Unzulässigkeit des Nachschiebens von Kündigungsgründen, um den Ausgleich des Handelsvertreters auszuschließen

Handelsvertreterrecht

Artikel 18 lit. a der Richtlinie 86/653/EWG

Artikel 18 Buchst. a der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter lässt es nicht zu, dass ein selbständiger Handelsvertreter seinen Ausgleichsanspruch verliert, wenn der Unternehmer ein schuldhaftes Verhalten des Handelsvertreters feststellt, das nach dem Zugang der ordentlichen Kündigung des Vertrags und vor Vertragsende stattgefunden hat und dass eine fristlose Kündigung des Vertrags gerechtfertigt hätte.

EuGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 – C-203/09 (Volvo Car Germany), Anmerkung von Dr. Michael Christoph

1. Problembeschreibung

Der EuGH hatte sich mit einem Vorabentscheidungsersuchen des BGH zu befassen, in dem es um die Frage ging, ob und inwieweit es zulässig ist, den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters gemäß § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB auszuschließen, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis zunächst ordentlich gekündigt hat, ihm jedoch nach Vertragsende Gründe bekannt werden, die eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten (BGH, Beschl. v. 29.04.2009, Az. VIII ZR 276/07, VersR 2009, 1116).

Der konkrete Fall betraf einen Kfz-Vertragshändler, dem die deutsche Tochtergesellschaft des Automobilherstellers ordentlich gekündigt hatte. Der Händler machte einen Handelsvertreterausgleich geltend, die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 89 b HGB lagen vor. Nachdem das Vertragsverhältnis beendet war, stellte der Unternehmer fest, dass der Händler sich nach der Kündigung bis zum Vertragsende in fortgesetzter Weise vertragswidrig verhalten hatte, so dass nach Auffassung des BGH eine fristlose Kündigung des Vertrages gerechtfertigt gewesen wäre, wenn dem Unternehmer das Fehlverhalten des Händlers vor Vertragsende bekannt geworden wäre.

In seinem Vorlagebeschluss vom 29.04.2009 (a.a.O.) hat der BGH ausführlich seine jahrzehntelange Rechtsprechung wiedergegeben, nach der es für den Ausschluss des Ausgleichsanspruchs gemäß § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB nicht darauf ankommt, dass der wichtige Grund für die Kündigung des Unternehmers ursächlich gewesen ist, sondern es ausreicht, dass im Zeitpunkt der Kündigung ein solcher Kündigungsgrund objektiv vorlag. Darüber hinaus sei § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB entsprechend anzuwenden, wenn der Unternehmer fristgerecht gekündigt hat, der Handelsvertreter sich jedoch zwischen Kündigung und Vertragsende eines Verhaltens schuldig macht, das eine fristlose Kündigung durch den Unternehmer gerechtfertigt hätte, von dem dieser aber erst nach Vertragsende erfährt. Zur Begründung führt der BGH an, es sei nicht einzusehen, warum der Handelsvertreter in solchen Fällen besser gestellt sein sollte, in denen es ihm gelingt, sein Fehlverhalten bis zur Vertragsbeendigung zu verheimlichen. Der Handelsvertreter sei hier ebenso wenig schutzwürdig, wie ein Handelsvertreter, dessen Fehlverhalten rechtzeitig aufgedeckt wird.

An dieser Rechtsprechung wollte der BGH festhalten, sah sich daran jedoch gehindert, weil in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur verstärkt die Auffassung vertreten wurde, sie lasse sich nicht mit Artikel 18 lit. a der Richtlinie 86/653/EWG (im Folgenden: Handelsvertreter-Richtlinie) vereinbaren. In § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB sei zwar formuliert, der Ausgleichsanspruch bestehe nicht, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorlag. Artikel 18 lit. a der Handelsvertreter-Richtlinie gehe jedoch vor und danach könne der Ausgleichsanspruch nur ausgeschlossen werden, wenn der Unternehmer den Vertrag wegen eines schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters beendet hat. Demnach müsse der den Ausgleich ausschließende Grund ursächlich für die Kündigung des Unternehmers gewesen sein (so z. B. das Berufungsgericht OLG Frankfurt/M., Urt. v. 31.07.2007, Az. 5 U 255/03; ferner OLG Koblenz, Urt. v. 22.03.2007, NJW-RR 2007, 1044; OLG Rostock, Urt. v. 04.03.2009, Az. 1 U 57/08; v. Hoyningen-Huene, MünchKomm. z. HGB, 2. Aufl., § 89 b HGB, Rn. 173; Baumbach/Hopt, Kommentar z. HGB, 33. Aufl., § 89 b HGB, Rn. 66).

