Schadensersatzpflicht des Franchisegebers gegenüber dem Franchisenehmer aus Verschulden bei Vertragsschluss wegen des Vorenthaltens der mit Lieferanten vereinbarten Einkaufsvorteile

23 U 5590/05 Urteil verkündet am 27. Juli 2006 OLG München Franchiserecht

Oberlandesgericht München
Im Namen des Volkes
Urteil

Tatbestand

Die Klägerinnen haben gemäß den im Entscheidungssatz genannten Verträgen auf der Grundlage des über die Beklagte organisierten Franchise-Systems der Muttergesellschaft der Beklagten mehrere Bau- und Gartenmärkte betrieben. Die Verträge waren jeweils auf 20 Jahre abgeschlossen. Mit Schreiben vom 24.07.2000 haben die Klägerinnen die Verträge aus wichtigem Grund gekündigt und die Märkte liquidiert. Mit ihrer Klage haben die Klägerinnen in erster Linie geltend gemacht, die Beklagte habe ihnen die durch die Einrichtung und den Betrieb der Märkte entstandenen Verluste zu ersetzen. Hilfsweise berufen sich die Klägerinnen auf Zahlungsansprüche wegen nach den Verträgen abzuführenden aber noch nicht abgeführten Bonifikationen. Insoweit haben die Klägerinnen – zum Teil in Form der Stufenklage – Hilfsanträge gestellt. Mit einem Teilurteil hat das Landgericht München I die Klage in den Hauptanträgen abgewiesen. Die Klägerinnen verfolgen mit ihrer Berufung ihre in erster Instanz geltend gemachten Schadensersatzansprüche unter Abzug der von der Beklagten zwischenzeitlich geleisteten Zahlungen der Bonifikationen weiter. Die Berufung der Klägerin führte zur Aufhebung des Teilurteils, dem Erlass eines Grundurteils und zur Zurückverweisung der Entscheidung zur Anspruchshöhe.

Entscheidungsgründe

Schadensersatzpflicht der Franchisegeber gegenüber den Franchisenehmern aus Verschulden bei Vertragsschluss wegen des Vorenthaltens der mit den Lieferanten vereinbarten Einkaufsvorteile

2. Anstelle einer vollständigen Zurückverweisung der Sache an das Landgericht erschien es sachgerecht, ein Grundurteil zu erlassen und lediglich die Entscheidung zur Anspruchshöhe zurückzuverweisen, da die Sache dem Grunde nach entscheidungsreif ist und lediglich die Höhe noch einer umfangreichen Beweisaufnahme bedarf.

Die Beklagte ist den Klägerinnen wegen Verschuldens bei Vertragsschluss zum Schadensersatz verpflichtet. Dabei braucht nicht auf alle von den Klägerinnen insoweit erhobene Vorwürfe eingegangen zu werden. Durchgreifend ist allein schon die unstreitige Tatsache, dass zum Teil Rückvergütungen, deren Ausschüttung die Klägerinnen nach § 10 Abs. 1 der Franchiseverträge hätten erwarten können, den Franchisenehmern planmäßig verschwiegen und vorenthalten worden sind. Unerheblich ist es dabei, ob nur die von der Beklagten zwischenzeitlich nachberechneten und ausgezahlten Beträgen betroffen waren oder ob eventuell noch mehr aussteht, wie die Klägerinnen meinen. Nach Auffassung des Senats lässt die umfassende Formulierung im Vertrag unter Hinweis auf die von der Muttergesellschaft der Klägerinnen ausgehandelten „besonders vorteilhaften Einkaufspreise“ und „sonstige Bezugsbedingungen“ ungeachtet der in Klammern gesetzten Beispiele keine Ausnahmen zu. Insbesondere gilt dies mit Rücksicht auf § 10 Abs. 2, wonach die Muttergesellschaft der Beklagten auch in der Zukunft die Verhandlungen mit Lieferanten führt und Änderungen der Lieferantenliste und der Einkaufskonditionen den Partnern regelmäßig mitgeteilt würden. Hierauf kommt es aber – wie ausgeführt – letztlich nicht an. Dass die von der Beklagten eingeräumten geheimen Rückvergütungen bekannt gegeben und ausgeschüttet werden müssen, stellt die Beklagte nicht in Abrede.

