Fristlose Kündigung eines Handelsvertreter

11 HK O 76/02 Urteil verkündet am 16. Januar 2004 LG Mainz Provisionsanspruch, Versicherungsvertretervertrag

Landgericht Mainz
Im Namen des Volkes
Urteil

In dem Rechtsstreit
[…]
hat die 11. Zivilkammer 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Mainz durch […] auf die mündliche Verhandlung vom 28.11.2003 für Recht erkannt:

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist für den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.900,– Euro vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin ist eine Finanz Vermittlungsfirma. Der Beklagte war für sie als Handelsvertreterin leitender Stellung in deren Strukturvertrieb tätig. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer vom Beklagten am 07.10.2002 ausgesprochenen fristlosen Kündigung des Handelsvertreterverhältnisses.

Der Kläger war zunächst aufgrund eines am 30.05.1998 abgeschlossenen Vertrags für die Klägerin als selbständiger Handelsvertreter tätig (Anlage Blatt 4 bis 13 zu den Akten), mit Zusatzvertrag (Anlage Blatt 14 bis 17 zu den Akten).

Am 03.04.1999 (Blatt 9 bis 18 d.A.) schlossen die Parteien den streitigen Handelsvertretervertrag.

Dieser sieht in Ziffer 3.3 vor, dass der „jeweils gültige Karriereplan, der jeweils gültige Produktplan und die jeweils gültigen Provisionslisten, die für die Provisionsansprüche des … (Beklagten) … maßgeblich sind, … in ihrer jeweils neuesten Fassung Bestandteile dieses Vertrages“ sind (Blatt 11 d.A.).

Gemäß Ziffer 4.3 des Vertrags unterliegen die Provisionsansprüche des Beklagten keiner Maximierung (Blatt 12 d.A.).

Nach Ziffer 7.4 des Vertrags sollte im Fall der Vertragsbeendigung der Beklagte einen zu seinen Lasten bestehenden Sollsaldo unverzüglich ausgleichen.

Nach Ziffer 7 Abs. 4 Unterabs. 2 Satz 2 des Vertrages sollte dem Beklagten „das Provisions- und Stornoreserveguthaben erst dann ausgezahlt werden, wenn alle Provisionen, die von dem (Beklagten) während der Dauer dieses Vertrags vermittelt wurden, verdient sind“ (Blatt 15 d.A.).

Ziffer 7.6 der Vertragsbedingungen sah eine Vertragsstrafe vor: „Dem (Beklagten) ist es während der Vertragsdauer und innerhalb von 24 Monaten seit Beendigung dieses Vertrages untersagt „… Mitarbeiter abzuwerben“. Der Beklagte verpflichtet sich „für jeden Fall der Zuwiderhandlung“ an die (Klägerin) unter Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhanges folgende Vertragsstrafen zu zahlen: Ziffer 7 Abs. 6.1 für jeden abgeworbenen Verkaufsleiter oder Vertriebsagenten 25.000,– DM, für jeden abgeworbenen Vertriebsmanager oder Direktionsagenten 50.000,– DM für jeden abgeworbenen Vertriebsdirektor oder Direktor 100.000,– DM.

Nach Ziffer 7 Abs. 6.3 verzichtete der Beklagte auf die „Einrede eines geringeren Schadens der Gesellschaft“.

Nach Ziffer 8.4 des Vertrages unterliegen „alle beiderseitigen Ansprüche aus diesem Vertrag einer Verjährungsfrist von 12 Monaten. Soweit Ansprüche erst nach der Beendigung des Vertrages entstehen, unterliegen sie einer Verjährung von 12 Monaten, gerechnet von ihrer jeweiligen Fälligkeit an.“ (Blatt 17 d.A.). Daneben unterzeichnete der Beklagte einen formularmäßigen Zusatzvertrag für leitende Vermittler (Blatt 19 bis 22 d.A.).

