Abgrenzung zwischen Versicherungsmakler und Versicherungsvertreter

1 U 100/04 Urteil verkündet am 9. März 2005 OLG Zweibrücken Versicherungsmaklerrecht

Oberlandesgericht Zweibrücken
Im Namen des Volkes
Urteil

Tenor

I. Auf die Berufung der Bekl. wird das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Frankenthal (Pfalz) vom 27. 5. 2004 geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kl. hat die Kosten des Rechtstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kl. darf die Zwangsvollstreckung der Bekl. durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Bekl. zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage die Feststellung, dass der zwischen den Parteien abgeschlossene Lebensversicherungsvertrag durch die Anfechtung der Beklagten wegen angeblichen Verschweigens von Vorerkrankungen nicht beendet sei und unverändert fortbesteht.

Dem Rechtsstreit lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Oktober 1997 beantragte die Klägerin bei der Beklagten (die zum damaligen Zeitpunkt als S. Assurance plc firmierte) den Abschluss eines Lebensversicherungsvertrags u. a. für den Fall des „Eintritts einer schweren Krankheit“ mit einer Versicherungssumme von 300.000,– DM.

Das Antragsformular wurde von der Klägerin am 14.10.1997 unterzeichnet. Ausgefüllt indes hat das Formular der Zeuge R., der die Klägerin in Versicherungsangelegenheiten bereits in den Jahren zuvor beraten und der ihr schon mehrere Versicherungsverträge, darunter auch Berufsunfähigkeitsversicherungen, vermittelt hatte.

In dem Antragsformular der Beklagten kreuzte der Zeuge R. bei allen Gesundheitsfragen das Kästchen für „Nein“ an mit Ausnahme bei der unter Nr. 10 a gestellten Frage, ob in den letzten zehn Jahren stationäre Untersuchungen, Operationen, Krankenhaus- oder Kuraufenthalte stattgefunden haben bzw. vorgesehen seien. Bei dieser Frage kreuzte er das Kästchen für „Ja“ an, und erläuterte hierzu mit handschriftlichem Vermerk:

„Entbindung – 09/92 – 1 Woche Klinikum, Mannheim“. Unter Nr. 13, wo nach der Anschrift des Hausarztes oder dem Arzt gefragt wird, der über die Gesundheitsverhältnisse am besten unterrichtet ist, vermerkte er handschriftlich: „kein Hausarzt“.

Im November 1997 kam sodann aufgrund des Antrags zwischen den Parteien der Lebensversicherungsvertrag („P.“ Vorsorge-Plan) mit der Nr. […] 10I zustande, über den die Beklagte der Klägerin die Versicherungsscheine mit den Nr. ..10I-01 bis ..10I-10 aushändigte. Versicherungsbeginn war der 01.12.1997.

Mit Schreiben vom 17.03. und 15.04.2002 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten den Eintritt eines Leistungsfalls geltend, verlangte Beitragsrückerstattung und die Auszahlung der Versicherungssumme in Höhe von 153.387,56 Euro (300.000,– DM). Hierbei berief sie sich auf verschiedene Erkrankungen („LWS-Protrusio, HWS-Protrusio, BWS-Skoliose und Hüftgelenkschmerzen“) und gab in dem Leistungsantrag vom 09.04.2002 auf Frage an, dass die geltend gemachten Erkrankungen „seit 11/1999“ bestünden und sie „ab 11/99“ bei dem Internisten Dr. M. aus B. in Behandlung sei.

Bei der daraufhin erfolgten Überprüfung stellte die Beklagten fest, dass für die Klägerin bereits vor Vertragsabschluss folgende ärztliche Diagnosen erstellt worden waren:

April 1993: Schulter-Arm-Syndrom und BWS-Syndrom
Juli 1993: Skoliose
September 1993: LWS-Syndrom
Juni 1996: LWS-Syndrom
Mai 1997: Wirbelsäulensyndrom

Die Beklagten erklärte daraufhin mit Schreiben vom 22.07.2002 die Anfechtung des Lebensversicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung.

Das LG hat der Klage stattgegeben.

Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe

Die Feststellungsklage ist unbegründet, weil die Beklagten den Lebensversicherungsvertrag mit der Klägerin wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten hat (§§ 22 VVG, 123 Abs. 1 BGB). Der Versicherungsvertrag ist somit nach § 142 Abs. 1 BGB nichtig.

