Keine Rentenversicherungspflicht für Versicherungsmakler mit Anbindung an einen Maklerpool

S 4 BA 32/19 Urteil verkündet am 2. November 2022 SG Lüneburg Rentenversicherungspflicht, Versicherungsmaklerrecht

Sozialgericht Lüneburg
Im Namen des Volkes
Urteil

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 09.11.2018 in Gestalt des Wider-

spruchsbescheides vom 11.06.2019 wird aufgehoben. Es wird festge-

stellt, das seit 01.08.2018 keine Versicherungspflicht des Klägers in der

gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI besteht.

Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
nach § 2 Satz 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) als selbständig tätiger Versi-
cherungsmakler für die Zeit ab 01.08.2018.

Der am geborene Kläger war aufgrund schriftlichen Vertrages vom 13./21.09.2016
seit 01.10.2016 als selbständiger Versicherungsvertreter ständig damit betraut, Versicherungs-
verträge an seinen Auftraggeber zu vermitteln. Für diese Tätigkeit stellte die Beklagte mit Be-
scheid vom 30.01.2017 Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung fest; zu-
gleich wurde er für die Zeit 01.10.2016 bis 30.09.2018 von der Versicherungspflicht befreit.

Auf einem Fragebogen gab der Kläger am 28.06.2018 an, die Versicherungsagentur zum
01.08.2018 aufzugeben und kein Ausschließlichkeitsvertreter mehr zu sein. Er werde zukünftig
als freier Versicherungsmakler tätig werden.
Mit Bescheid vom 09.11.2018 stellte die Beklagte fest, dass die grundsätzliche Versicherungs-
pflicht des Klägers über den 31.07.2018 hinaus fortbesteht und er für die Zeit 01.09.2018 bis
30.09.2019 von der Versicherungspflicht befreit ist. Versicherungspflichtig seien selbständig tä-
tige Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit keine versicherungs-
pflichtigen Arbeitnehmer beschäftigten sowie auf Dauer und im Wesentlichen für einen Auftrag-
geber tätig seien. Eine Tätigkeit für einen Auftraggeber läge auch vor, wenn er innerhalb des
Vertrages mit einem Auftraggeber zulässigerweise auch Produkte von Kooperationspartnern
/Produktpartnern vermittele, zu denen er keine vertraglichen Beziehungen unterhalte. In diesen
Fällen sei er nicht direkt für den Kooperationspartner/Produktpartner, sondern für seinen Auf-
traggeber tätig. Gleiches gelte für Versicherungsmakler, die über die Anbindung an einen sog.
Maklerpool die Produkte der dort aufgelisteten Produktpartner vermittelten. Der Befreiungszeit-
raum sei aufgrund seines Antrages noch um ein Jahr zu verlängern.

Einen hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
11.06.2019 zurück. Ein Selbständiger sei im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig, wenn
er mindestens fünf Sechstel seiner gesamten Betriebseinnahmen aus den Tätigkeiten allein aus
der Tätigkeit für einen Auftraggeber erziele. Der Kläger habe sich als Makler einem Maklerpool
angeschlossen und nutze die geschäftlichen Verbindungen des Maklerpools zu den einzelnen
Gesellschaften, die Vertriebsunterstützung durch den Maklerpool, dessen Marktmacht und die
ihm dadurch zukommenden Wettbewerbsvorteile. Es sei fraglich, ob ohne diese Anbindung er
überhaupt Einkünfte in nennenswertem Umfang erzielen könne.

