Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Schlechtleistung

13 Sa 84/05 Urteil verkündet am 6. September 2006 LAG Baden-Württemberg Durchführung des Arbeitsverhältnisses

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Im Namen des Volkes
Urteil

Tenor

  1. Auf die Berufung der Kl. wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 14.06.2005 – 4 Ca 290/04 – abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Bekl. vom 26.10.2004 nicht beendet wurde.

2. Die Bekl. hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine ordentliche, auf Schlechtleistungen gestützte Kündigung der beklagten Arbeitgeberin.

Die ursprünglich als Verkäuferin und Kassiererin eingesetzte Klägerin wurde als Filialleiterin für die Beklagte tätig. Ein Teil ihrer Aufgaben bestand auch in dieser Funktion aus der Kassiertätigkeit. Während ihrer Zeit als Marktleiterin kam es aus Sicht der Beklagten allerdings zu Mängeln in der Arbeitsleistung der Klägerin. Der im Jahr 2003 vollzogenen Tätigkeitsänderung lagen verschiedene Vorwürfe der Beklagten zugrunde: erhebliche Mängel im Kassenwesen, Differenzen bei den Inventuren sowie Verluste. Im Hinblick auf Inventuren toleriert die Beklagte Differenzen von höchstens 0,8%. Umstritten ist, ob der Klägerin entgegenstehende allgemeine und besondere Anweisungen der Beklagten bekannt waren oder bekannt sein mussten. Auf der Grundlage der aus den Jahren 2001 und 2002 stammenden Vorwürfe verfasste die Beklagte sog. Abmahnungen; den Zugang bestritt die Klägerin.

In der am 01.12.2003 wieder ganz überwiegend übernommenen Funktion einer Kassiererin hatte die Klägerin die folgende Arbeitsanweisung der Beklagten für Kassierkräfte zu beachten:

„2. Vorbemerkung Grundsätzlich sind die Mitarbeiter im Kassendienst dafür verantwortlich, dass alte Verkäufe ordnungsgemäß und vollständig registriert werden. Die entgegengenommenen Zahlungsmittel müssen jederzeit mit dem Kassensollbestand übereinstimmen. … Wird gegen diese Arbeitsanweisung verstoßen, hat der/die Mitarbeiter/in mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen, die bis zur fristlosen/außerordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen können. …

7. Bezahlungsvorgang …
7.3.2. Unterschriftsprüfung Die Kassierkraft muss die Unterschrift auf der EC-Karte mit der vom Kunden zu leistenden Unterschrift auf dem Lastschriftbeleg (siehe 7.3.3.) auf Übereinstimmung prüfen. Dabei ist dem Kunden die EC-Karte erst dann auszuhändigen, nachdem der Lastschriftbeleg vom Kunden unterschrieben wurde und ein Abgleich der Unterschrift auch tatsächlich vorgenommen werden konnte. Stimmen die Unterschriften nicht überein, darf keine Zahlung mittels EC-Karte erfolgen. Der Kunde muss in bar bezahlen, und es ist eine Zahlmittelumbuchung vorzunehmen. Führt der Kunde nicht genügend Bargeld mit sich, muss zusätzlich der Bon storniert werden, …

10. Sonstige, besonders zu beachtende Punkte Folgende Punkte sind darüber hinaus streng zu beachten: Alle Artikel sind einzeln, unter Einbeziehung der Multiplikationstaste zum vollen Verkaufswert zu registrieren. Es ist darauf zu achten, dass der Kunde die zu bezahlende Ware (außer Großgebinden) vollständig auf das Kassierband legt. Sofern dies seitens des Kunden nicht von selber geschieht, ist der Kunde höflich aufzufordern, alle Waren auf das Kassierband zu legen. Sollte der Kunde dieser Aufforderung nicht nachkommen, müssen die im Einkaufswagen verbleibenden Artikel auf Art und Menge geprüft und vollständig registriert werden. Großgebinde, die im Einkaufswagen verbleiben bzw. auf der unteren oder hinteren Ablagefläche abgestellt sind, müssen einer genauen Kontrolle unterzogen werden. Es ist zu prüfen, ob noch nicht registrierte Artikel verdeckt werden. In jedem Fall ist sicherzustellen, dass alle Artikel des Einkaufs vollständig registriert werden. Die Kassierkraft muss dazu in den Einkaufswagen schauen. …“