Dass sich die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien nach deutschem Recht beurteilen, ergibt sich aus Ziff. 13.1 der AVB der Beklagten, deren Geltung die Parteien unstreitig vereinbart und durch ihr Verhalten im vorliegenden Rechtsstreit dadurch bestätigt haben, dass sie sich ausschließlich auf deutsche Rechtsvorschriften berufen (vgl. BGH vom 04.05.2004 – XI ZR 40/03).

Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Mit Schreiben vom 22.07.2002 hat die Beklagten „die Anfechtung des Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung“ erklärt (§ 143 Abs. 1 BGB). Das Schreiben war unstreitig von C. unterschrieben, der nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils (zu seiner Beweiskraft vgl. z.B. BGHZ 140, 339 = VersR 99, 902), dessen Berichtigung nicht beantragt wurde, von der Beklagten dazu bevollmächtigt war.

2. Die Beklagten war zur Anfechtung nach den §§ 123 Abs. 1 BGB, 22 VVG berechtigt. Denn die Klägerin hat die Beklagten durch falsche Beantwortung der Gesundheitsfragen in ihrem Versicherungsantrag vom 14.10.1997 getäuscht (a) und dabei arglistig gehandelt (b).

a) Zwischen den Parteien ist nicht in Streit, dass der Versicherungsantrag zu den dort gestellten Gesundheitsfragen falsche Angaben enthält.
Obwohl bei der Klägerin 1993 – wiederum – eine Skoliose diagnostiziert wurde, sie vor allem in dem für die Gesundheitsfragen maßgeblichen Zeitraum, nämlich von Mitte Oktober 1992 bis Mitte Oktober 1997, in einer Vielzahl von Fällen an einem BWS- bzw. LWS-Syndrom gelitten hat und sich deswegen immer wieder in ärztliche Behandlung hat begeben müssen, wurden in ihrem Versicherungsantrag vom 14.10.1997 sämtliche Gesundheitsfragen, insbesondere die Fragen nach einer Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparats in den letzten fünf Jahren (Nr. 8 i) verneint und damit falsch beantwortet. Gleiches gilt für die Beantwortung der Frage nach dem behandelnden Arzt (Frage Nr. 13 des Versicherungsantrags). Obgleich die Klägerin sich ausweislich des in Kopie vorgelegten Auszugs der medizinischen Daten des Internisten Dr. M. bei diesem seit 1989 in ständiger Behandlung befunden hat, wurde bei der Frage Nr. 13 eingetragen: „kein Hausarzt“.

Die in diesen falschen Angaben liegende Täuschung der Beklagten hat die Klägerin selbst begangen, und nicht der Zeuge R. als Dritter, wie das LG meint. Denn die Erklärungen in dem Versicherungsantrag vom 14.10.1997 sind der Klägerin zuzurechnen. Sie trägt selbst vor, dass sie den Antrag „blanko“ unterschrieben und nach dem Ausfüllen nicht mehr angesehen hat. Wer aber eine Blanketturkunde mit seiner Unterschrift freiwillig aus der Hand gibt, muss den Inhalt gegenüber einem gutgläubigen Dritten – hier der Beklagten – sogar dann gegen sich gelten lassen, wenn die Blanketturkunde abredewidrig ausgefüllt wird (Palandt/Heinrichs, BGB 63. Aufl. § 173 Rn. 8 m.w.N.).

Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin auf die so genannte Auge-und-Ohr-Rechtsprechung des BGH. Nach dieser Rechtsprechung hat sich der Versicherer die Kenntnis eines Angestellten oder Vermittlungsagenten, die dieser in Ausübung der Stellvertretung bei der Entgegennahme des Antrags auf Abschluss eines Versicherungsvertrags erlangt, zurechnen zu lassen (BGH VersR 99, 1481; 01, 1498; vgl. auch 02, 425; 2004, 1297 m.w.N.).