Nach Ziffer 3.1 des Zusatzvertrags stand dem Beklagten „als Vermittler in leitender Stellung eine Leitungsprovision zu deren Höhe sich nach der jeweiligen Stellung des Beklagten in Verbindung mit dem jeweils gültigen Karriereplan und der jeweils gültigen Provisionsliste“ richtet. Die Klägerin sollte „bei Änderungen der Provisionsliste an die Grundsätze billigen Ermessens im Sinne des § 315 BGB gebunden“ sein.

Der zugehörige Karriereplan der Klägerin sieht folgende Einstufungskriterien vor:

Verkaufsleiter mindestens 9 monatige Tätigkeit für das Unternehmen, Vertriebsmanager mindestens 12 monatige Tätigkeit als Verkaufsleiter, Vertriebsdirektor mindestens 18 monatige Tätigkeit als Vertriebsmanager, Direktor mindestens 24 monatige Tätigkeit als Vertriebsdirektor.

Daneben ist für die jeweilige Vertriebsstufe eine Mindestproduktion von Verträgen vorgesehen sowie eine Mindestzahl direkt unterstellter Mitarbeiter (Anlage Blatt 25 zu den Akten).

Nach Abschnitt B Ziffer 3 des Karriereplans kann ein Vertriebsmitarbeiter auf die nächst tiefere Stufe des Karriereplans zurückgestuft werden, wenn er an zwei aufeinander folgenden Quartalen die jeweiligen Voraussetzungen des Aktivstatus nicht erreicht (Anlage Blatt 25 zu den Akten).

Nach Ziffer 3.2 des Zusatzvertrages vom 03.04.1999 steht dem Beklagten eine Bestandspflegeprovision nach der „jeweils gültigen Bepro Liste“ zu. Die Klägerin verpflichtete sich, bei Änderungen die Grundsätze billigen Ermessens im Sinne des § 315 BGB einzuhalten.

Nach Ziffer 3.3 des Zusatzvertrages wurde bestimmt, dass bei der Bestandspflegeprovision (Bepro) des jeweiligen Vermittlers die Bepro eines anderen Vermittlers aus seiner Struktur in Abzug gebracht werden könne.

In diesem Zusammenhang hat sich die Klägerin nach Ziffer 2.4 des Zusatzvertrages das Recht vorbehalten, dem Beklagten bei Verstoß gegen die Bestandspflegepflicht die Bestandspflegeprovision zu entziehen (Blatt 19 d.A.).

Nach Ziffer 3.4 des Zusatzvertrags (Blatt 20 d.A.) sollte sich die Fälligkeit der Bestandspflegeprovision (Ziffer 3.2 des Zusatzvertrags) nach der „jeweils gültigen Regelung der Gesellschaft zur Bestandspflegeprovision“ richten.

Im September 2002 kündigten mehrere dem Beklagten unterstellte Handelsvertreter, die mit der Klägerin gleichlautende Handelsvertreterverträge abgeschlossen hatten, ihre Vertragsverhältnisse fristlos. Sie beriefen sich jeweils auf die angeblich fehlende Wirksamkeit der vorgenannten AGB Klauseln in ihren Handelsvertreterverträgen (Kündigungserklärungen vom 13., 15., 18., 24. und 25.09.2002, Blatt 53 bis 56 d.A.).

Mit Schreiben vom 07.10.2002 (Blatt 23 d.A.) kündigte der Beklagte das Handelsvertreterverhältnis mit der Klägerin fristlos.
Die Beklagte widersprach dem mit Schreiben vom 25.10.2003 (Blatt 24 bis 25 d.A.).

Die Klägerin trägt vor, die vom Beklagten zum Kündigungsanlass genommene Kündigungswelle seiner Mitarbeiter sei kein Grund zur Lösung von dem Handelsvertreterverhältnis. Der Beklagte habe die Kündigungen selbst initiiert. Zudem sei er selbst nicht vertragstreu, da er seit September 2002 für die Konkurrenzfirma […] tätig geworden sei.