Um die Einhaltung der Kassenanweisung sicherzustellen, führt die Beklagte Testkäufe durch. Das dabei verwendete Formular enthält folgende Kriterien: (1) Begrüßung, (2) Blickkontakt, (3) „Danke“, (4) Verabschiedung, (5) Einkaufswagen eingesehen, (6) Jeden Artikel gescannt, außer ganzen Mehrwegkisten, (7) Spiegel genutzt.

Ein von der Beklagten verfasstes Papier über die „Durchführung von Aufmerksamkeitskäufen“ lautet wie folgt: „Aufmerksamkeitskäufe dienen der Überprüfung der Tätigkeit und des Verhaltens (Freundlichkeit) der Kassierkräfte. Sie werden in der Regel von der zuständigen Bezirksverkaufsleitung oder der Filialrevision (TASCO) eingeleitet. Bei einem Aufmerksamkeitskauf ist die Aufmerksamkeit einer Kassierkraft mit einem Artikel zu überprüfen. Dieser Artikel ist aus den folgenden bzw. aus gleichartigen auszuwählen: ein Pfund Kaffee, eine Spirituose, eine Flasche Wein/Sekt, ein Paket Waschmittel, ein Karton Hunde-/Katzenfutter, eine Schachtel Pralinen, ein hochpreisiger Non-Food-III-Artikel. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass der Artikel nicht in irgendeiner Form „versteckt“ ist, sondern sich offen im oder unter dem Wagen bzw. am Haken vor dem Wagen befindet.

Bei Feststellung von Fehlern der Kassierkraft muss die zuständige Bezirksverkaufsleitung am selben Tag – spätestens am folgenden Werktag ein Gespräch mit der betreffenden Person führen.“ Etwa 20% dieser Testkäufe führen zu Beanstandungen. Die Klägerin wurde in der Zeit von Januar bis August 2004 im Wege mehrerer Testkäufe überprüft. Die Zahl der Testkäufe ist zwischen den Parteien streitig.
Am 13.07.2004 und 23.08.2004 verstieß die Klägerin nach Einschätzung der Beklagten gegen die Arbeitsanweisung für Kassierkräfte. Bezüglich diesen Verstößen wird auf die Ausführungen in den Gründen verwiesen (A. II. 2. b) und A. III.).

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.05.2005 bzw. zum nächstmöglichen Termin. Die Klägerin hat in ihrer Klage die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats bestritten und die Kündigung für sozialwidrig gehalten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil abgewiesen.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Klägerin gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts.

Entscheidungsgründe

A. … Der zulässige Kündigungsschutzantrag hat in der Sache Erfolg. Die Fragen der Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG … können deshalb auf sich beruhen.

Einordnung als personen- oder verhaltensbedingte Kündigung

1. Im Ansatz der Prüfung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung ist zunächst zu klären, in welchen Bereich die geltend gemachten Kündigungsgründe fallen. Der zu wählende Prüfungsmaßstab hängt davon ab, ob es sich um Tatsachen handelt, die dem personen- oder dem verhaltensbedingten Komplex zuzuordnen sind. …

3. a) Verliert der Arbeitnehmer die Eignung oder Fähigkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, oder hat er sie von vornherein nicht, kann er dies nicht oder nicht mehr willentlich steuern. …
Vorliegend: kein Mischtatbestand wegen der Steuerbarkeit des Verhaltens der Klägerin