Zwar hat die Klägerin zunächst behauptet, der Zeuge R., sei über ihren Gesundheitszustand genau informiert gewesen und habe ihre Wirbelsäulenbeschwerden gekannt. Dieser Vortrag steht jedoch im Widerspruch zu ihren Angaben bei der Anhörung durch den Senat. Danach habe sie den Zeugen „R. bis 1997 nicht über gesundheitliche Probleme, also auch nicht über Wirbelsäulenprobleme unterrichtet, weil […] (sie) ja nicht krank war und außer Kleinigkeiten keine gesundheitlichen Probleme hatte“. Die gesundheitlichen Probleme mit der Wirbelsäule seien vielmehr „erst […] 1999 im Rahmen eines eventuellen Wechsels zu einer anderen Krankenkasse angesprochen worden“. Lediglich zu Beginn der Beziehungen zu dem Zeugen R. habe sie erwähnt, als Kind, als 11-/12-Jährige, einmal wegen Skoliose behandelt worden zu sein, später aber nicht mehr. Diese Angaben vor dem Senat stimmen im Übrigen mit den Bekundungen des Zeugen R. insofern überein, als danach die Klägerin vor Abschluss des streitgegenständlichen Lebensversicherungsvertrags – wie in den Jahren zuvor – auf Frage nach Erkrankungen erklärt habe, „es sei alles in Ordnung“.

Aber auch dann, wenn der Zeuge R. über den Gesundheitszustand der Klägerin informiert gewesen wäre und ihre Wirbelsäulenbeschwerden gekannt hätte, kommt eine Wissenszurechnung im Sinne der Auge-und-Ohr-Rechtsprechung des BGH nicht in Betracht.

Voraussetzung einer solchen Wissenszurechnung ist nämlich, dass der Vermittler vom Versicherer zur Entgegennahme von Erklärungen bevollmächtigt, zumindest vom Versicherer damit betraut i. S. d. § 43 Nr. 1 VVG (vgl. BGH VersR 99, 1481) und damit in die Vertriebsorganisation des Versicherers eingebunden ist (OLG Hamm VersR 03, 1113). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Der Zeuge R. war nicht in die Vertriebsorganisation der Beklagten eingebunden. Er hat hierzu glaubhaft bekundet, dass er selbstständiger Finanzkaufmann ist. Demgemäß enthält sein Firmenstempel neben seinem Namen lediglich den Zusatz „Finanzberatung“, wie sich aus dem Versicherungsantrag vom 14.10.1997 ergibt. Darüber hinaus ergibt sich mittelbar auch aus dem Briefbogen, den der Zeuge R. für sein Schreiben vom 21.05.2003 verwendet hat, dass er als Makler tätig ist; darin bezeichnete er seine Tätigkeit im Briefkopf als „unabhängige Finanzberatung“ (Hervorhebung durch den Senat). Zwischen ihm und der Beklagten bestand nur die in Kopie vorgelegte Courtage-Vereinbarung vom Oktober 1996, die als solche nicht ausreicht, eventuell bestehendes Wissen des Zeugen über den Gesundheitszustand der Klägerin der Beklagten zuzurechnen (vgl. dazu auch Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 43 Rn. 13 c). Diese Vereinbarung, in der der Zeuge R. im Übrigen als „Makler“ bezeichnet wird, enthält keinerlei Vollmachten der Beklagten zugunsten des Zeugen. Sie verpflichtet den Zeugen auch nicht zu einer Vermittlertätigkeit, wie dies bei einem Versicherungsvertreter i. S. d. § 84 HGB der Fall ist.

Dass der Zeuge R. Antragsformulare der Beklagten zur Verfügung und von ihnen bei der Antragstellung für den streitigen Vertrag Gebrauch gemacht hat, rechtfertigt allein nicht die Annahme, er sei in die betriebliche Organisation der Beklagten integriert (vgl. auch BGH VersR 99, 1481). Ebenso wenig begründet allein die Tatsache, dass er nach Abschluss des Versicherungsvertrags eine Provision von der Beklagten erhielt, die Stellung als Versicherungsagent (vgl. BGHZ 94, 356, 359 = VersR 85, 930 f.; Prölss/Martin a.a.O. § 43 Rn. 4 Anh. zu §§ 43 – 48 Rn. 22).