Die Klägerin beantragt, festzustellen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Vermittlungsvertrag vom 03.04.1999 und dem zwischen den Parteien geschlossenen Zusatzvertrag für Vermittler in leitender Stellung vom 03.04.1999 durch die vom Beklagten mit Schreiben vom 07.10.2002 ausgesprochene „fristlose Kündigung“ nicht vor dem 31.12.2003 beendet werde.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, die am 27.09.2002 bereits mündlich erklärte und aus Beweissicherungszwecken am 07.10.2002 wiederholte fristlose Kündigung des Handelsvertretervertrages sei wirksam. Ein Abwarten bis zum Ablauf der 12 monatigen Kündigungsfrist zum Ende eines Kalenderjahres sei ihm nicht zumutbar gewesen. Die von der Klägerin in allen Handelsvertreterverträgen gleichlautend verwendeten AGB Klauseln seien unzulässig. Ein Festhalten an dem unwirksamen Handelsvertretervertrag sei ihm nicht zumutbar gewesen. Die Tätigkeit für das Konkurrenzunternehmen habe er – der Beklagte – erst nach Ausspruch der Kündigung aufgenommen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das erkennende Gericht hat mit Zwischen Urteil vom 04.07.2003 auf die Rüge des Beklagten hin entschieden, dass es für den vorliegenden Rechtsstreit örtlich zuständig sei. Das Urteil hat Rechtskraft erlangt.

Entscheidungsgründe

Die Klage auf Feststellung des Fortbestandes des Handelsvertretervertrages vom 03.04.1999 bzw. des Zusatzvertrages vom gleichen Tage hat keinen Erfolg. Der Handelsvertretervertrag und der Zusatzvertrag sind nach § 6 Abs. 3 AGBG unwirksam, weil dem Beklagten wegen unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist. Da es sich allerdings bei dem streitigen Handelsvertreterverhältnis um ein in Vollzug gesetztes Dauerschuldverhältnis handelt, tritt ähnlich wie bei Gesellschaftsverträgen oder Arbeitsverträgen hier an die Stelle der Unwirksamkeit die Kündigung des Vertrags aus wichtigem Grund nach § 89 a HGB (Rechtsprechung zum sog. faktischen Vertragsverhältnis vgl. BAG NJW 86, 2133, BGB NJW 60, 430 zum Gesellschaftsrecht; Palandt/Heinrichs, 62. Aufl., Einführung vor § 145 BGB Randnr. 29 m.w.N.).

Folgende Vertragsklauseln des Handelsvertretervertrags vom 03.04.1999 bzw. des Zusatzvertrags vom gleichen Datum sind nach § 9 Abs. 1 AGBG auch gegenüber einem vollkaufmännisch tätigen Handelsvertreter unbillig und daher unwirksam:

1. Verweis auf jeweils gültige Provisionslisten (Ziffer 3.3 des Handelsvertretervertrags, Blatt 11 d.A.).

Diese Klausel, wonach sich die Vergütung des Beklagten nach der jeweilig gültigen Provisionsliste richtet, ist als „dynamische Verweisung“ auf andere Vertragsbedingungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin unwirksam. Sie ermöglicht es der Klägerin, ohne Willen des Handelsvertreters dessen Provisionsansprüche nach Belieben einseitig zu verändern und sogar abzusenken, ohne dass eine sachgemäße Begrenzung vorgesehen wäre. Eine solche Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist unangemessen, weil sie ein wesentliches Vertragsprinzip des Handelsvertretervertrags, nämlich dass Leistung des Handelsvertreters und die Vergütungsleistung angemessen sind, verletzt. Der Spielraum, den sich die Klägerin offen gehalten hat, ist auch von § 315 BGB nicht mehr gedeckt (vgl. BGHZ 89, 206; BGH MDR 92, 563). Die genannte Regelung ist unangemessen, weil sie es der Klägerin erlaubt, ihre eigenen Interessen ohne Rücksicht auf die Interessen des Handelsvertreters durchzusetzen. Die Besonderheiten des Strukturvertriebs rechtfertigen eine solche Regelung nicht.

