Faktische Kontinuität des Kundenstamms genügt auch bei Franchiseverträgen nicht für einen analogen Handelsvertreterausgleich

Franchiserecht

HGB § 89 b

Bei Franchiseverträgen, die ein im Wesentlichen anonymes Massengeschäft betreffen, rechtfertigt eine bloß faktische Kontinuität des Kundenstamms nach Vertragsbeendigung eine entsprechende Anwendung der auf Handelsvertreter zugeschnittenen Bestimmung des § 89 b HGB nicht.

BGH, Urteil vom 05.02.2015 – VII ZR 109/13 (OLG Düsseldorf) Anmerkung von RA Dr. Hallermann-Christoph

1. Problembeschreibung

Der BGH hatte die umstrittene Frage zu klären, ob ein Franchisenehmer (FN) von einem Franchisegeber (FG) bei Vertragsende wie ein Handelsvertreter einen Ausgleichsanspruch verlangen kann (§ 89 b HGB analog), auch wenn es keine vertragliche Verpflichtung des FN gibt, dem FG den Kundenstamm zu übertragen, sondern lediglich eine faktische Kontinuität des Kundenstamms vorliegt.

Gemäß § 89 b HGB steht einem Handelsvertreter bei Vertragsbeendigung unter den dortigen Voraussetzungen ein Ausgleichsanspruch gegen den Unternehmer zu, der bis zu einer durchschnittlichen Jahresprovision betragen kann. In ständiger Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass andere Vertriebspartner ebenfalls einen solchen Ausgleich beanspruchen können, wenn die Interessenlage mit der eines Handelsvertreterverhältnisses vergleichbar ist. Hierzu hat der BGH ausgehend vom Vertragshändler zwei Analogie¬voraussetzungen herausgearbeitet: Das Rechtsverhältnis zwischen dem Vertragshändler und dem Hersteller oder Lieferanten darf sich nicht in einer bloßen Käufer-Verkäufer-Beziehung erschöpfen, sondern der Vertragshändler muss in einer Weise in die Absatz¬organisation des Herstellers/Lieferanten eingegliedert gewesen sein, dass er wirtschaftlich in erheblichem Umfang einem Handelsvertreter vergleichbare Aufgaben zu erfüllen hatte, und der Vertragshändler muss außerdem verpflichtet sein, dem Hersteller/Lieferanten seinen Kundenstamm zu übertragen, so dass sich dieser bei Vertragsende die Vorteile des Kunden-stammes sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann (z. B. BGH, Urteile v. 6.10.2010 – VIII ZR 209/07, NJW 2011, 848 und VIII ZR 210/07, NJW-RR 2011, 389; BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 3/09 – JOOP!; BGH, Urt. v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, NJW-RR 2010, 1263 m.w.N.). Dabei muss sich die Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstamms nicht unmittelbar aus dem schriftlichen Händlervertrag, sondern kann sich auch aus anderen, dem Vertragshändler während der Vertragslaufzeit oder anlässlich der Vertragsbeendigung auferlegten Pflichten ergeben (BGH, Urt. v. 26.2.1997 – VIII ZR 272/95, BGHZ 135, 14, 17 m.w.N.; BGH, Urt. v. 12.1.2000 – VIII ZR 19/99, NJW 2000, 1413).

Die in der Literatur zum Teil bejahte Frage, ob – zumindest in bestimmten Fällen – die bloß faktische Kontinuität des Kundenstamms zugunsten des Herstellers/Lieferanten bereits genügt, um eine entsprechende Anwendung von § 89 b HGB zu rechtfertigen, hat der BGH in ständiger Rechtsprechung verneint, weil in diesem Fall keine hinreichende Ähnlich¬keit mit der Interessenlage beim Handelsvertreter gegeben sei (BGH, Urt. v. 17.4.1996 – VIII ZR 5/95, NJW 1996, 2159; BGH, Urt. v. 26.11.1997 – VIII ZR 283/96, NJW-RR 1998, 390; aus früherer Zeit z. B. BGH, Urt. v. 16.2.1961 – VII ZR 244/95, VersR 1961, 401).

