Ausgleichsangebot des Unternehmers nach den „Grundsätzen“ stellt ein Schuldanerkenntnis des Unternehmers zur Höhe des mindestens geschuldeten Ausgleichs dar
32 O 217/04 Urteil verkündet am 19. Juli 2005 LG Düsseldorf AusgleichsanspruchLandgericht Düsseldorf
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
[…]
hat die 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juni 2005 durch […]
Tenor
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 76.608,22 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 1. Mai 2004 sowie in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25. Januar 2005 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten bleibt die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten.
Tatbestand
Die Klägerin macht im Urkundenprozess einen Handelsvertreterausgleichsanspruch geltend. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Auf Grund Vertrages vom 01.10.1985 war die Klägerin für die Beklagte als Versicherungsvertreterin tätig. Für den Fall der Vertragsbeendigung ist in § 9 Nr. 5 der Anlage zu diesem Vertrag vorgesehen, dass ein nach § 89 b HGB etwa gegebener Ausgleichsanspruch unter Anwendung der „Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs“ befriedigt wird. Die Parteien schlossen im März 1986 einen neuen Provisionsvertrag. Die Klägerin wurde ab 01.04.1996 als Generalagentin beschäftigt. Im Juni 1992 schlossen die Parteien einen Außendienstvertrag. Auch in seiner Anlage ist vorgesehen, dass sich ein Ausgleichsanspruch unter Anwendung der „Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs“ errechnen soll.
Die Beklagte kündigte der Klägerin mit Schreiben vom 31.10.2003 zum 20.04.2004. Unter dem 02.07.2004 teilte sie der Klägerin den von ihr auf der Grundlage der „Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs“ errechneten Ausgleichsanspruch mit 76.608,22 € mit und führte überdies aus:
„Diesen Betrag werden wir, sobald uns die für unsere Unterlagen bestimmte Originalkopie dieses Schreibens gegengezeichnet vorliegt, Ihrem ehemaligen Abrechungskonto gutschreiben und so zur Auszahlung bringen.“
Die Klägerin zeichnete die Einverständniserklärung nicht gegen. Durch ihren Anwalt ließ sie mitteilen, die Vollständigkeit und Richtigkeit der Abrechnung der Beklagten sei unklar. Der erbetene Buchauszug stehe noch aus. Überdies gab sie weitere Gründe an (Anlage K 6). Der Forderung der Klägerin, den von der Beklagten errechneten Betrag zu zahlen, widersprach die Beklagte, da sie nach „Grundsätzen“ und nicht nach § 89b HGB abgerechnet habe und man sich erst über die Grundlage der Ausgleichsberechnung einigen müsse (Anlage K 7).
Die Klägerin meint, das Schreiben vom 02.07.2004 sei ein abstraktes Schuldanerkenntnis. Die Beklagte sei mindestens an die „Grundsätze“ gebunden, während die Klägerin sich auf deren Unverbindlichkeit berufen könne.
Sie macht im vorliegenden Rechtsstreit den von der Beklagten errechneten Betrag geltend.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 76.608,22 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 1. Mai 2004 sowie in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25. Januar 2005 (Rechtshängigkeit) zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte meint, ein Urkundenprozess sei unzulässig. Der geltend gemachte Anspruch bestehe zumindest derzeit nicht. Sei habe kein Anerkenntnis abgegeben, sondern einen Vorschlag unterbreitet, der nicht angenommen worden sei. Die „Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs“ seien kein Handelsbrauch und nicht verbindlich. Sei regelten keinen Mindestausgleich, sondern sollten Streit vermeiden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
I. Der von der Klägerin ausdrücklich gewählte Urkundenprozess ist zulässig (§§ 592 ff. ZPO). Sie macht einen Geldanspruch geltend, der sich aus dem vorgelegten Verträgen im Zusammenhang mit dem Schreiben der Beklagten vom 02.07.2004 ergeben soll. Überdies sind die vertraglichen Grundlagen und das Schreiben der Beklagten unstreitig.
II. Der von der Klägerin geltend gemachte Ausgleichsanspruch folgt aus § 89 b HGB in Verbindung mit der Abrechnung der Beklagten vom 02.07.2004.
