Abgrenzung Handelsvertreter – Angestellter
5 AZR 610/02 Urteil verkündet am 20. August 2003 BAG Arbeitsrecht im AußendienstBundesarbeitsgericht
Im Namen des Volkes
Urteil
In Sachen
[…]
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 20. August 2003 durch […] für Recht erkannt:
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 4. Dezember 2001 – 8 Sa 42/01 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und hierbei insbesondere über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin war bei der beklagten Versicherung seit dem 15. Dezember 1982 beschäftigt. Nach einer schriftlichen Vereinbarung vom 7./15. Dezember 1982 sollte die Klägerin als selbständige Handelsvertreterin tätig werden. Aufgabe der Klägerin war die Vermittlung von Kranken-, Lebens-, Unfall- und Sachversicherungen der Beklagten sowie die Pflege und Ausweitung des Bestands. Die Vergütung der Klägerin betrug nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zuletzt durchschnittlich 5.500,00 DM im Monat. Die Beklagte schickte der Klägerin regelmäßig Besuchs- und Inkassoaufträge sowie Terminlisten. In den Schreiben waren jeweils der Kunde, die Auftragsart und ein Termin genannt. Nicht alle Aufträge erforderten einen Besuch beim Kunden; sie konnten auch telefonisch oder schriftlich erledigt werden. Konnte ein Auftrag nicht termingerecht erledigt werden, wurde der Klägerin eine Verlängerung gewährt. Im unteren Teil des Schreibens war Raum für die Eintragung des Besuchsergebnisses. Mit Schreiben vom 30. Juli 1999 äußerte die Beklagte ihre Unzufriedenheit über das Produktionsergebnis der Klägerin. In dem Schreiben heißt es: „Ihr Produktionsergebnis im Monat Juli 99 beträgt ./. 115,61 Punkte. Mit diesem Ergebnis bin ich nicht zufrieden, da es keinerlei Gründe gibt, die Mindestproduktion von + 750 Punkten je Monat nicht zu erreichen. Aus diesem Grund erwarte ich von Ihnen eine schriftliche Stellungnahme, wie es zu diesem unakzeptablen Produktionsergebnis kam. Darüber hinaus erstellen Sie bitte eine 3 Monats Produktionsvorschau, aufgeteilt nach den einzelnen Produktionssparten mit einer seriösen Prognose der prozentualen Gewichtung der Abschlusschance je Kunde.“
Mit Schreiben vom 24. Februar 2000 kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis zum 31. August 2000. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 20. März 2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.
Die Klägerin hat geltend gemacht, in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten zu stehen. Sie sei in der Gestaltung ihrer Tätigkeit und der Einteilung ihrer Arbeitszeit nicht frei gewesen. Sie habe bis zu zehn Besuchs- und Inkassoaufträge täglich erhalten. Über die Besuchsergebnisse habe sie schriftlich berichten müssen. Mehrere Jahre sei sie zum Telefondienst in der Bezirksdirektion eingeteilt worden. Sie habe an wöchentlichen Besprechungen sowie an Schulungen teilnehmen und Messestände besetzen müssen. Sie sei verpflichtet gewesen, Krankmeldungen bei der Beklagten einzureichen. Urlaub und Urlaubsverlängerungen habe sie sich genehmigen lassen müssen. Für die Zeiten der Beitragssanierung habe die Beklagte mehrmonatige Urlaubssperren verhängt. Die Klägerin hat zuletzt beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 24. Februar 2000 aufgelöst wurde.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Klägerin sei nicht Arbeitnehmerin, sondern selbständige Handelsvertreterin. Sie hat vorgetragen, die Klägerin sei im wesentlichen frei von Weisungen gewesen. In der Zeit von Januar 1997 bis Juni 2000 habe die Klägerin durchschnittlich 1,65 Besuchsaufträge je Woche erhalten. Eine Sanktion bei Nichterfüllung der Aufträge habe es nicht gegeben. Der Telefondienst sei freiwillig geleistet worden. Die Klägerin habe daran nur anlässlich der Beitragssanierung Ende 1995/Anfang 1996 teilgenommen. Bei den wöchentlichen Besprechungen habe die Klägerin nicht anwesend sein müssen. Seit Mai 1999 habe die Klägerin nur an einer Besprechung teilgenommen. Die Klägerin habe keinen Einschränkungen bei der Urlaubnahme unterlegen. Eine Urlaubssperre habe es für die selbständigen Außendienstmitarbeiter nicht gegeben.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in dem noch anhängigen Umfang stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts.
