Zulässiger Rechtsweg; Einbeziehung von Provisionsvorschüssen
VIII ZB 91/10 Beschluss verkündet am 28. Juni 2011 BGH Arbeitsrecht im AußendienstBundesgerichtshof
Im Namen des Volkes
Beschluss
In dem Rechtsstreit
[…]
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Juni 2011 durch […] beschlossen:
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 29. November 2010 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.500,– € festgesetzt.
Gründe
I.
1 Am 13. Dezember 2007 schlossen die Parteien mit Wirkung zum 29. Dezember 2007 einen M. Consultant-Vertrag (im Folgenden: Consultant-Vertrag) sowie einen Fortbildungsvertrag mit Rückzahlungsklausel. Der Beklagte hatte als Consultant die Aufgabe, die Kunden der Klägerin über die Vermittlung von Dienstleistungen und Finanz- und Vorsorgeprodukten zu beraten. Er war der Geschäftsstelle B. zugeordnet.
2 Nach § 1 des Consultant-Vertrages ist der Consultant als selbständiger Gewerbetreiber im Sinne von §§ 84 ff. HGB tätig und in der Bestimmung des Ortes und der Zeit seiner Tätigkeit frei. Der Consultant darf gemäß § 2 des Vertrages hauptberuflich nur für die Klägerin tätig sein und nur deren Dienstleistungen und die von ihr freigegebenen Finanzprodukte vermitteln; eine Beteiligung – gleichgültig welcher Art – an Konkurrenzunternehmen ist ihm mit Ausnahme des Erwerbs börsengängiger Wertpapiere untersagt. Für seine Tätigkeit erhält der Consultant gemäß § 6 des Vertrages Vergütungen in Form von Provisionen und Honoraren. Nach Maßgabe von § 6 Nr. 6 zahlt die Klägerin während der ersten 24 Monate der Consultant-Tätigkeit pauschalierte Provisionsvorschüsse von monatlich 1.500,– €. § 6 Nr. 7 regelt den Umfang der Verrechnung der Provisionsvorschüsse mit den während der Dauer des Vertragsverhältnisses erwirtschafteten Provisionen. § 6 Nr. 8 bestimmt, dass der Consultant verpflichtet ist, ein zum Zeitpunkt seines Ausscheidens bei der Klägerin überzogenes Provisionskonto zurückzuführen. Weiter heißt es unter anderem:
„Sind in die Überziehung zum Ausscheidenszeitpunkt noch nicht abgetragene Provisionsvorschüsse eingeflossen, müssen diese vom Consultant nur zu 50 % zurückgezahlt werden. M. verzichtet damit auf die Rückzahlung von 50 % eines bei Ausscheiden noch bestehenden Vorschusssaldos ..“.
3 Das Vertragsverhältnis der Parteien endete nach einer von der Klägerin akzeptierten Kündigung des Beklagten zum 1. Juli 2009. In den letzten sechs Monaten seiner Tätigkeit für die Klägerin verdiente der Beklagte nach den von der Klägerin vorgelegten Abrechnungen Provisionen in Höhe von 4.365,81 €. Er erhielt in dieser Zeit Provisionsvorschüsse von 9.000,– €.
4 Mit ihrer beim Landgericht erhobenen Klage begehrt die Klägerin von dem Beklagten die Rückzahlung anteiliger Ausbildungszuschüsse und die Rückzahlung von Provisionsvorschüssen. Insoweit macht sie 50 % des von ihr bei Vertragsende ermittelten Vorschusssaldos von 17.098,27 € geltend. Der Beklagte rügt die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges und macht geltend, dass nach § 5 ArbGG die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben sei.
5 Das Landgericht hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig erklärt. Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde des Beklagten zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
6 Die gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Für die Klage ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten und nicht zu den Arbeitsgerichten eröffnet.
