Keine Notwendigkeit einer Vertriebsumstrukturierung allein wegen Inkrafttretens der neuen Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung; mögliche Nichtigkeit des Gesamtvertrages bei Verwendung wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen

Vertragshändlerrecht

Der EuGH hatte über ein Vorabentscheidungsersuchen des BGH (Entscheidung vom 26.07.2005) zu urteilen. Ein Kfz-Hersteller hatte mit der Begründung, dass das Inkrafttreten der neuen Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung zum 01.10.2003 eine Umstrukturierung seines Vertriebsnetzes notwendig mache, die Verträge mit seinen Händlern in Deutschland gestützt auf Artikel 5 Abs. 3 der alten Kfz-GFVO Nr. 1475/95 mit einer Kündigungsfrist von lediglich einem Jahr statt sonst zwei Jahren gekündigt. Der BGH wollte vom EuGH zunächst wissen, ob das Inkrafttreten der neuen Kfz-GFVO Nr. 1475/2002 tatsächlich eine solche Vertriebsumstrukturierung notwendig mache.

Der EuGH verweist in seiner Entscheidung auf sein Urteil vom 07.09.2006 (Vulcan Silkeborg), wo er zu der Frage bereits Stellung genommen hat. Er hält daran fest, dass das Inkrafttreten der neuen Kfz-GFVO als solches eine Umstrukturierung des Vertriebssystems, die eine abgekürzte Kündigungsfrist rechtfertigen könnte, nicht notwendig gemacht hat. Der EuGH schließt es aber auch nicht aus, dass das Inkrafttreten nach Maßgabe des spezifischen Aufbaus des Vertriebsnetzes des einzelnen Lieferanten Änderungen von solcher Bedeutung notwendig machen konnte, dass sie eine echte Umstrukturierung des Netzes darstellen.

Dabei sei aber zu beachten, dass die Änderungen, die die neue Kfz-GFVO notwendig machten, möglicherweise auch durch eine einfache Anpassung der Verträge während der dazu in Artikel 10 der neuen Kfz-GFVO vorgesehenen Übergangsfrist von einem Jahr umzusetzen gewesen wären. Artikel 5 Abs. 3 der alten Kfz-GFVO setze eine bedeutsame Änderung der Vertriebsstrukturen des betroffenen Lieferanten sowohl in finanzieller als auch in räumlicher Hinsicht voraus. Weiterhin müsse die Notwendigkeit der Umstrukturierung mit Gründen der wirtschaftlichen Effizienz gerechtfertigt werden können, die sich auf interne oder externe objektive Umstände des Lieferanten stützen, die ohne eine schnelle Umstrukturierung die Effizienz der bestehenden Strukturen des Vertriebsnetzes beeinträchtigen könnten. Die subjektive geschäftliche Beurteilung des Lieferanten, er müsse sein Vertriebsnetz umstrukturieren, reiche allein nicht aus.

Im Ergebnis beantwortete der EuGH die erste vom BGH gestellte Frage deshalb dahin, dass das Inkrafttreten der neuen Kfz-GFVO als solches keine Umstrukturierung des Vertriebssystems im Sinne von Artikel 5 Abs. 3 der alten Kfz-GFVO notwendig gemacht hat, das Inkrafttreten jedoch nach Maßgabe des spezifischen Aufbaus des Vertriebsnetzes des einzelnen Lieferanten Änderungen von solcher Bedeutung notwendig gemacht haben könnte, dass eine echte Umstrukturierung des Netzes vorliege. Es sei Sache der nationalen Gerichte zu beurteilen, ob dies unter Berücksichtigung aller konkreten Gegebenheiten der Streitigkeit der Fall sei.

Weiterhin wollte der Bundesgerichtshof wissen, ob die Tatsache, dass eine Vertriebsvereinbarung, die die Voraussetzungen für die Freistellung nach der alten Kfz-GFVO erfüllte, nach Artikel 4 der neuen Kfz-GFVO verbotene wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen enthält, zwangsläufig dazu führt, dass nach Ablauf des Übergangszeitraums die neue Kfz-GFVO für alle Wettbewerbsbeschränkungen in der Vereinbarung unanwendbar wird, insbesondere, wenn daraus nach nationalem Recht die Gesamtnichtigkeit der Vereinbarung folgen würde.

Diese Frage stellte sich für den BGH deshalb, weil den betroffenen Kfz-Händlern dadurch, dass die abgekürzte Kündigungsfrist für unanwendbar erklärt wird, natürlich nicht geholfen ist, wenn aufgrund der Änderungen in der neuen Kfz-GFVO der Händlervertrag nach Ablauf der einjährigen Übergangsfrist insgesamt als nichtig anzusehen ist.

Der EuGH stellte in seiner Entscheidung jedoch klar, dass aus dem Wortlaut des Artikels 10 der neuen Kfz-GFVO klar hervorgeht, dass das Kartellverbot ab dem 01.10.2003 auf die Vereinbarungen Anwendung findet, die nicht angepasst wurden, um die Voraussetzungen für die in der neuen Kfz-GFVO vorgesehene Freistellung zu erfüllen. Die Auswirkungen des Kartellverbots auf die übrigen Bestandteile des Vertrages seien nicht nach Gemeinschaftsrecht, sondern nach dem geltenden nationalen Recht zu beurteilen.

Sofern das nationale Recht zur Folge hat, dass das Verbot der wettbewerbsbeschränkenden Vertragsbestimmungen zur Gesamtnichtigkeit der Vereinbarung führt, verstößt dies auch nicht gegen das Gemeinschaftsrecht, insbesondere nicht gegen Artikel 4 oder 10 der neuen Kfz-GFVO. Vielmehr sei die Kfz-GFVO insgesamt unanwendbar, wenn die streitgegenständliche Vereinbarung sog. Kernbeschränkungen im Sinne von Artikel 4 der Kfz-GFVO enthalte.