Belehrungspflicht des Anlageberaters über erschwerte Handelbarkeit von nicht börsennotierten Aktien

6 U 66/02 Urteil verkündet am 6. September 2002 OLG Oldenburg Beratungspflichten

Oberlandesgericht Oldenburg
Im Namen des Volkes
Urteil

Entscheidungsgründe

I. Der Kläger begehrt aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Ehefrau Schadensersatz wegen mangelhafter Beratung der Beklagten im Rahmen einer Wertpapiervermittlungstätigkeit.

Der Kläger und seine Ehefrau erwarben im Jahre 1996 durch Vermittlung der Beklagten Aktien der E. AG für eine Summe von 20.000,– DM. Das Auftragsformular enthält folgenden Passus: „Die Aktien sind nicht börsennotiert, dem Anleger ist der Verkauf gemäß Ziffer 3 der Ausführungsbedingungen garantiert.“ Die Beklagte klärte die Käufer nicht über die Risiken auf, die mit dem Erwerb nicht börsennotierter Aktien verbunden sind. Für die Vermittlung erhielt die Beklagte von der O. GmbH eine Provision in Höhe von 1.000,– DM.

Weil sie Anfang des Jahres 2000 finanzielle Mittel benötigten, kündigten der Kläger und seine Ehefrau das Depotkonto. Daraufhin teilte ihnen die Direkt Anlage Bank mit, dass der Verkauf dieser nicht börsennotierten Aktien erfahrungsgemäß viel Zeit in Anspruch nehme. Auch die E. Service GmbH teilte mit, dass sich die Bearbeitung der Verkaufsorder verzögern werde. In der Folgezeit gelang es weder den Käufern noch der Beklagten, die insoweit eigene Verkaufsbemühungen versprach, die Aktien zu verkaufen. Die Kläger nahmen am 16. März 2000 bei der A. ein Darlehen in Höhe von 25.000,– DM auf. Die hierfür im Jahre 2000 angefallenen Zinsen in Höhe von 1.392,48 DM sind dem Kläger und seiner Ehefrau von der Beklagten erstattet worden. Für die Folgezeit lehnte die Beklagte die Erstattung der Darlehenszinsen ab.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Schaden des Klägers im Sinne einer Nichtverkaufbarkeit der Aktien nicht hinreichend dargelegt sei.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er macht geltend, das Landgericht habe den Umfang der Aufklärungs- und Beratungspflichten der Beklagten verkannt und die Tatsache übersehen, dass der Schaden des Klägers bereits mit dem Erwerb der streitgegenständlichen Aktien entstanden sei. Darüber hinaus habe das Landgericht die Anforderungen an die Darlegungspflicht für etwaige Verkaufsbemühungen des Klägers überspannt.

II. Die Berufung des Klägers ist zulässig und hat auch in der Sache selbst überwiegend Erfolg.

Der Kläger hat aus eigenem und abgetretenem Recht gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung wegen unzureichender Aufklärung beim Erwerb von nicht börsennotierten Aktien. Zwischen den Parteien ist stillschweigend ein Beratungsvertrag zustande gekommen. Den Gesamtumständen nach ist unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung anzunehmen, dass der von der Beklagten erteilte Rat zum Gegenstand vertraglicher Rechte und Pflichten gemacht worden ist. Hierfür spricht, dass die Auskunft für die Empfänger erkennbar von erheblicher Bedeutung war und zur Grundlage ihrer Anlageentscheidung gemacht werden sollte. Die Beklagte, die den Kläger und seine Ehefrau bereits früher in Finanzgeschäften beraten hatte, hat ersichtlich Vertrauen für sich in Anspruch genommen. Sie war den Umständen nach auch geschäftlich als Vermittlerin tätig und hat für die Vermittlung der Aktien eine Vermittlungsprovision erhalten.