Ob zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat und deshalb die Kündigungsschutzklage erfolgreich ist, kann auf Grund der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden.
I. Die Klägerin hat einen Antrag nach § 4 KSchG gestellt. Auf Grund des Vortrags der Parteien und des sonstigen Akteninhalts kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin die Klagefrist des § 4 KSchG eingehalten hat. Die Kündigung datiert vom 24. Februar 2000. Die Klage ist erst am 20. März 2000 beim Arbeitsgericht eingegangen. Vortrag zum Zeitpunkt des Zugangs des Kündigungsschreibens fehlt. Da sich die Klägerin im zweiten Rechtszug auf die unstreitig unterbliebene Betriebsratsanhörung berufen hat, wäre die Kündigung aber nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG, § 13 Abs. 3 KSchG unwirksam, wenn zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.
II. Arbeitnehmer ist, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (Senat 16. Februar 2000 – 5 AZB 71/99 – BAGE 93, 310; 26. September 2002 – 5 AZB 19/01 – AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 83 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 57). Das Arbeitsverhältnis ist ein auf den Austausch von Arbeitsleistung und Vergütung gerichtetes Dauerschuldverhältnis. Die vertraglich geschuldete Leistung ist im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht seines Vertragspartners (Arbeitgebers) unterliegt. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (Senat 22. April 1998 – 5 AZR 342/97 – BAGE 88, 263 m.w.N.; 19. Januar 2000 – 5 AZR 644/98 – BAGE 93, 218, 222). Selbständig ist dagegen, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann, § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB. Für die Abgrenzung hat sich das Gesetz im Bereich der Vermittlung von Geschäften und Versicherungen für Dritte auf diese beiden Kriterien beschränkt. Zwar sind dabei alle Umstände des Falles in Betracht zu ziehen und schließlich in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Die heranzuziehenden Anknüpfungspunkte müssen sich jedoch diesen gesetzlichen Unterscheidungsmerkmalen zuordnen lassen. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist das letztere maßgebend. Dabei kommt es auf eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls an (Senat 6. Mai 1998 – 5 AZR 347/97 – BAGE 88, 327, 335; 15. Dezember 1999 – 5 AZR 566/98 – AP HGB § 84 Nr. 9 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 78; 20. September 2000 – 5 AZR 271/99 – BAGE 95, 324).
III. In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze rechtfertigen allein die vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht den Schluss, zwischen den Parteien habe ein Arbeitsverhältnis bestanden.
1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das Schreiben vom 30. Juli 1999 sei „vom Ton her eindeutig“. Die Beklagte habe hiermit die Klägerin in der Gestaltung ihrer Tätigkeit und Bestimmung ihrer Arbeitszeit wesentlich eingeschränkt. In dem Schreiben komme zum Ausdruck, dass die Beklagte von einer ihr zustehenden Eingriffsmöglichkeit ausgehe. Der zeitliche Spielraum der Klägerin sei durch die Vielzahl der erteilten Besuchsaufträge deutlich eingeengt gewesen. Die Beklagte habe sich nur für die Zeit nach dem Januar 1997 zur Zahl der Besuchsaufträge geäußert und nicht für die Jahre zuvor.
2. Das Landesarbeitsgericht hat damit die Darlegungs- und Beweislast zur Freiheit der Arbeitszeitgestaltung verkannt. Zum Umfang des Spielraums bei der Arbeitszeit ist nicht die Beklagte, sondern die Klägerin darlegungs- und beweisbelastet (Senat 15. Dezember 1999 – 5 AZR 169/99 – BAGE 93, 132, 142).