Der Zeuge R. handelte demnach bei der Entgegennahme des Vertragsantrags vom 14.10.1997 nicht als Stellvertreter für die Beklagten Vielmehr war er als Versicherungsmakler tätig geworden, der durch – konkludent vereinbarten – Maklervertrag als treuhänderischer Sachwalter der Klägerin verpflichtet war, umfassend und vorrangig ihre Interessen wahrzunehmen (vgl. dazu Prölss/Martin a.a.O. § 43 Rn. 3-4). Nach seinen glaubhaften Bekundungen war er damals, und zwar seit etwa 1990, mit der „kompletten Betreuung in Versicherungsangelegenheiten“ beauftragt gewesen. Aus seiner Aussage ergibt sich, dass er sämtliche Versicherungsunterlagen der Klägerin bei sich aufbewahrt hatte, sie beraten und ihr gegebenenfalls günstigere Versicherungen angeboten hat. Die Klägerin räumt selbst ein, dass sie von „Versicherungsdingen“ nichts verstehe und deshalb dem Zeugen R. „blindlings vertraut“, dieser für sie alle versicherungsrechtlichen Dinge erledigt und sie bei ihm alle Versicherungsverträge abgeschlossen hat. Dabei hat der Zeuge der Klägerin unstreitig nicht nur Angebote der Beklagten unterbreitet; denn er vermittelte bereits damals Versicherungsverträge auch anderer Versicherer, was der Zeuge mit dem Begriff „Mehrfachagent“ zum Ausdruck gebracht hat. Dies macht ihn gleichwohl nicht zu einem „Agenten“ der Beklagten, denn er war – wie bereits ausgeführt – nicht verpflichtet, für diese tätig zu werden (vgl. dazu Prölss/Martin a.a.O. § 43 Rn. 8). Als bloßer Versicherungsmakler aber war er nicht bevollmächtigt, Erklärungen für den Versicherer entgegenzunehmen (vgl. BGH VersR 87, 663 = NJW 88, 60).

b) Die Klägerin handelte bei der Täuschung auch arglistig. Die Klägerin hat in dem bei der Beklagten eingereichten Versicherungsantrag vom 14.10.1997 eine erkennbar chronische Erkrankung von erheblicher Bedeutung, nämlich die bei ihr 1993 erneut diagnostizierte Skoliose und die in den folgenden Jahren bei einer Vielzahl von Arztbesuchen von Dr. M. festgestellten BWS- bzw. LWS-Syndrome, nicht angegeben und damit verschwiegen.

In einem solchen Fall ist in der Regel davon auszugehen, dass der VN mithilfe der Abgabe einer falschen Erklärung auf den Willen des Versicherers einwirken wollte, sich also bewusst war, der Versicherer werde seinen Antrag nicht oder möglicherweise nur mit erschwerten Bedingungen annehmen, wenn der VN die Fragen wahrheitsgemäß beantworten würde (OLG Koblenz VersR 02, 222; OLG Karlsruhe VersR 92, 1250; Prölss/Martin a.a.O. § 22 Rn. 7 m.w.N.). Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – zugleich auf Frage nach dem Hausarzt oder behandelnden Arzt dieser verschwiegen wird. Hinzu kommt, dass die Klägerin durch falsche Angaben in ihrem Leistungsantrag vom 09.04.2002 den Beginn ihrer Erkrankung und ärztlichen Behandlung ersichtlich verschleiern wollte. Denn darin hat sie wahrheitswidrig angegeben, die Erkrankung „BWS-Skoliose“ bestehe „seit 11/1999“ und sie befinde sich deshalb „ab 11/99“ in ärztlicher Behandlung bei dem Internisten Dr. M.

Dass die Klägerin das Antragsformular blanko unterschrieben hat und es vom Zeugen R. ausgefüllt wurde, steht der Annahme von Arglist auch dann nicht entgegen, wenn der Zeuge keine Kenntnis von den verschwiegenen Erkrankungen gehabt haben sollte, weil es sich dabei dann um Umstände gehandelt hätte, über die nur sie – die Klägerin – Bescheid wusste (vgl. Prölss/Martin a.a.O. § 22 Rn. 10 m.w.N.).

Die Gesamtschau des Verhaltens der Beklagten und der Umstände ergibt somit, dass das Verschweigen der Krankheiten arglistig geschehen ist.

Dafür, dass hier ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der arglistigen Täuschung der Beklagten und dem streitgegenständlichen Vertragsabschluss besteht, spricht schon der Beweis des ersten Anscheins (vgl. dazu z. B. Prölss/Martin a.a.O. § 22 Rn. 6 m.w.N.).

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