Zurechnung der Kenntnisse bei der Muttergesellschaft über die von ihr ausgehandelten Einkaufskonditionen

Insoweit trifft die Beklagte als Vertragspartnerin der Klägerinnen auch ein Verschulden, da sie die in der einschlägigen Abteilung der Muttergesellschaft vorhandenen Kenntnisse sich selbst zurechnen lassen muss. Auf eigene Unkenntnis kann sich die Beklagte, die nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerinnen nicht einmal über eigene Angestellte verfügt, nicht berufen, da sie ihre Geschäftstätigkeit von ihrer Muttergesellschaft ableitet, wie sich auch aus den Verträgen entnehmen lässt.

In juristischen Personen und Organisationen, bei denen aufgrund ihrer arbeitsteiligen Organisationsform typischerweise Wissen bei verschiedenen Personen oder Abteilungen aufgespalten ist, findet aus Gründen des Verkehrsschutzes und der daran geknüpften Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Organisation der gesellschaftsinternen Kommunikation hinsichtlich zu speichernder Informationen eine Wissenszurechnung statt (vgl. BGHZ 132, 30). So liegt es hier. Rückvergütungsvereinbarungen mit Lieferanten, wie sie nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten laufend praktiziert worden sind, beginnend 1991 und ausgebaut in den Folgejahren, sind Dinge, die dokumentiert und gespeichert werden müssen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Geheimhaltung gegenüber den Franchisenehmern in der Vorstandsebene oder bei Mitarbeitern in der Revision bekannt gewesen ist. Es genügt, wie es die Beklagte darstellt, dass das System der parallelen Sondervereinbarungen mit nicht ausgeschütteten Boni vom Leiter der Hauptabteilung Bau- und Gartenmärkte bei der Muttergesellschaft betrieben worden ist. Sache der Beklagten wäre es gewesen, dass sichergestellt sein muss, dass für Vertragspartner wesentliche Informationen bei den zuständigen Stellen nachgefragt werden (vgl. BGH a.a.O.). Das ist im vorliegenden Fall auch nicht deshalb anders, weil es sich bei der Beklagten und ihrer Muttergesellschaft um verschiedene juristische Personen handelt. Die geschilderten Grundsätze gelten für alle Organisationsformen, die zu einer Wissensaufsplitterung führen können (vgl. BGH a.a.O.). Dies war im vorliegenden Fall gegeben.

Bereits in § 1 der Franchiseverträge wird darauf hingewiesen, dass es die Muttergesellschaft der Klägerin ist, die einerseits selbst Märkte betreibt, und andererseits durch die Beklagte als ihre Tochtergesellschaft das Franchisesystem organisiert. § 4 Abs. 2 enthält eine Zusage auch für die Muttergesellschaft hinsichtlich einer Selbstbeschränkung im Vertragsgebiet. § 10 Abs. 1 räumt den Franchisenehmern die Berechtigung zum Warenbezug nach den von der Muttergesellschaft der Beklagten ausgehandelten Einkaufspreisen und Bezugsbedingungen ein. Schließlich verweist § 10 Abs. 2 auch für die Zukunft auf das Ergebnis entsprechender Verhandlungen der Muttergesellschaft der Beklagten für die Beklagte.

Vorliegend: Schadensausgleich nach Abschluss eines Dauerschuldverhältnisses für die Verletzung von Vertrauen durch das Verheimlichen der Rückvergütung

3. Zu Recht machen die Klägerinnen auch geltend, dass sie gemäß § 249 BGB so gestellt werden wollen, als hätten sie die Franchise-Verträge nicht geschlossen und die entsprechenden Märkte nicht eröffnet. Es versteht sich von selbst, dass die Klägerinnen sich auf ein System, für das sie Franchisegebühren zu zahlen haben, nicht eingelassen hätten, wenn ihr Vertragspartner entgegen der vertraglichen Zusage nach Belieben Einkaufsvorteile für sich behält. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Frage der wirtschaftlichen Kalkulation, sondern insbesondere um eine Frage des offenen und vertrauensvollen Umgangs miteinander, der bei einer auf 20 Jahre angelegten Geschäftsverbindung unerlässlich ist.

