelsvertreter, im Folgenden: Regulations) umgesetzt, die am 1. Januar 1994 in Kraft getreten sind.

9. Regulation 1 Absätze 2 und 3 bestimmt:

(2) Diese Regulations gelten für die Rechtsbeziehungen zwischen Handelsvertretern und ihren Unternehmern und finden unter den Voraussetzungen von Absatz 3 auf die Tätigkeit von Handelsvertretern in Großbritannien Anwendung.

(3) Die Regulations 3 bis 22 finden keine Anwendung, wenn die Parteien vereinbart haben, dass der Vertretungsvertrag dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegen soll.

Das Ausgangsverfahren

10. Die Parteien schlossen 1989 einen Vertrag, durch den die Klägerin zur Handelsvertreterin der Beklagten im Vereinigten Königreich bestellt wurde. Eine Vertragsklausel sah vor, dass der Vertrag kalifornischem Recht unterliegen solle.

11. Der Vertrag wurde 1996 beendet. Die Klägerin erhob daraufhin Klage vor dem High Court of Justice (England & Wales), Queen´s Bench Division, auf Zahlung einer Provision und nach Regulation 17 einer Entschädigung für die Beendigung ihres Vertragsverhältnisses mit der Beklagten.

12. Mit Urteil vom 23. Oktober 1997 entschied der High Court, dass die Regulations nicht anzuwenden seien, da der Vertrag kalifornischem Recht unterliege.

13. Die Klägerin legte gegen diese Entscheidung Berufung bei dem Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) ein; dieser hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Nach englischem Recht wird dem von den Parteien gewählten anzuwendenden Recht Wirksamkeit zuerkannt, sofern nicht Gründe des ordre public wie z. B. eine zwingendeBestimmung dem entgegenstehen. Sind unter diesen Umständen die Bestimmungen der Richtlinie 86/653/EWG des Rates in der in das Recht der Mitgliedstaaten umgesetzten Form, insbesondere die Bestimmungen über die Entschädigungszahlung für die Handelsvertreter bei Ablauf ihrer Vereinbarungen mit den Unternehmern, anzuwenden, wenn

a) ein Unternehmer einen Handelsvertreter im Vereinigten Königreich und in der Republik Irland exklusiv mit dem dortigen Verkauf seiner Waren beauftragt,

b) der Handelsvertreter, soweit der Verkauf von Waren im Vereinigten Königreich betroffen ist, seine Tätigkeit im Vereinigten Königreich ausübt,

c) es sich bei dem Unternehmer um eine in einem Nicht EU Mitgliedstaat, in diesem Fall im Staat Kalifornien, USA, eingetragene und dort ansässige Gesellschaft handelt und

d) die Parteien ausdrücklich vereinbart haben, dass das Recht des Staates Kalifornien, USA, auf den zwischen ihnen geschlossenen Vertrag anzuwenden sei?

Zur Vorabentscheidungsfrage

14. Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Artikel 17 und 18 der Richtlinie, die dem Handelsvertreter nach Vertragsbeendigung gewisse Ansprüche gewähren, auch dann anzuwenden sind, wenn der Handelsvertreter seine Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt hat, der Unternehmer seinen Sitz aber in einem Drittland hat und der Vertrag vereinbarungsgemäß dem Recht dieses Landes unterliegt.

15. Die Parteien, die Regierungen des Vereinigten Königreichs und Deutschlands sowie die Kommission stimmen darüber ein, dass das Recht der Vertragsparteien, die Rechtsordnung zu wählen, der sie ihre vertraglichen Beziehungen unterwerfen wollen, ein Grundsatz des internationalen Privatrechts ist und dass dieses Recht nur hinter Vorschriften zwingenden Rechts zurücktritt.

16. Die Auffassungen über die Voraussetzungen, unter denen eine Rechtsnorm als zwingende Vorschrift im Sinne des internationalen Privatrechts angesehen werden kann, gehen jedoch auseinander.

17. Die Beklagte führt aus, dass solche Vorschriften nur in extremen Ausnahmefällen vorstellbar seien und dass im vorliegenden Fall kein Grund dafür bestehe, die Richtlinie, deren Zweck die Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sei, auf Parteien mit Sitz außerhalb der Europäischen Union anzuwenden.

18. Nach Auffassung der Klägerin, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission ist die Frage des räumlichen Geltungsbereichs der Richtlinie einegemeinschaftsrechtliche Frage. Die Zwecke der Richtlinie erforderten es, dass ihre Bestimmungen unabhängig von der Nationalität oder dem Sitz des Unternehmers auf alle in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Handelsvertreter Anwendung fänden.

