Zur Wirksamkeit einer Formularklausel, die es zulässt, dass Ansprüche auf Vertragsstrafe und pauschalierten Schadensersatz nebeneinander geltend gemacht werden: Zur Schätzung eines Mindestschadens
VIII ZR 332/07 Urteil verkündet am 24. Juni 2009 BGH Versicherungsvertretervertrag, Wettbewerbsverbot und KonkurrenzverbotBundesgerichtshof
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
[..]
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Juni 2009 durch [..]
Tenor
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen – das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. Mai 2007 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Beklagten gegen das die Widerklage abweisende Schlussurteil des Landgerichts Gießen vom 18. August 2006 hinsichtlich des mit der Widerklage hilfsweise geltend gemachten Schadens in Höhe von 34.107,41 € zurückgewiesen worden ist.
Der Rechtsstreit wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger vermittelte als Versicherungsvertreter für die Beklagte, eine Versicherungsmaklerin, aufgrund in den Jahren 1989 und 1990 geschlossener Verträge Versicherungen verschiedener Art. Er kündigte das Vertragsverhältnis zum 29. Februar 1992. In dem sich daran anschließenden Rechtsstreit nimmt die Beklagte den Kläger im Wege der Widerklage unter anderem auf Schadensersatz wegen vertragswidriger Vermittlung von Versicherungen für andere Unternehmen als die Beklagte in Anspruch. Sie behauptet, der Kläger habe, teilweise im Zusammenwirken mit seiner Ehefrau und ehemaligen Mitarbeitern der Beklagten, mindestens 81 Versicherungen für andere Unternehmen vermittelt. Durch diese Fremdvermittlungen seien ihr, ungeachtet etwaiger Folge- bzw. Bestandspflegeprovisionen, Provisionen in Höhe von insgesamt 53.943,17 € entgangen. Diesen Betrag macht die Beklagte mit ihrer Widerklage in erster Linie geltend. Zur Begründung ihrer Forderung beruft sich die Beklagte insbesondere auf die Vertragsstrafen- und Schadensersatzregelung in Ziff. 3.7 Satz 6 bis 9 der oben genannten Verträge, die wie folgt lautet:
„Für jeden Fall der Zuwiderhandlung – je Adresse und Fall – wird eine Vertragsstrafe von 1.000,– DM vereinbart. Die weitere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen durch die Vertriebsorganisation bleibt vorbehalten. Wenn infolge der Auswertung der Adresse einem Konkurrenzunternehmen der Abschluss eines Vertrages ermöglicht wurde, hat der Mitarbeiter den hieraus der Vertriebsorganisation entstehenden Schaden zu ersetzen. Der Schaden wird für den Abschluss eines Versicherungsvertrages mit DM 50,– pro Einheit angegeben.“
Hilfsweise beziffert die Beklagte den ihr konkret entstandenen Schaden unter Berücksichtigung der Provisionen, welche sie ihrerseits an den Kläger zu zahlen gehabt hätte, wenn dieser die Verträge nicht anderweitig vermittelt hätte, mit 34.107,41 €.
Die Widerklage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
Das Landgericht habe die Widerklage auf Schadensersatz wegen behaupteter Konkurrenztätigkeit des Klägers mit Recht abgewiesen. Die Beklagte könne ihren Anspruch auf die Vertragsstrafenregelung in Ziff. 3.7 des zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrages schon deshalb nicht stützen, weil es sich bei dieser Regelung um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handele, die der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG nicht standhalte. Soweit in Ziff. 3.7 des Versicherungsvertretervertrages bei einem Verstoß gegen die dort dargestellten Gebote ein Schadensersatz in Höhe von 50,– DM pro Einheit festgelegt werde, verstoße die Regelung gegen das Transparenzgebot, weil sich aus dem Vertragstext nicht ergebe, was eine Einheit, nach der sich der pauschalierte Schadensersatz berechnen solle, darstelle. Die Regelung verstoße auch gegen das Kumulierungsverbot, weil für den Fall von Zuwiderhandlungen in Ziff. 3.7 des Vertrages sowohl eine Vertragsstrafe als auch ein nach Einheiten pauschalierter Schadensersatzanspruch festgelegt werde. Eine formularmäßige Kumulierung von Vertragsstrafe und Schadensersatz wegen Nichterfüllung sei auch im Verkehr unter Kaufleuten unwirksam.
