Unzulässigkeit übermäßig langer Kündigungsfristen in Verträgen mit Handelsvertretern im Nebenberuf

Handelsvertreterrecht

HGB § 92 b Abs. 1 Satz 2; BGB § 307 Abs. 1 Satz 1

a) Eine gegenüber einem Handelsvertreter im Nebenberuf verwendete Formularbestimmung, wonach eine Vertragskündigung nach einer Laufzeit von drei Jahren nur unter Einhaltung einer Frist von 12 Monaten auf das Ende eines Kalenderjahres zulässig ist, ist wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam.
b) Eine gegenüber einem Handelsvertreter verwendete Formularbestimmung, wonach der Handelsvertreter eine Vertragsstrafe unabhängig vom Verschulden verwirkt, ist unwirksam.

BGH, Urteil vom 21.03.2013 – VII ZR 224/12 (OLG Oldenburg), Anmerkung von RA Dr. Michael Hallermann-Christoph

1. Problembeschreibung

Der BGH hatte zu klären, inwieweit in einem Vertrag mit einem Handelsvertreter im Nebenberuf eine Kündigungsfrist vereinbart werden kann, die über die gesetzlich vorgesehene Frist hinausgeht. Ferner war die Wirksamkeit der Vertragsstraferegelung für Verstöße des Vertreters gegen das Wettbewerbsverbot zu prüfen. Diesbezüglich setzte der BGH seine Rechtsprechung fort und stellte nur lapidar fest, dass eine Klausel in AGB, wonach eine Vertragsstrafe unabhängig vom Verschulden des Vertragspartners verwirkt werden könne, diesen regelmäßig unangemessen benachteilige. Das treffe in dem zu entscheidenden Fall zu, weil die streitgegenständliche Vereinbarung kein (ausdrückliches) Verschuldenserfordernis vorsah. Die nachstehende Anmerkung befasst sich daher nur mit dem ersten Komplex.

§ 92 b HGB bestimmt u. a., dass auf einen Handelsvertreter im Nebenberuf § 89 HGB nicht anzuwenden ist. Dieser schreibt für den hauptberuflichen Handelsvertreter je nach Dauer der Vertragslaufzeit gestaffelte Mindestkündigungsfristen zwischen einem und sechs Monaten vor. Stattdessen ist der Vertrag mit einer Frist von einem Monat zum Ende eines Kalendermonats kündbar. Wird eine andere Kündigungsfrist vereinbart, so muss sie für beide Teile gleich sein.

In dem konkreten Fall hatten die Parteien in einem Formularvertrag geregelt, dass das Vertragsverhältnis während der ersten sechs Monate mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende gekündigt werden kann, nach Ablauf dieser Vertragszeit die Kündigung nur noch mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende eines Kalenderjahres zulässig ist und nach einer Vertragszeit von drei Jahren nur noch unter Einhaltung einer Frist von 12 Monaten auf das Ende eines Kalenderjahres.

Das OLG Oldenburg als Berufungsgericht (Urteil vom 24.07.2012 – 13 U 13/12) hatte die Kündigungsregelung als wirksam erachtet und sich damit ausdrücklich gegen einen Beschluss des OLG Celle vom 09.06.2005 (11 U 110/05, OLGR 2005, 650) gestellt. Das OLG Celle war zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Kündigungsfrist von 12 Monaten zum Ende eines Kalenderjahres einen Handelsvertreter im Nebenberuf unangemessen benachteilige und daher unwirksam sei.

Das Problem langer Kündigungsfristen, die weit über das gesetzlich vorgesehene Maß hinausgehen, stellt sich vor allem im Bereich der Versicherungen und Finanzdienstleistungen, und zwar sowohl bei nebenberuflichen, als auch bei hauptberuflichen Vertretern. In der Regel steht dabei weniger der Schutz des Vertreters vor einer vermeintlich zu kurzen Kündigungsfrist im Mittelpunkt, sondern der Wunsch des Unternehmens, einen Vertreter, der eventuell kurzfristig zu einem Konkurrenten wechseln will, noch möglichst lange am Vertretervertrag, dem schon von Gesetzeswegen ein Konkurrenzverbot innewohnt (§ 86 Abs. 1 HGB), festhalten zu können.