Hiergegen richtet sich die am 01.07.2019 vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhobene
Klage. Zur Begründung trägt er vor, anders als während seiner Tätigkeit als Handelsvertreter
könne er seinen Kunden Produkte verschiedener Produktgeber vermitteln und sei an keinen
Produktgeber gebunden. Seine Rechtstellung als Makler werde durch die mit schriftlicher Ver-
einbarung vom 05.09.2017 begründete Anbindung an den Maklerpool „Fonds Finanz Mak-
lerservice GmbH“ (nachfolgend: Fond Finanz) nicht berührt, da keinerlei Bindung und insbe-
sondere keine Ausschließlichkeit bestehe. Fonds Finanz biete keine eigenen Produkte an, son-
dern leite Anträge der Kunden lediglich an die jeweiligen Produktgeber weiter; als weitere Ser-
viceleistung übernehme Fonds Finanz die Korrespondenz mit dem Produktgeber und die Ab-
rechnung der Provision für die vermittelten Verträge. Anders als bei einem Handelsvertreter
bestünden aber weder Tätigkeitspflicht noch Vorgaben oder ein Weisungsrecht bezogen auf
die Vermittlungstätigkeiten. Auch eine Beendigung der Zusammenarbeit mit Fonds Finanz än-
dere nichts an den zwischen ihm und seinen Kunden bestehenden Vertragsbeziehungen, er
könne aufgrund der vertraglichen Regelung jederzeit die Übertragung der Kunden in seinen
Bestand verlangen. Auftraggeber sei daher nicht Fonds Finanz, sondern seien seine Kunden.

Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 09.11.2018 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11.06.2019 festzustellen, das seit 01.08.2018 keine
Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2
Satz 1 Nr. 9 SGB VI besteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
Mit Bescheid vom 21.10.2020 stellte die Beklagte fest, dass ab 01.07.2020 Versicherungsfrei-
heit besteht, weil der Kläger seine Tätigkeit seit diesem Zeitpunkt in geringfügigem Umfang
ausübe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte ge-
reichten Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten ver-
wiesen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässige
Anfechtungs-und Feststellungsklage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig
und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Entgegen der Feststellung besteht ab 01.08.2018
keine Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung. Aufgrund der
fehlerhaften Feststellungen in dem angefochtenen Bescheid besteht auch ein berechtigtes In-
teresse an der (deklaratorischen) Feststellung durch das SG, dass für den Streitzeitraum keine
Versicherungspflicht besteht.

Nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI sind versicherungspflichtig selbständig tätige Personen, die
a) im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungs-
pflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und
b) auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind; bei Gesellschaf-
tern gelten als Auftraggeber die Auftraggeber der Gesellschaft.
Der Kläger übt über den 31.07.2018 hinaus eine selbständige Tätigkeit aus und er beschäftigt
auch keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer. Er ist jedoch nicht auf Dauer und im We-
sentlichen nur für einen Auftraggeber tätig.
Der Begriff des „Auftraggebers“ iSv § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI ist gesetzlich nicht definiert und
mangels eines bestimmten juristischen und allgemeinen Sprachgebrauchs in seiner Bedeutung
offen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist davon erfasst jede natür-
liche oder juristische Person oder Personenmehrheit, die im Wege eines Auftrags oder in sons-
tiger Weise eine andere Person mit einer Tätigkeit betraut, sie ihr vermittelt oder ihr Vermark-
tung oder Verkauf von Produkten nach einem bestimmten Organisations- und Marketingkon-
zept überlässt (BSG, Urteil vom 23.04.2015, Az.: B 5 RE 21/14 R – juris Rn. 25 m.w.N.).