Die von der Klägerin verwendete Klausel wäre allenfalls dann vertretbar, wenn Änderungen (Absenkungen) des Provisionsanspruchs auf schwerwiegende Gründe beschränkt wären, der Beklagte einen Ausgleich für den Provisionsverlust erhalten würde und eine angemessene Vorankündigungsfrist vorgesehen wäre. Die Klausel in ihrer jetzigen Form sieht keine derartigen Einschränkungen vor und ist daher insgesamt als unwirksam anzusehen.

2. Regelung zur Stornoreserve gemäß Ziffer 7.4 des Handelsvertretervertrags (Blatt 15 d.A.).

Nach der genannten Klausel erhält der Beklagte bei Vertragsbeendigung sein Provisions- und Stornoreserveguthaben, das dann ausgezahlt wird, wenn alle Provisionen, die von ihm während der Dauer des Vertrages vermittelt wurden, verdient sind.

Auch diese Klausel ist im kaufmännischen Verkehr unzulässig, weil sie in unbilliger Weise zu Lasten des Beklagten vom dispositiven Gesetzesrecht abweicht.

Zwar kann die Klägerin in ihren Verträgen eine Stornoreserve vorsehen. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass dem Handelsvertreter auch dann, wenn ein zunächst wirksamer Vertrag später rückgängig gemacht wird, nach § 87 a Abs. 3 Satz 1 HGB grundsätzlich ein Anspruch auf Provision zusteht. Dieser Provisionsanspruch entfällt nach § 87 a Abs. 3 Satz 2 HGB nur dann, wenn die Nichtausführung des Vertrags auf Gründen beruht, die das Unternehmen nicht zu vertreten hat.

Die obige Klausel über die Zurückbehaltung des Provision- und Stornoreserveguthabens benachteiligt den Beklagten unangemessen, weil sie den Stornoeinbehalt nicht auf stornogefährdete Geschäfte beschränkt, sondern auch Restprovisionsansprüche für Geschäfte erfasst, die einwandfrei abgewickelt sind und bei denen kein Storno mehr droht. Die Klägerin behält sich durch die beanstandete Regelung eine zeitlich unbegrenzte Zurückbehaltungsbefugnis auch an einwandfrei verdienten Provisionen vor, solange noch bei einzelnen Geschäften eine Stornomöglichkeit besteht. Mit dieser Regelung wird in unbilliger Weise in den Provisionsauszahlungsanspruch des Beklagten eingegriffen (vgl. OLG Düsseldorf OLGR 93, 131 und OLG Düsseldorf DB 90, 731).

3. Regelung zur Vertragsstrafe gemäß Ziffer 7 Abs. 6 des Handelsvertretervertrags (Blatt 16 d.A.).

Zwar gilt § 11 Nr. 6 AGBG für die Kontrolle kaufmännischer Vertragsstrafeversprechen nicht. Die Klausel ist jedoch gemäß § 9 Abs. 1 AGBG in mehrfacher Hinsicht unangemessen und daher unwirksam. Die Regelung in Ziffer 7 Abs. 6.1 des Handelsvertretervertrages, wonach bestimmte Beträge für das Abwerben eines Verkaufsleiters/Vertriebsagenten, Vertriebsmanagers/Direktionsagenten oder Vertriebsdirektors/Direktors vorgesehen ist (25.000,– DM bzw. 50.000,– DM bzw. 100.000,– DM) ist unzulässig, weil bei der Regelung nicht nach der objektiven Schwere des Verstoßes und dem Grad des Verschuldens des Handelsvertreters differenziert wird und keine Obergrenze für die Kumulierung der Vertragsstrafe vorgesehen ist (OLG München OLGR 96, 097). Die Strafbeträge können sich nach der vertraglichen Regelung in Ziffer 7.6 des Handelsvertretervertrags beliebig addieren, ohne dass dem Handels Vertreter eine Herabsetzung einer unzumutbar hohen Vertragsstrafe nach § 343 BGB möglich wäre (§ 348 HGB).