Das Landgericht sei ebenfalls zutreffend davon ausgegangen, dass die seitens der Beklagten vorgelegte konkrete Schadensberechnung den Anforderungen substantiierten Vorbringens nicht hinreichend entspreche. Dies betreffe zunächst aus den vom Landgericht ausgeführten Gründen die Vermittlung von Lebensversicherungen für die B., gelte aber auch für alle anderen Versicherungsverträge, weil die Beklagte – abgesehen von der Möglichkeit von Stornierungen – unter Außerachtlassung ihres eigenen Verwaltungsaufwandes behauptete Umsätze mit Gewinn gleichgesetzt habe. Zur Berechnung entgangenen Gewinns gehöre eine Aufschlüsselung ersparter Betriebskosten unter Offenlegung einer entsprechenden Kalkulation. Die lediglich allgemeine Behauptung der Beklagten, die diesbezüglichen Kosten seien sehr gering und als Sowieso-Kosten nicht zu berücksichtigen, reiche insofern nicht aus. Die Beklagte hätte vielmehr im Einzelnen ihre bei Durchführung der entsprechenden Vermittlungen angefallenen Kosten aufgeschlüsselt darlegen oder zumindest in einem kalkulatorisch nachvollziehbaren Prozentsatz geltend machen müssen; daran fehle es.
II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Beklagten kann der mit der Widerklage geltend gemachte Schadensersatzanspruch entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht wegen unzureichender Darlegung des entstandenen Schadens vollständig aberkannt werden. Das Berufungsgericht hat verkannt, dass auf der Grundlage des Hilfsvorbringens der Beklagten, mit dem diese den ihr entgangenen Gewinn mit 34.107,41 € beziffert, die Schätzung jedenfalls eines Mindestschadens möglich und geboten ist (§ 287 ZPO), falls die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt ist.
1. Das Berufungsgericht hat allerdings mit Recht angenommen, dass die Beklagte ihren Schadensersatzanspruch nicht auf die in Ziff. 3.7 der Verträge geregelten Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das in dieser Bestimmung enthaltene Adressenauswertungsverbot stützen kann. Denn die Regelungen in Ziff. 3.7 Satz 6 bis 9 des Vertrages über die Vertragsstrafe und pauschalierten Schadensersatz stellen Allgemeine Geschäftsbedingungen dar, die der Inhaltskontrolle nach den Bestimmungen des auf den vorliegenden Fall noch anzuwendenden AGB-Gesetzes nicht standhalten und deshalb unwirksam sind.
a) Das Landgericht, auf dessen Entscheidungsgründe das Berufungsgericht insoweit Bezug genommen hat, hat die Regelungen in Ziff. 3.7 Satz 6 bis 9 der Verträge rechtsfehlerfrei als Allgemeine Geschäftsbedingungen angesehen, die – auch im Verkehr unter Kaufleuten (§ 24 AGBG) – der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG unterliegen. Dies wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen. Sie wendet sich nur gegen die vom Landgericht vorgenommene Auslegung der Vertragsbestimmungen. Damit dringt die Revision nicht durch.
Die tatrichterliche Auslegung einer Formularklausel ist im Revisionsverfahren uneingeschränkt zu überprüfen (BGH, Urteil vom 29. Mai 2008 – III ZR 330/07, NJW 08, 2495, Tz. 10 f. m.w.N.). Das Landgericht hat die Bestimmungen in Ziff. 3.7 Satz 6 bis 9 des Vertrages mit Recht so verstanden, dass sie es zulassen, die Ansprüche auf Vertragsstrafe und pauschalierten Schadensersatz nebeneinander geltend zu machen. Diese Auslegung ist nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Revision regeln die Bestimmungen in Ziff. 3.7 Satz 6 bis 9 der Verträge nicht, dass ein Anspruch der Beklagten auf Vertragsstrafe mit einem Anspruch auf Ersatz des Schadens aus derselben Pflichtverletzung etwa zu verrechnen wäre. Die Klauseln sind vielmehr nach ihrem Wortlaut und ihrem Sinnzusammenhang so zu verstehen, dass sie eine kumulative Geltendmachung der Ansprüche auf Vertragsstrafe und auf pauschalierten Schadensersatz zumindest ermöglichen. Der Umstand, dass eine Kumulation der Ansprüche nicht ausdrücklich angeordnet wird, steht dem nicht entgegen.
