Ausgleichsberechnung nach den „Grundsätzen“, Anrechnung einer Altersversorgung, einzelfallbezogene Billigkeitserwägungen

VII ZR 282/12 Urteil verkündet am 8. Mai 2014 BGH Versicherungsvertreterrecht

Bundesgerichtshof
Im Namen des Volkes
Urteil

In dem Rechtsstreit
[…]

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. Mai 2014 durch […]

Tenor

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 18. September 2012 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger 111.430,27 € nebst Zinsen zu zahlen.

Auf die Revision des Klägers wird das genannte Urteil insoweit aufgehoben, als die Klage auf Zahlung von Handelsvertreterausgleich in Höhe von 361.629,40 € nebst Zinsen bezüglich der Lebensversicherungssparte abgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerde- und des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1 Der Kläger verlangt, soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, von der Beklagten Zahlung von Handelsvertreterausgleich.

2 Der Kläger war seit 1986 im Strukturvertrieb der Beklagten in verschiedenen Sparten tätig.

3 Die Beklagte schloss auf den Namen des Klägers lautende Altersversorgungsverträge bei Drittunternehmen ab und überwies Beiträge hierfür an diese Unternehmen.

4 Am 27. November 2006 kündigte die Beklagte den Vertrag mit dem Kläger ordentlich zum 31. Dezember 2007. Im Jahr 2007 war der Kläger krankheitsbedingt arbeitsunfähig.

5 Der Kläger hat in erster Instanz unter anderem einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Ausgleichsanspruch in Höhe von mindestens 669.000,– € geltend gemacht und diesen weitgehend auf der Basis der zwischen den Spitzenverbänden der betroffenen Wirtschaftszweige und Handelsvertreter vereinbarten „Grundsätze Sach“, „Grundsätze Leben“, „Grundsätze Kranken“ und „Grundsätze Bauspar“ dargelegt, deren Geltung zwischen den Parteien nicht vereinbart ist.

6 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit seiner Berufung hat der Kläger den Ausgleichsanspruch in Höhe eines „Mindestbetrages von 250.000,– €“ nebst Zinsen und Rechtsanwaltskosten weiterverfolgt und zudem die Erteilung eines Buchauszugs für die Jahre 2006 und 2007 begehrt. Mit dem ersten Berufungsurteil hat das Berufungsgericht die Klageänderung betreffend die Erteilung des Buchauszugs als unzulässig angesehen und die Berufung insgesamt zurückgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 23. November 2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 das genannte Berufungsurteil überwiegend aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

7 Der Kläger hat nach der Zurückverweisung in der Berufungsinstanz zuletzt unter anderem beantragt, an ihn einen Ausgleichsanspruch nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses in Höhe von 565.156,11 € nebst Zinsen zu zahlen und ihm einen Buchauszug für die Jahre 2006 und 2007 zu erteilen.

8 Mit dem zweiten Berufungsurteil hat das Berufungsgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger 111.430,27 € nebst Zinsen zu zahlen und dem Kläger einen Buchauszug für die Jahre 2006 und 2007 zu erteilen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Beide Parteien haben hiergegen Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.

9 Der Senat hat die Revision der Beklagten zugelassen, soweit die Beklagte sich gegen die Verurteilung zur Zahlung von 111.430,27 € nebst Zinsen wendet, und im Übrigen die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen. Ferner hat der Senat die Revision des Klägers zugelassen, soweit sich der Kläger gegen die Abweisung der Klage auf Zahlung von Handelsvertreterausgleich in Höhe von 361.629,40 € nebst Zinsen bezüglich der Lebensversicherungssparte wendet, und die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Übrigen zurückgewiesen.

10 Die Beklagte verfolgt im Rahmen der Zulassung ihrer Revision ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger verfolgt im Rahmen der Zulassung seiner Revision den Anspruch auf Zahlung weiteren Handelsvertreterausgleichs in Höhe von 361.629,40 € nebst Zinsen weiter. Sowohl die Beklagte als auch der Kläger beantragen die Zurückweisung der gegnerischen Revision.