19. Nach Auffassung der deutschen Regierung hat das Gericht eines Mitgliedstaats, wenn es in einem Streit über den Ausgleichs oder Schadensersatzanspruch eines Handelsvertreters angerufen wird, bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung über den räumlichen Anwendungsbereich der Richtlinie zu prüfen, ob seine nationalen Rechtsvorschriften als zwingende Vorschriften im Sinne des internationalen Privatrechts anzusehen seien.

20. Die Richtlinie soll zunächst Handelsvertreter im Sinne ihrer Bestimmungen schützen (Urteil des Gerichtshofes vom 30. April 1998 in der Rechtssache C 215/97, Bellone, Slg. 1998, I 2191, Randnr. 13).

21. Die Artikel 17 und 19 der Richtlinie bezwecken den Schutz des Handelsvertreters nach Vertragsbeendigung. Diese Richtlinienregelung ist zwingendes Recht. Artikel 17 verpflichtet nämlich die Mitgliedstaaten, eine Regelung für die Entschädigung der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einzurichten. Zwar lässt dieser Artikel den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen einer Ausgleichs und einer Schadensersatzregelung. Die Artikel 17 und 18 legen jedoch den Rahmen genau fest, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum bei der Wahl der Methoden zur Berechnung des zu leistenden Ausgleichs oder Schadensersatzes haben.

22. Der zwingende Charakter dieser Bestimmungen wird durch die Tatsache, dass die Parteien nach Artikel 19 der Richtlinie vor Ablauf des Vertrages nicht zum Nachteil des Handelsvertreters davon abweichen können, sowie dadurch unterstrichen, dass Artikel 22 der Richtlinie für das Vereinigte Königreich die sofortige Anwendung der nationalen Umsetzungsbestimmungen auf laufende Verträge vorsieht.

23. Zweitens dienen die von der Richtlinie vorgeschriebenen Harmonisierungsmaßnahmen nach deren zweiter Begründungserwägung u. a. der Aufhebung der Beschränkungen der Ausübung des Handelsvertreterberufs, der Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Gemeinschaft und der Stärkung der Sicherheit im Handelsverkehr (vgl. Urteil Bellone, Randnr. 17).

24. Die Regelung der Artikel 17 bis 19 der Richtlinie bezweckt somit, über die Gruppe der Handelsvertreter die Niederlassungsfreiheit und einen unverfälschten Wettbewerb im Binnenmarkt zu schützen. Die Einhaltung dieser Bestimmungen im Gemeinschaftsgebiet erscheint daher für die Verwirklichung dieser Ziele des EG Vertrags unerlässlich.

25. Daher ist es für die gemeinschaftliche Rechtsordnung von grundlegender Bedeutung, dass ein Unternehmer mit Sitz in einem Drittland, dessen Handelsvertreter seine Tätigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausübt, diese Bestimmungen nicht schlicht durch eine Rechtswahlklausel umgehen kann. Der Zweck dieser Bestimmungen erfordert nämlich, dass sie unabhängig davon, welchem Recht der Vertrag nach dem Willen derParteien unterliegen soll, anwendbar sind, wenn der Sachverhalt einen starken Gemeinschaftsbezug aufweist, etwa weil der Handelsvertreter seine Tätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaats ausübt.

26. Aus diesen Gründen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Artikel 17 und 18 der Richtlinie, die dem Handelsvertreter nach Vertragsbeendigung gewisse Ansprüche gewähren, auch dann anzuwenden sind, wenn der Handelsvertreter seine Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt hat, der Unternehmer seinen Sitz aber in einem Drittland hat und der Vertrag vereinbarungsgemäß dem Recht dieses Landes unterliegt.

Kosten

27. Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der deutschen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen
hat

DER GERICHTSHOF
(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) mit Beschluss vom 31. Juli 1998 vorgelegte Frage für Recht erkannt:
Artikel 17 und 18 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, die dem Handelsvertreter nach Vertragsbeendigung gewisse Ansprüche gewähren, sind auch dann anzuwenden, wenn der Handelsvertreter seine Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt hat, der Unternehmer seinen Sitz aber in einem Drittland hat und der Vertrag vereinbarungsgemäß dem Recht dieses Landes unterliegt.[…]

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. November 2000.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
[…] […] Verfahrenssprache: Englisch.

Schlagwörter
Rechtswahlfestigkeit (1) Mitgliedstaat (1) Drittstaat (1) Ausgleichsanspruch (86)