b) Eine Klausel, die eine kumulative Geltendmachung der Ansprüche auf Vertragsstrafe und pauschalierten Schadensersatz ermöglicht, verstößt gegen das Anrechnungsgebot des § 340 Abs. 2 BGB (BGHZ 63, 256, 258) und ist wegen unangemessener Benachteiligung des Vertragspartners auch im Verhältnis unter Kaufleuten unwirksam (Senatsurteil vom 29. Februar 1984 – VIII ZR 350/82, NJW 85, 53, unter II 2 g). Dies wird auch von der Revision nicht in Frage gestellt. Da die Bestimmungen bereits wegen Verstoßes gegen das Kumulierungsverbot unwirksam sind, kommt es nicht darauf an, ob die Regelung über den pauschalierten Schadensersatz darüber hinaus, wie das Berufungsgericht und das Landgericht angenommen haben, auch wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot der Inhaltskontrolle nach §§ 9, 24 AGBG nicht standhält.
2. Die Revision rügt jedoch mit Recht, dass die Widerklage insoweit zu Unrecht abgewiesen worden ist, als die Beklagte – hilfsweise – Ersatz entgangenen Gewinns in Höhe von 34.107,41 € begehrt.
a) Nach dem vom Landgericht und vom Berufungsgericht als wahr unterstellten und damit auch im Revisionsverfahren zugrunde zu legenden Vorbringen der Beklagten hat der Kläger während der Dauer des Vertragsverhältnisses mit der Beklagten unter Umgehung der Beklagten und unter Ausnutzung der ihm über diese bekannt gewordenen Kundenadressen Versicherungen für andere Versicherungsgesellschaften vermittelt. In einem solchen Verhalten liegt, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ein Verstoß sowohl gegen das vertraglich vereinbarte als auch gegen das gesetzliche Wettbewerbsverbot (§ 86 Abs. 1 Halbs. 2 HGB). Der – hier zu unterstellende – Verstoß des Klägers gegen das Wettbewerbsverbot begründet einen Anspruch der Beklagten auf Schadensersatz wegen positiver Vertragsverletzung, der auf Ersatz entgangenen Gewinns gerichtet ist (vgl. Senatsurteil vom 3. April 1996 – VIII ZR 3/95, NJW 96, 2097, unter A I 2 b). Dies ist im Revisionsverfahren nicht im Streit.
