Nachvertragliche Wettbewerbsabrede beim Arbeitnehmer auch bei Verweisung auf das Gesetz wirksam

10 AZR 407/05 Urteil verkündet am 28. Juni 2006 BAG Ansprüche bei und nach Vertragsende, Inhalt des Arbeitsvertrages

Bundesarbeitsgericht
Im Namen des Volkes
Urteil

In Sachen
[…]
hat der zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2006 durch […] für Recht erkannt:

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 16. Juni 2005 – 8 Sa 986/04 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer Karenzentschädigung für die Dauer von zwölf Monaten nach der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses in rechnerisch unstreitiger Höhe von 15.048,28 Euro.

Die Beklagte betreibt eine Praxis für Ergotherapie. Die Klägerin war bei ihr vom 8. September 2003 bis zum 16. Dezember 2003 als Ergotherapeutin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete auf Grund einer Kündigung der Beklagten während der Probezeit. Im Arbeitsvertrag der Parteien vom 15. Juli 2003 heißt es u. a.:

„§ 12 Wettbewerbsverbot
Frau B verpflichtet sich, für die Dauer von 12 Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Umkreis von 15 km des Arbeitgebers nicht in einer anderen ergotherapeutischen Praxis tätig zu werden, noch sich unmittelbar oder mittelbar an der Gründung zu beteiligen oder in einer bestehenden ergotherapeutischen Praxis mitzuwirken. Im übrigen gelten die gesetzlichen Vorschriften der §§ 74 ff. HGB.
§ 20 Betriebliche Altersversorgung
Bei mindestens einjähriger Betriebszugehörigkeit wird eine Zulage vom Arbeitgeber zur betriebseigenen Altersvorsorge (Pensionskasse) gezahlt. …“

Die Klägerin teilte der Beklagten in einem Schreiben vom 23. Januar 2004 mit, dass sie sich an das nachvertragliche Wettbewerbsverbot halte, und verlangte ohne Erfolg die Zahlung von Karenzentschädigung.

Die Klägerin ist der Ansicht, auf Grund der Bezugnahme auf die §§ 74 ff. HGB in der Wettbewerbsabrede sei das Wettbewerbsverbot wirksam vereinbart worden. Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

1. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 13.151,43 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 1. November 2004 zu zahlen,

2. die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für November 2004 1.238,14 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2004 sowie weitere 658,71 Euro für Dezember 2004 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2005 zu bezahlen.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, die Wettbewerbsabrede sei nichtig, jedenfalls aber unverbindlich, weil sie keine Entschädigungsregelung enthalte. Der allgemeine Hinweis auf die §§ 74 ff. HGB sei nicht ausreichend gewesen. Im Übrigen ergebe sich aus dem inneren Zusammenhang der arbeitsvertraglichen Vereinbarung, insbesondere aus der in § 20 des Arbeitsvertrags getroffenen Regelung, dass die Parteien nachvertragliche Leistungen erst nach einer gewissen Vertragsdauer hätten erbringen wollen. Einem Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Karenzentschädigung stehe entgegen, dass das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Probezeit geendet habe. Eine Wettbewerbsabrede diene dazu, einen Mitarbeiter, der sich als wertvoll erwiesen habe und Kenntnisse spezieller Art besitze, nicht an die Konkurrenz zu verlieren. Diese Voraussetzungen erfülle ein Arbeitnehmer nicht, dem bereits in der Probezeit gekündigt worden sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass der Klägerin die beanspruchte Karenzentschädigung zusteht.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zusammengefasst angenommen, die Wettbewerbsabrede sei formwirksam zustande gekommen und inhaltlich ausreichend bestimmt. Der Verweis auf die gesetzlichen Vorschriften des Handelsgesetzbuches beinhalte im Zweifel die Zusage einer Karenzentschädigung in der gesetzlichen Mindesthöhe. Selbst wenn die Wettbewerbsabrede einer Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 305 ff. BGB nicht standhielte, könnte sich die Beklagte hierauf nicht mit Erfolg berufen. Dem Anspruch der Klägerin auf Karenzentschädigung stehe nach der Wettbewerbsabrede der Parteien die Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit nicht entgegen. Unerheblich sei, ob das Wettbewerbsverbot dem Schutz eines berechtigten geschäftlichen Interesses der Beklagten gedient habe oder mangels eines solchen Interesses unverbindlich gewesen sei. Bei einer Unverbindlichkeit des Wettbewerbsverbots könnte diese nur die Klägerin geltend machen.