Insoweit handelte es sich um eine typische Konstellation: Der Vertreter hatte im Mai 2010 mit einer Frist von sechs Monaten zum Monatsende gekündigt, das Unter-nehmen – nachdem der Vertreter mehr als drei Jahre tätig gewesen war – auf Einhaltung der vereinbarten Kündigungsfrist bis zum 31.12.2011 bestanden. Im Verlauf der Auseinandersetzung kündigte der Vertreter im Juli 2010 fristlos und nahm zum 01.08.2010 eine Konkurrenztätigkeit auf. Das Unternehmen erhob Klage auf Auskunft, Zahlung der vereinbarten Vertragsstrafe und hilfsweise Schadensersatz für die Zeit vom 01.08.2010 bis 31.12.2011.

2. Rechtliche Wertung

Der BGH schloss sich der Auffassung des OLG Celle an. Er stellte fest, dass die formularmäßige Vereinbarung einer Kündigungsfrist von 12 Monaten zum Jahres-ende in einem Vertrag mit einem Handelsvertreter im Nebenberuf unwirksam ist. Sie benachteilige den Vertreter unangemessen, weil zwar grundsätzlich eine längere Kündigungsfrist als gesetzlich vorgesehen, vereinbart werden kann, das Vertragsverhältnis mit einem Handelsvertreter im Nebenberuf seinem Wesen nach aber in der Regel weniger auf Dauer berechnet ist, als das mit einem hauptberuflichen Vertreter. Ein nebenberufliches Handelsvertreterverhältnis soll nach der gesetzlichen Regelung rascher beendet werden können. Wenn angesichts dessen die gesetzliche Kündigungsfrist von einem Monat durch eine Vertragsregelung u. U. auf bis zu 23 Monate verlängert werden könne, stelle dies eine unangemessene Benachteiligung des Vertreters dar.

Dass die verkürzte Kündigungsfrist im Gesetzgebungsverfahren mit einer geringeren Schutzbedürftigkeit des Handelsvertreters im Nebenberuf begründet wurde und der Gesetzgeber vor allem eine rasche Beendigungsmöglichkeit durch den Unternehmer im Blick gehabt habe (auf die er auch verzichten könne), stelle keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für die Inhaltskontrolle dar. Vielmehr komme es darauf an, dass der Handelsvertreter im Nebenberuf auf eine Beendigung des Vertragsverhältnisses in absehbarer Zeit angewiesen sein kann, z. B. um einen Existenz sichernden Hauptberuf bei einem konkurrierenden Unternehmer zu ergreifen. Die in Rede stehende Klausel würde den Vertreter daher in seiner Flexibilität und Mobilität unverhältnismäßig beeinträchtigen.

Der BGH hat damit einen Streit in Rechtsprechung und Literatur entschieden, wenn auch zunächst nur für einen Extremfall. Kündigungsfristen können nicht nur unangemessen kurz, sondern auch unangemessen lang sein. Der BGH hat der Ansicht eine Absage erteilt, dass längere Kündigungsfristen vor allem dem Schutz des Vertreters dienen, sondern herausgearbeitet, dass es für den Vertreter auch unzumutbar sein kann, übermäßig lang am Vertrag festgehalten zu werden. Dem ist zuzustimmen. Es mag sein, dass der Gesetzgeber in erster Linie die Interessen des Unternehmers im Blick hatte, als er für den Handelsvertreter im Nebenberuf eine deutlich geringere Kündigungsfrist normierte, als für den hauptberuflichen Handelsvertreter. Dies bedeutet aber nicht, dass ein Handelsvertreter nicht ein schützenswertes Interesse daran haben kann, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums aus dem Vertragsverhältnis wieder herauszukommen. Es ist auch nicht ersichtlich, welches anerkennenswerte Interesse ein Unternehmer daran haben soll, einen Handelsvertreter im Nebenberuf, der das Vertragsverhältnis beenden möchte, noch derart lang am Vertrag festzuhalten. In der Praxis geht es fast immer nur darum, ein Abwandern zur Konkurrenz zu verhindern, ohne ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbaren zu müssen, das gemäß § 90 a HGB entschädigungs-pflichtig wäre.

