Haftung des Anlagevermittlers; Immobilienanlage; Haftung des Unternehmers für das Verhalten des Handelsvertreters; Darlegungs- und Beweislast; Vorlage des Prospekts; Prospektvorlage

8 U 170/02 Urteil verkündet am 26. März 2003 OLG Hamm Beratungspflichten, Schadensersatz

Oberlandesgericht Hamm
Im Namen des Volkes
Urteil

[…]

Tatbestand

Der Kläger fordert von der Beklagten Schadensersatz wegen Pflichtverletzungen bei der Vermittlung von Anteilen an einem geschlossenen Immobilienfonds. Aufgrund eines Verkaufsgesprächs, das der Zeuge […] mit ihm am 09.09.1998 im Auftrag der Beklagten in seiner Wohnung führte, trat der Kläger dem […] Fonds Nr. 1 KG, einem geschlossenen Immobilienfonds, mit einer Zeichnungssumme von 15.000,– DM zzgl. einer Courtage i. H. v. 750,– DM bei. Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger bei dieser Gelegenheit der Emissionsprospekt übergeben worden ist. Zur Finanzierung seines Beitritts zu dem Immobilienfonds schloss der Kläger einen Bausparvertrag über 18.000,– DM bei der […] Bausparkasse ab und nahm ein Darlehen über einen Betrag i. H. v. 18.100,– DM bei der […] Bank AG in […] auf. Die Kündigung des Darlehensvertrages sollte erst zum Ablauf der ersten Festzinsperiode nach 5 Jahren unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist möglich sein. Die Tilgung sollte über den Bausparvertrag in monatlichen Raten i. H. v. 117,– DM erfolgen. Der Kläger, der sich bei Abschluss der Verträge in einem befristeten Arbeitsverhältnis nach § 1 Beschäftigungsförderungsgesetz befand, ließ mit Schreiben vom 24.09.1999 die Anfechtung aller Verträge ggü. dem Zeugen A. erklären und forderte diesen vergeblich auf, für die Rückabwicklung der Verträge zu sorgen, damit er ohne finanzielle Verluste aus der Sache herauskomme. Mit seiner vor dem LG erhobenen Klage hat der Kläger den Zeugen […] und die Beklagte auf Erstattung der für die Anlage gezahlten 18.100,– DM in Anspruch genommen. Er hat hierzu behauptet, der Zeuge […] habe ihm anlässlich des Verkaufsgesprächs vom 09.09.1998 keinen Prospekt übergeben. Ein solcher Prospekt habe bei dem Verkaufsgespräch auch nicht vorgelegen. Hätte er den Hinweis auf die Risiken der Anlage in dem Emissionsprospekt lesen können, hätte er von der Kapitalanlage Abstand genommen. Der Zeuge […], so hat der Kläger gemeint, habe seine Unerfahrenheit ausgenutzt und ihn zum Abschluss der Verträge veranlasst, obwohl die Kapitalanlage für ihn in der damaligen Situation wirtschaftlich ohne Interesse gewesen sei. Die Beratung sei unzureichend gewesen, wahrheitswidrig habe der Zeuge darüber hinaus erklärt, er, der Kläger, könne jederzeit ohne Verluste aus den Verträgen herauskommen. Tatsächlich sei dies nicht der Fall. Es sei für ihn ein wirtschaftliches Fiasko zu erwarten. Durch Versäumnisurteil vom 25.01.2001 hat das LG die gegen die Beklagte und den Zeugen […] gerichtete Klage abgewiesen. Der Kläger hat rechtzeitig Einspruch eingelegt. Mit dem angefochtenen Urteil hat das LG das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Es hat einen Schadensersatzanspruch des Klägers nicht für begründet gehalten, da dieser nicht habe beweisen können, dass der Zeuge […] die ihm obliegenden Pflichten aus dem Auskunftsvertrag verletzt habe. Dieses Urteil greift der Kläger mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung an, mit der er seinen Zahlungsanspruch weiterverfolgt und zusätzlich Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für alle weiteren Schäden begehrt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache im Wesentlichen Erfolg. Der Kläger kann von der Beklagten Ersatz des Schadens verlangen, der ihm durch die Vermittlung der Anteile an dem geschlossenen Immobilienfonds […] Fonds Nr. 1 KG entstanden ist. In Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung ist deshalb das mit dem Klageantrag zu 1) verfolgte Zahlungsbegehren ebenso begründet wie der Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für alle weiteren Schäden.