3. Der Senat ist auf Grund der unzureichenden Tatsachenfeststellungen des Landesarbeitsgerichts an einer eigenen Sachentscheidung gehindert. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung nicht den gesamten Vortrag der Parteien und die im ersten Rechtszug durchgeführte Beweisaufnahme zugrunde gelegt, sondern nur einen Teil davon berücksichtigt. Auf der Grundlage des vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalts kann der Senat nicht selbst beurteilen, ob die Klägerin Arbeitnehmerin war.
a) Das Landesarbeitsgericht hat das Schreiben der Beklagten vom 30. Juli 1999 nur unvollständig gewürdigt. Es hat auf den „Ton“ des Schreibens abgestellt, ohne sich mit dessen Inhalt im einzelnen auseinanderzusetzen. Hierbei ist insbesondere der letzte Satz des Schreibens von Bedeutung. Dort wird von der Klägerin eine Dreimonatsproduktionsvorschau, aufgeteilt nach einzelnen Produktionssparten, mit einer seriösen Prognose der prozentualen Gewichtung der Abschlusschance je Kunde verlangt. Diese Weisung geht über die nach § 86 Abs. 1 HGB eingeräumte Befugnis, vom selbständigen Handelsvertreter das Bemühen um Vermittlung und Abschluss von Geschäften verlangen zu können, hinaus.
b) Weiterhin hat das Landesarbeitsgericht die zwischen den Parteien streitige Anordnung von Urlaubssperren durch die Beklagte unberücksichtigt gelassen. Der Vortrag der Klägerin hierzu ist erheblich, weil die Klägerin durch eine Urlaubssperre in der Bestimmung der Arbeitszeit eingeschränkt gewesen wäre. Entgegen der Auffassung der Beklagten wäre eine solche Einschränkung der Arbeitszeit nicht durch eine entsprechende Anwendung des § 7 Abs. 1 BUrlG auf arbeitnehmerähnliche Personen (§ 2 Abs. 2 BUrlG) gerechtfertigt. Ein selbständiger Handelsvertreter braucht seinen Urlaub nicht geltend zu machen, um eine Urlaubserteilung durch den Unternehmer nach § 7 Abs. 1 BUrlG zu erwirken. Dies wäre mit der Selbständigkeit nicht vereinbar. Der Selbständige kann grundsätzlich nach seinem Belieben Urlaub nehmen. Einschränkungen für selbständige Handelsvertreter können sich nur aus der Interessenwahrnehmungspflicht des § 86 Abs. 1 HGB ergeben. Bei der neuen Verhandlung wird das Landesarbeitsgericht nicht allein auf das von der Klägerin vorgelegte Schreiben vom 29. September 1995 abzustellen haben, sondern insbesondere die Aussagen der vom Arbeitsgericht hierzu vernommenen Zeugen zu würdigen haben. In diesem Zusammenhang wird weiterhin zu beachten sein, dass die Klägerin erstinstanzlich weitere Zeugen benannt hat, auf deren Vernehmung sie nur für die erste Instanz verzichtet hat. Das Landesarbeitsgericht wird ferner der von der Beklagten bestrittenen Behauptung der Klägerin nachzugehen haben, eine Urlaubsverlängerung sei nur bei einer Krankmeldung möglich gewesen. Bemerkenswert ist auch die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe mit Billigung der Beklagten auch kurzfristig Urlaub genommen, also die Vorstellung der Beklagten, jeder Urlaub habe ihrer Zustimmung bedurft.
c) Die von der Klägerin behaupteten Besuchsaufträge bedürfen einer sorgfältigen Betrachtung. Insoweit wird das Landesarbeitsgericht der Behauptung der Klägerin nachzugehen haben, Inkassotätigkeiten seien sofort auszuführen gewesen. Hierzu werden die vom Arbeitsgericht erhobenen Beweise zu würdigen sein. Das Landesarbeitsgericht wird zu erwägen haben, ob die Zeugen wegen nicht hinreichend präzise protokollierter Aussagen erneut vernommen werden müssen.
4. Der Senat hat wegen der Behandlung der Rechtssache durch das Berufungsgericht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache nach § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F. an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückzuverweisen.
5. Bei der neuen Entscheidung hat das Landesarbeitsgericht auch über die Kosten der Revision zu befinden.