b) Der von der Beklagten geltend gemachte Schadensersatzanspruch kann nicht mit der Begründung verneint werden, die Beklagte habe den ihr konkret entstandenen Schaden nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Die von der Beklagten hilfsweise vorgelegte Schadensberechnung, mit der diese den ihr entgangenen Gewinn mit 34.107,41 € beziffert, bietet eine ausreichende Grundlage für die Schätzung jedenfalls eines Mindestschadens (§ 287 ZPO) und rechtfertigt daher nicht die vollständige Abweisung der Widerklage.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erleichtert § 287 ZPO dem Geschädigten nicht nur die Beweisführung, sondern auch die Darlegungslast. Steht, wie hier revisionsrechtlich zugrunde zu legen ist, der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach fest und bedarf es lediglich der Ausfüllung zur Höhe, darf die Klage grundsätzlich nicht vollständig abgewiesen werden, sondern der Tatrichter muss im Rahmen des Möglichen den Schaden nach § 287 ZPO schätzen. Zwar ist es Sache des Anspruchstellers, diejenigen Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die seine Vorstellungen zur Schadenshöhe rechtfertigen sollen. Enthält der diesbezügliche Vortrag Lücken oder Unklarheiten, so ist es in der Regel jedoch nicht gerechtfertigt, dem jedenfalls in irgendeiner Höhe Geschädigten jeden Ersatz zu versagen. Der Tatrichter muss vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen beurteilen, ob nach § 287 ZPO nicht wenigstens die Schätzung eines Mindestschadens möglich ist. Eine Schätzung darf erst dann gänzlich unterlassen werden, wenn sie mangels jeglicher konkreter Anhaltspunkte völlig in der Luft hinge und daher willkürlich wäre (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1991 – XII ZR 144/90, WM 92, 36, unter 3 a m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen haben sich das Landgericht und das Berufungsgericht zu Unrecht außerstande gesehen, auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten die Höhe eines der Beklagten entstandenen Mindestschadens zu schätzen. Zwar gehört die Entscheidung der Frage, ob genügende Unterlagen für eine Schätzung vorhanden sind, dem dem Tatrichter vorbehaltenen Gebiet der Tatsachenwürdigung an; sie kann aber vom Revisionsrichter im Rahmen der erhobenen Rügen daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter von zutreffenden rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist und alle wesentlichen Gesichtspunkte, wie Verfahrensregeln, die Erfahrungssätze und die Denkgesetze, beachtet hat (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1963 – III ZR 47/63, NJW 64, 589, unter IV 3). Die Revision rügt mit Recht, dass ein revisionsrechtlich beachtlicher Rechtsfehler hier vorliegt. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen, die an das Vorbringen des Geschädigten zur Schätzungsgrundlage zu stellen sind, überspannt.
bb) Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Vorbringen der Beklagten sind dieser Provisionen in Höhe von 53.943,17 € entgangen, die die Beklagte von den betreffenden Versicherungsgesellschaften erhalten hätte, wenn der Kläger die Versicherungen nicht unter Umgehung der Beklagten anderweitig vermittelt hätte. Von diesem Betrag zieht die Beklagte unter dem Gesichtspunkt ersparter Kosten – die Provisionen ab, welche sie ihrerseits an den Kläger zu zahlen gehabt hätte, wenn dieser die Versicherungen für die Beklagte vermittelt hätte. So errechnet sich der Betrag von 34.107,41 €, den die Beklagte als entgangenen Gewinn geltend macht. Die Gesichtspunkte, unter denen das Berufungsgericht das Beklagtenvorbringen zur Höhe des Schadens als unzureichend beanstandet hat, rechtfertigen es nicht, die Widerklage insgesamt abzuweisen; soweit das Beklagtenvorbringen Fragen zur Höhe des entgangenen Gewinns offen lässt, ist jedenfalls mit dem – auch nach Auffassung des Berufungsgerichts – substantiiert dargelegten Betrag von 34.107,41 € eine hinreichende Grundlage für eine Schätzung gemäß § 287 ZPO gegeben.
(1) Soweit das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Landgerichts das Vorbringen der Beklagten zur Vermittlung von Lebensversicherungen für die B. beanstandet hat, betrifft dies, wie sich aus den Entscheidungsgründen des Landgerichtsurteils ergibt, nicht die Höhe, sondern den Grund des Schadensersatzanspruchs. Insoweit ist eine vollständige Klageabweisung schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil der Kläger – wovon auch die Vorinstanzen ausgegangen sind – nicht nur Lebensversicherungen, sondern auch andere Versicherungen vermittelt hat. Im Übrigen ist weder festgestellt noch ersichtlich, dass die in den Schriftsätzen der Beklagten vom 18. Juli 2002 und 16. Juni 2006 enthaltenen Aufstellungen über die vom Kläger vermittelten Verträge sich auf Lebensversicherungen der B. beziehen.
