Zeitliche Begrenzung des Schadensersatzanspruchs bei Kündigung eines Handelsvertretervertrags

1 U 9/03 Urteil verkündet am 17. September 2003 OLG Karlsruhe Kündigung des Handelsvertretervertrags

Oberlandesgericht Karlsruhe
Im Namen des Volkes
Urteil

Tatbestand

Der Kläger verlangte von der Beklagten Schadensersatz nach fristloser Kündigung eines Handelsvertretervertrags. Das LG hat nach Beweiserhebung der Klage stattgegeben.

Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus:

Dem Kläger stehe auf Grund der unberechtigten fristlosen Kündigung der Beklagten vom 10.12.1997 wegen schuldhafter Vertragsverletzung Ersatz des Verdienstausfalles für die Zeit vom 10.12.1997 bis zu seiner eigenen Kündigung vom 15.01.1998 in Höhe von 22.357,42 DM zu. Die von der Beklagten ohne vorherige Abmahnung ausgesprochene fristlose Kündigung vom 10.12.1997 sei unwirksam. Dem Kläger könne keine derart schwerwiegende Vertragsverletzung nachgewiesen werden, die eine sofortige Kündigung ohne die grundsätzlich erforderliche Abmahnung rechtfertige. Daneben schulde die Beklagte gem. § 89 a Abs. 2 HGB Ersatz des Minderverdienstes des Klägers für das Jahr 1998 in Höhe von 112.872,11 DM. Der Kläger sei berechtigt gewesen, wegen der unberechtigten Kündigung der Beklagten seinerseits am 15.01.1998 fristlos zu kündigen. Da die Beklagte diese Kündigung durch ihr Verhalten zu vertreten habe, sei sie zum Schadensersatz verpflichtet.
Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

II. … 1. Die Beklagte wendet sich mit der Berufung allein gegen den Umfang und insoweit auch nur gegen die zeitliche Dauer des zuerkannten Schadensersatzanspruchs. Der Senat ist der Auffassung der Beklagten, dass es für den Schadensersatzanspruch aus § 89 a Abs. 2 HGB entscheidend darauf ankommt, ob und gegebenenfalls wann der Kündigungsgegner, also der „andere Teil“, der durch sein Verhalten die Kündigung aus wichtigem Grund veranlasst hat, vorliegend die Beklagte sich seinerseits von dem Handelsvertreter Vertragsverhältnis lösen konnte. Nur insoweit gebietet es der Schutzzweck der Norm, den streitgegenständlichen Schadensersatzanspruch des Kündigenden zu begrenzen.

a) Der Umfang des Schadensersatzanspruchs bestimmt sich nach §§ 249 ff. BGB. Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er ohne die veranlasste fristlose Kündigung stünde. Er kann Ausgleich des so genannten Verfrühungsschadens verlangen, der gerade durch die vorzeitige Beendigung des Vertragsverhältnisses entstanden ist. Der Anspruch geht auf das volle Erfüllungsinteresse (vgl. BGHZ 122, 9 = NJW 93, 1386).

b) Allerdings würde die Zuerkennung eines „Endlosschadens“ weder dem Wortlaut der Norm noch ihrer Entstehungsgeschichte entsprechen. Den Motiven der Entstehung des § 628 Abs. 2 BGB, dem die Vorschrift des § 89 a Abs. 2 HGB nachgebildet ist, lässt sich entnehmen, dass in der 1. Kommission zum Entwurf des BGB der Antrag, dieser Norm eine auf die Kündigungsfristen bezogene Beschränkung beizufügen, abgewiesen wurde und in der Beratung der 2. Kommission ein entsprechender Unterantrag nur deswegen zurückgezogen wurde, weil sich die Beteiligten bei den Beratungen darüber einig waren, dass der zum Schadensersatz Verpflichtete so zu behandeln sei, als wenn er seinerseits gekündigt habe, sobald dies nach der Kündigung des anderen Teils statthaft gewesen sei (vgl. dazu Jacobs/Schubert, Die Beratung des bürgerlichen Gesetzbuchs II, 1980, §§ 626 628, §§ 814 827).

Es ging also um den so genannten „Verfrühungsschaden“. Dies entsprach auch dem Umstand, dass jeder Vertragspartner mit einer ordentlichen Kündigung des anderen stets rechnen musste. Demgemäß geht der BGH, worin ihm der erkennende Senat folgt, sowohl für den § 89 a Abs. 2 HGB, als auch für § 628 Abs. 2 BGB davon aus, dass der Schadensersatzanspruch zeitlich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Vertragsverhältnisses besteht, nicht aber darüber hinaus. § 89 a Abs. 2 HGB soll es dem Kündigenden ersparen, ein unzumutbar gewordenes Vertragsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder der vereinbarten Beendigung fortsetzen zu müssen. Dazu soll der Kündigende auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht gezwungen sein (vgl. dazu BGHZ 122, 9 = NJW 93, 1386).