Bedauerlich ist allerdings, dass der BGH nicht auch über die Wirksamkeit der eben-falls in der streitigen Vereinbarung enthaltenen Regelung entschieden hat, nach der nach den ersten sechs Monaten eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Jahresende gelten sollte. Hierzu hätte Anlass bestanden. Die Entscheidung des BGH führt nämlich dazu, dass nur der letzte Satz der vertraglichen Kündigungsregelung unwirksam ist. Dass sie damit insgesamt unwirksam wäre, ist nicht ersichtlich, zu-mal sie auch nach Wegfall der letzten Stufe eine taugliche Regelung ergibt.

Das Vorgehen des BGH erstaunt vor allem deshalb, weil er offenbar davon aus-ging, dass das Vertragsverhältnis aufgrund der unwirksamen fristlosen und damit in eine ordentliche umzudeutende Kündigung des Vertreters im Juli 2010 zum 31.08.2010 enden würde. Nachdem der Vertreter zunächst selbst ordentlich mit einer Frist von sechs Monaten gekündigt hatte und die (verbleibende) vertragliche Vereinbarung nach einer Vertragsdauer von sechs Monaten eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Jahresende vorsah, erscheint das Ergebnis des BGH zweifelhaft.

Letztlich bleibt damit offen, wo die Grenze verläuft zwischen einer gerade noch zulässigen Verlängerung der gesetzlich vorgesehenen Kündigungsfrist und einer für den Vertreter unangemessen langen Kündigungsfrist. Dabei wird immer auch zu bedenken sein, dass es nicht nur auf die Kündigungsfrist selbst, sondern auch auf das Zusammenspiel mit einem vereinbarten Kündigungszeitpunkt ankommt.

3. Praktische Folgen

Extrem lange Kündigungsfristen in Verträgen mit Handelsvertretern im Nebenberuf dürften sich in Formularverträgen zukünftig als unwirksam erweisen. Wann die Grenze zu einer übermäßig langen Kündigungsfrist überschritten ist, bleibt allerdings unklar. Hier wird man die weitere Rechtsprechung abwarten müssen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist jedenfalls ein Abweichen von der Kündigungsfrist in § 92 b Abs. 1 HGB grundsätzlich zulässig. In der Praxis wird zukünftig bei der Länge der Kündigungsfrist bzw. der Verknüpfung zwischen Kündigungsfrist und Kündigungszeitpunkt aber vermutlich zurückhaltender vorgegangen.

Ob sich die Entscheidung des BGH auf die Vereinbarung von langen Kündigungs-fristen in Verträgen mit Handelsvertretern im Hauptberuf übertragen lässt, erscheint zweifelhaft. Auch bei hauptberuflichen Vertretern gibt es – vor allem wiederum im Bereich der Versicherungen und Finanzdienstleistungen – die Tendenz, mit möglichst langen Kündigungsfristen ein Abwandern der Vertreter zur Konkurrenz zu erschweren. Die Rechtsprechung der OLG hat darin bislang keine Wirksamkeitsprobleme gesehen (z. B. OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.10.2005 – I-16 U 161/04: Verlängerung der Kündigungsfrist auf 30 Monate; OLG Brandenburg, Urt. v. 14.07.1998 – 6 U 20/97: Kündigung nur zum Ablauf eines jeden dritten Kalenderjahres mit einer Frist von neun Monaten möglich; ebenso zur gleichen Regelung OLG Schleswig, Urt. v. 13.06.1997 – 14 U 18/96 und KG, Urt. v. 26.06.1997 – 2 U 4731/96). Die Grundgedanken des BGH können indes ebenso bei einem hauptberuflichen Vertreter zutreffen. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass lange Kündigungsfristen auch dem Schutz des Vertreters dienen. Hier müsste im Einzel-fall abgewogen werden. Abstrakt gesehen dürfte die Interessenlage bei einem Vertragsverhältnis mit einem hauptberuflich tätigen Handelsvertreter insgesamt nicht mit der bei einem nebenberuflichen Vertreter zu vergleichen sein.

Dr. Michael Hallermann-Christoph ist Rechtsanwalt und Partner der ausschließlich auf dem Gebiet des Vertriebsrechts tätigen Anwaltskanzlei Küstner, v. Manteuffel in Göttingen.

Rechtsprechung zur Besprechung
VII ZR 224/12 – Unzulässigkeit übermäßig langer Kündigungsfristen in Verträgen mit Handelsvertretern im Nebenberuf