4. a) Da sich Eignung und Fähigkeiten auch im Verhaltensbereich des Arbeitnehmers niederschlagen können, ist es häufig schwierig, den personen- vom verhaltensbedingten Grund zu unterscheiden. Berührt eine Kündigung mehrere Gründe, handelt es sich um einen Mischtatbestand. Die Abgrenzung richtet sich dann in erster Linie danach, aus welchem der von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG genannten Bereiche die Störung herrührt, die sich auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses nachteilig auswirkt (dazu bereits BAG 13.03.1987 – 7 AZR 724/85 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 37, zu II 2 der Gründe).

b) Ein derartiger Mischtatbestand ist hier aber nicht anzunehmen, zumal sich die Beklagte auf ihn eindeutig nicht beruft. Vielmehr brachte sie mit den zahlreichen als Abmahnungen eingeordneten Schreiben und den behaupteten mündlichen Vertragsrügen zum Ausdruck, dass sie das Handeln der Klägerin für steuerbar hielt. …

II. Dabei ist der Beklagten im rechtlichen Ausgangspunkt darin zuzustimmen, dass auf Pflichtverletzungen beruhende Schlechtleistungen grundsätzlich geeignet sind, eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen (für die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02 AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 48, zu B I 2b der Gründe m.w.N.; BAG 03.06.2004 – 2 AZR 386/03 – AP KSchG 1969 § 23 Nr. 33, zu B III 1 der Gründe). Ob eine Leistung als Schlechtleistung anzusehen ist, beurteilt sich dabei nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien.

Zwar ist kein objektiver Maßstab für den Inhalt des Leistungsversprechens anzusetzen, …

1. Ist die Arbeitsleistung im Vertrag, wie hier und im Regelfall, nach ihrer Menge und Qualität nicht oder nicht näher beschrieben, richtet sich der Inhalt des Leistungsversprechens zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch Ausübung seines Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und zum anderen nach dem persönlichen, subjektiven Leistungsvermögen des Arbeitnehmers. Ein objektiver Maßstab ist nicht anzulegen, weil der Arbeitsvertrag als Dienstvertrag keine Erfolgshaftung des Arbeitnehmers kennt. Anders als im Werkvertragsrecht schuldet der Dienstverpflichtete das „Wirken“, nicht das „Werk“ (BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02 AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 48, zu B 12b der Gründe m.w.N.; anderer Ansicht von Hoyningen-Huene/Linck KSchG 13. Auflage § 1 Rn. 253 ff., die sich in Anlehnung an § 243 BGB a.F. für eine geschuldete objektive Normalleistung aussprechen).

[…] jedoch muss der Arbeitnehmer unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten.

2. Allerdings kann der Arbeitnehmer seine Leistungspflicht nicht willkürlich selbst bestimmen und damit das Äquivalenzverhältnis nach freiem Belieben einseitig beeinflussen. Vielmehr muss er unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten (zu möglichen Störungen des Vertragsgleichgewichts BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 48, zu B 12 c der Gründe m.w.N.).

a) Daran wird deutlich, dass die Umstände, die eine auf Schlechtleistungen gestützte Kündigung begründen sollen, rechtlich nur zugeordnet und auf ihre soziale Rechtfertigung hin überprüft werden können, wenn die Leistungsmängel im Einzelnen beschrieben werden. Daher ist es zunächst Sache des Arbeitgebers, zu den Leistungsmangeln dasjenige vorzutragen, was er wissen kann (zu der bei Kündigungen wegen Schlechtleistungen bestehenden abgestuften Darlegungslast BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 48, zu B 12 d der Gründe; der Zweite Senat prüft in dieser Entscheidung unter B I 2 b der Gründe, ob die in einem Prämienlohnsystem erbrachte sog. Minderleistung als Schlechtleistung einzuordnen ist, ausdrücklich nur zu der Minderleistungsproblematik BAG 03.06.2004 – 2 AZR 386/03 – AP KSchG 1969 § 23 Nr. 33, zu B III 2 der Gründe; kritisch zu dem Korrektiv der gestuften Darlegungslast Maschmann NZA Beilage 1/2006 zu Heft 10/2006, 13, 18 f.).
Kündigungsverzicht der Beklagten bezüglich des Kassendefizits wegen ausreichender Sanktionierung des Pflichtenverstoßes durch die Abmahnung.