II. Diese Ausführungen sind frei von Rechtsfehlern. Die Klägerin hat gemäß § 12 Satz 2 des Arbeitsvertrags nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer von zwölf Monaten Anspruch auf Zahlung von Karenzentschädigung i. H. v. insgesamt 15.048,28 Euro. Sie hat nach der von der Beklagten nicht angegriffenen Feststellung des Landesarbeitsgerichts das nachvertragliche Wettbewerbsverbot eingehalten. Über die Höhe der Karenzentschädigung besteht kein Streit.

1. Ohne Erfolg rügt die Beklagte, das Wettbewerbsverbot sei gemäß § 74 Abs. 2 HGB unwirksam. Die Parteien haben in § 12 des Arbeitsvertrags ein wirksames Wettbewerbsverbot i. S. d. §§ 74 ff. HGB vereinbart. Allerdings sind Wettbewerbsverbote, die entgegen § 74 Abs. 2 HGB keine Karenzentschädigung vorsehen, nichtig (BAG 13. September 1969 – 3 AZR 138/68 – BAGE 22, 125; 3. Mai 1994 – 9 AZR 606/92 – AP HGB § 74 Nr. 65 = EzA HGB § 74 Nr. 56; 18. Januar 2000 – 9 AZR 929/98 -). Das Landesarbeitsgericht hat jedoch mit Recht erkannt, dass sich die Beklagte in § 12 Satz 2 des Arbeitsvertrags zur Zahlung von Karenzentschädigung in der gesetzlichen Mindesthöhe (§ 74 Abs. 2 HGB) verpflichtet hat.

a) Es kann offen bleiben, ob es sich bei den Erklärungen im Arbeitsvertrag um typische oder nichttypische Willenserklärungen handelt. Die Auslegung nichttypischer Vertragserklärungen durch die Tatsachengerichte ist in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüfbar, ob sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt und ob sie rechtlich möglich ist (st. Rspr., vgl. BAG 3. Mai 2006 – 10 AZR 310/05 -; 16. November 2005 – 10 AZR 108/05 -; 13. März 2003 – 6 AZR 585/01 – BAGE 105, 205, 208; 5. Juni 2002 – 7 AZR 241/01 – BAGE 101, 262; 15. November 2000 – 5 AZR 296/99 – BAGE 96, 237, 241 m.w.N.). Die Auslegung sog. typischer Willenserklärungen durch das Berufungsgericht ist dagegen in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachprüfbar (st. Rspr., vgl. BAG 13. März 2003 – 6 AZR 698/01 -, zu 1 der Gründe; 19. Januar 2000 – 5 AZR 637/98 – BAGE 93, 212, 215; 16. Februar 2000 – 4 AZR 14/99 – BAGE 93, 328, 338, jeweils m.w.N.). Die Auslegung des Arbeitsvertrags durch das Landesarbeitsgericht hielte auch dieser uneingeschränkten Überprüfung stand.

b) Gemäß § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist nach § 133 BGB der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (BAG 26. September 2002 – 6 AZR 434/00 – AP BBiG § 10 Nr. 10 = EzA BBiG § 10 Nr. 6, zu 13 der Gründe; 12. Juni 2002 – 10 AZR 323/01 – EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 110, zu III b der Gründe). Danach hat sich die Beklagte zur Zahlung von Karenzentschädigung verpflichtet.

c) Die Beklagte hat der Klägerin in § 12 Satz 2 des Arbeitsvertrags zwar nicht ausdrücklich eine Entschädigung für die Dauer des Wettbewerbsverbots zugesagt. Die Parteien haben jedoch in dieser Vertragsbestimmung vereinbart, dass im Übrigen die gesetzlichen Vorschriften der §§ 74 ff. HGB gelten. Diese Bezugnahme auf die gesetzlichen Vorschriften ist angesichts deren Regelungsdichte ausreichend, um alle wesentlichen Elemente einer nachvertraglichen Wettbewerbsabrede abzudecken (BAG 31. Juli 2002 – 10 AZR 513/01 – BAGE 102, 103, 107). Verweist eine vertragliche Wettbewerbsklausel für alle Einzelheiten der vereinbarten Regelung auf die maßgebenden Vorschriften des HGB, so liegt darin im Zweifel die Zusage einer Karenzentschädigung in der gesetzlichen Mindesthöhe (BAG 14. August 1975 – 3 AZR 333/74 – AP HGB § 74 Nr. 35 = EzA HGB § 74 Nr. 34). Dem steht nicht entgegen, dass § 74 Abs. 2 HGB selbst keinen Anspruch auf eine Karenzentschädigung begründet, sondern deren vertragliche Zusage voraussetzt. Im Rechtsverkehr wird eine solche Bezugnahme als die Vereinbarung einer Karenzentschädigung verstanden, ohne die das Wettbewerbsverbot nicht wirksam wäre (BAG 14. August 1975 – 3 AZR 333/74 – a.a.O.). Wenn nicht besondere Umstände zu einer anderen Auslegung zwingen, ist anzunehmen, dass die Parteien eine rechtswirksame Wettbewerbsabrede treffen wollen und mit der Bezugnahme auf die §§ 74 ff. HGB die Zahlung von Karenzentschädigung in der gesetzlichen Mindesthöhe verabreden. Besondere Umstände, die zu einem anderen Auslegungsergebnis führen könnten, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Die Beklagte hat solche besonderen Umstände auch nicht behauptet.

