Anlageberaterhaftung

2-19 O 62/08 Urteil verkündet am 28. November 2008 LG Frankfurt/Main Schadensersatz

Landgericht Frankfurt/Main
Im Namen des Volkes
Urteil

[..]

Tatbestand

Die Kläger waren Inhaber von 1.010 Stück Anteilen eines F.-Aktienfonds. Im Dezember 2006 empfahl Herr X, ein Anlageberater der Beklagten, den Klägern, ihre Anteile an dem Fonds zu verkaufen und schlug ihnen die Neuanlage des Erlöses vor. Am 15. Dezember 2006 kam es deshalb zu einem Beratungsgespräch mit den Klägern. Dabei empfahl Herr X den Klägern den Erwerb eines Zertifikats, bezeichnet als „XY“, mit dem auf das Verhältnis des DJ EURO STOXX Select Dividend 30-Index, der die 30 dividendenstärksten Titel Europas beinhaltet, zu dem DAX-Index spekuliert wurde. Emittentin des Zertifikats war die Z, Garantiegeberin die XZ.

Herr X wies in dem Gespräch nicht ausdrücklich auf ein Totalverlustrisiko hin. Er gab den Klägern zu dem Zertifikat eine Verkaufsunterlage mit. Wegen der Einzelheiten der Verkaufsunterlage und der darin enthaltenen Bedingungen des Zertifikats wird auf die Verkaufsunterlage „Der neue XY“ der Beklagten verwiesen (Bl. 39 ff. d.A.).

Am 18. Dezember 2006 verkauften die Kläger die Anteile an dem F.-Fonds für 12.362,40 Euro. Am 28. Dezember 2006 erteilten sie die Order für den Kauf von 12 Stück des Zertifikats zum Preis von je 1.000,– Euro. Sie erhielten die Papiere zum Ablauf der Zeichnungsfrist am 12. Januar 2007.

Die XZ ist seit September 2008 insolvent, ebenso in der Folge auch die Z. Ein Handel mit dem Zertifikat findet nicht mehr statt, es ist wertlos geworden.

Die Kläger zahlten an ihre jetzigen Bevollmächtigten an vorgerichtlichen Anwaltskosten 837,52 Euro.

Die Kläger behaupten, sie hätten eine sichere und jederzeit liquide Kapitalanlage gewünscht. Herr X habe ihnen erklärt, es handele sich um eine sichere Kapitalanlage, ein Verlust sei völlig ausgeschlossen. Die Kläger meinen, durch die Beklagte grob fehlerhaft beraten worden zu sein. Es habe sich tatsächlich nicht um ein sicheres Finanzprodukt gehandelt. Sie hätten über das Totalverlustrisiko aufgeklärt werden müssen. Außerdem sei das Zertifikat auch nicht jederzeit veräußerbar. Die Verkaufsunterlage informiere über die Entwicklung der Basiswerte in der Vergangenheit nur unzureichend.

Weiter seien sie nicht ausreichend über Kosten und Gebühren aufgeklärt worden. Überhaupt sei die Verkaufsunterlage als Informationsquelle unzureichend, der darin enthaltene Hinweis auf den Prospekt genüge nicht. Die Kläger behaupten, sie hätten die Fondsanteile in jedem Fall verkauft. Wären sie zutreffend und vollständig über das Zertifikat informiert worden, hätten sie dieses jedoch nicht erworben.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verurteilen, Zug um Zug gegen Übertragung von 12 Zertifikaten der Z, Kenn-Nr./ISIN … an sie als Gesamtgläubiger Euro 12.000,– nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 27. Juni 2007 zu zahlen; ergänzend ihnen die Kosten für die außergerichtlich entstandenen Kosten in Höhe von Euro 837,52 nebst 5 % über dem Basiszinssatz seit 21.04.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, Herr X habe bei dem Beratungsgespräch über etwa mit dem Zertifikat verbundene Risiken aufgeklärt, abgesehen von dem Totalverlustrisiko.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch gegen die Beklagte wegen des Erwerbs des XY-Zertifikats. Eine fehlerhafte Beratung der Beklagten ist nicht ersichtlich.