b) Im Ansatz wahrte die Beklagte dieses Erfordernis hinsichtlich der eigentlichen Kündigungsgründe, indem sie die am 23.08.2004 aus ihrer Sicht aufgetretenen Fehlverhaltensweisen der Klägerin detailliert vortrug. Die Beklagte stützt die Kündigung nach ihren streitigen Behauptungen auf zwei Vorgänge: die am 23.08.2004, 14.40 Uhr, übersehene Vorlage einer EC-Karte, deren Inhaber Herr J. und nicht die vorlegende Testkäuferin Br. war, sowie die unterbliebene Registrierung des von dem Testkäufer J. am 23.08.2004, 14.42 Uhr, im Einkaufswagen belassenen Artikel „Blue Moon, Anti-Age Creme“. Das am 13.07.2004 aufgetretene Kassendefizit von 30,05 Euro ist dagegen – wie die Klägerin zu Recht rügt – auf der objektivierten ersten Ebene der Prüfung nicht isoliert als Kündigungsgrund „an sich“ heranzuziehen, weil die Beklagte insoweit eine mündliche Abmahnung behauptet, die ihr Bezirksverkaufsleiter Ko. am 16.07.2004, 13.45 Uhr, ausgesprochen habe.

Die Beklagte erfüllt ihre Behauptungslast bezüglich der Vorfälle vom 23.08.2004 nicht, da sie die Beanstandungen nicht mit der durchschnittlichen Beanstandungsquote ins Verhältnis setzt

III. Die von der Beklagten behaupteten materiellen, am 23.08.2004 aufgetretenen Kündigungsgründe im engeren Sinn als neu aufgetretene Sachverhalte nach der Abmahnung vom 16.07.2004 rechtfertigen die Kündigung aber auch in der erforderlichen Gesamtschau der zugunsten der Beklagten als richtig unterstellten Belastungen des Arbeitsverhältnisses nicht. Dabei kann sich die Kammer der Ansicht der Arbeitgeberin nicht anschließen, zur Entscheidung dieser Gestaltung – einer Kündigung wegen Schlecht- und nicht Minderleistungen – seien die mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11.12.2003 entwickelten Grundsätze nicht heranzuziehen (BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02 -AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 48, zu B 12, II und III der Gründe). Sonst werde der Prüfungsmaßstab herkömmlicher verhaltensbedingter Kündigungen ausgehöhlt. Aus Sicht der Kammer durfte die Arbeitgeberin auf der ersten Stufe ihrer Behauptungslast nicht dabei stehen bleiben, die einzelnen Fehlverhaltensweisen der Klägerin darzustellen. Vielmehr hätte die Beklagte die Zahl der bei der Klägerin aufgetretenen Beanstandungen sowohl gegenüber der Zahl der bei ihr durchgeführten Testkäufe als auch gegenüber der durchschnittlichen Beanstandungsquote ins Verhältnis setzen müssen.

1. Die Kammer sieht durchaus das Problem, dass es sich hier nicht um eine Unterschreitung der Normalleistung in einem Akkord- oder Prämiensystem handelt, sondern nach dem bestrittenen Vorbringen der Beklagten um Unachtsamkeiten während des Kassiervorgangs. Der Zweite Senat hat in seiner Entscheidung vom 11.12.2003 allerdings gerade verdeutlicht, dass der Begriff der Minderleistung den Kategorien des Leistungsstörungsrechts wegen der Besonderheiten des Arbeitsrechts nicht ohne weiteres entspricht (BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 48, zu B 12 d der Gründe, vgl. insbesondere den Umstand, dass das Wort Minderleistung dort in Anführungsstriche gesetzt wird). Teilleistungen sieht der Arbeitsvertrag gerade nicht vor.