Entscheidungsgründe

11 Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit die Beklagte zur Zahlung von 111.430,27 € nebst Zinsen verurteilt worden ist, und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit die Klage auf Zahlung von Handelsvertreterausgleich in Höhe von 361.629,40 € nebst Zinsen bezüglich der Lebensversicherungssparte abgewiesen worden ist, und auch im Umfang dieser Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

12 Im Streitfall ist § 89b Abs. 1 HGB, auf den § 89b Abs. 5 HGB für den Versicherungs- und den Bausparkassenvertreter mit bestimmten Modifikationen verweist, in der Fassung vor Inkrafttreten des Art. 6a des Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemmissionen und zur verbesserten Durchsetzung von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2512) am 5. August 2009 anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 2011 – VIII ZR 203/10, NJWRR 2012, 674 Rn. 20).

I.

13 Das Berufungsgericht führt im Wesentlichen aus, dem Kläger stehe als ehemaligem Handelsvertreter nach § 89b Abs. 1 und 5 HGB ein Anspruch auf Zahlung von Handelsvertreterausgleich in Höhe von 111.430,27 € zu.

14 Der Ausgleichsanspruch sei rechtzeitig geltend gemacht worden (§ 89b Abs. 4 Satz 2 HGB), nämlich angesichts des Vertragsendes zum 31. Dezember 2007 am 20. Februar 2008.

15 Die Höhe des Ausgleichs sei auf der Grundlage der „Grundsätze“ nach § 287 Abs. 2 ZPO zu schätzen, nachdem der Kläger die im ersten Berufungsurteil und im zuvor erteilten Hinweis vermisste Substantiierung zu den ausgleichsrelevanten Vermittlungsanteilen der Folgeprovisionen noch immer nicht nachgeholt habe. Bezüglich der Sparten Sach, Kranken und Bauspar sei von den vom Kläger vorgetragenen und nicht bestrittenen Zuflüssen auszugehen. Damit liege eine ausreichende Schätzungsgrundlage vor.

16 Gemäß den „Grundsätzen Sach“ ergebe sich ein Betrag von 59.626,08 €, gemäß den „Grundsätzen Leben“ ein Betrag von 18.081,47 €, gemäß den „Grundsätzen Kranken“ ein Betrag von 29.181,14 € und gemäß den „Grundsätzen Bauspar“ ein Betrag von 4.551,58 €. Zusammen ergebe sich ein Ausgleichsanspruch in Höhe von 111.430,27 €. Dieser Betrag bleibe, auch bei einer Gesamtbetrachtung aller Sparten, deutlich unter der Kappungsgrenze von drei Jahresprovisionen der letzten fünf Vertragsjahre.

17 Auf den nach den „Grundsätzen“ errechneten Ausgleichsanspruch sei nicht nach deren Abschnitt V der kapitalisierte Barwert einer vom Prinzipal aufgebauten Altersversorgung abzuziehen, den die Beklagte mit 129.494,57 €, vom Kläger zur Höhe mit Nichtwissen bestritten, behaupte. Die in den „Grundsätzen“ vorgesehene Anrechnung des Kapitalwerts einer Altersversorgung setze nämlich voraus, dass die Altersversorgung aus Mitteln der Beklagten aufgebracht worden sei, also wirtschaftlich nicht dem Kläger zuzurechnen sei. Aus dem Vortrag der Parteien ergebe sich zum Nachteil der insoweit darlegungsbelasteten Beklagten nicht, dass die Anrechnungsvoraussetzungen vorlägen. Sie folgten insbesondere nicht schon daraus, dass die Beklagte die Überweisungen an die verschiedenen Vertragspartner der auf den Namen des Klägers abgeschlossenen Versorgungsverträge veranlasst habe. Diese Überweisungen hätten vielmehr Entgeltcharakter und seien wirtschaftlich dem Kläger zuzurechnen.