Zwischen den Parteien ist ein Beratungsvertrag jedenfalls über die Anlage des Erlöses aus der Veräußerung des F.-Fonds zustande gekommen. Tritt ein Anlageinteressent an eine Bank oder der Anlageberater einer Bank an einen Kunden heran, um über die Anlage eines Geldbetrages beraten zu werden bzw. zu beraten, so wird das darin liegende Angebot zum Abschluss eines Beratungsvertrags stillschweigend durch die Aufnahme des Beratungsgesprächs angenommen (BGHZ 123, 126, 128). Ob sich der Beratungsvertrag auch auf die Veräußerung des F.-Fonds erstreckte, kann dahinstehen, da die Kläger insoweit keine Vorwürfe gegen die Beklagte erheben.

Aus dem Beratungsvertrag war die Beklagte zu einer anleger- und objektgerechten Beratung der Kläger verpflichtet (vgl. BGHZ 175, 276, 284 f.). Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte dieser Anforderung nicht nachgekommen wäre.

Eine Beratung ist anlegergerecht, wenn die empfohlene Anlage auf das Anlageziel des Kunden und dessen persönliche Verhältnisse zugeschnitten ist (vgl. BGHZ 123, 126, 129; BGH NJW RR 08, 1365, 1369). Bereits nach dem eigenen Vortrag der Kläger über ihre Anlagewünsche entsprach das empfohlene Zertifikat diesen Anforderungen. Es war frei veräußerbar, da es einen Börsenkurs hatte. Es bot auch eine verhältnismäßig sichere Anlage, da abgesehen von dem Bonitätsrisiko der Emittentin ein Verlust nur eintreten konnte, wenn bei drei aufeinander folgenden Terminen in den Jahren 2008, 2009 und 2010 die Entwicklung des DJ EURO STOXX Select Dividend 30-Index jeweils schlechter als die Entwicklung des DAX-Index sein würde und im Jahr 2011 die Performance des DJ EURO STOXX Select Dividend 30-Index mehr als 40 % unter der des DAX-Index liegen würde, insgesamt ein unwahrscheinliches Szenario. Das Bonitätsrisiko der Emittentin und der Garantiegeberin, der US-amerikanischen Investmentbank XZ und ihres Tochterunternehmens Z, war aus damaliger Sicht Ende des Jahres 2006 vernachlässigbarer, theoretischer Natur.

Die Beratung der Kläger war auch objektgerecht. Eine objektgerechte Beratung erfordert, dass der Anleger über die für die Anlageentscheidung bedeutsamen Umstände wahrheitsgemäß, richtig und vollständig aufgeklärt wird (BGHZ 123, 126, 129; BGH NJW 06, 2041). Dies ist hier geschehen, wobei zu beachten ist, dass die Aufklärungspflicht auch durch die Übergabe von schriftlichen Unterlagen erfüllt werden kann (vgl. BGH NJW RR 06, 1345, 1346). Hier wurde seitens der Beklagten die Verkaufsunterlage übergeben, aus der sich in komprimierter Form die wesentlichen Informationen über das Zertifikat ergaben. Soweit danach noch Unklarheiten blieben, verwies die Verkaufsunterlage, der Vorschrift des § 15 Abs. 2 WpPG entsprechend, auf den regulären Prospekt und gab an, wo dieser bezogen werden konnte (S. 14; Bl. 46 d.A.). Außerdem hatten die Kläger die Möglichkeit, Fragen an den Anlageberater der Beklagten zu richten.