Die Beklagte hat die ihr obliegende Beratungspflicht verletzt. Bei der Vermittlung nicht börsennotierter Aktien hat der Anlageberater dem Käufer die sich aus der fehlenden Börseneinführung ergebenen Konsequenzen zu erläutern und ihm deutlich zu machen, dass die jederzeitige Handelbarkeit solcher Aktien nicht gewährleistet ist (vgl. hierzu LG Hamburg NJW RR 99, 556 f.; Vortmann, Aufklärungs und Beratungspflichten der Banken, Rz. 334 m.w.N.). Insoweit sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. Vortmann, a.a.O., Rz. 334; OLG Düsseldorf ZIP 02, 1583 = NJW RR 02, 1051). Im konkreten Fall hätte sogar Anlass bestanden, dem Kläger und seiner Ehefrau, die in eher bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen lebten, von dem Erwerb nicht börsennotierter Aktien abzuraten. Der Kläger ist von Beruf Gärtner, seine Ehefrau Landwirtschaftlich Technische Assistentin.

Beides hat die Beklagte auch so in den Antrag der Eheleute eingetragen. Der Kläger und seine Ehefrau hatten nur verhältnismäßig geringe Mittel angespart. Es ist nicht ersichtlich, dass sie, von den seinerzeit erworbenen Aktien abgesehen, über nennenswerte liquide Mittel verfügten, über die sie im Notfall oder bei Bedarf hätten verfügen können. Entsprechendes wird von der Beklagten auch gar nicht behauptet.

Ein Schaden ist dem Kläger und seiner Ehefrau schon dadurch entstanden, dass sie Aktien erworben haben, die mit besonderen Risiken verbunden waren und nicht ihren persönlichen Wert und Risikovorstellungen entsprachen (vgl. dazu BGHZ 115, 213, 221, 223 = ZIP 92, 552, 555, dazu EWiR 91, 1171 (W. Müller); Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 276 Rz. 100). Der Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung der Beklagten und dem eingetretenen Schaden ist auch nicht etwa dadurch unterbrochen, dass im Jahre 1997 der Kläger und seine Ehefrau das Übernahmeangebot von 1998 Ö. AG Aktien an Stelle der 222 E. Aktien annahmen, nachdem die E. AG mit der Ö. AG fusioniert hatte. Denn der Schaden war bereits zuvor eingetreten. Die Übernahmeentscheidung des Klägers und seiner Ehefrau begründete auch nicht etwa ein Mitverschulden. Denn die neuen Aktien waren ein Äquivalent für die zunächst angekauften Aktien. Es ist von der Beklagten auch nicht dargetan, dass durch die Übernahmeentscheidung ein zusätzlicher Schaden entstanden ist. Die Anleger hätten zwar zu diesem Zeitpunkt den Schaden abwenden können, wenn sie das Übernahmeangebot abgelehnt hätten. Sie hatten dazu aus ihrer Sicht aber keinerlei Veranlassung, da sie über den Geldbetrag seinerzeit noch nicht verfügen wollten und nach wie vor in Unkenntnis darüber waren, welche Konsequenzen es haben konnte, dass die Aktien nicht börsennotiert waren. Der dem Kläger danach aus eigenem und aus abgetretenem Recht zustehende Schadensersatzanspruch ist gerichtet auf Ersatz sämtlicher Nachteile, die ihm in Folge der mangelhaften Beratung entstanden sind. Die Pflichtverletzung der Beklagten war ursächlich für die Anlageentscheidung und den dadurch erlittenen Schaden des Klägers und seiner Ehefrau. Sie sind so zu stellen, wie sie ohne den Kauf der Aktien stehen würden. Der Kläger hat daher Anspruch auf Rückzahlung des aufgewandten Kaufpreises in Höhe von 20.000,– DM (= 10.225,84 Euro) Zug um Zug gegen Übertragung der Aktien, die sich nunmehr als Surrogat der zunächst erworbenen Aktien auf demselben Depotkonto befinden.

Der darüber hinausgehende Zahlungsanspruch ist unbegründet, weil es auf den jetzigen Wert der Aktien nicht ankommt. Der Kläger ist nur so zu stellen, wie er ohne den Kauf der Aktien gestanden hätte.

Die Feststellungsanträge sind ebenfalls überwiegend begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger im ausgeurteilten Umfang die Zinsen für das wegen der Nichthandelbarkeit der Aktien aufgenommene Darlehen in Höhe von 10.225,84 Euro zu erstatten. Der weiter gehende Zinsanspruch ist unbegründet. Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf Erstattung der Tilgungsleistungen, da dem Kläger der angelegte Betrag voll erstattet wird.

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