c) Allerdings enthält dieses Urteil des BGH (BGHZ 122, 9 = NJW 93, 1386) keine ausdrückliche Aussage dazu, worauf bei unterschiedlichen Kündigungsmöglichkeiten für den Kündigenden einerseits und den Vertragsverletzer andererseits abzustellen ist. Das BAG (NJW 02, 1593) versteht die Entscheidung des BGH (BGHZ 122, 9 = NJW 93, 1386) so, dass der Schadensersatz bis zum Ablauf des Zeitpunkts, zu dem der andere Vertragspartner ordentlich kündigen könnte, zu gewähren ist. So wird dies auch in (einem Teil) der Kommentarliteratur gesehen und deutlich gemacht (vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 30. Aufl., § 89a Rdnr. 34; Schlegelberger/Schröder, HGB, 5. Aufl., § 89a Rdnr. 25; Erman/Belling, BGB, 10. Aufl., § 628 Rdnrn. 16, 28; die übrige Literatur äußert sich zu dieser Frage nicht), auf die der BGH auch verwiesen hat. Auch der Senat ist der Auffassung, dass es bei unterschiedlichen ordentlichen Kündigungsmöglichkeiten für die Vertragsparteien in der Frage der sich aus dem Schutzzweck der Norm ergebenden zeitlichen Begrenzung des Schadensersatzanspruchs des berechtigterweise fristlos Kündigenden nicht auf dessen ordentliche Kündigungsmöglichkeit ankommt, sondern allein darauf, wann der Kündigungsgegner seinerseits hätte ordentlich kündigen können. Denn schutzwürdig ist der Kündigende bis zu dem Zeitpunkt, zu dem er mit einer fristgerechten Kündigung des anderen Teils hätte rechnen müssen (so auch BAGE 98, 275 = NJW 02, 1593 = NZA 02, 325; Hinw. auf BGHZ 122, 9 = NJW 93, 1386).

Wie der Kläger zu Recht hervorhebt, hätte es ansonsten ein Unternehmer in der Hand, einen Handelsvertreter, dessen Vertragsverhältnis er nicht durch ordentliche Kündigung lösen könnte, durch gezieltes vertragswidriges Verhalten zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu bewegen, ohne seinerseits weitere Folgen befürchten zu müssen. Er könnte so die für ihn ungünstigen Kündigungsfristen durch sein vertragswidriges Verhalten umgehen, bzw. sich von seinem ursprünglichen vertraglich abgesicherten Verzicht auf das ordentliche Kündigungsrecht lösen.

Von entsprechenden Erwägungen lässt sich auch das BAG in seiner Entscheidung (BAGE 98, 275 = NJW 02, 1593 = NZA 02, 325) leiten, wonach im Falle einer durch den Arbeitgeber veranlassten fristlosen Kündigung dem Arbeitnehmer, der unter das Kündigungsschutzgesetz fällt, zusätzlich zu dem auf den reinen Verfrühungsschaden reduzierten Schadensersatzanspruch ein weiterer Ausgleich zugestanden wird.

Das BAG sieht in diesem Fall den begrenzten Schadensersatzanspruch nicht im Einklang mit den gesetzlichen Wertungen zum Kündigungsschutz, weil nicht hinreichend berücksichtigt werde, dass der Arbeitnehmer, veranlasst durch das vertragswidrige Verhalten des Arbeitgebers, auf den durch die Kündigungsschutzbestimmungen vermittelten Bestandschutz verzichte. In diesem Falle soll der Schadensersatzanspruch gem. § 628 Abs. 2 BGB neben der entgangenen Vergütung auch eine angemessene Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes entsprechend §§ 9, 10 KSchG umfassen. Diese Grundüberlegungen werden bei aller Unterschiedlichkeit zwischen einem Arbeits- und einem Handelsvertreterverhältnis auch der vorliegenden Sachlage gerecht: Der Kläger hätte das Vertragsverhältnis von sich aus nicht gelöst, sondern sah sich allein wegen der Vertragsverletzung der Beklagten hierzu veranlasst.

d) Ob freilich ein Schadensersatzanspruch bis zum möglichen Vertragsende, gegebenenfalls bis zum Eintritt des Rentenalters, besteht, erscheint wie der Kläger selbst einräumt äußerst zweifelhaft, da sich der Schadensersatzanspruch in erheblicher Höhe aufsummieren kann, und deshalb nach dem Gebot von Treu und Glauben, § 242 BGB, eine Beschränkung des Schadensersatzanspruchs in Erwägung zu ziehen ist. Diese Frage braucht für den vorliegenden Rechtsstreit indessen noch nicht abschließend entschieden zu werden.

Für den von der vorliegenden (Teil )Klage erfassten Zeitraum (bis Ende 1998) ist der Schadensersatzanspruch jedenfalls begründet.

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