I. Die Schadensersatzpflicht der Beklagten beruht auf der schuldhaften Verletzung eines Auskunftsvertrages zwischen den Parteien.

1. Im Rahmen der Anlagevermittlung kommt zwischen dem Anlageinteressenten und dem Anlagevermittler ein Auskunftsvertrag mit Haftungsfolgen zumindest stillschweigend zustande, wenn der Interessent deutlich macht, dass er, auf eine bestimmte Anlageentscheidung bezogen, die besonderen Kenntnisse und Verbindungen des Vermittlers in Anspruch nehmen will, und der Anlagevermittler die gewünschte Tätigkeit beginnt (BGH v. 13.05.1993 – III ZR 25/92, MDR 93, 956 = NJW RR 93, 1114; v. 13.06.2002 – III ZR 166/01, MDR 02, 1247 = BGH Report 02, 729 = NJW 02, 2641, 2643; Siol in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch, 2. Aufl., § 45 Rz. 5). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Der Zeuge […] hat den insofern gänzlich unkundigen Kläger über die Beteiligung an dem geschlossenen Immobilienfonds informiert, wenn auch möglicherweise unzureichend. Diese Informationen waren für den Kläger maßgeblich für seine Entscheidung, die Kapitalanlage zu zeichnen. Dadurch ist konkludent ein Auskunftsvertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten, vertreten durch den Zeugen […] als Erfüllungsgehilfen, zustande gekommen. Soweit die Beklagte sich im Berufungsverfahren gegen die Annahme eines Beratungsvertrages zwischen den Parteien wendet, ist dies unerheblich. Es kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass der Zeuge […] eine Anlageberatung, das ist die fachkundige Bewertung und Beurteilung der Vermögensanlage, nicht vorgenommen hat. Bereits ein zwischen dem Anlageinteressenten und dem Anlagevermittler zustande gekommener Auskunftsvertrag verpflichtet den Vermittler nämlich zu richtiger und vollständiger Information über diejenigen tatsächlichen Umstände, die für den Anlageentschluss des Interessenten von besonderer Bedeutung sind (BGH v. 13.06.2002 – III ZR 166/01, MDR 02, 1247 = BGH Report 02, 729 = NJW 02, 2641, 2642). Die Verletzung dieser Informationspflicht im Rahmen der Anlagevermittlung führt zur Haftung des Anlagevermittlers.

2. Der Zeuge […] hat die der Beklagten obliegende Pflicht zu richtiger und vollständiger Information über die wesentlichen tatsächlichen Umstände dadurch verletzt, dass er dem Kläger vor dessen Beitritt zu dem geschlossenen Immobilienfonds keinen Emissionsprospekt überlassen hat. Für das Fehlverhalten des Zeugen […] haftet die Beklagte selbst dann, wenn der Zeuge formal als selbstständiger Handelsvertreter für sie tätig geworden sein sollte (vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 30. Aufl., § 85 Rz. 55).

a) Die von der Beklagten als Anlagevermittlerin geschuldeten Informationen über die wesentlichen tatsächlichen Umstände, die für die Anlageentscheidung maßgeblich waren, konnten nur durch die Übergabe eines Emissionsprospekts erfüllt werden. Zwar ist eine Prospektübergabeverpflichtung anders als etwa in § 19 Abs. 1 KAGG für Kapitalanlagegesellschaften bei geschlossenen Immobilienfonds nicht gesetzlich normiert. Gleichwohl ergibt sich die Verpflichtung zur schriftlichen Informationserteilung vor Vertragsschluss daraus, dass eine bloß mündliche Information wenn nicht unmöglich, zumindest aber unzureichend ist. Angesichts der Fülle von Informationen, die bei einer Kapitalanlage in einem geschlossenen Immobilienfonds von Bedeutung sind, z. B. Lage, Größe und Ausstattung des Objekts, Kosten der Errichtung, bestehende und geplante Mietverhältnisse, Mietgarantien, kalkulierte Renditen, handelnde Personen und deren eventuelle Verflechtungen, gesellschaftsrechtliche Grundlagen etc. (vgl. etwa BGH v. 10.10.1994 – II ZR 95/93, MDR 95, 275 = NJW 95, 130), lassen sich diese mündlich in einem Verkaufsgespräch nicht sachgerecht vermitteln, zumal ggü. einem geschäftsunerfahrenen Interessenten. Hier bedarf es einer geordneten Zusammenstellung in Form eines schriftlichen Prospekts. Der Interessent muss zudem die Gelegenheit haben, die Informationen in Ruhe zur Kenntnis zu nehmen, sie zu prüfen und dann seine Entscheidung zu treffen, was in einem Gespräch regelmäßig nicht möglich ist. Das Erfordernis, dem Interessenten vor Beitritt zu einem geschlossenen Immobilienfonds einen Emissionsprospekt zu übergeben, wird von der Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen.