7 1. Das Beschwerdegericht (OLG Hamm, Beschluss vom 29. November 2010 – 18 W 61/10, juris) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
8 Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit ergebe sich nicht aus § 2 Abs. 1 Nr. 3, § 5 Abs. 1 ArbGG. Nach dem Inhalt des Consultant-Vertrages sei der Beklagte als selbständiger Handelsvertreter und nicht als Angestellter einzuordnen. Die für die Abwägung erforderliche Gesamtwürdigung habe das Landgericht rechtsfehlerfrei vorgenommen. Hierfür maßgebend seien die Bestimmungen des Consultant-Vertrages, weil der Beklagte eine von der vertraglichen Gestaltung abweichende tatsächliche Handhabung des Vertrages nicht behauptet habe. Dass der Beklagte hauptberuflich nur für die Klägerin habe tätig sein dürfen, ihm eine Konkurrenztätigkeit und auch eine nachvertragliche Nutzung von Kundendaten untersagt gewesen seien, schließe seine Selbständigkeit nicht aus. Derartige Regelungen seien auch bei selbständigen Handelsvertretern nicht unüblich. Die selbständige Handelsvertretertätigkeit des Beklagten folge insbesondere aus § 1 Nr. 3 des Vertrages. Nach dieser Bestimmung sei der Beklagte zwar einer bestimmten Geschäftsstelle der Klägerin zugeordnet gewesen. Dabei sei er aber in der Gestaltung seiner Arbeitszeit frei und deswegen auch nicht zu einer Anwesenheit in der Geschäftsstelle der Klägerin verpflichtet gewesen. Es sei ihm überlassen geblieben, in welchem Umfang er sich in der Geschäftsstelle aufgehalten und das dortige Personal der Klägerin in Anspruch genommen habe.
9 Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte ergebe sich auch nicht aus § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung seien bereits deswegen nicht erfüllt, weil der Beklagte kein Einfirmenvertreter im Sinne von § 92a Abs. 1 Satz 1 HGB gewesen sei. Gegenteiliges ergebe sich insbesondere nicht aus § 2 Nr. 1 des Consultant-Vertrages. Maßgeblich seien wiederum die Bestimmungen des Consultant-Vertrages, weil der Beklagte keine vom Vertragsinhalt abweichenden unternehmerischen Weisungen und auch keine andere tatsächliche Handhabung behaupte. Nebenberuflich habe der Beklagte auch für andere Unternehmen tätig werden dürfen, wenn sie nicht in Konkurrenz zur Klägerin stünden. Entgegen der Argumentation des Beklagten lasse der Vertrag hierbei auch eine nebenberufliche Handelsvertretertätigkeit zu, solange diese sich nicht als Konkurrenz zur Geschäftstätigkeit der Klägerin darstelle. Der Beklagte habe also durchaus im Umfang einer nebenberuflichen Tätigkeit zu tagesüblichen Geschäftszeiten eine nebenberufliche Handelsvertretertätigkeit in einem anderen Marktsegment ausüben können.
10 Die Anwendung des § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG scheide allerdings nicht auch deswegen aus, weil der Beklagte in den letzten sechs Monaten durchschnittlich mehr als 1.000,– € als vertragliche Vergütung erhalten hätte. Er habe in den letzten sechs Monaten Provisionen in Höhe von insgesamt 4.365,81 € verdient und mit diesen Einnahmen die Verdienstgrenze nicht überschritten. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die von ihr nicht zurückverlangte Hälfte der dem Beklagten in den letzten sechs Monaten gewährten Provisionsvorschüsse in Höhe von 4.500,– € nicht als weiterer Verdienst anzusehen, so dass der Beklagte dann insgesamt 8.865,81 € verdient hätte und die Verdienstgrenze überschritten wäre. Nach der vertraglichen Regelung seien die Provisionsvorschüsse grundsätzlich in vollem Umfang auf die erwirtschafteten Provisionen anzurechnen und auf diese Weise mithin in vollem Umfang zurückzuzahlen. Die Rückzahlungspflicht des ausscheidenden Consultant verringere sich erst zum Ausscheidenszeitpunkt. Erst zu diesem Zeitpunkt verzichte die Klägerin auf die Rückführung von 50 % des noch bestehenden Vorschusssaldos. Das lasse erkennen, dass ein hierdurch beim Consultant entstandener „Verdienst“ nicht mehr „während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses erzielt“ worden sei und mithin bei der Berechnung der Verdienstgrenze des § 5 Abs. 3 ArbGG nicht zu berücksichtigen sei.