II. Revision der Beklagten

18 Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, soweit im Umfang der Revisionszulassung zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

19 1. Soweit das Berufungsgericht unter Heranziehung der „Grundsätze“ [Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs (§ 89b HGB) „Grundsätze Sach“; Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs (§ 89b HGB) für dynamische Lebensversicherungen „Grundsätze Leben“; Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs (§ 89b HGB) in der privaten Krankenversicherung „Grundsätze Kranken“; Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs (§ 89b HGB) im Bausparbereich „Grundsätze Bauspar“, abgedruckt bei Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 2, 9. Aufl., Anhang, S. 933 ff.] als Schätzgrundlage einen Ausgleichsanspruch in Höhe von insgesamt 111.430,27 € angenommen hat, wird dies von der Revision der Beklagten lediglich unter dem Gesichtspunkt beanstandet, dass eine Anrechnung der durch Beiträge der Beklagten aufgebauten Altersversorgung unterblieben ist.

20 2. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine ausgleichsmindernde Berücksichtigung der durch Beiträge der Beklagten aufgebauten Altersversorgung nicht abgelehnt werden.

21 a) Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen zum Wert der durch Beiträge der Beklagten aufgebauten Altersversorgung, bezogen auf den Zeitpunkt der Vertragsbeendigung, getroffen. Für die Revisionsinstanz ist deshalb vom Vorbringen der Beklagten zum Wert der durch ihre Beiträge aufgebauten Altersversorgung in Höhe von 129.494,57 € auszugehen.

22 b) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht eine ausgleichsmindernde Berücksichtigung der von der Beklagten durch ihre Beiträge aufgebauten Altersversorgung gemäß den Bestimmungen der „Grundsätze“ verneint.

23 aa) Ein Vertreter hat nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Möglichkeit, seinen Ausgleichsanspruch unbeschadet der Schutznorm des § 89b Abs. 4 HGB nach den „Grundsätzen“ zu berechnen. Die „Grundsätze“ können jedenfalls dann, wenn deren Geltung zwischen Vertreter und Unternehmer nicht vereinbart ist, als Grundlage für die Schätzung (§ 287 ZPO) eines Mindestausgleichsbetrags herangezogen werden (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 Rn. 38, 46).

24 bb) Die hier relevanten Bestimmungen der „Grundsätze“ hinsichtlich der Anrechnung einer Altersversorgung (vgl. Nr. V. der „Grundsätze Sach“; Nr. V. der „Grundsätze Leben“; Nr. V. der „Grundsätze Kranken“; Nr. VI. der „Grundsätze Bauspar“; fortan: Anrechnungsbestimmungen) gehen sämtlich davon aus, dass bei einer durch Beiträge des Unternehmers aufgebauten Altersversorgung ein Ausgleichanspruch insoweit nicht entsteht, wie der Vertreter Leistungen aus dieser Versorgung erhalten oder zu erwarten hat, und dass der kapitalisierte Barwert bzw. Kapitalwert der Versorgung von der gemäß den „Grundsätzen“ errechneten Höhe des Ausgleichsanspruchs abzuziehen ist.

25 cc) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des Begriffs „durch Beiträge des Versicherungsunternehmens aufgebaute Altersversorgung“ (vgl. Nr. V. der „Grundsätze Sach“; Nr. V. der „Grundsätze Leben“; Nr. V. der „Grundsätze Kranken“) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Für die Auslegung des Begriffs „durch Beiträge des Bausparunternehmens aufgebaute Altersversorgung“ (vgl. Nr. VI. der „Grundsätze Bauspar“) gilt Entsprechendes.