b) Der Senat geht davon aus, dass die Beklagte ihrer vorgenannten Verpflichtung nicht gerecht geworden ist, da sie nicht hat beweisen können, dass der Zeuge […] dem Kläger anlässlich des Verkaufsgesprächs vom 09.09.1998 einen Prospekt überreicht hat.

aa) Die Beweislast, ihre Pflicht zur Übergabe des Prospekts erfüllt zu haben, trifft hier die Beklagte. Zwar wird in der Rspr. des BGH die Frage der Beweislast bei Streit darüber, ob Auskunfts- oder Beratungspflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt worden sind, nicht einheitlich beurteilt. So hat der BGH hinsichtlich einer Verletzung der aus § 666 BGB folgenden Mitteilungspflicht ausgeführt, grundsätzlich habe der Auftraggeber zwar die Pflichtverletzung des Beauftragten zu beweisen, gehe es jedoch um die Frage, ob der Schuldner eine ihm obliegende vertragliche Verpflichtung nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt hat, treffe den Schuldner die Beweislast für die Erfüllung oder rechtzeitige Erfüllung (BGH v. 17.12.1992 – III ZR 133/91, MDR 93, 1178 = NJW 93, 1704, 1706; für die Beweislast des Beraters, ordentlich erfüllt zu haben, auch Baumbach/Hopt, HGB, 30. Aufl., § 347 Rz. 37). Andererseits hat der BGH in einem Fall unzureichender anwaltlicher Beratung ausgeführt, den Auftraggeber treffe die Beweislast für das Unterlassen einer ordnungsgemäßen Belehrung oder Beratung; der Anwalt müsse jedoch substantiiert den Gang der Besprechung im Einzelnen schildern (BGH v. 05.02.1987 – IX ZR 65/86, MDR 87, 666 = NJW 87, 1322, 1323). Der Senat kann offen lassen, ob bei der Behauptung unzutreffender Informationserteilung durch einen Anlagevermittler grundsätzlich diesen die Beweislast trifft, ordnungsgemäß informiert zu haben. Diese Beweislastverteilung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Streit die Übergabe eines Prospekts über die in Aussicht genommene Kapitalanlage betrifft. Der Beweis, einen körperlichen Gegenstand übergeben zu haben, lässt sich unschwer führen, wenn der Anlagevermittler diese Tatsache quittieren lässt, was in Bezug auf den Inhalt eines eventuell längeren Gesprächs problematisch erscheint. Liegt die geltend gemachte Pflichtverletzung also in der unterlassenen Übergabe, ist es nicht nur interessengerecht, eine an § 362 BGB orientierte Beweislastverteilung vorzunehmen; dies entspricht nach Auffassung des Senats auch dem System der gesetzlich geregelten Beweislast.

bb) Die Beklagte hat den danach ihr obliegenden Beweis, dem Kläger einen Prospekt übergeben zu haben, nicht zu führen vermocht. Ohne Erfolg beruft sie sich darauf, dass der Kläger den Erhalt des Prospekts in seiner Beitrittserklärung quittiert hat. Zwar ist richtig, dass der Beklagte unter Ziff. 4 des Beitrittserklärungsformulars bestätigt hat, den Angebotsprospekt erhalten, von dem Inhalt Kenntnis genommen und alles verstanden zu haben. Dieses Empfangsbekenntnis verstößt jedoch gegen § 11 Nr. 15 b AGBG und ist deshalb unwirksam. Es handelt sich um eine formularmäßige Erklärung, die dem AGB Gesetz unterfällt. Nach § 11 Nr. 15 b AGBG sind in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bestimmungen unwirksam, durch die der Verwender die Beweislast zum Nachteil des anderen Vertragsteils ändert, indem er den anderen Vertragsteil bestimmte Tatsachen bestätigen lässt. Dieser Beurteilung steht auch nicht § 11 Nr. 15 b Satz 2 AGBG entgegen, wonach diese Regelung nicht gilt für gesondert unterschriebene Empfangsbekenntnisse. Dazu wäre erforderlich, dass der Kläger das Empfangsbekenntnis nicht nur gesondert unterschrieben hätte, sondern dieses vom übrigen Text besonders abgesetzt gewesen wäre und keine anderen Erklärungen enthalten hätte (Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 11 AGBG Rz. 93). Das ist jedoch bei Ziff. 4 der Beitrittserklärung nicht der Fall. Das Empfangsbekenntnis ist ohne besondere Hervorhebung in einen anderen Text eingebunden, der mit „Vertragsannahme“ überschrieben worden ist und in erster Linie einen Vermittlungsauftrag an die […] Gesellschaft mbH […], enthält. Der Beweis der Übergabe des Prospekts ist auch nicht durch die Aussage des Zeugen […] gelungen. (Wird ausgeführt.)

