Kein Anspruch auf Weiterbelieferung mit Original-Ersatzteilen und Original-Verbrauchsmaterialien nach Beendigung des Handelsvertretervertrages
VI-U [Kart] 36/13 Urteil verkündet am 23. Oktober 2013 OLG Düsseldorf HandelsvertreterrechtOberlandesgericht Düsseldorf
Im Namen des Volkes
Urteil
Tenor
I. Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das am 6. Juni 2013 verkündete Urteil der II. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das vorgenannte Urteil abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Der Verfügungsantrag der Verfügungsklägerin wird zurückgewiesen.
2. Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf insgesamt 300.000,– € festgesetzt. Davon entfällt ein Teilbetrag von 60.000,– € auf das Rechtsmittel der Verfügungsbeklagten.
Entscheidungsgründe
2 I.
3 Die Verfügungsbeklagte produziert und vertreibt Frankiermaschinen. Die Verfügungsklägerin und ihre Rechtsvorgängerin waren seit mehreren Jahrzehnten für die Verfügungsbeklagte als Handelsvertreter tätig.
4 Mit notariellem Vertrag vom 2. Mai 2013 veräußerte der Inhaber der Verfügungsklägerin sämtliche Geschäftsanteile an die N.., einer Wettbewerberin der Verfügungsbeklagten. Unter dem 5. Mai 2013 informierte die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte über diesen Inhaberwechsel und erklärte zugleich die fristlose – hilfsweise: die fristgerechte – Kündigung des Handelsvertretervertrages.
5 Mit ihrem Verfügungsantrag begehrt die Verfügungsklägerin die Verurteilung der Verfügungsbeklagten, sie für die Dauer von 2 Jahren, mithin bis zum 6. Mai 2015, mit sämtlichen Original-Ersatzteilen und Original-Verbrauchsmaterialien für F.-P.-Geräten zu beliefern, ihr überdies eine Lizenz für die Nutzung näher bezeichneter Software zu erteilen sowie sie zur Wartung und Reparatur von F.-P.-Geräten zu ermächtigen.
6 Das Landgericht hat dem Verfügungsantrag für die Zeit bis zum 6. November 2013 stattgegeben. Es hat angenommen, die Verfügungsbeklagte sei aus dem Gesichtspunkt einer nachvertraglichen Rücksichtnahmepflicht zur Weiterbelieferung der Verfügungsbeklagten verpflichtet. Mangels eines substantiierten Vorbringens zur Abwicklung der bestehenden Wartungs- und Reparaturverträge und zur Umstrukturierung des Geschäftsbetriebs sei die zuzubilligende Mindestübergangszeit allerdings auf lediglich sechs Monate zu veranschlagen.
7 Dagegen wenden sich beide Parteien mit der Berufung. Die Verfügungsklägerin möchte den zuerkannten Anspruch bis zum 6. Mai 2015 verlängert sehen, die Verfügungsbeklagte verfolgt ihren Zurückweisungsantrag weiter.
8 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Feststellungen des Landgerichts sowie auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
9 II.
10 Die zulässige Berufung der Verfügungsklägerin ist unbegründet. Das Rechtsmittel der Verfügungsbeklagten hat Erfolg. Es führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung des Verfügungsantrags. Denn die Verfügungsklägerin kann von der Verfügungsbeklagten über das Ende des Handelsvertreterverhältnisses hinaus unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine Weiterbelieferung verlangen.
11 A. Ein nachvertraglicher Belieferungsanspruch besteht nicht.
12 Dabei kann es auf sich beruhen, ob und unter welchen Voraussetzungen es überhaupt denkbar ist, einer Vertragspartei unter dem Aspekt der nachvertraglichen Rücksichtnahmepflicht einen Anspruch auf die Vertragsleistung zuzubilligen. Durchgreifende Zweifel ergeben sich schon auf erste Sicht aus der Tatsache, dass ein solcher nachvertraglicher Leistungsanspruch die geltenden Kündigungsfristen leerlaufen ließe. Nicht ohne Grund sind aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) bislang alleine Neben- und Schutzpflichten, aber kein Anspruch auf die Vertragsleistung selbst abgeleitet worden (vgl. nur Grüneberg in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Aufl., § 242 Rdnr. 24 ff. m.w.N.).