2. Unter B I 2 b der Gründe des soeben zitierten Urteils vom 11.12.2003 bezieht sich der Zweite Senat aus diesem Grund auch bei sog. Minderleistungen in einem Prämienlohnsystem auf Schlechtleistungen, die auf Pflichtverletzungen beruhen. Ob eine Leistung als Schlechtleistung anzusehen sei, beurteile sich nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Sei die Arbeitsleistung im Vertrag, wie meistens, der Menge und Qualität nach nicht näher umschrieben, richte sich der Inhalt des Leistungsversprechens zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch Ausübung des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und zum anderen nach dem persönlichen, mit anderen Worten subjektiven Leistungsvermögen des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer müsse tun, was er solle, und zwar so gut er könne. Die Leistungspflicht sei nicht starr, sondern dynamisch. Sie orientiere sich an der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Ein objektiver Maßstab sei nicht anzulegen (zu allem BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 48, zu B I 2 b der Gründe m.w.N.; die Kritik an diesem subjektiven Ansatz stellt z. B. Maschmann in NZA Beilage 1/2006 zu Heft 10/2006,13, 15 dar; er verteidigt auf S. 15 f. aber in Teilen den individuellen Maßstab der herrschenden Meinung unter Hinweis auf den höchstpersönlichen, strikt zeitbestimmten Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung und die im Arbeitsrecht als einem Unterfall des Dienstvertragsrechts fehlenden Gewährleistungsvorschriften). Allerdings differenziert Maschmann zwischen der subjektiven und der objektiven Güte der Arbeitsleistung: Subjektiv müsse der Arbeitnehmer leisten, was er individuell im Hinblick auf Arbeitstempo, Arbeitsintensität und Arbeitsmenge zu leisten vermöge, objektiv hafte der Arbeitnehmer für die Einhaltung gewisser professioneller Standards). An den wiedergegebenen Ausführungen des Zweiten Senats zeigt sich, dass es sich nicht nur um ein terminologisches Problem handelt, sondern um die streitentscheidende Frage des Vergleichsmaßstabs.

3. Die von der Beklagten behaupteten unterbliebenen Registrierungen von Waren bei Kassiervorgängen bzw. die anderen im Rahmen der Kündigungsgründe und abgemahnten Sachverhalte geltend gemachten Verstöße gegen die Arbeitsanweisung für Kassierkräfte – vor allem ihre Ziffern 7.3.2. und 10 – sind auch unmittelbarer Bestandteil der qualitativen Komponente der Arbeitspflicht der Klägerin (zu der Unterscheidung in quantitative und qualitative Mängel bei Schlechterfüllung beispielsweise Maschmann NZA Beilage 1/2006 zu Heft 10/2006, 13, 14). Sie sind einem Vergleich mit anderen Kassierer(innen) zugänglich.

a) Maschmann ist nicht darin zu folgen, dass es bei der verhaltensbedingten Kündigung in der besonderen Gestaltung der Kündigung aufgrund von Leistungsmängeln keinen Toleranzbereich gibt (anderer Ansicht Maschmann in NZA Beilage 1/2006 zu Heft 10/ 2006, 13, 19 f. mit plakativen Beispielen aus dem Nebenpflichtbereich, er nennt unter anderem Diebstahl und den Verrat von Betriebsgeheimnissen). Selbstverständlich braucht sich der Arbeitgeber kein einziges Mal bestehlen zu lassen. Den Verrat von Betriebsgeheimnissen muss er auch nicht einmal dulden. Derartige Konstellationen und der hier zu entscheidende Fall unterscheiden sich aber nicht nur durch die dortigen Nebenpflichtverletzungen und die hier anzunehmende Verletzung der Hauptleistungspflicht, sondern auch dadurch, dass der stehlende oder Betriebsgeheimnisse verratende Arbeitnehmer zielgerichtet und planvoll – also vorsätzlich – die absoluten bzw. – im Fall des Geheimnisverrats – relativen Rechte seines Arbeitgebers verletzt und den Interessen seines Vertragspartners damit absichtsvoll schadet. …