Die starr festgesetzten Vertragsstrafenbeträge von jeweils 25.000,– DM, 50.000,– DM bzw. 100.000,– DM würden der Klägerin nach der AGB Klausel sogar dann zustehen, wenn sie in keinem Verhältnis zum Gewicht der Vertragsverletzung und der Höhe des zu erwartenden Schadens stehen. Nach Ziffer 7 Abs. 6.3 der AGB ist ein Verzicht des Beklagten auf die Einrede eines geringeren Schadens vorgesehen. Die AGB Regelung würde es der Klägerin mithin ermöglichen, Vertragsstrafen in unangemessener Höhe zu verlangen und weicht insoweit in unzulässiger Weise vom dispositiven Gesetzesrecht ab (vgl. BGHZ 85, 314).

Unzulässig und mit wesentlichen Gesichtspunkten des Vertragsstraferechts nicht zu vereinbaren ist darüber hinaus die Regelung, dass eine Berufung des Handelsvertreters auf den Fortsetzungszusammenhang ausgeschlossen wird (Ziffer 7 Abs. 6 Satz 2 des Vertrags). Eine solche Regelung ist auch im kaufmännischen Verkehr nicht zulässig (vgl. BGHZ 121, 13; BGH MDR 93, 635; OLG München OLGR 03, 113). Besondere Sachgegebenheiten oder Interessen auf Seiten der Klägerin, wonach diese ein schutzwürdiges Interesse am Verzicht auf den Einwand des Fortsetzungszusammenhangs hätte, sind nicht ersichtlich.
Die Vertragsstraferegelung ist insgesamt im Sinne des § 9 Abs. 1 AGBG unbillig und daher unwirksam.

Darauf, dass das für einen Zeitraum von 24 Monaten nach Beendigung des Handelsvertretervertrags geltende Abwerbeverbot in Ziffer 7 Abs. 6 des Vertrags nach § 90 a Abs. 1 Satz 3 HGB entschädigungspflichtig ist und mangels entsprechender Vergütung nach § 90 a Abs. 4 HGB unwirksam, kommt es nicht mehr an.

4. Verjährungsklausel gemäß Ziffer 8.4 des Vertrags (Blatt 17 d.A.) Die Regelung verstößt gegen § 9 Abs. 1 AGBG und ist daher unwirksam. Die Verkürzung der vierjährigen Verjährungsfrist des § 88 HGB auf ein Jahr ist im vorliegenden Fall nicht zulässig, da die Verjährungsfrist nach Ziffer 8.4 des Handelsvertretervertrags unabhängig von einer Kenntnis des Handelsvertreters läuft. Damit droht die Gefahr, dass Ansprüche des Handelsvertreters in einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Fällen verjähren, ohne dass er vom Lauf der kurzen Verjährungsfrist Kenntnis erlangt. Eine solche Regelung ist auch im kaufmännischen verkehr als unbillig zu werten (vgl. BGH NJW 96, 2097; BGH MDR 91, 215; BGHZ 75, 218).

5. Regelung der Leitungsprovision gemäß Ziffer 3.1 des Zusatzvertrages (Blatt 20 d.A.).

Nach Ziffer 3.1 des Zusatzvertrags richtet sich die Leitungsprovision des Beklagten nach seiner jeweiligen Stellung in Verbindung mit dem gültigen Karriereplan und der jeweils gültigen Provisionsliste. Dabei hat sich die Klägerin bei Änderungen. der Provisionsliste an die Grundsätze billigen Ermessens im Sinne des § 315 BGB gebunden.