Der BGH bat daher den EuGH zu prüfen, ob Art. 18 a der Richtlinie es erlaubt, den Ausgleichsanspruch auch dann auszuschließen, wenn ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung des Vertrags wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters im Zeitpunkt der ordentlichen Kündigung zwar vorlag, diese aber für die Kündigung nicht ursächlich war, und – falls ja – ob ein Ausgleichsausschluss auch zulässig ist, wenn ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung des Vertrags wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters erst nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung eintritt und dem Unternehmer erst nach Vertragsbeendigung bekannt wird, so dass er eine weitere, auf das schuldhafte Verhalten des Handelsvertreters gestützte fristlose Kündigung des Vertrags nicht mehr aussprechen kann.

2. Rechtliche Wertung

Der EuGH bestätigte in seinem Urteil vom 28.10.2010 zwar, dass es unerheblich sei, dass im konkreten Fall ein Vertragshändlerverhältnis betroffen war, weil nach deutschem Recht unter den gegebenen Voraussetzungen § 89 b HGB analog zur Anwendung gelangt und daher die Handelsvertreter-Richtlinie maßgeblich ist. Im Übrigen teilte er die Einschätzung des BGH jedoch nicht.

Die erste Vorlagefrage hielt der EuGH bereits für unzulässig, weil sie sich auf einen hypothetischen Fall beziehen würde, der dem Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits offensichtlich nicht entspreche und damit für dessen Entscheidung unerheblich sei.

Die zweite Vorlagefrage beantwortete der EuGH in dem im Leitsatz wiedergegebenen Sinne. Maßgeblich dafür sei, dass der Unionsgesetzgeber die Präposition „wegen“ verwendet hat, so dass offensichtlich zwischen dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters und der Entscheidung des Unternehmers, den Vertrag zu beenden, ein unmittelbarer Ursachenzusammenhang bestehen müsse. Dies werde durch die verschiedenen Sprachfassungen des Artikels 18 lit. a der Handelsvertreter-Richtlinie in den verschiedenen Mitgliedstaaten gestützt. Dort werde die gleiche Präposition verwendet, in der englischen Fassung z. B. „because of“, in der französischen „pour“.
Ferner spreche die Entstehungsgeschichte der Handelsvertreter-Richtlinie dafür. Im Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission hieß es zunächst, der Ausgleichsanspruch bestehe nicht, wenn der Unternehmer den Vertrag wegen eines vertragswidrigen Verhaltens des Handelsvertreters, das den Unternehmer zur fristlosen Kündigung berechtigt, „gekündigt hat oder hätte kündigen können“. Während der BGH in seinem Vorlagebeschluss argumentiert hatte, es sei nicht ersichtlich, dass die endgültige Fassung des Artikel 18. lit. a der Handelsvertreter-Richtlinie an diesem Vorschlag inhaltlich etwas hätte ändern sollen, kommt der EuGH genau zum gegensätzlichen Schluss: Der Unionsgesetzgeber habe den letztgenannten Grund gerade nicht in die Richtlinie aufgenommen. Schließlich sei Artikel 18 lit. a als Ausnahme vom Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters grundsätzlich eng auszulegen.
Im Ergebnis ist es nach Auffassung des EuGH somit nicht mehr möglich, die in Artikel 18 lit. a der Handelsvertreter-Richtlinie vorgesehene Regelung anzuwenden, wenn der Unternehmer erst nach Vertragsende von dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters erfährt. Der Ausgleichsanspruch könne nicht versagt werden, wenn der Unternehmer, nachdem er den Vertrag gegenüber dem Handelsvertreter ordentlich gekündigt hat, ein schuldhaftes Verhalten des Handelsvertreters feststellt, dass eine fristlose Kündigung des Vertrages gerechtfertigt hätte.