26 (1) Die Bestimmungen der „Grundsätze“, die über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus Anwendung finden (vgl. BGH, Urteil vom 21. Mai 1975 – I ZR 141/74, VersR 1975, 807, 809), sind wie revisible Rechtsnormen zu behandeln und vom Revisionsgericht frei auszulegen, da bei ihnen ein Bedürfnis nach einer einheitlichen Handhabung besteht (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 2013 – VIII ZR 336/12, NJW 2013, 2421 Rn. 14 m.w.N.; Musielak/Ball, ZPO, 11. Aufl., § 546 Rn. 6, jeweils zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen). Die „Grundsätze“ sind nach dem objektiven Inhalt und typischen Sinn der in Rede stehenden Bestimmungen einheitlich so auszulegen, wie ihr Wortlaut von verständigen und redlichen Durchschnittsadressaten unter Berücksichtigung der von den beteiligten Verbänden verfolgten Zwecke verstanden wird. Dabei ist insbesondere der Kompromisscharakter der „Grundsätze“ zu berücksichtigen. Diesem Kompromisscharakter der „Grundsätze“ entspricht es, dass sie nur einheitlich als Ganzes angewendet werden können (vgl. Emde, Vertriebsrecht, 2. Aufl., § 89b HGB Rn. 537; Thume in Küstner/Thume, a.a.O., Kap. XX Rn. 11), wobei allerdings die ergänzende Berücksichtigung von Billigkeitsgesichtspunkten bei der Bemessung des Ausgleichsanspruchs nicht prinzipiell ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Mai 1975 – I ZR 141/74, VersR 1975, 807, 809).

27 (2) Nach dem Wortlaut der Anrechnungsbestimmungen kommt es für eine ausgleichsmindernde Berücksichtigung lediglich darauf an, dass der Vertreter Leistungen aus einer durch Beiträge des Unternehmers aufgebauten Altersversorgung erhalten oder zu erwarten hat. Darauf, ob sich der Unternehmer gegenüber dem Vertreter zum Aufbau einer Altersversorgung vertraglich verpflichtet hat, kommt es nach dem Wortlaut hingegen nicht an. Eine derartige Einschränkung ist auch nach Sinn und Zweck der Anrechnungsbestimmungen nicht geboten. Mit diesen Bestimmungen wird erkennbar der Zweck verfolgt, eine doppelte Belastung des Unternehmers durch freiwillige Finanzierung einer Altersversorgung, mit der der Unternehmer eine an sich dem Vertreter obliegende Aufgabe übernimmt, und durch Ausgleichszahlung zu vermeiden (vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai 1966 – VII ZR 268/64, BGHZ 45, 268, 273; Urteil vom 21. Mai 2003 – VIII ZR 57/02, NJW 2003, 3350, 3351). Unter Berücksichtigung dieser Zwecksetzung fällt unter die Anrechnungsbestimmungen auch eine Altersversorgung, die der Unternehmer zwar gegenüber dem Vertreter vertraglich zugesagt hat, zu deren Finanzierung er ursprünglich aber nicht verpflichtet war (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1983 – I ZR 139/81, WM 1984, 212, 213 f.). Nach dem Wortlaut und nach dem Sinn und Zweck der Anrechnungsbestimmungen kommt es auch nicht darauf an, ob die Beiträge des Unternehmers zum Aufbau einer Altersversorgung vom Vertreter zu versteuern sind. Auch dies ändert nichts daran, dass der Unternehmer mit der freiwilligen Finanzierung einer Altersversorgung eine Aufgabe übernimmt, die an sich dem Vertreter obliegt (vgl. auch OLG Saarbrücken, VW 1988, 1375, 1376). Außerdem ist bei der Auslegung zu berücksichtigen, dass in den Anrechnungsbestimmungen – entsprechend dem mit den „Grundsätzen“ verfolgten Zweck, die Höhe des nach Auffassung der beteiligten Kreise angemessenen Ausgleichs global zu errechnen (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 Rn. 33) – nicht auf die Verhältnisse im Einzelfall abgestellt, sondern generell eine ausgleichsmindernde Berücksichtigung bei einer durch Beiträge des Unternehmers aufgebauten Altersversorgung vorgesehen wird (vgl. Thume in Küstner/Thume, a.a.O., Kap. XX Rn. 256). Insoweit ist für eine einzelfallbezogene Billigkeitsprüfung im Sinne des § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB kein Raum.