Diese Voraussetzung liegt bezogen auf die Tätigkeit des Klägers für die Fonds Finanz nicht vor.
Eine Bindung in dem Sinne, dass er als Versicherungsvermittler nur oder weitgehend aus-
schließlich Produkte vertreiben kann, die ihm von der Fonds Finanz zur Verfügung gestellt wer-
den, besteht nicht, und zwar weder rechtlich noch faktisch. Nach § 59 Abs. 3 Versicherungs-
vertragsgesetz (VVG) ist Versicherungsmakler, wer gewerbsmäßig für den Auftraggeber die
Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernimmt, ohne von einem Ver-
sicherer oder einem Versicherungsvertreter damit betraut zu sein. Dies trifft auf die Person des
Klägers zu, der zwar durch die Vereinbarung vom 05.09.2016 mit der Fonds Finanz verbunden
ist, von dieser aber weder ständig noch ausschließlich mit der Vermittlung von Versicherungs-
verträgen betraut ist. Dies ergibt sich unmittelbar aus Zif. 3.1. dieser Vereinbarung, wonach der
Vermittler im Verhältnis zu Fonds Finanz weder ständig damit betraut noch generell verpflichtet
ist, an diese Produktverträge zu vermitteln. Nach Zif. 2.2 der Vertriebsvereinbarung ist der Ver-
mittler bei seiner Vermittlungstätigkeit weder auf die ihm über die Fonds Finanz zur Verfügung
gestellten Produkte beschränkt noch ist er dazu verpflichtet, von ihm vermittelte Verträge bei den „Produktpartnern“ (also Versicherungsunternehmen, Investmentgesellschaften, Bauspark-
assen, Banken etc.) über die Fonds Finanz einzureichen, selbst wenn zwischen diesen und der
Fonds Finanz Vertragsbeziehungen bestehen. Der Kläger als Versicherungsmakler vermittelt
damit Verträge zwischen Kunden und Produktgebern, also Versicherungsunternehmen, Invest-
mentgesellschaften, Bausparkassen, Banken etc. Ein Auftragsverhältnis im juristischen Sinne
oder auch nur vom Sprachgebrauch besteht zwischen ihm und der Fonds Finanz damit nicht;
erst recht ist nach den Regelungen eine Ausschließlichkeit der Tätigkeit für die Fonds Finanz
gerade nicht vorgesehen.

Anders als bei einem Versicherungsvertreter ist der Kläger als Versicherungsmakler damit an
kein bestimmtes Unternehmen gebunden. Ebensowenig wird von der Fonds Finanz ein Orga-
nisations-, Vertriebs- oder Marketingkonzept zur Verfügung gestellt, auf dessen Grundlage die
Tätigkeit des Vermittlers erfolgt oder gar zu erfolgen hat. Vielmehr bietet die Zusammenarbeit
mit der Fonds Finanz dem Vermittler Vorteile, da diese aufgrund der Vielzahl über sie einge-
reichter Verträge teilweise bessere Vermittlungsprovisionen mit den Produktgebern aushandeln
und an die Vermittler weiterreichen kann; zudem übernimmt sie bei den Verträgen, die bei ihr
eingereicht werden, die erforderliche Korrespondenz und die Abrechnung der Vermittlungspro-
vision für den Vermittler unter Abzug einer eigenen, in der Vereinbarung geregelten Service-
provision. Dies gereicht dem Vermittler insoweit zum Vorteil, dass er bessere Konditionen er-
zielen und/oder einen Teil der ihm als Makler obliegenden Aufgaben auslagern kann. Ein Ver-
triebssystem, welches ihn zu einem bestimmten Tätigwerden nach den Vorgaben der Fonds
Finanz verpflichtet, ist damit aber ebenso wenig verbunden wie eine Verpflichtung, in bestimm-
ten Umfang für dieses Unternehmen tätig zu werden. Vielmehr ist der Vermittler im Rahmen
der Vereinbarung mit Fonds Finanz frei, einen von ihm vermittelten Vertrag über diesen Ver-
triebspartner, einen anderen Maklerpool oder auch direkt bei der Produktgesellschaft einzu-
reichen, und besteht auch kein Weisungs- oder Direktionsrecht der Fonds Finanz bei der Ver-
mittlungstätigkeit. Zudem ist nicht ersichtlich und wird auch von der Beklagten nicht behauptet,
dass bestimmte Betriebsmittel oder Vertriebswege, die auf ein Organisations-, Vertriebs- oder
Marketingkonzept schließen lassen, für ihn vorgehalten oder ihm vorgegeben werden.

