Rückforderung nicht ins Verdienen gebrachter Provisionsvorschüsse; Art und Umfang der Nachbearbeitung bei Lebens- und Rentenversicherung

14 U 86/10 Urteil verkündet am 4. März 2011 OLG Schleswig-Holstein Pflichten des Unternehmers, Provisionsanspruch

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein
Im Namen des Volkes
Urteil

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 6. Mai 2010 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kiel teilweise geändert und der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Euskirchen vom 8. Oktober 2009 (…) – unter Aufhebung im Übrigen – mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass daraus noch 3.409,81 € an die Klägerin zu zahlen sind.

Von den Kosten des ersten Rechtszuges tragen der Beklagte 19 % und die Klägerin 81 %. Von den Kosten des zweiten Rechtszuges tragen der Beklagte 27 % und die Klägerin 73 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1 Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 313 a Abs. 1, 540 Abs. 2 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

2 Die zulässige Berufung der Klägerin ist, soweit sie die Klage nicht zurückgenommen hat, begründet.

3 In Höhe von 3.409,81 € steht ihr ein Anspruch auf Rückzahlung geleisteter Provisionsvorschüsse gemäß den §§ 92 Abs. 2, 87 a Abs. 3 Satz 2 HGB zu.

4 Grundsätzlich entsteht der Provisionsanspruch des Versicherungsvertreters erst mit der Zahlung der Prämie durch den Versicherungsnehmer (§ 92 Abs. 4 HGB). Allerdings schließt die Nichtzahlung der Prämie durch den Kunden den Provisionsanspruch nicht von vornherein aus. Vielmehr ist auch auf den Versicherungsvertreter die Regelung des § 87 a Abs. 2 HGB anzuwenden. Danach kann der Versicherungsvertreter selbst dann einen Anspruch auf die Provision haben, wenn feststeht, dass der Versicherer das Geschäft nicht ausführt. Der Anspruch entfällt jedoch, wenn dem Versicherer die Ausführung des Geschäfts ohne sein Verschulden unmöglich oder unzumutbar wird.

5 Die Darlegungs- und Beweislast dafür trifft den Versicherer. Ihm obliegt es, vor
Ablehnung von Provisionsansprüchen dem Versicherungsvertreter eine Stornogefahrmitteilung zukommen zu lassen oder jedenfalls selbst die notleidenden Verträge nachzuarbeiten. Art und Umfang der Nachbearbeitung bestimmten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Insoweit ist es auch keine Frage mehr, dass der Versicherer wahlweise entweder selbst die Stornoabwehr betreiben oder dem Versicherungsvertreter durch Stornogefahrmitteilung Gelegenheit geben muss, den notleidenden Vertrag selbst nachzuarbeiten (BGH, Urteil vom 25. Mai 2005, VIII ZR 237/04; Urteil vom 25. Mai 2005, VIII ZR 279/04 und Urteil vom 1. Dezember 2010, VIII ZR 310/09, jeweils zitiert nach juris).

6 Da im vorliegenden Fall Lebens- bzw. Rentenversicherungen betroffen sind, ist davon
auszugehen, dass das Versicherungsunternehmen nicht gehalten war, im Klagewege gegen säumige Versicherungsnehmer vorzugehen, wenn außergerichtliche Maßnahmen erfolglos blieben. Da der Versicherungsvertreter keine Provision erhält, wenn und soweit die Stornierung auf Umständen beruht, die der Unternehmer nicht zu vertreten hat, ist es jedoch nötig, notleidende Verträge in dem gebotenen Umfang nachzuarbeiten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Versicherungsvertreter – wie hier – noch bei der Gesellschaft beschäftigt ist oder nicht. Entscheidend ist allerdings, dass die Maßnahmen des Versicherers nach Art und Umfang ausreichend sind. Das waren sie im Streitfall, soweit die Klägerin ihre Klage nach den entsprechenden Hinweisen des Senats nicht zurückgenommen hat.

7 Im Ausgangspunkt hat die Klägerin hinreichend dargelegt, welche als gezahlt gebuchten Einzelprovisionen an den Beklagten geflossen sind. Dazu reicht die Vorlage der Anlage K 186 (Bl. 356-543 d.A.) i. V. m. den Erläuterungen dazu im Schriftsatz vom 31. März 2010 (Bl. 81 – 116) aus. Der Beklagte hat sich damit zu Unrecht nicht auseinandergesetzt.

8 Der Streit der Parteien über die Frage, auf welche Konten des Beklagten das Geld
geflossen ist und welche Konten der Beklagte bei welcher Bank unterhalten hat, gewinnt erst Bedeutung, wenn der sich Beklagte substantiiert mit den ihm seinerzeit zustehenden Vorschusszahlungen auseinandergesetzt hat.