13 Im Streitfall scheidet ein nachvertraglicher Belieferungsanspruch – ungeachtet dieser grundsätzlichen Erwägungen – überdies aus, weil die Verfügungsklägerin weder schutzbedürftig noch schutzwürdig ist. Sie selbst hat den Handelsvertretervertrag mit der Verfügungsbeklagten gekündigt und sich hierdurch des Anspruchs auf diejenigen Vertragsleistungen, die sie nunmehr begehrt, freiwillig begeben. Es gibt keinen Grund und keine Rechtfertigung, der Verfügungsklägerin gleichwohl nachvertraglich einen Anspruch auf die Leistungen der Verfügungsbeklagten zu geben. Das gilt umso mehr, als sich die Verfügungsklägerin durch die Kündigung des Handelsvertretervertrages umgekehrt ihrer eigenen vertraglichen Pflichten, insbesondere der gesetzlichen Pflicht aus § 86 Abs. 1 HGB, die Interessen der Verfügungsbeklagten zu wahren, entledigt hat.
14 Dass nicht nur die Veräußerung der Geschäftsanteile an die N., sondern darüber hinaus auch die Kündigung des Handelsvertretervertrages durch die mangelnde Profitabilität der Geschäftsbeziehung für die Verfügungsbeklagte veranlasst gewesen sein soll, behauptet die Verfügungsklägerin erstmals in der Berufung. Das Vorbringen ist verspätet und schon aus diesem Grund außer Betracht zu lassen (§§ 531 Abs. 1 Nr. 3, 530 ZPO). Es ist überdies nicht glaubhaft gemacht und auch deshalb nicht zu berücksichtigen (§§ 935, 940, 936, 920 Abs. 2 ZPO). Es ist schließlich ohne hinreichende Substanz, weil sich bei verständiger, lebensnaher Würdigung des Sachverhalts geradezu aufdrängt, dass der Handelsvertretervertrag nur deshalb gekündigt worden ist, weil Inhaber der Verfügungsklägerin ein Wettbewerber der Verfügungsbeklagten geworden war. Entgegenstehendes hätte der näheren Darlegung bedurft, woran es fehlt.
15 B. Der Verfügungsklägerin steht ebenso wenig ein kartellrechtlicher Belieferungsanspruch aus §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 33 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GWB oder aus §§ 20 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 33 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GWB zu.
16 Nach den §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 Satz 1 GWB ist es sowohl marktbeherrschenden als auch marktstarken Unternehmen verboten, ein anderes Unternehmen unbillig zu behindern oder ohne sachlich gerechtfertigten Grund unterschiedlich zu behandeln. Im Entscheidungsfall kann es dahin stehen, ob die Verfügungsbeklagte auf dem (sachlich und räumlich relevanten) Markt eine beherrschende Stellung besitzt oder sie zumindest ein marktstarkes Unternehmen im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 GWB ist. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, verstößt die Verfügungsbeklagte dadurch, dass sie eine Belieferung der Verfügungsklägerin ablehnt, nicht gegen das kartellrechtliche Behinderungs- und Diskriminierungsverbot.
17 1. Eine unbillige Behinderung der Verfügungsklägerin liegt nicht vor.