11 2. Die Beurteilung des Beschwerdegerichts hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
12 a) Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass sich eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nicht aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a, § 5 Abs. 1 ArbGG ergibt. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG sind die Arbeitsgerichte ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Um eine solche Rechtsstreitigkeit handelt es sich hier nicht. Das Beschwerdegericht hat die Bestimmungen des Consultant-Vertrages rechtsfehlerfrei dahin gewürdigt, dass der Beklagte für die Klägerin nicht als Arbeitnehmer, sondern als Handelsvertreter tätig war. Das entspricht der Rechtsprechung des Senats, in der die Consultants der Klägerin stets als Handelsvertreter eingestuft worden sind (Senatsbeschlüsse vom 12. Februar 2008 – VIII ZB 51/06, WM 2008, 944, und VIII ZB 3/07, WM 2008, 892; vom 12. März 2008 – VIII ZB 12/07, VIII ZB 16/07, VIII ZB 47/07 und VIII ZB 53/07, jeweils nicht veröffentlicht). Das Vorbringen der Rechtsbeschwerde rechtfertigt keine andere Beurteilung.
13 b) Eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte ist im vorliegenden Fall auch nicht aus § 5 Abs. 3 ArbGG herzuleiten.
14 Handelsvertreter gelten nach § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG nur dann als Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes, wenn sie zu dem Personenkreis gehören, für den nach § 92a HGB die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers festgesetzt werden kann und wenn sie während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses im Durchschnitt monatlich nicht mehr als 1.000,– € aufgrund des Vertragsverhältnisses an Vergütung einschließlich Provision und Aufwendungsersatz bezogen haben. Auch diese Voraussetzungen für eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte sind nicht erfüllt.
15 aa) Der Senat hatte in seinen oben genannten Entscheidungen nicht darüber zu befinden, ob die Consultants der Klägerin als sogenannte Einfirmenvertreter im Sinne des § 5 Abs. 3 ArbGG anzusehen sind. Dies war in den betreffenden Verfahren von den Oberlandesgerichten Karlsruhe, Düsseldorf und Stuttgart bejaht und von der Klägerin auch nicht in Zweifel gezogen worden (vgl. OLG Karlsruhe, OLGR 2007, 179, 180). Im vorliegenden Verfahren hat das Oberlandesgericht Hamm dagegen – anders als in seinen Beschlüssen vom 4. Juli 2005, 20. Februar 2006 und 4. Februar 2010 (18 W 25/05, 18 U 40/05 und 18 W 24/09, jeweils juris) – angenommen, dass der Beklagte als Consultant der Klägerin kein Einfirmenvertreter sei. Ob dies zutrifft, bedarf jedoch keiner Entscheidung. Denn eine Anwendung des § 5 Abs. 3 ArbGG scheidet jedenfalls deshalb aus, weil der Beklagte – ebenso wie die Consultants der Klägerin in den den Senatsbeschlüssen vom 12. Februar 2008 (VIII ZB 51/06 und VIII ZB 3/07, a.a.O.) und 12. März 2008 (VIII ZB 12/07, VIII ZB 16/07, VIII ZB 47/07 und VIII ZB 53/07) zugrunde liegenden Fallgestaltungen – in den letzten sechs Monaten durchschnittlich mehr als 1.000,– € als vertragliche Vergütung von der Klägerin bezogen und damit die Einkommensgrenze des § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG überschritten hat.