28 dd) Den vorstehenden Ausführungen steht nicht entgegen, dass eine vertragliche Vereinbarung zwischen Vertreter und Unternehmer, die unter Ausschluss anderer Billigkeitsgesichtspunkte im Voraus die Anrechnung einer vom Unternehmer finanzierten Altersversorgung anordnet, wegen Verstoßes gegen die zwingende Vorschrift des § 89b Abs. 4 Satz 1 HGB unwirksam ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2002 – VIII ZR 146/01, BGHZ 153, 6, 15). Der Kläger hat die „Grundsätze“ nach Beendigung des Vertragsverhältnisses als Schätzgrundlage herangezogen, was ihm freisteht, wozu er aber nicht gezwungen ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 2011 – VIII ZR 203/10, NJW-RR 2012, 674 Rn. 38). Hätte sich der Kläger mit der Beklagten nach Beendigung des Vertragsverhältnisses auf die Anwendung der „Grundsätze“ geeinigt, so wäre die Schutznorm des § 89b Abs. 4 Satz 1 HGB nicht anwendbar gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Mai 1975 – I ZR 141/74, VersR 1975, 807, 808 f.; Thume in Küstner/Thume, a.a.O., Kap. XX Rn. 32 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund steht es der Anwendung der „Grundsätze“ als Ganzes im Falle der Heranziehung als Schätzgrundlage nicht entgegen, dass einzelne Klauseln der „Grundsätze“ den gesetzlichen Maßstäben nicht vollständig entsprechen.

29 ee) Vergeblich macht die Revisionserwiderung des Klägers geltend, die Parteien hätten vereinbart, dass die Altersversorgung wirtschaftlich dem Kläger zuzurechnen sei. Soweit die Würdigung des Berufungsgerichts dahin verstanden werden könnte, wäre dies fehlerhaft. Das ergibt sich schon daraus, dass aus Nr. 15 der Zusatzvereinbarung II unbeschadet deren Unwirksamkeit zweifelsfrei hervorgeht, dass die Beklagte die Beiträge zur Altersversorgung auf den Ausgleichsanspruch anrechnen lassen wollte.

30 Unerheblich ist, dass die Beklagte mit Schreiben vom 22. Januar 2008 eine teilweise Verrechnung von Einzahlungen bezüglich der Altersversorgung vorgenommen hat. Diese betraf lediglich die Einzahlungen zur Aufbauversorgung, die innerhalb der letzten sechzig Monate vor Vertragsbeendigung erfolgt sind; dies belegt nicht, dass die Beiträge zur Altersversorgung an sich wirtschaftlich dem Kläger zuzuordnen sind.

III. Revision des Klägers

31 Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, soweit die weitergehende Klage auf Zahlung von Handelsvertreterausgleich in Höhe von 361.629,40 € nebst Zinsen bezüglich der Lebensversicherungssparte abgewiesen worden ist.

32 1. Ohne Erfolg macht die Revision des Klägers allerdings geltend, das Berufungsgericht habe es unterlassen, der von ihm geltend gemachten, in den „Grundsätzen“ nicht abgebildeten Leistung des Strukturaufbaus durch einen Zuschlag bei der Anwendung der „Grundsätze“ Rechnung zu tragen. Der Kläger hat die „Grundsätze“, die wegen ihres Kompromisscharakters nur einheitlich als Ganzes herangezogen werden können, auf der Grundlage der ihm bekannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Grundlage zur Schätzung eines Mindestausgleichsbetrags herangezogen. Zwar ist die ergänzende Berücksichtigung von Billigkeitsgesichtspunkten bei der Bemessung des Ausgleichsanspruchs nach den „Grundsätzen“ nicht prinzipiell ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Mai 1975 – I ZR 141/74, VersR 1975, 807, 809). Für eine Modifikation der Bemessung des Ausgleichsanspruchs nach den „Grundsätzen“ durch einen darin nicht vorgesehenen Zuschlag wegen fallbezogener Besonderheiten besteht jedoch kein Anlass, wenn ein Vertreter diese, obwohl er nicht dazu gezwungen ist, als Grundlage zur Schätzung eines Mindestausgleichsbetrags heranzieht. Die in diesem Zusammenhang von der Revision des Klägers erhobene Verfahrensrüge hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet, § 564 ZPO.