Gegen die wirtschaftliche Abhängigkeit spricht zudem, dass der Kläger die Übertragung der
vermittelten Kundenverträge auf seine Direktanbindungen oder auf einen anderen Maklerpool
verlangen kann. Etwas anderes würde sich auch nicht daraus ergeben, wenn er einen erhebli-
chen Teil seiner Verträge über die Fonds Finanz abwickelt. Denn im Gegensatz zum Versiche-
rungsvertreter, der gegenüber dem Versicherer bzw. einer Poolgesellschaft zum Abschluss von
Verträgen des Versicherers bzw. aus dem Pool verpflichtet ist, kann der Versicherungsmakler
jederzeit entscheiden, einzelne, eine Vielzahl oder alle Verträge über einen anderen Pool oder
anderweitig selbst einzureichen. Allein die tatsächliche Inanspruchnahme des Maklerpools der Fonds Finanz in einem frei bestimmten Umfang macht diese weder zur (alleinigen) Auftragge-
berin des Klägers noch begründet dies eine wirtschaftliche, zur Versicherungspflicht führende
Abhängigkeit des Vermittlers.

Das SG verkennt nicht, dass der Begriff Auftraggeber aufgrund des Schutzzwecks der Norm
§ 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI weit auszulegen ist; die Eigenschaft als Auftraggeber ist demnach auch
nicht davon abhängig, dass vertragliche Verpflichtungen zwischen der das Handeln veranlas-
senden Person und dem Handelnden bestehen. Ausreichend ist nach der Gesetzesbegrün-
dung, dass der selbständig Tätige tatsächlich (wirtschaftlich) im Wesentlichen von einem einzi-
gen Auftraggeber abhängig ist (BT-Drucks 14/45 S. 46; s.a. Segebrecht in Kreikebohm/Roß-
bach SGB VI, 6. Aufl. 2021, SGB VI § 2 Rn. 43). Eine solche wirtschaftliche Abhängigkeit des
Vermittlers wird aber nicht dadurch begründet, dass die Vermittlungsprovision (Courtage) über
die bei ihr eingereichten Verträge zwar über die Fonds Finanz abgerechnet und von ihr ausge-
zahlt wird. Sie wird nämlich nicht von der Fonds Finanz, sondern aufgrund des Maklervertrages
unmittelbar vom Versicherer geschuldet, sodass eine Bindung an (nur) diesen Auftraggeber
dadurch nicht entsteht. Der Provisionsanspruch liegt im Maklervertrag mit dem Kunden begrün-
det und dementsprechend erhält der Makler auch nach Abschluss des Vertrages Anspruch auf
die Bestandsprovision vom Kunden. Dementsprechend ist nicht der Maklerpool, sondern sind
die einzelnen, vom Makler aufgrund seiner Vermittlungstätigkeit geworbenen Kunden als Auf-
traggeber anzusehen (a.A.: Bayerisches Landessozialgericht (LSG), Urteil vom 03.06.201, Az.:
L 1 R 679/14 – juris). Anders als bei einem Franchisegeber, der dem Franchisenehmer ein
Konzept zur Verfügung stellt und ihm damit erst den Marktzugang sichert, ist dies bei einem
Makler, dem verschiedene Produkte sowie unterschiedliche Wege für die Produktvermittlung
offenstehen und der an kein bestimmtes Konzept gebunden ist, nicht der Fall. Im Übrigen
kommt es auch nicht darauf an, ob bzw. in welchem Umfang der Kläger seine Umsätze über
die Fonds Finanz erzielt. Kennzeichnend für den Personenkreis der Selbständigen iSv § 2 Satz
1 Nr. 9 SGB VI ist nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe, sondern sind
ausschlaggebend vielmehr typische Tätigkeitsmerkmale (BSG a.a.O.). Dementsprechend ist
nicht die konkrete Schutzbedürftigkeit des Selbständigen maßgebend und kommt es nicht da-
rauf an, ob der Kläger ohne die Anbindung an die Fonds Finanz Einkünfte erzielen in nennens-
wertem Umfang erzielt; vielmehr ist wesentlich die typisierende soziale Schutzbedürftigkeit ei-
ner Tätigkeit für einen Auftraggeber, die hier aber gerade nicht vorliegt.

Liegt demnach keine Tätigkeit auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber vor,
besteht keine Versicherungspflicht und ist die entgegenstehende Feststellung in dem angefoch-
tenen Bescheid aufzuheben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 183, 193 SGG.

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