Zur Beurteilung der Scheinselbstständigkeit eines Versicherungsvertreters, Bedeutung des gewählten Vertragstyps, Pflicht zur Rückzahlung von Provisionsvorschüssen

Arbeitsrecht im Außendienst

Das BAG hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem der beklagte Versicherungsvertreter geltend machte, er sei tatsächlich als Arbeitnehmer anzusehen. In der Sache verlangte der Unternehmer gezahlte Provisionsvorschüsse zurück, die nach Auffassung des Vertreters als nicht rückzahlbare Aufbauhilfe anzusehen sein sollten.

Das BAG hat die Auffassung des Berufungsgerichts bestätigt, dass es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis handelte. Der Vertreter konnte seine Arbeitszeit im Wesentlichen selbst bestimmen. Dagegen spreche nicht, dass der Vertreter an die Öffnungszeiten des Agenturbüros gebunden war, dem er zugeordnet gewesen ist. Das BAG vermisste zudem substantiierten Tatsachenvortrag dazu, wann der Vertreter von dem Unternehmer Weisungen welchen Inhalts erhalten hätte. Die Verpflichtung, an einem bestimmten Wochentag an einer Besprechung teilzunehmen (jour fixe) stelle noch keinen mit der Selbstständigkeit unvereinbaren Eingriff in die Arbeitszeitsouveränität dar. Gleiches gelte für die vom Vertreter behauptete Vorgabe, er habe pro Woche 15 – 20 Kunden besuchen müssen und davon 3 – 4 in den Abendstunden. Zwar könne sich eine Weisungsgebundenheit aus der Festlegung eines in einer bestimmten Zeitspanne zu erledigenden Mindestsolls ergeben, vorliegend sei dem Vertreter aber ein erheblicher Spielraum verblieben.

Des Weiteren stellte das BAG fest, dass der Vertreter auch in der Gestaltung seiner Tätigkeit im Wesentlichen frei war. Ihm sei kein bestimmter Arbeitsort vorgegeben worden. Die bloße Zuordnung zu einer bestimmten Agentur begründe noch keinen Zwang, von dort aus tätig zu sein. Die Zuweisung eines bestimmten Bezirks oder eines bestimmten Kundenkreises sei ebenfalls mit dem Status eines selbstständigen Handelsvertreters vereinbar. Die Berichtspflichten gingen in dem zu entscheidenden Fall ebenso wenig über das nach § 86 Abs. 2 HGB jedem Handelsvertreter obliegende Maß hinaus. Dies gelte auch für die Vorlage von Wochenberichten und die Weisung, jeweils montags bis 12 Uhr eine Planung für die folgende Woche zu übermitteln, sofern diese Planung ohne verbindliche Vorgaben des Unternehmers eigenständig vom Handelsvertreter vorgenommen werden kann. Schließlich sei die Pflicht zur Teilnahme an einer Ausbildung zum Versicherungsfachmann mit der Selbstständigkeit vereinbar, wenn der Umfang der Ausbildung insgesamt 35 Arbeitstage im Jahr betrage. Die Ausbildung diene letztlich sowohl dem Unternehmer als auch dem Vertreter selbst.

Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung ist laut BAG schließlich auch zu berücksichtigen, welchen Vertragstypus die Parteien gewählt haben, wenn die zu beurteilende Tätigkeit sowohl selbstständig als auch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbracht werden kann. Spreche die tatsächliche Handhabung nicht zwingend für ein Arbeitsverhältnis, müssten sich geschäftlich nicht unerfahrene Parteien an dem von ihnen gewählten Vertragstypus festhalten lassen.

Die im Vertrag vereinbarte Aufbauhilfe bewertete das BAG als vom Vertreter zurückzuzahlenden Vorschuss. In den entsprechenden Regelungen war mehrmals der Begriff „gleichbleibender Vorschuss“ gewählt worden. Ferner sah der Vertrag vor, dass die Aufbauhilfe monatlich mit den erworbenen Ansprüchen auf Provision, der vereinbarten Bonifikation sowie sonstigen Vergütungen verrechnet werde, was ebenfalls gegen ein garantiertes Mindestentgelt spreche. Hinzu komme der allgemeine Sprachgebrauch, der ein Verständnis des Begriffs „Vorschuss“ als „Garantieeinkommen“, „Mindestentgelt“ oder „Fixum“ ausschließe. Vor diesem Hintergrund bestehe auch für die Anwendung der AGB-rechtlichen Unklarheitenregelung kein Raum.

Rechtsprechung zur Besprechung
5 AZR 332/09 – Zur Abgrenzung selbständiger Handelsvertreter / angestellter Reisender