33 2. Das Berufungsgericht hätte allerdings, wie die Revision des Klägers mit Recht rügt, den Kläger vor der genannten Klageabweisung gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO auf die Unklarheiten und Defizite seines Vorbringens zur Ausgleichsberechnung unter Heranziehung der „Grundsätze Leben“ hinweisen müssen, um ihm Gelegenheit zu geben, auf einen solchen Hinweis in geeigneter Weise zu reagieren.

34 a) Ausgangspunkt für die Ausgleichsberechnung nach den „Grundsätzen Leben“ ist die Versicherungssumme der dynamischen Lebensversicherungen zur Zeit der Beendigung des Vertretervertrags. Diese Summe ist nach den „Grundsätzen Leben“ mit verschiedenen Faktoren zu multiplizieren (vgl. Thume in Küstner/Thume a.a.O., Kap. XX Rn. 158 ff.).

35 b) Das Berufungsgericht hat das Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 30. April 2012, Seite 7 im Berufungsurteil dahingehend gewürdigt, dass mit dem dort genannten Betrag von 1.241.177,– € die Gesamtversicherungssumme per 2006 gemeint sei. Es hat diesen Betrag im Wege der Schätzung, was für sich genommen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, als Versicherungssumme zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung (31. Dezember 2007) angesetzt, zum Ausgangspunkt für die Ausgleichsberechnung nach den „Grundsätzen Leben“ genommen und diesen Betrag mit den vom Kläger angeführten Faktoren multipliziert. Eine in den „Grundsätzen Leben“ nicht vorgesehene Multiplikation des sich danach ergebenden Betrags von 18.081,47 € mit dem weiteren Faktor 21, wie sie der Kläger vorgenommen hat, hat das Berufungsgericht abgelehnt.

36 c) Diese Würdigung ist verfahrensfehlerhaft zustande gekommen.

37 aa) Der Kläger hat bereits in der Klageschrift vorgetragen, dass er allein das Volumen des Jahres 2006 kenne, das allerdings schon bei 1.241.177,– € liege. Er hat zwar in diesem Schriftsatz auch zu einem Gesamtversicherungsbestand in gleicher Höhe ausgeführt, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass sich der von ihm auf dieser Grundlage errechnete Ausgleichsanspruch nur aus dem Lebensversicherungsbestand des Jahres 2006 ergebe und auf die 21 Jahre des Bestehens des Handelsvertreterverhältnisses hochzurechnen sei. Der ihm zustehende Ausgleichsanspruch könne erst dann konkret berechnet werden, wenn die Beklagte zur Auskunft verurteilt werde und die zur Berechnung notwendigen Angaben geliefert habe. Auch im Berufungsverfahren hat der Kläger vorgetragen, allein im Jahr 2006 habe das Volumen der Lebensversicherungsverträge 1.241.177,– € betragen und eine Hochrechnung auf 21 Jahre Vertretertätigkeit vorgenommen. Er hat gleichzeitig um einen richterlichen Hinweis gebeten, falls das Gericht die Auffassung vertrete, der klägerische Vortrag sei unvollständig, und darauf hingewiesen, dass er in diesem Fall Ansprüche im Rahmen einer Stufenklage geltend machen würde. Im nachgelassenen Schriftsatz hat er schließlich erläuternd vorgetragen, bei dem Wert von 1.241.177,90 € handele es sich nicht um das Abschlussvolumen, sondern um den Bestand. Bereits im Jahre 2006 habe der Kläger einen Eigenumsatz im Beitragsvolumen in Höhe von 1.338.334,– € gehabt. Bei dem angegebenen Wert von 1.241.177,90 € im Bereich der Lebensversicherungen handele es sich nicht um das Bestandsvolumen. Dies müsse angesichts des Beitragsvolumens deutlich höher sein. Um den korrekten Wert feststellen zu können, sei ein Buchauszug notwendig.