Noch nicht ausdrücklich entschieden wurde vom BGH die analoge Anwendung von § 89 b HGB auf einen FN. Hier liegen lediglich OLG-Entscheidungen vor, die die Analogievoraus-setzungen für den Vertragshändler auf den FN übertragen haben (z. B. OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06).

Im konkreten Fall hatte der Schuldner (Kläger war der Insolvenzverwalter) als FN zwei Bäckereien der Beklagten geführt, die eine Handwerksbäckerei-Kette mit über 930 Bäckereien in Deutschland betreibt. Nach den geschlossenen Franchiseverträgen verkaufte der Schuldner die Waren in den Backshops im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Eine vertragliche Regelung, wonach der Schuldner nach Beendigung der Verträge zur Übertragung des Kundenstamms oder zur Übermittlung von Kundendaten verpflichtet gewesen wäre, bestand nicht. Der Schuldner war aber verpflichtet, die Geschäftsräume nach Vertragsbeendigung an die Beklagte zurückzugeben. Nachdem die Franchiseverträge beendet worden waren, forderte der Schuldner die Zahlung eines Ausgleichsanspruchs gemäß § 89 b HGB analog.

2. Rechtliche Wertung

Der BGH wiederholt zunächst seine ständige Rechtsprechung zur analogen Anwendung von § 89 b HGB auf Vertragshändlerverhältnisse und stellt klar, dass bei anderen im Vertrieb tätigen Personen grundsätzlich Entsprechendes gilt, § 89 b HGB also auch auf andere im Vertrieb tätige Personen analog anwendbar sein kann (unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 3/09 – JOOP! und BGH, Urt. v. 12.3.2003 – VIII ZR 221/02, NJW-RR 2003, 894). Ferner erinnert der BGH daran, dass Vorschriften des Handelsvertreterrechts auf einen Franchisevertrag anwendbar sein können, wenn der hinter einer Einzelbestimmung stehende Grundgedanke wegen der Gleichheit der Interessenlage auch auf das Verhältnis zwischen FG und FN zutrifft.

Ob § 89 b HGB generell in einem Franchiseverhältnis analog anwendbar sein kann, lässt der BGH dann allerdings offen, weil jedenfalls die dafür notwendigen Analogievoraus¬setzungen nicht gegeben seien. Insoweit hält der BGH daran fest, dass zumindest dann, wenn es im Wesentlichen um anonymes Massengeschäft geht, eine bloß faktische Kontinuität des Kundenstamms eine entsprechende Anwendung der auf Handelsvertreter zugeschnittenen Bestimmung des § 89 b HGB nicht rechtfertige, weil insoweit keine hinreichende Ähnlichkeit der Interessenlage bestehe.

Zur Begründung hebt der BGH hervor, dass der FN im eigenen Namen und für eigene Rechnung handele und daher anders als ein Handelsvertreter mit der Werbung eines Kundenstamms primär eigenes und kein fremdes Geschäft besorge. Ein vom FN geworbener, im Wesentlichen anonymer Kundenstamm, sei nach Vertragsbeendigung nicht ohne weiteres für den FG nutzbar.

Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Der Ausgleichsanspruch stellt die Gegenleistung für die durch die Provision noch nicht voll abgegoltene Leistung des Handelsvertreters dar, einen Kundenstamm für den Unternehmer zu schaffen. Da der Handelsvertreter nur als Vermittler fungiert, sind die geworbenen Kunden von vornherein dem Unternehmer zugeordnet (OLG Düsseldorf, Urt. v. 3.5.2013 – I-16 U 36/12). Beim Vertragshändler und auch beim FN ist dies anders. Sie werden selbst Vertragspartner der Kunden. Gibt es keine Verpflichtung, dem Hersteller/Lieferanten den Kundenstamm zu übertragen, erfolgt dessen Aufbau primär im eigenen Interesse und fehlt das Äquivalent für eine vertraglich geschuldete, aber nicht abgegoltene Leistung des Absatzmittlers (OLG Düsseldorf, a.a.O.).