c) Die Kammer verkennt auch nicht, dass bei einer sog. Minderleistung, die auf eine festgestellte unzureichende Ausschöpfung des eigenen Leistungsvermögens des Arbeitnehmers zurückzuführen ist, zugleich regelmäßig feststeht, dass der Arbeitnehmer zumindest die übliche Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB außer Acht gelassen hat, sein Verhalten mit anderen Worten als fahrlässig und damit als schuldhaft einzuordnen ist (BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 48, zu B 112 der Gründe).

Auflösung des Konflikts zwischen dem nicht geschuldeten Erfolg der Dienstleistung und dem berechtigten Interesse des anderen Vertragsteils an einer äquivalenten Gegenleistung für das Entgelt durch die Regeln der gestuften Darlegungslast.

d) Diese Verschuldensüberlegung kommt aber nur zum Tragen, wenn die objektive Pflichtverletzung feststeht. Um den Konflikt zwischen der Dienstvertragstypologie – dem nicht geschuldeten Erfolg der Dienstleistung – und dem berechtigten Interesse des anderen Vertragsteils an einer äquivalenten Gegenleistung für das Entgelt auf der ersten Prüfungsebene der objektiven Schlechtleistung aufzulösen, sind die Regeln der gestuften Darlegungslast heranzuziehen (kritisch zu dem Korrektiv der Abstufung der Darlegungslast Maschmann NZA Beilage 1/2006 zu Heft 10/2006, 13, 18 f., der dem Zweiten Senat eine verkappte Rückkehr zum objektiven Maßstab und Schwierigkeiten bei der Leistungsmessung vorhält).

aa) Es ist demnach zunächst Sache des Arbeitgebers, zu den Leistungsmängeln vorzutragen, was er wissen kann. Hat der Arbeitgeber vorgebracht, dass die Leistungen des Arbeitnehmers über einen längeren Zeitraum den soeben umschriebenen Durchschnitt unterschritten, muss der Arbeitnehmer hierauf erwidern, gegebenenfalls das Zahlenwerk des Arbeitgebers im Einzelnen bestreiten und/oder erklären, weshalb er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine Leistungsfähigkeit ausschöpft. In diesem Zusammenhang können altersbedingte Leistungsdefizite, Beeinträchtigungen durch Krankheit, aber auch betriebliche Umstände bedeutsam sein. Trägt der Arbeitnehmer derartige Tatsachen plausibel vor, hat sie der Arbeitgeber zu widerlegen. Entgegnet der Arbeitnehmer demgegenüber nicht ausreichend, gilt das schlüssige Vorbringen des Arbeitgebers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer seine Leistungsfähigkeit nicht unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Möglichkeiten ausschöpft (BAG 11.09.2003 – 2 AZR 667/02 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 48, zu B 12 d der Gründe).

Vorliegend: Nichterfüllung der Darlegungslast der Beklagten durch Angabe der ungefähren Anzahl an durchgeführten Testkäufe wegen Messbarkeit der Schlechtleistungen der Klägerin.

bb) Dem wird das Vorbringen der Beklagten bereits auf der ersten Stufe ihrer Darlegungslast nicht gerecht. Die behaupteten ökonomisch sensiblen Schlechtleistungen der Klägerin, die bei Testkäufen auftraten, sind ungeachtet des von der Kammer berücksichtigten existenziellen Interesses der im Einzelhandel tätigen Beklagten an einem geordneten Kassenwesen durchaus messbar, wie die eigene Verweisung der Beklagten auf die besseren Leistungen anderer Kassenkräfte belegt (S. 14 dritter Abs. der Berufungsbeantwortung vom 30.11.2005, Blatt 149 der Berufungsakten).