38 bb) Diesen Vortrag durfte das Berufungsgericht nicht ohne die nach § 139 Abs. 1 ZPO gebotene Aufklärung dahin werten, das Abschlussvolumen aller Versicherungsverträge zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung betrage 1.241.177,– €. Denn der Kläger hat mehrfach darauf hingewiesen, dass er die nach den „Grundsätzen“ erforderliche Berechnung mangels ausreichender Angaben der Beklagten nicht vornehmen könne. Vor diesem Hintergrund sind die teilweise irreführenden Angaben zum Bestand und Bestandsvolumen zumindest missverständlich, wenn auch alles darauf hindeutet, dass der Kläger nicht hat behaupten wollen, das maßgebliche Volumen betrage 1.241.177,– €. Vielmehr liegt es nahe, dass er die Hochrechnung des Bestandes allein aus dem Jahre 2006 auf 21 Jahre der Vertragsdauer vornahm, weil es sich bei diesem Bestand um das im Jahr 2006 erzielte Volumen handelt und Angaben aus weiteren Jahren fehlten. Jedenfalls durfte das Berufungsgericht nicht ohne Weiteres von einem Vorbringen des Klägers ausgehen, wonach ohne jeden sachlichen Grund von den „Grundsätzen“ abgewichen werde, indem das Rechenergebnis auf der Basis von 1.241.177,– € mit dem Faktor 21 multipliziert wird. Es war vielmehr gemäß § 139 Abs. 1 ZPO gehalten, den nach seinem Wortlaut teilweise widersprüchlichen Vortrag in seiner Bedeutung aufzuklären und darauf hinzuwirken, dass eine Klarstellung erfolgt und der Kläger Gelegenheit erhält, auf einen diesbezüglichen Hinweis in geeigneter Weise zu reagieren. Dass ausreichende Hinweise in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erteilt worden sind, lässt sich dem Sitzungsprotokoll nicht entnehmen.

39 cc) Der Verfahrensfehler des Berufungsgerichts ist entscheidungserheblich. Nach dem plausiblen Vorbringen des Klägers hätte er bei einer ausreichenden Aufklärung der Widersprüche darauf hingewiesen, dass der Betrag von 1.241.177,– € lediglich das im Jahr 2006 erzielte Volumen betrifft. Es ist nicht auszuschließen, dass der Kläger, falls das Gericht die von ihm vorgenommene Hochrechnung als Schätzung nach § 287 ZPO nicht akzeptiert hätte, auf einen diesbezüglichen Hinweis in geeigneter Weise reagiert hätte und dass eine für den Kläger günstigere Entscheidung ergangen wäre.

IV.

40 1. Das Urteil des Berufungsgerichts kann somit in dem vorstehend erörterten Umfang nicht bestehen bleiben. Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie im Umfang der Aufhebung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

41 2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht im Rahmen der Berechnung des Ausgleichsanspruchs auf der Basis der „Grundsätze“ Feststellungen zum gemäß den vorstehend genannten Anrechnungsbestimmungen zu berücksichtigenden Wert der durch Beiträge der Beklagten aufgebauten Altersversorgung, bezogen auf den Zeitpunkt der Vertragsbeendigung (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2006 – VIII ZR 261/04, NJW-RR 2006, 1542 Rn. 22; Urteil vom 23. Mai 1966 – VII ZR 268/64, BGHZ 45, 268, 276 f.), zu treffen haben wird.

Schlagwörter
Versicherungsvertreter (34) Berechnung des Ausgleichsanspruchs (8)