Die Auslegung des genannten Schreibens (§ 133 BGB) ergibt, dass es sich hier nicht etwa um ein abstraktes Schuldanerkenntnis handelt. Eine Provisionsabrechnung hat allerdings grundsätzlich den Charakter eines abstrakten Schuldanerkenntnisses (vgl. BGH NJW-RR 90, 1370 = WM 90, 710). Sie enthält nämlich die Mitteilung des Unternehmers, in welcher Höhe einem Handelsvertreter nach der Auffassung seines Prinzipals ein Provisionsanspruch zusteht und wie sich dieser Provisionsanspruch zusammen setzt und errechnet.
Aus dem Schreiben der Beklagten vom 02.07.2004 ergibt sich jedoch, dass die Beklagte der Klägerin unter Abrechnung nach den „Grundsätzen zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs“ einen Einigungsvorschlag unterbreitet hat, der von der Klägerin nicht angenommen worden ist. Das Schreiben kann nicht so ausgelegt werden, dass die Beklagte mindestens den dort genannten Betrag, den die Klägerin nunmehr geltend macht, zahlen wollte. Es ist für die Klägerin erkennbar gewesen, dass die Beklagte nur diesen Betrag zahlen wollte. Sie wollte sich offensichtlich mit der Klägerin auf die Abrechnung nach den „Grundsätzen“ einigen, nachdem der Vertrag mit der Klägerin sein Ende gefunden hatte.
Unter diesen Umständen ergibt sich der Anspruch der Klägerin aus § 89 b HGB in Verbindung mit der Abrechnung der Beklagten, die der Höhe nach unstreitig ist. Die in dem Vertragswerk der Beklagten enthaltene Bezugnahme auf die „Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs“ hat die Versicherungswirtschaft entwickelt, da eine genaue Darlegung zu erwartender Provisionsverluste im Rahmen des § 89 b HGB kaum möglich ist.
Diese „Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs“ verstoßen allerdings gegen § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB n.F.) in Verbindung mit § 89 b Abs. 4 HGB, weil sie eine unangemessene Benachteiligung der Vertragspartner der Beklagten darstellen. Die Abrede stellt eine allgemeine Vertragsbedingung dar, weil sie offenkundig im Sinne des § 1 AGBG eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung der Beklagten darstellt. Bei der Frage, ob ein Verstoß gegen § 9 AGBG vorliegt, ist von einer über individuellen generalisierenden Betrachtungsweise auszugehen. Entscheidend ist, ob irgendeiner Vertragspartner der Beklagten durch die Verwendung der Klausel benachteiligt werden kann. Das ist der Fall. Denn die Grundsätze nehmen die Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach anderen Kriterien als nach der gefestigten Rechtsprechung des § 89 b HGB üblich vor.
Dennoch sind die „Grundsätze“ in vorliegendem Rechtsstreit nicht unbeachtlich. Diese Grundsätze erleichtern dem Versicherungsvertreter die Darlegung seiner Provisionsverluste, binden ihn aber nicht (OLG Hamm, Urteil vom 15.12.2000 – 35 U 77/99 -). Es steht dem Handelsvertreter frei, sich im Prozess auf diese Grundsätze zu berufen. Hat die Beklagte bereits nach diesen Grundsätzen abgerechnet und liegt eine derartige Abrechnung vor, kann im Rahmen eines Urkundenprozesses – wie hier – der Endbetrag, der nach Auffassung beider Parteien nach den „Grundsätzen“ richtig berechnet worden ist, geltend gemacht werden, ohne dass der Kläger im Übrigen die Voraussetzungen des § 89 b HGB substantiiert vortragen müsste.
Die Beklagte ist nicht berechtigt, die Auszahlung des nach Ansicht beider Parteien nach den „Grundsätzen“ richtig berechneten Ausgleichsbetrags zurück zu behalten, bis die Klägerin sich mit der Anwendung dieser Grundsätze einverstanden erklärt hat. Da die Beklagte an diese Grundsätze gebunden ist, handelt es sich um einen geschuldeten Mindestbetrag, der als Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB fällig ist. Mit der weiteren Zurückbehaltung übt die Beklagte einen unzulässigen Zwang auf die Klägerin aus, die von der Beklagten gestellten unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Hinblick auf die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im nachhinein zu akzeptieren und so den vom Gesetz missbilligten „Grundsätzen“ doch noch abschließende Gültigkeit zu verschaffen.
III. Der Zinsanspruch der Klägerin folgt aus §§ 252, 253 HGB und 288, 291 BGB.
IV. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 709, 108 ZPO. Der Beklagten war die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren nach § 599 Abs. 1 ZPO vorzubehalten.