9 Das ist nicht geschehen. Der Hinweis seines Prozessbevollmächtigten, die Anlage K 186 mit knapp 200 Seiten eng beschriebener Daten sei für ihn nicht nachvollziehbar, ist unerheblich. Denn es kommt nicht darauf an, ob die Abrechnung der Klägerin für den Anwalt des Beklagten, sondern ob sie für den Beklagten selbst nachvollziehbar ist. Unstreitig war dieser als selbständiger Versicherungsvertreter für die Klägerin tätig. Diese ist ein Strukturvertrieb, der für andere Versicherungsunternehmen bei der Vermittlung von Versicherungen u. a. tätig ist. Der Beklagte arbeitete für sie seit Juni 2004 bis einschließlich 2010 als selbständiger Handelsvertreter. Mag er auch schon 2007 seine aktive Mitarbeit eingestellt haben, so ändert das nichts daran, dass er sich mit dem Wesen eines Strukturvertriebs auskannte. Er war nach seinen Angaben zum Regionaldirektor aufgestiegen und konnte deshalb nicht im Unklaren darüber sein, auf welcher vertraglichen Grundlage die Provisionen und Vorschüsse an ihn gelangten. Mit dem OLG Saarbrücken (VersR 2000, 1017 ff.) ist bei dieser Sachlage auch im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Klägerin mit der Anlage K 186 und den dazu vorgetragenen Erläuterungen hinreichend aufgezeigt hat, wie sich das Provisionskonto des Beklagten während des maßgeblichen Zeitraums entwickelt hat und welche Auszahlungen an ihn erfolgt sind. Der Beklagte ist als selbständiger Versicherungsvertreter ganz anders als sein Anwalt oder auch das Gericht in der Lage, die erhaltenen Zahlungen zu überprüfen, sodass es ihm ablegen hätte, substantiiert zu bestreiten, also im Einzelnen zu den aus der Aufstellung ersichtlichen Provisionszahlungen Stellung zu nehmen. Seine Sache ist es unter diesen Umständen, näher darzulegen, welche der geltend gemachten Positionen im Einzelnen aus welchem Grund bestritten werden. Erst danach besteht für die klagende Partei Veranlassung, ihren Vortrag nach Maßgabe des Bestreitens der Gegenpartei ggf. näher zu substantiieren. Denn die Anforderungen an die Substantiierung hängen davon ab, wie substantiiert der Gegner vorgetragen hat (vgl. BGH NM 1991, 2707, 2709). Das pauschale Bestreiten einer geordneten Zusammenstellung, die für sich durchaus nachvoliziehbar ist, gibt jedenfalls keine Veranlassung, weitere Substantiierungsanforderungen zu erfüllen. Ein auf eine ganze Zusammenstellung von Rechnungsposten bezogenes pauschales Bestreiten ist als unbeachtlich anzusehen (vgl. auch Zäller/Greger, ZPO, 28. Aufl., RdNr. 10 a zu § 138). Entsprechend wäre es die Sache des Beklagten gewesen, seinerseits detailliert vorzutragen, welche Provisionen er nicht erhalten hat.

10 Auch zur schlüssigen Darlegung der Rückforderungstatbestände ist von der Klägerin weiterer Vortrag nicht zu verlangen, wenn der Beklagte sein pauschales Bestreiten nicht substantiiert.

11 Als selbständiger Versicherungsvertreter kannte der Beklagte die Provisionsvoraussetzungen. Wenn er sich dahin einlässt, dass es für ihn wie auch für seine Kollegen insoweit eine Sicherheit nicht gegeben habe, weil die Zuteilung der jeweiligen Provisionen im Strukturvertrieb nicht durchschaubar gewesen sei, ist das nicht nachvollziehbar. Denn die Provisionsvoraussetzungen waren die Grundlage für sein Tätigwerden. Die erstmalige Vorlage der „Berechnungsgrundsätze, Wartungszeiten/unverdienter Provisionen“ in der Berufungsinstanz durch die Klägerin beruht nur darauf, dass der sekundären Darlegungslast des Beklagten nicht genügend Aufmerksamkeit gegeben worden ist. Wie sich aus dem Hinweis des Beklagten auf den Brandfall in dem Termin vor dem Landgericht schließen lässt, ist auch der Beklagte davon ausgegangen, dass er gehalten gewesen wäre, zu den Rückzahlungsforderungen mehr vorzutragen.

12 Der Beklagte hätte sich in der Sache auch mit dem Vortrag der Klägerin in deren Schriftsatz vom 8. April 2010 (Bl. 544-552 d.A.) auseinandersetzen müssen, wenn er die Berechnungsgrundlagen in Zweifel ziehen wollte. Hervorzuheben ist dazu, dass das zunächst nur die rechnerische Darstellung betrifft. Der Beklagte hätte sich zu den einzelnen Fällen konkret erklären müssen, wenn er den von der Klägerin zugrunde gelegten Ansatz bestreiten wollte. Dazu hätte es ihm oblegen, im Einzelnen zu den ihm schließlich bekannten Haftungssätzen und der sich daraus ergebenden Berechnungsformel Stellung zu nehmen. Auch das ist substantiiert nicht geschehen. Es genügt unter diesen Umständen nicht, darauf hinzuweisen, dass die Klägerin in einigen Fällen nach einer anderen Formel gerechnet habe. Vielmehr hat sich die Kritik der Abrechnung mit jedem von der Klägerin vorgetragenen Fall zu befassen, wenn der Beklagte mit seiner Kritik an der Berechnung durchdringen will.