(1) Die Zahl der bei der Klägerin durchgeführten Testkäufe kann nicht nur mit der Zahl der bei ihr aufgetretenen Beanstandungen ins Verhältnis gesetzt werden. Vielmehr kann auf der Grundlage des unstreitigen Umstands, dass etwa 20% aller Testkäufe zu Beanstandungen führen, auch das Verhältnis ihrer Schlechtleistungen gegenüber den Schlechtleistungen anderer Kassierer(innen) bestimmt werden, wenn insoweit die unterschiedlichen an der Kasse aufgewandten Arbeitszeiten prozentual berücksichtigt werden. Die Beklagte konnte sich deswegen nicht damit begnügen, die ungefähre Anzahl der bei der Klägerin von Januar bis August 2004 durchgeführten Testkäufe mit circa 15 anzugeben und die gegenüber anderen Kassenkräften schlechteren Leistungen der Klägerin unquantifiziert mit dem Zeugnis Herrn K. unter Beweis zu stellen (S. 13 viert- und drittletzter Abs. der Berufungserwiderung vom 30.11.2005, Blatt 148 der Akte des Arbeitsgerichts).
Maßgeblich ist die Größenordnung der Überschreitung der bei der Klägerin verzeichneten Pflichtverletzungen gegenüber dem Normalmaß der Beanstandungen bei Testkäufen im Durchschnitt der Kassierkräfte.

(2) Insoweit ist nicht entscheidend, dass die Klägerin nicht zuletzt im Zusammenhang mit den am 14.05.2004 und 23.08.2004 – jeweils im Abstand weniger Minuten oder sogar nur einiger Sekunden – durchgeführten Testkäufen eine sehr viel höhere Kontrolldichte im dreisteiligen Bereich vermutet. Maßgeblich ist vielmehr, ob und – wenn ja – in welcher Größenordnung die bei der Klägerin verzeichneten Pflichtverletzungen das Normalmaß der Beanstandungen bei Testkäufen Im Durchschnitt der Kassierkräfte überschritten. Jedenfalls eine langfristige Unterschreitung der Normalleistung durch Überschreitung der durchschnittlich auftretenden Mängel um deutlich mehr als ein Drittel ist dabei kündigungsrechtlich erheblich (vgl. BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 48, zu B I 2 d der Gründe m. w. N. unter Hinweis auf die für die Flexibilisierung von Vergütungsbestandteilen entwickelte Drittelgrenze, vgl. dazu etwa BAG 13.05.1987 – 5 AZR 125/86 – BAGE 55, 275; BAG 15.11.1995 – 2 AZR 521/95 – AP TVG § 1 Tarifverträge Lufthansa Nr. 20; siehe nach der Entscheidung des Zweiten Senats vom 11.12.2003 a.a.O. auch BAG 12.01.2005 – 5 AZR 364/04 – NZA 05, 465, zu B I 4 c bb der Gründe [zulässige Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts, soweit der widerrufliche Anteil am Gesamtverdienst unter 25 bis 30% liegt und der Tariflohn nicht unterschritten wird]; vgl. zu dieser letztgenannten Entscheidung auch die Besprechung Hanau/Hromadka in NZA 05, 73; die Drittelgrenze bei Kündigungen wegen Leistungsmängeln ablehnend Maschmann in NZA Beilage 1/2006 zu Heft 10/ 2006, 13, 17 f.). Eine solche Berechnung ist der Kammer auf der Basis des nicht näher aufgeschlüsselten Vortrags der Beklagten, die Klägerin arbeite schlechter als der Durchschnitt ihrer Kassierer(innen), jedoch nicht möglich (zum Erfordernis exakteren „quantifizierten“ Vorbringen schon BAG 22.07.1982 – 2 AZR 30/81 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 5, zu III 3 c der Gründe). …

Besprechung(en) zur Rechtsprechung
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