Zu kritisieren ist allerdings, dass der BGH in seiner Beurteilung sehr formal bleibt und sich nicht vertieft der Frage widmet, ob die Gesamtheit der im vorliegenden Franchisevertrag zu Lasten des FN enthaltenen Verpflichtungen nicht dazu führt, dass der von ihm geschaffene Kundenstamm gleichsam „automatisch“ auf den FG übergehen muss. Gerade dann, wenn der Vertrieb über FN erfolgt, die die standardisierten Produkte im anonymen Massengeschäft verkaufen, dürfte es ihm kaum gelingen, einen eigenen, auf sich bezogenen Kundenstamm aufzubauen. Das Augenmerk des Kunden ist auf die Filiale des FG und den Erwerb der in allen Filialen gleichermaßen angebotenen Produkte gerichtet. Einen Wechsel des FN wird er vermutlich nicht einmal bemerken. Die Identität des FN tritt hinter der des Franchisesystems zurück (vgl. OLG Köln, Urt. v. 17.9.2004 – 19 U 171/03; Kroll, ZVertriebsR 2014, 290).

Einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise, die im Ausgleichsrecht nicht ungewöhnlich ist, wollte der BGH aber offenbar nicht nähertreten. Lediglich zu der Verpflichtung des FN, die Geschäftsräume nach Vertragsbeendigung an den FG herauszugeben, stellte der BGH fest, dass diese nicht für ausreichend sei. Er verweist auf die gesetzliche Wertung bei der Rückgabe eines Pachtgegenstandes, wonach ein etwaiger Wertzuwachs allein dem Verpächter zukommt und der Pächter keinen Ausgleich verlangen könne. Die Pflicht des Franchisenehmers, Geschäftsräume nach Vertragsbeendigung herauszugeben, würde daher den Schutzbereich des § 89 b HGB nicht berühren.

3. Praktische Folgen

Die Entscheidung des BGH schafft Rechtssicherheit. Es wird klargestellt, dass eine entsprechende Anwendung von § 89 b HGB nicht nur bei Vertragshändlern, sondern auch bei anderen im Vertrieb tätigen Personen, in Betracht kommt, die beiden Analogievoraus-setzungen jedoch strikt zu beachten sind. Ein Ausgleichsanspruch analog § 89 b HGB setzt somit u. a. voraus, dass der Vertriebspartner verpflichtet ist, dem Hersteller/Lieferanten/FG spätestens bei Vertragsbeendigung den Kundenstamm zu überlassen, auch wenn die konkreten Anforderungen an die Überlassungsverpflichtung mit der Zeit etwas aufgelockert wurden. Allein die faktische Kontinuität des Kundenstamms genügt nicht.

Damit wird auf Unternehmerseite nun vermutlich versucht werden, Vertragskonstrukte zu entwickeln, bei denen eine ausdrückliche Verpflichtung des Vertriebspartners zur Übertragung des Kundenstamms fehlt, die übrigen Rahmenbedingungen jedoch darauf hinauslaufen, dass die Kunden nach Beendigung des Vertriebsvertrages faktisch dem Unternehmen verbleiben. Solange der Vertriebspartner nicht eine eigene, starke Bindung zum Kunden aufbauen kann, die ihn in die Lage versetzt, die Kunden später tatsächlich für sich und den Vertrieb anderer (konkurrierender) Produkte weiter zu nutzen, wird er sie dem Unternehmen oder seinem Nachfolger dann wohl überlassen müssen. Vertriebspartner, die nicht als Handelsvertreter tätig sind, sollten deshalb darauf achten, dass sie bei einer engen Eingliederung in die Absatzorganisation des Herstellers/Lieferanten auch eine Verpflichtung haben, den Kundenstamm zu übertragen, damit sie nicht leer ausgehen, wenn sie tatsäch¬lich einen Kundenstamm für den Unternehmer aufbauen.

Dr. Hallermann-Christoph ist Rechtsanwalt und Sozius der ausschließlich auf dem Gebiet des Vertriebsrechts tätigen Anwaltskanzlei Küstner, v. Manteuffel in Göttingen.