Schuldhaftes Verhalten des Handelsvertreters kann Ausgleichsanspruch auch dann ausschließen, wenn es erst nach Vertragsende bekannt wird
Rechtstipp Ausgleichsanspruch, Handelsvertreterrecht!!! Beachte: abweichendes Urteil des EuGH vom 28.10.2010 !!!
Nach einer möglicherweise in Kürze ergehenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshof ist es mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar, dass der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89 b HGB auch dann ausgeschlossen ist, wenn der Handelsvertreter durch schuldhaftes Verhalten einen wichtigen Grund für eine Kündigung geschaffen, der Unternehmer dies aber erst nach Vertragsende erfahren hat.
Dies geht jedenfalls aus dem Schlussantrag des Generalanwalts am EuGH Yves Bot vom 03.06.2010 (Rechtssache C-203/09 Volvo Car Germany GmbH gegen Autohof Weidensdorf GmbH) bezüglich eines Vorabentscheidungsersuchens des BGH vom 29.04.2009 (Az. VIII ZR 226/07) hervor. Häufig folgt der EuGH den Schlussanträgen der Generalanwälte.
Eine entsprechende Entscheidung des EuGH hätte erhebliche Konsequenzen:
Nach § 89 b HGB kann ein Handelsvertreter – und unter bestimmten Voraussetzungen auch ein Vertragshändler – vom Unternehmer nach Vertragsende einen Ausgleich für Vorteile verlangen, die dem Unternehmer aus Geschäftsverbindungen mit neu geworbenen Kunden verbleiben, soweit die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht.
Der Ausgleichsanspruch ist allerdings nach § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB ausgeschlossen, wenn
der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorlag
Nach dem Wortlaut („und“) ist es also nicht erforderlich, dass der Unternehmer das Vertragsverhältnis mit dem Handelsvertreter wegen eines schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters gekündigt hat. Der wichtige Grund, der dem Unternehmer eine fristlose Kündigung erlaubt hätte, muss im Zeitpunkt der tatsächlich erfolgten ordentlichen Kündigung lediglich vorgelegen haben.
Dementsprechend hatte der Bundesgerichtshof im Jahr 1963 festgestellt, dass der wichtige Grund dem Unternehmer bei Ausspruch der Kündigung nicht bekannt gewesen sein müsse (Urteil vom 12.06.1963, Az. VII ZR 273/61). Kurz danach ging der BGH noch einen Schritt weiter: Er entschied, dass Sinn und Zweck des § 89 b HGB eine entsprechende Anwendung der Vorschrift in Fällen erforderten, in denen der Unternehmer fristgerecht gekündigt und der Handelsvertreter danach, jedoch vor Vertragsende, sich eines Verhaltens schuldig gemacht habe, das eine fristlose Kündigung durch den Unternehmer gerechtfertigt hätte, von dem dieser aber erst nach Vertragsende erfahren habe (Urteil vom 06.07.1067, Az. VII ZR 35/65).
Nach Erlass der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. EG Nr. L 382, Seite 17, im Folgenden: „Richtlinie“) kamen Zweifel an dieser Rechtsprechung auf. Hintergrund für diese Zweifel war, dass der Anspruch auf Ausgleich nach Art. 18 a der Richtlinie dann nicht bestehen soll,
wenn der Unternehmer den Vertrag wegen eines schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters beendet hat, das aufgrund der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine fristlose Beendigung des Vertrages rechtfertigt.
Weil Art. 18 a einen Kausalzusammenhang zwischen schuldhaftem Verhalten und Vertragsbeendigung vorsieht („wegen“), legte die jüngere obergerichtliche Rechtsprechung § 89 b HGB einschränkend aus: Ein schuldhaftes Verhalten des Handelsvertreters, von dem der Unternehmer erst nach Vertragsbeendigung Kenntnis erlangt hat, konnte danach den Ausgleichsanspruch nicht mehr ausschließen. Es konnte nur noch im Rahmen der Billigkeitsprüfung nach § 89 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB a.F. – ausgleichsmindernd – zu berücksichtigen sein (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 22.03.2007, 6 U 1313/06, OLG Frankfurt, Urteil vom 31.07.2007, 5 U 255/03; OLG Rostock, Urteil vom 04.03.2009, 1 U 57/08).
Das OLG Frankfurt ließ in der genannten Entscheidung allerdings die Revision zu. Der BGH legte sodann dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob der Wortlaut des § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB im Hinblick auf Artikel 18 a Richtlinie zu weit gefasst ist und ob aus diesem Grund die bisherige Rechtsprechung des BGH zu der Auslegung und der analogen Anwendung des § 89 b HGB aufgegeben werden müsste.
Diese Fragen hat der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen verneint. Der Wortlaut von Artikel 18 a der Richtlinie ist seines Erachtens nicht so klar, dass man auf ihn allein abstellen könnte. Aus dem Wortlaut sei nicht klar ersichtlich, ob
- das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters und der Kündigung
oder
- der Umstand, dass das Verhalten des Handelsvertreters während der Vertragslaufzeit vorlag
für den Ausschluss des Ausgleichsanspruchs ausschlaggebend ist.
Eine Auslegung der Richtlinie anhand ihrer Systematik und Ziele ergibt nach Ansicht des Generalanwalts, dass die zweite Alternative zutrifft: Der Unternehmer schuldet den Ausgleichsanspruch (u.a.) grundsätzlich dann nicht, wenn sich der Handelsvertreter während des Vertragsverhältnisses eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das eine fristlose Beendigung des Vertrages rechtfertigt, und der Unternehmer hiervon erst nach Vertragsende erfahren hat.
Handelsvertreter sind somit – nach wie vor – bestens beraten, sich auch nach Ausspruch einer ordentlichen Kündigung durch den Unternehmer vertragskonform zu verhalten. Eine den Schlussanträgen des Generalanwalts folgende Entscheidung des EuGH würde die Rechtsposition der Unternehmer stärken: Werden dem Unternehmer nach Vertragsende Gründe bekannt, die eine fristlose Kündigung des Vertragsverhältnisses während der Vertragslaufzeit gerechtfertigt hätten, so kann er die Zahlung eines Ausgleichsanspruchs gemäß § 89 b HGB verweigern. In Bezug auf nachvertraglich getroffene Vereinbarungen über die Zahlung des Ausgleichsanspruchs ist die Möglichkeit eines Rücktritts zu prüfen. Bereits gezahlte Beträge können – soweit keine Vereinbarung oder rechtskräftige Entscheidung vorliegt und auch keine Verjährung eingetreten ist – zurückgefordert werden.