Möglich bleibe es allerdings, das Verhalten des Handelsvertreters bei der Höhe des Ausgleichs im Rahmen der Billigkeitsprüfung zu berücksichtigen. Hierzu hatte der BGH darauf hingewiesen, dass es sogar möglich sei, aus Billigkeitsgründen den Ausgleichsanspruch vollständig zu versagen, die Billigkeitsprüfung aber eine andere Qualität habe und im Ermessen des Gerichts stehe, während § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB den Ausgleichsanspruch zwingend bereits dem Grunde nach ausschließt.

3. Praktische Folgen

Die Entscheidung des EuGH war – leider – zu erwarten, obwohl der BGH seine Auffassung gut begründet und auch die Unterstützung des zuständigen Generalanwalts beim EuGH gefunden hatte. Es zeigt sich einmal mehr, dass der EuGH sehr rechtstheoretisch urteilt. Praktische Erwägungen spielen offenbar nur eine untergeordnete Rolle.

Letztlich hat der EuGH auch die erste Vorlagefrage des BGH beantwortet und klargestellt, dass für den Ausgleichsausschluss stets ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters und der Kündigung bestehen muss. Die Entscheidung des EuGH führt dazu, dass der BGH seine Rechtsprechung aufgeben muss und zukünftig der Handelsvertreter noch mit einem Ausgleichsanspruch belohnt wird, dem es gelingt, sein vertragswidriges Verhalten bis zum Vertragsende zu verbergen, so dass der Unternehmer keine Möglichkeit mehr hat, mit einer fristlosen Kündigung zu reagieren.
Der BGH hat in seinem Vorlagebeschluss zutreffend darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit, die Verfehlungen des Handelsvertreters bei der Höhe des Ausgleichs im Rahmen der Billigkeitsprüfung zu würdigen, unzureichend ist. Auch wenn der BGH bereits die Möglichkeit eröffnet hat, den Ausgleichsanspruch aus Billigkeitsgesichtspunkten auf Null zu reduzieren, zeigt die Praxis, dass die Gerichte davon nur selten Gebrauch machen. Sie werden in vielen Fällen dazu neigen, dem Handelsvertreter allenfalls einen etwas geringeren Ausgleich zuzusprechen. Dies zeigt nicht zuletzt die Ausgangsentscheidung des OLG Frankfurt/M. vom 31.07.2007. Obwohl dem Vertragshändler nach Feststellung des BGH ein Verhalten zur Last zu legen war, das den Unternehmer bei rechtzeitiger Aufdeckung zur fristlosen Kündigung berechtigt und zum Ausschluss des Ausgleichsanspruchs geführt hätte, hat das OLG nicht nur den Ausgleichsausschluss verneint, sondern auch keine Veranlassung gesehen, den Ausgleich aus Billigkeitsgründen zu vermindern oder gar auf Null herabzusetzen. Dass es zukünftig vom Zufall oder der Geschicklichkeit des Handelsvertreters abhängen soll, ob ihm ein Ausgleichsanspruch zusteht, weil der Unternehmer von seinen Vertragsverletzungen erst nach Vertragsbeendigung erfährt (was in der Praxis gar nicht so selten ist), kann nicht überzeugen.

Den Unternehmern muss geraten werden, nach Ausspruch einer ordentlichen Kündigung das Verhalten des Handelsvertreters genau zu beobachten und gegebenenfalls noch vor Vertragsende eine weitere fristlose Kündigung auszusprechen, wenn der Handelsvertreter seine vertraglichen Pflichten verletzt.

Es bleibt abzuwarten, ob der BGH bei Gelegenheit ein grundsätzliches Urteil dahingehend fällt, dass in den hier relevanten Konstellationen, in denen bislang der Ausgleich gemäß § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB ausgeschlossen war, der Anspruch im Regelfall aus Billigkeitsgesichtspunkten auf Null zu reduzieren ist, weil die gesetzgeberische Wertung, die in § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB zum Ausdruck kommt, beachtet werden muss. Die Billigkeitsprüfung ist revisionsrechtlich allerdings nur eingeschränkt überprüfbar.

Rechtsanwalt Dr. Michael Christoph ist als Rechtsanwalt für die Anwaltskanzlei Küstner, v. Manteuffel in Göttingen tätig.

Rechtsprechung zur Besprechung
C 203/09 – Europarechtskonforme Auslegung des § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB