Grenzüberschreitender Versendungskauf, besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes
Grenzüberschreitender VertriebEin Handelsvertreter mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland hatte für ein in Italien ansässiges, Holzwaren vertreibendes Unternehmen Geschäfte mit Abnehmern in Deutschland vermittelt, sowie auf eigene Rechnung Holzwaren bezogen. Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses ging es um eine unstreitige Kaufpreisforderung aus zwei Lieferungen sowie um Provisionsforderungen und Ausgleichsanspruch aus dem beendeten Handelsvertreterverhältnis. Das italienische Unternehmen hatte den Handelsvertreter an seinem Geschäftssitz in Italien auf Zahlung der Kaufpreisforderungen verklagt. Der Handelsvertreter hält die Kaufpreisforderungen aufgrund einer von ihm erklärten Aufrechnung mit Gegenforderungen auf Provision und Handelsvertreterausgleich für erloschen. Die von ihm hierauf gestützte negative Feststellungsklage hat er vor der Zahlungsklage des Unternehmens bei dem für seinen Geschäftssitz zuständigen Landgericht in München erhoben. Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung des beklagten Unternehmens das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage als unzulässig abgewiesen. Nach Auffassung des VIII. Zivilsenats des BGH hält die Begründung, mit der das Berufungsgericht die Zulässigkeit der Klage verneint hat, einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Das Berufungsgericht sei zu Unrecht von einem Fehlen der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte ausgegangen, die auch unter Geltung des § 545 Abs. 2 ZPO in jedem Verfahrensabschnitt von Amts wegen zu prüfen ist. Nach Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVVO kann eine Person, die ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats hat, vor dem Gericht desjenigen Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, verklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden. Für den Verkauf beweglicher Sachen wird diese Bestimmung in Art. 5 Nr. 1 lit. b 1. Spiegelstrich EuGVVO dahin ergänzt, dass im Sinne dieser Vorschrift und sofern nichts anderes vereinbart worden ist, der Erfüllungsort der Verpflichtung der Ort in einem Mitgliedsstaat ist, an dem die Sachen nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen. In der Rechtsprechung und im Schrifttum ist für den Verkauf beweglicher Sachen umstritten, an welchen Ort bei Fehlen einer bestimmten Vereinbarung der Vertragsparteien im Fall einer Versendung der Sachen für die Zuständigkeitsbestimmung anzuknüpfen ist.
Rechtsfehlerfrei habe das Berufungsgericht davon abgesehen, die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen aus dem Handelsvertreterverhältnis der Parteien unter Anwendung des Art. 6 Nr. 3 EuGVVO zur Bestimmung des Erfüllungsortes heranzuziehen, denn Gegenstand des Rechtsstreits sind allein die Kaufpreisforderungen der Beklagten, deren Fortbestand der Kläger verneint. Demgegenüber stellt die Aufrechnung mit den erhobenen Gegenforderungen lediglich ein Verteidigungsmittel dar, auf das Art. 6 Nr. 3 EuGVVO keine Anwendung findet.
Nicht gefolgt werden könne dem Berufungsgericht dagegen, soweit es für eine Bestimmung des Erfüllungsortes im Sinne von Art. 5 Nr. 1 lit. b 1. Spiegelstrich EuGVVO auf den Absendeort als den Übergabeort an den Beförderer abgestellt hat. Für die Bestimmung des Ortes in einem Mitgliedsstaat, an den die verkauften beweglichen Sachen nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen, ist ohne Rückgriff auf das hier nach Art. 31 lit. b CISG zum italienischen Sitz der Beklagten weisende materielle Recht für den autonom zu bestimmenden Begriff des Lieferortes im Sinne von Art. 5 Nr. 1 lit. b 1. Spiegelstrich EuGVVO an den Ort anzuknüpfen, an den die mit dem Kaufvertrag erstrebte Übertragung der Sache vollständig abgeschlossen ist und der Käufer die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Waren erlangt hat oder hätte erlangen müssen (EuGH, Urteil vom 25.02.2010, NJW 2010, 1059). Das war nach den insoweit unter Bezugnahme auf die jeweiligen Transportdokumente getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts der Sitz des Klägers in Deutschland.
Nach Art. 27 EuGVVO hat das später angerufene Gericht, vorliegend das Gericht in Italien, das bei ihm anhängige Verfahren von Amts wegen auszusetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen deutschen Gerichts feststeht, um sich für unzuständig zu erklären, soweit dessen Zuständigkeit feststeht. Da der hier normierte Grundsatz der zeitlichen Priorität auch dann eingreift, wenn einerseits eine negative Feststellungsklage und anderseits eine Leistungsklage erhoben worden sind, würde das Rechtsschutzinteresse des Klägers für eine negative Feststellungsklage deshalb selbst dann nicht entfallen, wenn die Beklagte ihre Zahlungsklage nicht mehr einseitig zurücknehmen könnte. Denn das mit der Zahlungsklage befasste italienische Gericht ist bei der von ihm zu erwartenden Befolgung des Art. 27 EuGVVO nicht in der Lage, eine für den Vorrang der Leistungsklage erforderliche Sachentscheidung zu treffen.