(2) Auch das vom Berufungsgericht als unzureichend angesehene Vorbringen der Beklagten zu ersparten Betriebskosten steht einer Schätzung des der Beklagten entstandenen Schadens nicht entgegen. Die Beklagte behauptet, dass in ihrem Unternehmen – abgesehen von den an den Kläger zu zahlenden Provisionen – keine zusätzlichen Kosten entstanden wären, wenn der Kläger die 81 Versicherungsverträge, um die es geht, nicht anderweitig, sondern für die Beklagte vermittelt hätte; der dafür erforderliche Verwaltungsaufwand wäre im Unternehmen der Beklagten ohne weiteres mit erledigt worden. Dabei geht es, wie aus der Entscheidung des Landgerichts ersichtlich ist, im Wesentlichen um den Aufwand für die Abrechnung der Provisionen gegenüber den Versicherungsunternehmen, von denen die Beklagte Provision erhalten hätte, und für die Provisionsabrechnungen der Beklagten gegenüber dem Kläger, an den sie Provision zu zahlen gehabt hätte. Wenn das Landgericht und das Berufungsgericht Zweifel daran hatten, ob der Verwaltungsaufwand für diese Provisionsabrechnungen so gering ist, dass er ohne zusätzliche Kosten hätte erledigt werden können, so hätten die Vorinstanzen hierfür im Wege der Schätzung – notfalls mit Hilfe sachverständiger Begutachtung gemäß § 144 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1991, a.a.O., unter 3 b; Urteil vom 12. Oktober 1993 – X ZR 65/92, NJW 94, 663 unter II 2 c cc) – einen gewissen Betrag gewinnmindernd veranschlagen können, aber nicht die Widerklage vollständig abweisen dürfen. Denn dass der zusätzlich erforderliche Verwaltungsaufwand für die Erstellung der Provisionsabrechnungen für die 81 vom Kläger fremdvermittelten Versicherungen keinesfalls so hoch gewesen wäre, dass er den von der Beklagten dargelegten Provisionsschaden von 34.107,41 € vollständig aufgezehrt hätte, liegt auf der Hand. Davon ist auch das Berufungsgericht nicht ausgegangen. Wenn somit lediglich offen ist, ob für den zusätzlichen Verwaltungsaufwand, den die Bearbeitung der 81 Versicherungsverträge für die Beklagte mit sich gebracht hätten, überhaupt keine Zusatzkosten oder aber ein gewisser Betrag anzusetzen ist, der den dargelegten Provisionsverlust jedenfalls nicht aufzehrt, so kann dies auch dann nicht zur vollständigen Klageabweisung führen, wenn die Beklagte – wie das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Landgerichts beanstandet hat – zur Struktur ihres Unternehmens, zur Anzahl ihrer Mitarbeiter, die mit derartigen Abrechnungen betraut sind, und zu dem Verhältnis dieser Kosten zu den Gesamtumsätzen der Beklagten nichts vorgetragen hat. Im Rahmen der Schätzung muss der Richter selbst nicht vorgetragene Tatsachen nach freiem Ermessen berücksichtigen (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1991, a.a.O., unter 3 a m.w.N.) und, soweit dies erforderlich ist, vor einer vollständigen Abweisung der Klage auch über den Sachvortrag hinaus in eine Aufklärung durch Sachverständigengutachten eintreten (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1993, a.a.O.).
(3) Nichts anderes gilt für die vom Berufungsgericht angesprochene Möglichkeit, dass die vom Kläger vermittelten Versicherungen zum Teil storniert worden wären. Die Stornierungsquote liegt nach dem zugrunde zu legenden Vorbringen der Beklagten bei höchstens 30 % bzw. 50 % und rechtfertigt daher ebenfalls nicht die Annahme, dass der Beklagten durch das vertragswidrige Verhalten des Klägers überhaupt kein Schaden entstanden ist. Auch hinsichtlich der Frage, welche Stornierungsquote einer Schätzung zugrunde zu legen ist, kommt eine Aufklärung durch ein Sachverständigengutachten in Betracht.
III. Da die Revision Erfolg hat, ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). In der Sache selbst kann der Senat schon deshalb nicht entscheiden, weil das Berufungsgericht keine Feststellungen zum Grund des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs getroffen hat; die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 und 3 ZPO).