II. Die pflichtwidrig unterlassene Übergabe eines Prospektes ist auch kausal für den Beitritt des Klägers zu dem geschlossenen Immobilienfonds geworden und hat den Schaden verursacht, dessen Ausgleich der Kläger begehrt. Nach der Rspr. des BGH, der der Senat folgt, entspricht es der Lebenserfahrung, dass ein Prospektfehler für die Anlageentscheidung ursächlich geworden ist (BGH v. 28.09.1992 – II ZR 224/91, MDR 93, 324 = NJW 92, 3296; v. 29.05.2000 – II ZR 280/98, NJW 00, 3346, 3347). Dieser Grundsatz ist auch auf die pflichtwidrig unterlassene Übergabe eines Prospekts anzuwenden, zumal der Prospekt hier deutliche Warnhinweise enthielt. Der Kläger hat im Senatstermin vom 13.02.2002 im Parallelverfahren auch ausdrücklich erklärt, er hätte einen Prospekt, wenn er ihn denn erhalten hätte, übers Wochenende behalten und gelesen, bevor er sich entschieden hätte. Durch den Beitritt zu dem Fonds ist dem Kläger auch ein Vermögensschaden entstanden. Die Anlage hat sich deutlich schlechter entwickelt, als dies im Projekt prognostiziert worden war, wie den Prognosen im Prospekt einerseits und den Angaben in der Gesellschafterversammlung der KG vom 18.12.2001 andererseits entnommen werden kann. (Wird ausgeführt.) Die tatsächliche Gegenleistung entspricht damit nicht dem Wert der Anteile, wie er zum Vertragsschluss angenommen werden konnte. Der ersatzpflichtige Schaden besteht danach mindestens in der Erstattung des an die […] Bank AG zurückzuzahlenden Darlehensbetrages, der zur Finanzierung der Anlage aufgewandt wurde. Das sind 18.100,– DM = 9.254,38 Euro. Wie der Kläger selbst bereits in seinem Hilfsantrag sinngemäß zum Ausdruck gebracht hat, besteht der Zahlungsanspruch lediglich Zug um Zug gegen Abtretung der Fondsanteile. Darüber hinaus ist dem Kläger ein weiterer Schaden entstanden, der Gegenstand des Feststellungsantrages ist. So hat er bei vorzeitiger Ablösung des Darlehens Vorfälligkeitszinsen zu zahlen, deren Erstattung die Beklagte im Rahmen des Schadensersatzes ebenfalls schuldet. Der Schadensersatzanspruch des Klägers ist nicht um eventuelle Steuervorteile im Wege der Vorteilsausgleichung zu mindern. Zwar gehören grundsätzlich infolge der Schädigung ersparte Steuern zu den Vorteilen, die sich der Geschädigte auf seinen Schadensersatzanspruch anrechnen lassen muss (BGH v. 27.06.1984 – IVa ZR 231/82, MDR 85, 127 = NJW 84, 2524). Als Mitunternehmer muss der Kläger jedoch den zu zahlenden Schadensersatzanspruch wiederum als Einkommen versteuern. Unter diesen Umständen ist eine exakte Gegenüberstellung von Steuervorteilen in der Vergangenheit und der künftig auftretenden Steuerlast im Hinblick auf § 287 ZPO nicht erforderlich (BGH v. 27.06.1984 – IVa ZR 231/82, MDR 85, 127 = NJW 84, 2524; vgl. ferner v. 02.03.1994 – VIII ZR 14/93, MDR 94, 584 = NJW 94, 1864, 1866). III. Der Schadensersatzanspruch ist nicht verjährt. Für die hier in Rede stehende Forderung gilt die 30 jährige Verjährungsfrist des § 195 BGB a.F.

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