Der vom Landgericht aufgegriffene Einwand der Beklagten, die von den Klägerinnen der Beklagten angelastete Verlustsituation sei kein Vertrauensschaden, sondern Folge des Festhaltens an der Unternehmung in Kenntnis der gerügten Umstände, ist mit dem unstreitigen Sachverhalt nicht in Einklang zu bringen. Es wird nicht gesagt, wann in welcher Form die Klägerinnen unter Einhaltung ihrer Verpflichtung zur Schadensgeringhaltung, die Märkte hätten früher auflösen sollen. Es liegt auf der Hand, dass zunächst Nachfolger gesucht werden mussten, die bereit und in der Lage waren, Verpflichtungen aus langjährigen Mietverträgen und aus Arbeitsverträgen zu übernehmen. Vor allem geht aber diese Argumentation deshalb fehl, weil die Klägerinnen zum Zeitpunkt der Vertragskündigung von den verheimlichten Rückvergütungen noch gar nichts wussten. Es ist auch rechtlich zulässig, wenn die Klägerinnen zur Rechtfertigung ihrer Kündigungen und zur Begründung ihrer Schadensersatzansprüche die späteren einschlägigen Erkenntnisse nachschieben. Sie stellen eine Rechtfertigung für die Klägerinnen dar unabhängig davon, wann sie davon Kenntnis erlangt haben.

Der Vorhalt, die Klägerinnen könnten nicht Rückabwicklung der Vertragsbeziehungen verlangen, verkennt, dass nicht Austauschverträge abzuwickeln sind, wie bei einem Unternehmenskauf (vgl. BGHZ 69, 53), sondern lediglich Schadensausgleich nach Abschluss eines Dauerschuldverhältnisses verlangt wird. Rückgewähr erbrachter Leistungen verlangen die Klägerinnen nicht. Dazu besteht auch keine Veranlassung, da nach Beendigung des Vertragsverhältnisses bei ihnen keine Werte verbleiben, für die die Berechtigung entfallen wäre.

Bei der Frage, inwieweit Investitionen und Ausgaben auf Entscheidungen beruhen, die der Beklagten nicht unmittelbar angelastet werden können, handelt es sich um Einwände der Beklagten, die der Kausalität der Schadensentstehung nicht grundsätzlich entgegenstehen und deshalb der Berechnung der Schadenshöhe vorbehalten bleiben können.

Die von den Klägerinnen erzielten Einnahmen gehen in ihre Schadensberechnung mit ein, da sie nicht Ersatz einzeln aufgezählter Ausgaben verlangt, sondern Ausgleich ihrer Negativsalden nach Liquidierung der Geschäfte.

Kein Ausschluss des Schadenersatzanspruchs durch Verletzung des Schriftformerfordernisses wegen der im Franchisevertrag enthaltenen Wettbewerbsbeschränkungen

4. Soweit die Beklagte in ihrem zweiten Schriftsatz vom 10.07.2006 darauf abhebt, dass zwischen ihr und der Klägerin zu 2) kein wirksamer Franchisevertrag zu Stande gekommen sei, ist dies nicht geeignet, den Schadensersatzanspruch der Klägerin zu 2) in Frage zu stellen.

Es kann davon ausgegangen werden, dass der Franchisevertrag vom 21.12.1998 wegen darin enthaltener Wettbewerbsbeschränkungen gemäß § 34 GWB a.F. der Schriftform bedurfte. Bedenken gegen den Klageanspruch ergeben sich daraus nicht.

Tatsächlich war die – zudem vereinbarte – Schriftform eingehalten. Dafür genügte es, dass die Klägerin zu 2) ihre Unterschrift unter die „Zusatzvereinbarung“ zum Vertragswerk K4 gesetzt hat. Hauptvertrag und Zusatzvereinbarung waren im vorliegenden Fall eine nicht voneinander zu trennende Einheit, bei der lediglich Abweichungen und Ergänzungen gegenüber dem verwendeten Vertragsformular nicht dort eingefügt, sondern im Anschluss daran beigefügt und gleichzeitig vereinbart worden sind. Damit deckte die Unterschrift der Klägerin zu 2) unter die Zusatzvereinbarung auch den gesamten Vertragstext.