Die Klausel ist trotz des Verweises auf die Grundsätze billigen Ermessens (§ 315 BGB) im kaufmännischen Verkehr unwirksam (OLG München OLGZ 92, 215). Die Regelung ist unbillig, weil sich die Klägerin abweichend von tragenden Grundsätzen des Vertragsrechts die einseitige Abänderung der vertragsmäßigen Vergütung, auch zu Lasten des Beklagten, vorbehalten hat. Die Klägerin kann durch Änderung der Kriterien des Karriereplans jederzeit die gehaltsmäßige Einstufung des Beklagten nach unten verändern. Eine Verschlechterung der Kriterien des Karriereplans ist jederzeit möglich und auch nicht an die Grundsätze billigen Ermessens gebunden. Eine solche Regelung, welche die vertragliche Vergütung letztlich von der willkürlichen Entscheidung der Klägerin abhängig macht, ist mit § 9 Abs. 1 AGBG nicht zu vereinbaren und unwirksam.

6. Regelung der Bestandspflegeprovision gemäß Ziffer 3.2 des Zusatzvertrags (Blatt 20 d.A.).

Nach Ziffer 3.2 des Zusatzvertrags hat der Beklagte Anspruch auf Bestandspflegeprovision (Bepro) nach Maßgabe der jeweils gültigen Bepro Liste. Die Klägerin ist bei Änderungen der Bepro Liste an die Grundsätze billigen Ermessens gebunden.

Auch diese Regelung ist gemäß § 9 Abs. 1 AGBG unbillig und daher unwirksam. Die Klägerin hat sich gemäß Ziffer 2.4 des Zusatzvertrags vorbehalten, dem Handelsvertreter die Bestandspflege für bestimmte Verträge zu entziehen. Dies vermindert nach Ziffer 3.3 seine Bestandspflegeprovision. Nach dem Zusammenhang der Regelungen kann die Klägerin nach ihrem Belieben Vertreter aus der Struktur des Beklagten entziehen und damit dessen Bestandspflegeprovision reduzieren, ohne an die Kriterien des § 315 BGB gebunden zu sein. Eine solche Regelung, die die Festsetzung der Provisionshöhe in das Belieben der Unternehmerin stellt, ist mit den Grundgedanken der vertraglichen Regelung, die von einer Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung ausgeht, nicht zu vereinbaren. Die Regelung ist gemäß § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam.

7. Fälligkeitsregelung für die Bestandsprovision gemäß Ziffer 3.4 des Zusatzvertrags (Blatt 20 d.A.).

Die Fälligkeit der Bestandsprovision regelt sich nach den „jeweils gültigen Regelungen der Klägerin zur Bestandspflegeprovision“. Diese Klausel stellt die Auszahlung der Bestandspflegeprovision letztlich in das nicht überprüfbare Belieben der Unternehmerin und ist auch im kaufmännischen Verkehr unangemessen im Sinne des § 9 Abs. 1 AGBG.

Die Vielzahl der unzulässigen AGB Klauseln im Handelsvertretervertrag vom 03.04.1999 bzw. im Zusatzvertrag vom gleichen Tage führen hier nicht lediglich zur Ersetzung der beanstandeten Klauseln durch das dispositive Gesetzesrecht (§ 6 Abs. 2 AGBG), sondern zur Unzumutbarkeit des Festhaltens des Beklagten am Handelsvertretervertrag bzw. Zusatzvertrag insgesamt (Rechtsfolge aus § 6 Abs. 3 AGBG). Grundsätzlich führen unbillige Klauseln in einem Vertrag allerdings nicht dazu, dass dem anderen Vertragsteil ein Festhalten am Vertrag unzumutbar wäre. Hier ergibt jedoch die gebotene Interessenabwägung zwischen den Interessen des Klauselverwenders (Klägerin) und des benachteiligten Handelsvertreters, dass diesen ein weiteres Festhalten an dem Vertrag ohne die beanstandeten Klauseln nicht zumutbar ist (vgl. zur Abwägung BGH MDR 02, 936). Eine Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag ergibt sich daraus, dass die für nichtig zu erachtenden Klauseln zentrale Punkte des Handelsvertretervertrags, insbesondere die Höhe der Vergütung des Beklagten betreffen. Durch die einseitige Abänderungsbefugnis der Klägerin hinsichtlich der Vermittlungsprovision des Beklagten (Ziffer 3 Abs. 3 des Handelsvertretervertrags, Blatt 11 d.A.) sowie der Leitungsprovision und Bestandspflegeprovision (Ziffern 3 Abs. 1 und 3 Abs. 2 des Zusatzvertrags, Blatt 20 d.A.) ist das Vertragsgleichgewicht des Handelsvertretervertrags insgesamt grundlegend gestört. Angesichts der von der Klägerin in den AGB Klauseln vorbehaltenen unkontrollierten Möglichkeit von Provisionskürzungen ist es dem Beklagten nicht zumutbar, bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist von 12 Monaten zum. Ende eines Kalenderjahres abzuwarten.