Der Anlageberater der Beklagten durfte die Kläger freilich nicht mündlich falsch informieren. Die behauptete Äußerung, ein Verlust sei bei der in Rede stehenden Kapitalanlage völlig ausgeschlossen, wäre bei wörtlichem Verständnis eine Falschinformation gewesen. Für die Kläger ersichtlich war diese Äußerung, wenn sie denn so gefallen sein sollte, aber nicht als Behauptung, ein Verlust sei theoretisch vollkommen ausgeschlossen, zu verstehen, sondern als subjektive Einschätzung des Anlageberaters, der einen Verlust nach den Emissionsbedingungen für sehr unwahrscheinlich hielt. Diese durchaus vertretbare Beurteilung stellte keine Falschberatung dar. Im Übrigen haben die Kläger für die behauptete Äußerung des Anlageberaters auch keinen tauglichen Beweis angeboten.

Die übrigen relevanten Informationen ergaben sich aus der Verkaufsunterlage.

Auf S. 5 (Bl. 41 d.A.) enthält die Verkaufsunterlage eine grafische Gegenüberstellung der historischen Entwicklung der Basiswerte des DJ EURO STOXX Select Dividend 30 und des DAX der letzten acht Jahre, verbunden mit der Anmerkung, dass historische Daten keine Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung der Indizes zuließen. Diese Information genügte als Ausgangspunkt für gegebenenfalls weitere Fragen.

Die Kläger wurden auch in ausreichender Form über das Totalverlustrisiko der Anlage informiert. In Fn. 2 auf S. 5 der Verkaufsunterlage (Bl. 41 d.A.) wird darauf hingewiesen, dass die Rückzahlung am Ende der Laufzeit von der Bonität der Emittentin bzw. Garantin abhängt. Dieser Hinweis wird in Fn. 5 auf S. 11 der Verkaufsunterlage nochmals wiederholt. Die Möglichkeit von Verlusten aufgrund der Entwicklung der Indizes ergibt sich bereits aus den Bedingungen des Zertifikats, wie oben beschrieben. Auf S. 14 der Verkaufsunterlage (Bl. 46 d.A.) wird gleichwohl nochmals ausdrücklich auf diese Möglichkeit hingewiesen. Diese Informationen waren ausreichend, insbesondere auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer Insolvenz von XZ.

Es besteht keine generelle Pflicht zur Aufklärung über die Möglichkeit eines Totalverlustes (OLG Frankfurt v. 15.10.2008 – 23 U 348/05 -). Unter welchen Voraussetzungen ein solcher Hinweis gegeben werden muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, wobei der Hinweis umso deutlicher und unmissverständlicher sein muss, desto realer die Gefahr eines tatsächlich eintretenden Totalverlustes ist. Wie bereits oben angemerkt, war es im Dezember 2006, einige Zeit vor Ausbruch der sogenannten „Subprime“-Krise, eine ausgesprochen fernliegende Möglichkeit, dass die große renommierte Investmentbank XZ insolvent werden könnte. Dementsprechend bedurfte es auch keiner besonders hervorgehobenen Warnung in der Verkaufsunterlage, so dass die kurzen Hinweise auf die Abhängigkeit der Rückzahlung von der Bonität des Emittenten und Garantiegebers ausreichend waren.

Aus der Verkaufsunterlage ergab sich auch, dass der Erwerb des Zertifikats mit Kosten und Gebühren verbunden ist (S. 14 = Bl. 46 d.A.). Ebenso wurde darauf hingewiesen, dass es möglich ist, dass die „Vertriebsgesellschaft“ das Zertifikat zu einem reduzierten Ausgabepreis erwirbt oder dass sie eine Vertriebsgebühr erhält, die von dem Kunden zusätzlich zu weiteren Verkaufsprovisionen und Verkaufskosten getragen werden müssen (S. 15 = Bl. 46 d.A.). Sofern die Kläger aufgrund dieser Hinweise nähere Informationen wünschten, etwa über die genaue Höhe der Kosten oder weil sie die Objektivität der Beratung der Beklagten durch an diese gezahlte Provisionen gefährdet sahen, hatten sie auch hier die Möglichkeit zu weiteren Nachfragen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.

Neuer Vortrag in dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen und nicht nachgelassenen Schriftsatz der Kläger vom 30.10.2008 kann gemäß § 296a ZPO nicht mehr berücksichtigt werden. Der Schriftsatz gibt keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der Verhandlung.

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