18 Ob eine Beeinträchtigung im Wettbewerb unbillig ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (zuletzt: BGH, WuW/E DE-R 3549 Rn. 29 – Werbeanzeigen). Dabei gilt der Grundsatz, dass niemand – auch nicht der Marktbeherrscher – verpflichtet ist, einen Wettbewerber zum eigenen Schaden zu fördern (BGH, WuW/E BGH 2755, 2759 – Aktionsbeiträge; BGH, WuW/E BGH 2589 – Frankiermaschinen; BGH, WuW/E DE-R 1520, 1527 – Arealnetz; BGH, WM 2006, 1266 – Stadtwerke Dachau). Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof bereits im Jahre 1989 entschieden, dass ein ausgeschiedener Handelsvertreter, der nunmehr konkurrierende Frankiermaschinen vertreibt, gegen seinen früheren Geschäftsherrn nur ausnahmsweise und unter besonderen Umständen einen Anspruch auf Weiterbelieferung mit Ersatzteilen besitzt (BGH, WuW/E BGH 2589 – Frankiermaschinen). In jenem Fall hatte der Geschäftsherr die Vertriebsvereinbarung mit seinem Handelsvertreter wegen Nichterreichens der Umsatzziele fristgerecht gekündigt, und der Bundesgerichtshof hat in dieser Fallkonstellation einen kartellrechtlichen Belieferungsanspruch für eine angemessene Übergangsfrist ausnahmsweise deshalb für denkbar gehalten, weil die dortigen Parteien in einer 46-jährigen Geschäftsbeziehung gestanden hatten und dem Kundendienstgeschäft eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung für den Geschäftsbetrieb des Handelsvertreters zugekommen war. Der Streitfall weicht in entscheidenden Punkten ab. Vorliegend hat nicht der Geschäftsherr, sondern der Handelsvertreter selbst den Handelsvertretervertrag fristlos gekündigt, weshalb dessen Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit gänzlich anders zu beurteilen ist. Neue Inhaberin des Handelsvertretergeschäfts ist ferner eine Konkurrentin des Geschäftsherrn, so dass die Verfügungsbeklagte durch eine Belieferung der Verfügungsklägerin im Reparatur- und Wartungsgeschäft zum eigenen Schaden unmittelbar einen Wettbewerber fördern würde. Mit den Ersatzteillieferungen zum Zwecke von Reparaturen und Wartung, einer Weiterbelieferung mit Verbrauchsmaterialien sowie der verlangten Ermächtigung zur Durchführung von Reparatur- und Wartungsarbeiten an den Geräten der Verfügungsbeklagten wäre diese gezwungen, zu ihrem eigenen Nachteil der Verfügungsklägerin Wettbewerbsvorteile im Neugeschäft mit ihrem Konkurrenzprodukt zu verschaffen (vgl. BGH, WuW/E BGH 2589 Rn. 19 – Frankiermaschinen). Das ist ihr nicht zuzumuten (ebenso: OLG Wien, Beschl. vom 06.08.2012 – 1 R 183/12g, Umdruck Seite 11 ff., vorgelegt als Anlage Ag 7, GA 304 ff.). In gleicher Weise, wie die Verfügungsklägerin das Handelsvertreterverhältnis unter ihrem neuen Inhaber nach § 11 Abs. 3 des Handelsvertretervertrages aus wichtigem Grund kündigen durfte, um nicht einen Konkurrenten beim Absatz seiner Produkte fördern zu müssen, darf auch die Verfügungsbeklagte nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses jedwede Unterstützung ihres ehemaligen Handelsvertreters ablehnen, um nicht einen Wettbewerber zum eigenen Nachteil zu unterstützen. Dass die Verfügungsbeklagte – wie sie behauptet – auf eine Weiterbelieferung durch die Verfügungsbeklagte dringend angewiesen und andernfalls in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht ist, spielt in diesem Zusammenhang keine entscheidende Rolle. Denn der Inhaber der Verfügungsklägerin hat das Unternehmen durch die Veräußerung sämtlicher Geschäftsanteile an einen Konkurrenten der Verfügungsbeklagten selbst in diese Lage gebracht und die nunmehr beklagten Konsequenzen sehenden Auges herbeigeführt.
19 2. Die Verfügungsbeklagte verstößt durch ihre Weigerungshaltung auch nicht gegen das kartellrechtliche Diskriminierungsverbot. Das Landgericht hat dazu folgende Feststellungen getroffen: Die Verfügungsbeklagte hat sich ab dem Jahr 2002 mit verschiedenen ihrer Handelsvertreter, die das Vertragsverhältnis gekündigt hatten, auf eine Weiterbelieferung mit Ersatzteilen und Verbrauchsmaterialien für Zeiträume von bis zu 2,5 Jahren geeinigt. Einige dieser Handelsvertretungen waren zeitgleich von der N. übernommen worden oder wurden später von dieser Konkurrentin der Verfügungsbeklagten übernommen. Ab 2008 hat die Verfügungsbeklagte den Abschluss solcher Weiterbelieferungsverträge abgelehnt. Daraufhin ist sie von einigen durch Eigenkündigung ausgeschiedenen Handelsvertretern im Eilverfahren auf eine Belieferung mit Ersatzteilen und Verbrauchsmaterialien in Anspruch genommen worden. Mit einem Handelsvertreter hat sie sich im Jahr 2009 durch Prozessvergleich auf eine Weiterbelieferung für 11 Monate geeinigt. In einem weiteren Fall ist sie durch einstweilige Verfügung des Landgerichts Düsseldorf (14c O 45/12) zur fortgesetzten Belieferung verurteilt worden. Die im Beschlusswege erlassene Verfügung ist durch Urteil vom 21. März 2013 für den Zeitraum bis zum 3. August 2013 bestätigt worden. Die Verfügungsbeklagte hat dagegen keine Berufung eingelegt. Das in dieser Sache eingeleitete Hauptsacheverfahren ist beim Landgericht noch anhängig. Ergänzend zu den tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts hat der Verfahrensbevollmächtigte der Verfügungsklägerin im Senatstermin darauf hingewiesen, dass die Verfügungsbeklagte in einem weiteren Fall eine Weiterbelieferung zugesagt und gewährt hat, nämlich im Juni 2011 der „P. GmbH“ für die Dauer von insgesamt 19 Monaten.