Abgesehen davon würde hier eine Unwirksamkeit des intendierten Vertrages dem Schadensersatzbegehren der Klägerin zu 2) nicht entgegenstehen, da die Klägerin zu 2) der Beklagten nicht Wirksamkeitsmängel des Vertrages anlastet und auch der Zweck der Formvorschrift des § 34 GWB a.F. dem Begehren der Klägerin zu 2) nicht entgegen steht, von den Folgen der Vertragsdurchführung entlastet zu werden, die die Beklagte wegen Verschuldens bei Vertragsschluss zu verantworten hat.

5. Die Voraussetzung für den Erlass eines Grundurteils gemäß § 304 ZPO, dass ein Anspruch in gewisser Höhe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, ist gegeben. Wie auch die Beklagte nicht in Abrede stellt, ist bei der Einrichtung von für auf lange Zeit geplanten Marktbetrieben sowohl mit Anfangsverlusten zu rechnen als auch mit erheblichen Verlusten im Fall vorzeitiger Liquidation.

Beides fällt in den Verantwortungsbereich der Beklagten. Die Beklagte kann nicht geltend machen, dass die Klägerinnen Anfangsverluste selbst zu tragen hätten, weil diese voraussehbar gewesen seien. Die Verträge, auf die sich die Klägerinnen eingelassen haben, waren nicht auf eine Anfangsphase beschränkt, bei der ohnehin Anfangsverluste einzukalkulieren gewesen wären, sondern auf 20 Jahre mit der Erwartung, dass etwaige Anfangsverluste durch spätere Gewinne ausgeglichen werden.

Die Liquidation hat die Beklagte aufgrund ihres Verschuldens bei Vertragsschluss zu verantworten. Nachdem die Klägerinnen zu recht geltend machen können, dass sie bei gehöriger Aufklärung die Verträge nicht geschlossen hätten, war auch die vorzeitige Beendigung dieser Vertragsverhältnisse und die Liquidation der Marktbetriebe berechtigt.

Minderung des Schadensersatzes durch Mitverschulden wegen Managementfehlern

6. Für die dem Landgericht vorbehaltene Entscheidung über die Höhe der Klageansprüche ist darauf hinzuweisen, dass der Beklagten mit dem Grundurteil nicht abgeschnitten werden soll, hinsichtlich einzelner Ausgabeposten ein Mitverschulden der Klägerinnen einzuwenden. Einwendungen zum Anspruchsgrund können dem Betragsverfahren vorbehalten werden, solange die Wahrscheinlichkeit bestehen bleibt, dass ein Anspruch in irgendeiner Höhe besteht (vgl. BGH WM 03, 1919). Inwieweit Managementfehler der Klägerinnen in einer der Beklagten nicht mehr anzulastenden Weise zu den Verlusten beigetragen haben, kann nur im Rahmen einer sachverständigen Begutachtung der von den Klägerinnen behaupteten Schadenshöhe beurteilt werden. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass nicht jede im Nachhinein als vermeidbar erscheinende Ausgabe der Klägerinnen voll abgesetzt werden kann, solange ihre Geschäftsführung nicht den Rahmen dessen gesprengt hat, womit unter normalen Umständen zu rechnen war.

Den von der Beklagten erhobenen Einwand der Vorteilsausgleichung durch Steuerersparnisse der Klägerinnen als Folge ihrer Möglichkeit, die eingetretenen Verluste mit späteren Gewinnen aus anderweitiger Geschäftstätigkeit zu verrechnen, was auch den Anspruchsgrund berührt, wird nicht dem Nachverfahren vorbehalten. Dieser Einwand kann schon im Grundurteil zurückgewiesen werden, weil eine Vorteilsausgleichung durch Steuerersparnisse der Klägerinnen ausscheidet. Die Klägerinnen haben nämlich Schadensersatzleistungen der Beklagten als Einnahmen zu versteuern (vgl. BGH WM 88, 586; BGHZ 74, 103). Dem steht die von der Beklagten zitierte Entscheidung (BGH WM 87, 1336) nicht entgegen. Diese Entscheidung beruhte darauf, dass die dortigen Prozessparteien die Anrechnung von Steuervorteilen ausdrücklich vereinbart hatten. …

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