d) Selbst wenn die Wettbewerbsabrede in Bezug auf eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Karenzentschädigung in der gesetzlichen Mindesthöhe (§ 74 Abs. 2 HGB) nicht klar und verständlich i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB wäre, könnte sich die Beklagte hierauf nicht mit Erfolg berufen. Die Inhaltskontrolle schafft lediglich einen Ausgleich für die einseitige Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Klauselverwender, sie dient aber nicht dem Schutz des Klauselverwenders vor den von ihm selbst vorformulierten Vertragsbedingungen (vgl. BAG 27. Oktober 2005 – 8 AZR 3/05 – EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 181; BGH 2. April 1998 – IX ZR 79/97 – NJW 98, 2280; 4. Dezember 1986 – VII ZR 354/85 – BGHZ 99, 160).

e) Das Wettbewerbsverbot der Parteien genügte der Formvorschrift des § 74 Abs. 1 HGB. Dass sich die Zusage einer Karenzentschädigung nur aus einer Verweisung ergab, ist unschädlich (BAG 14. August 1975 – 3 AZR 333/74 – AP HGB § 74 Nr. 35 = EzA HGB § 74 Nr. 34).

2. Dem Anspruch der Klägerin steht entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entgegen, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund einer Kündigung der Beklagten innerhalb der Probezeit beendet worden ist.

a) Die Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung bei einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zulässig (24. April 1970 – 3 AZR 328/69 – AP HGB § 74 Nr. 25 = EzA HGB § 74 Nr. 11; 10. Mai 1971 – 3 AZR 126/70 – AP BGB § 628 Nr. 6 = EzA BGB § 628 Nr. 1; 2. August 1971 – 3 AZR 121/71 – AP BGB § 615 Nr. 25 = EzA BGB § 615 Nr. 17; 27. April 1982 – 3 AZR 814/79 – BAGE 38, 318) und auch nicht unüblich (BAG 13. Juli 2005 – 10 AZR 532/04 – AP HGB § 74 Nr. 78). Soll die Wirksamkeit eines Wettbewerbsverbots auf einen Zeitpunkt nach Ablauf der Probezeit hinausgeschoben werden, muss dies zwischen den Parteien vereinbart sein (BAG 19. Mai 1983 – 2 AZR 171/81 – AP BGB § 123 Nr. 25; 27. April 1982 – 3 AZR 814/79 – a.a.O.; 10. Mai 1971 – 3 AZR 126/70 – a.a.O.; 24. April 1970 – 3 AZR 328/69 – a.a.O.) .

b) An der Aufnahme einer aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) in die Wettbewerbsabrede fehlt es. Eine ausdrückliche Vereinbarung, wonach das Wettbewerbsverbot erst nach Ablauf der Probezeit in Kraft treten sollte, haben die Parteien nicht getroffen. Sie haben eine aufschiebende Bedingung auch nicht konkludent vereinbart. Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht die Reglung in § 20 des Arbeitsvertrags nicht dafür, dass das Wettbewerbsverbot bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit noch nicht gelten sollte. Wenn die Parteien in dieser Vertragsbestimmung verabredet haben, dass bei mindestens einjähriger Betriebszugehörigkeit von der Beklagten eine Zulage zur betriebseigenen Altersversorgung gezahlt wird, und in § 12 des Arbeitsvertrags davon abgesehen haben, das Wettbewerbsverbot erst nach Ablauf einer bestimmten Zeit in Kraft treten zu lassen, wird daraus ihr Wille deutlich, dass das Wettbewerbsverbot auch bei einem Ausscheiden innerhalb der Probezeit gelten sollte.

c) Ohne Bedeutung ist, ob das auch für den Fall einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit vereinbarte Wettbewerbsverbot zum Schutze eines berechtigten geschäftlichen Interesses der Beklagten diente oder mangels eines solchen Interesses nach § 74a Abs. 1 Satz 1 HGB unverbindlich war. Auf die Unverbindlichkeit des Wettbewerbsverbots auf Grund eines fehlenden geschäftlichen Interesses hätte sich nach § 75d Satz 1 HGB nur die Klägerin mit Erfolg berufen können (BAG 2. August 1971 – 3 AZR 121/71 – AP BGB § 615 Nr. 25 = EzA BGB § 615 Nr. 17).

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