20 Auf dieser Tatsachengrundlage ist eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der Verfügungsklägerin nicht feststellen. Hinsichtlich der Weiterbelieferungsfälle vor dem Jahr 2008 fehlt es schon tatbestandlich an einer ungleichen Behandlung, jedenfalls wäre eine solche aber sachlich gerechtfertigt. Die Sachverhalte liegen mittlerweile sechs Jahre zurück und vermögen den Vorwurf der Diskriminierung schon in zeitlicher Hinsicht nicht (mehr) zu begründen. Soweit die Verfügungsklägerin vom Landgericht Düsseldorf in dem Verfahren 14c O 45/12 zur Weiterbelieferung verurteilt worden ist, liegt eine Diskriminierung ebenfalls nicht vor. Die Verurteilung zur Belieferung auf der einen Seite und die freiwillige Weiterbelieferung des ausgeschiedenen Handelsvertreters auf der anderen Seite sind schon unterschiedliche Sachverhalte. Sie unterfallen von vornherein nicht dem kartellrechtlichen Diskriminierungsverbot. Gleiches gilt für die von der Verfügungsbeklagten in einem Prozessvergleich zugesagte Weiterbelieferung eines Handelsvertreters, weil die Verfügungsbeklagte durch den Vergleichsabschluss einer nach dem damaligen Verfahrensstand zumindest ernsthaft in Betracht kommenden Verurteilung zuvor kommen wollte. In jedem Fall wäre eine Nichtbelieferung der Verfügungsklägerin sachlich gerechtfertigt. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH, WRP 2004, 374 – Depotkosmetik im Internet) liegt eine gerechtfertigte Ungleichbehandlung bereits dann vor, wenn das marktbeherrschende Unternehmen die bisherige Belieferung in der Annahme vorgenommen hat, hierzu gesetzlich verpflichtet zu sein. Gleiches muss gelten, wenn das marktbeherrschende Unternehmen in Befolgung eines Urteils oder eines Prozessvergleichs geliefert hat. Es kommt hinzu, dass der Verfügungsbeklagten auch weitere berechtigte Gründe zur Seite stehen, so dass die Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt ist. Die Verfügungsbeklagte macht dazu nachvollziehbar und unwidersprochen geltend, dass sie die Weiterbelieferung ausgeschiedener Handelsvertreter zunächst großzügig gehandhabt habe, weil sie seinerzeit noch von Einzelfällen ausgegangen sei. Mittlerweile habe sich aber aufgrund entsprechender eigener Presseverlautbarungen aus Februar und April 2012 gezeigt, dass ihre Wettbewerberin über die N. mehr oder weniger systematisch ihre Handelsvertretungen übernehme, um in ihren (der Verfügungsbeklagten) Kundenstamm einzudringen. Die Verfügungsbeklagte darf darauf reagieren. Auch unter Beachtung des kartellrechtlichen Diskriminierungsverbots ist sie befugt, ihre eigenen wettbewerblichen Interessen zur Geltung zu bringen und – in Abkehr von ihrer bisherigen Praxis – eine Weiterbelieferung derjenigen Handelsvertreter ablehnen, die von der N. übernommen worden sind. Jedenfalls unter diesem Gesichtspunkt ist auch die unterschiedliche Behandlung im Verhältnis zur „P. GmbH“ sachlich gerechtfertigt.
21 III.
22 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.