16 bb) Die Klägerin hat beim Ausscheiden des Beklagten gemäß § 6 Nr. 8 des Consultant-Vertrages auf die Hälfte der in den letzten sechs Monaten gewährten, noch nicht abgetragenen Provisionsvorschüsse verzichtet, so dass der Beklagte bei einer Zusammenrechnung dieses Betrages mit den in dieser Zeit verdienten Provisionen in Höhe von 4.365,81 die Verdienstgrenze von 6.000,– überschritten hat. Das Beschwerdegericht meint jedoch, dass der aufgrund des Rückzahlungsverzichts endgültig beim Beklagten verbliebene Anteil der in den letzten sechs Monaten gezahlten, noch nicht abgetragenen Provisionsvorschüsse nicht als Verdienst des Beklagten zu berücksichtigen sei (ebenso bereits OLG Hamm, Beschlüsse vom 4. Juli 2005 und 20. Februar 2006, a.a.O.). Das trifft nicht zu. Auch zunächst darlehensweise gewährte Provisionsvorschüsse sind bei der Ermittlung der nach § 5 Abs. 3 ArbGG maßgeblichen Vergütungsgrenze zu berücksichtigen, wenn und soweit diese sich – wie hier – aufgrund eines bereits im Handelsvertretervertrag vereinbarten Erlasses der Rückzahlungsverpflichtung beim Ausscheiden des Handelsvertreters automatisch in unbedingt bezogene Vergütungen umgewandelt haben (ebenso OLG Frankfurt, Beschluss vom 30. Dezember 2004 – 17 W 74/04, juris; OLG Köln, OLGR 2009, 567, 568; Kliemt/Liebscher in Schwab/Weth, ArbGG, 3. Aufl., § 5 Rn. 265a m.w.N.).
17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind bei der Abgrenzung des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten vom Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten alle unbedingt entstandenen Ansprüche des Handelsvertreters zu berücksichtigen (Beschlüsse vom 12. Februar 2008 – VIII ZB 51/06 und VIII ZB 3/07, jeweils a.a.O. Rn. 11 m.w.N.). Keine Vergütung im Sinne des § 5 Abs. 3 ArbGG sind deshalb als vorläufige Zahlungen gewährte Vorschüsse, die dem Handelsvertreter nicht auf Dauer verbleiben; gezahlte Provisionsvorschüsse sind aber insoweit als Vergütung anzurechnen, als sie nachträglich durch unbedingt entstandene Provisionsforderungen gedeckt werden (BGH, Urteil vom 9. Dezember 1963 – VII ZR 113/62, NJW 1964, 497 unter 1).
18 Nichts anderes gilt, wenn – wie hier – im Handelsvertretervertrag ein (aufschiebend bedingter) Erlass der Rückzahlungsverpflichtung für zunächst darlehensweise geleistete Provisionsvorschüsse vereinbart ist und damit im Vorhinein feststeht, unter welcher Voraussetzung der Handelsvertreter die geleisteten Vorschüsse mit dem Eintritt der Bedingung bei seinem Ausscheiden nicht zurückzahlen muss. Auch in diesem Fall wandelt sich der geleistete Provisionsvorschuss mit Eintritt der Bedingung auf Grund der getroffenen Vereinbarung von einer vorläufigen Zahlung „automatisch“ in eine nunmehr unbedingte Gegenleistung (Vergütung) für die Dienste des Handelsvertreters um. In dem Umfang, in dem der Handelsvertreter auf die gezahlten Provisionsvorschüsse mit dem Bedingungseintritt endgültig Anspruch hat, sind die Vorschüsse als (nunmehr) unbedingt gezahlte Vergütung im Sinne des § 5 Abs. 3 ArbGG zu berücksichtigen (ebenso OLG Köln, a.a.O., in Auseinandersetzung mit der abweichenden Rechtsprechung des OLG Hamm, a.a.O.).
19 Danach sind die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 ArbGG für eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte hier nicht erfüllt. Nach der vertraglichen Vereinbarung hat die Klägerin auf die Rückzahlung der Hälfte der Differenz zwischen den in den letzten sechs Monaten vom Beklagten verdienten Provisionen (4.365,81 €) und den in dieser Zeit gezahlten Vorschüssen (9.000,– €), das heißt auf 2.317,09 €, verzichtet. Dieser Betrag verbleibt dem Beklagten neben den verdienten Provisionen endgültig. Der Beklagte hat daher in den letzten sechs Monaten seiner Tätigkeit an Vergütung insgesamt 6.682,90 € (4.365,81 € + 2.317,09 €) und damit im Durchschnitt monatlich mehr als 1.000,– € bezogen.