Die Klägerin kann nicht argumentieren, dass sich der Beklagte bei Wegfall der beanstandeten Vergütungsklauseln nach Maßgabe der im Jahre 1999 geltenden Provisionslisten weiter am Handelsvertretervertrag bzw. am Zusatzvertrag festhalten lassen müsste. Es wäre unbillig, den Beklagten an dem Handelsvertretervertrag und dem Zusatzvertrag festzuhalten, obwohl die Klägerin mit den für nichtig erachteten Klauseln des Vertragsgefüge einseitig zu ihren Gunsten verschoben hat. Dem Umstand, dass das Handelsvertreterverhältnis seit 1999 in Vollzug gesetzt wurde, ist allerdings dadurch Rechnung zu tragen, dass der Vertrag nicht nach § 6 Abs. 3 AGBG unwirksam ist, sondern dass dem Beklagten ein Recht zur fristlosen Kündigung zuzugestehen ist. Es entspricht den Rechtsgedanken in anderen gesetzlichen Regelungen (§§ 273 ff. AktG; 75 ff. GmbHG usw.), dass in Vollzug gesetzte Dauerschuldverhältnisse nicht rückwirkend über Bereicherungsrecht abgewickelt werden. Die Nichtigkeitsfolge des § 6 Abs. 3 AGBG würde den Handelsvertreter hier auch unbillig treffen, da er infolge der von der Klägerin verwendeten unbilligen AGB Klauseln seinen Provisionsanspruch nach § 89 b HGB verlieren würde. Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, dass die vom Beklagten am 07.10.2002 ausgesprochene fristlose Kündigung den Handelsvertretervertrag vom 03.04.1999 und den zugehörigen Zusatzvertrag wirksam beendet hat. Einer gesonderten Abmahnung der Klägerin zur Abänderung ihrer Vertragsbedingungen bedurfte es nicht, da sie sich in den Parallelfällen der anderen Handelsvertreter geweigert hatte, die streitigen Vertragsklauseln abzuändern.

Auf den vom Beklagten bestrittenen Umstand, dass dieser bereits im September 2002 eine Tätigkeit für eine Konkurrenzfirma aufgenommen haben soll, kommt es nicht an. Dies führt nicht dazu, dass sich der Beklagte an einem Handelsvertretervertrag bzw. Zusatzvertrag mit unzumutbaren Klauseln festhalten lassen muss. Nach alledem hat die Klage auf Feststellung des Fortbestands des streitigen Handelsvertretervertrags und des zugehörigen Zusatzvertrags keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

Streitwert: 75.000,– Euro (1/3 des möglichen Schadensersatzanspruchs der Klägerin wegen des behaupteten Vertragsbruchs).

Schlagwörter
Verjährungsklausel (1) Strukturvertrieb (2) Stornoreserve (1) Leitungsprovision (1) fristlose Kündigung (16) Bestandspflegeprovision (4)