13 Unter diesen Umständen ist erheblich allein das Bestreiten des Beklagten zur Berechtigung der Rückforderung in der Sache selbst, die sich nach der Beantwortung der Frage richtet, ob die Storni durch die Klägerin nachgewiesen sind und, wenn das der Fall ist, ob die von den Versicherungsgesellschaften vorgenommenen Nachbearbeitungsmaßnahmen so gewesen sind, dass die Storni nicht von der Klägerin, bzw. von Versicherungsgesellschaften zu vertreten sind.

14 Soweit die Klägerin die Klage nicht zurückgenommen hat, genügt ihr Vorbringen den an die Darlegungslast in Stornierungsfällen zu steilenden Anforderungen. Hierbei sind auch die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen zumindest urkundenbeweislich zu berücksichtigen (vgl. BGH NJW-RR 1988, 546, 547). Das Gericht ist also nicht gehindert, die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen für seine Feststellungen zu den Storni und den Nachbearbeitungsmaßnahmen zugrunde zu legen. Unter Verwendung der von der Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit vorgenommenen Nummerierung sind danach folgende Stornofälle nachgewiesen:

15 Nr. 20 296,88 €
Nr. 26 360,00 €
Nr. 35 81,00 €
Nr. 36 44,83 €
Nr. 38 3,10 €
Nr. 48 31,63 €
Nr. 53 215,15 €
Nr. 54 741,00 €
Nr. 55 763,86 €
Nr. 56 237,12 €
…. 206,74 €
… 62,02 €
… 213,49 €
… 64,05 €
…. 88,94 €
Summe: 3.409,81 €

16 Was den Maßstab für die Nachbearbeitung angeht, ist es nicht ausreichend, wegen der Langfristigkeit der geschlossenen Lebensversicherungs- und Rentenversicherungsverträge auf weitere Bemühungen zu verzichten, nur weil nach einer Zahlungserinnerung am Anfang des Vertragslaufzeitraums Zahlungen nicht geleistet wurden. Zu verlangen sind vielmehr weitere Bemühungen, die auch der Versicherungsvertreter zur Erhaltung seines Provisionsanspruchs betreiben würde, wenn ihm die Nachbearbeitung überlassen worden wäre. Im Interesse des Vertreters ist die Versicherungsgesellschaft gehalten, die Gründe für die Nichtzahlung zu erforschen, um nach einer Lösung gemeinsam mit dem Prämienschuldner zu suchen. Dafür sind regelmäßig wie bei der Werbung des Kunden eine persönliche Rücksprache mit dem Schuldner sowie eine nachträgliche Zahlungsaufforderung erforderlich (so zutreffend OLG Brandenburg, Urteil vom 7. Oktober 2010, 12 U 96/09, zitiert nach juris).

17 Allerdings kann es nach der BGH-Rechtsprechung a. a. O. auch ausreichend sein, wenn der Versicherungsnehmer nach Einstellung der Prämienzahlung im Rahmen eines automatisierten Mahnverfahrens durch drei aufeinander folgende Mahnschreiben unter Hinweis auf die Rechtsfolgen, die sich aus der Einstellung der Prämienzahlung ergeben, zur Wiederaufnahme der Zahlungen aufgefordert wird und Versicherungsnehmern, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten, darüber hinaus schriftlich ein Gesprächsangebot unterbreitet und die Bereitschaft zu einem Entgegenkommen bekundet wird. Eine solche Aufzählung ist nicht abschließend, sodass auch andere Maßnahmen unter Berücksichtigung der bestehenden Verhältnisse ausreichend sein können. Das ist im Einzelfall genau abzuwägen, wobei der Senat in den o. a. Fällen die Voraussetzungen für eine ausreichende Nacharbeit als erfüllt ansieht, obwohl dem Beklagten, der bei der Klägerin weiter beschäftigt war, keine Gelegenheit zur eigenständigen Nachbearbeitung gegeben worden war.

18 Es handelt sich in allen Fällen um solche, in denen die Prämienzahler durch Widerruf, Rücktritt, Kündigung und Bitte um Beitragsfreistellung, bzw. Herabsetzung der Versicherungssumme sowie unter Hinweis auf ihr Unvermögen deutlich gemacht hatten, dass eine Fortsetzung der jeweiligen Verträge für sie nicht in Betracht kam. In diesen Fällen ist nicht erkennbar, dass eine persönliche Betreuung oder andere weitere Maßnahmen erfolgversprechend gewesen wären. Das wird auch vom Beklagten nicht ausreichend konkret behauptet, der sich mit seinem Schriftsatz vom 29. April 2010 (Bl. 559 – 573) in erster Linie darauf beschränkt hat, eine ordnungsgemäße Nachbearbeitung zu bestreiten. Nach allem hat die Berufung in den Fällen Erfolg, sodass der Beklagte insoweit zur Rückzahlung verpflichtet ist.

19 Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92, 269 Abs. 3 ZPO.

20 Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.

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