Verletzung der Aufklärungspflicht des Franchise-Gebers bei Vertragsverhandlungen

6 U 5495/92 Urteil verkündet am 16. September 1993 OLG München Vorvertragliche Aufklärungspflichten

Oberlandesgericht München
Im Namen des Volkes
Urteil

Tatbestand

Der Streit der Parteien geht um die Rückzahlung einer Franchise-Gebühr, sowie um Schadensersatz wegen Verschuldens bei Vertragsschluss. Der Kläger kam aufgrund von Kleinanzeigen, die der Franchise-Berater der Beklagten schaltete, über diesen Berater, Herrn W., erstmals am 27.10.1988 mit der Beklagten in Kontakt. In diesen Anzeigen wurden Interessenten zur Kontaktaufnahme eingeladen, „Wenn Sie mit wenig finanziellem Aufwand viel Geld sicher verdienen wollen“. Von Herrn W. erhielt der Kläger die Kurzinformation für Franchisenehmerinteressenten der Beklagten ausgehändigt, auf deren S. 8 es heißt: „Diese Konzeption bzw. Studien und Handbücher sind bis ins Detail durchdacht und absolut marktgerecht und zukunftweisend und schließen dadurch Risikofaktoren aus.“; auf S. 22 wurde der monatliche Gewinn des Franchisenehmers vor Steuern „vorsichtig“ auf 8.000,– DM bis 15.800,– DM geschätzt. Gegenstand des D.-Service Franchising (D.) waren die Produktion und der Verkauf von bayerischen Spezialitäten, insbesondere Mehlspeisen, die auch im Heimservice angeboten wurden.

Am 3.11.1988 schloss der Kläger mit der Beklagten einen Franchisevertrag; er bezahlte die Franchisegebühr von 22.800,– DM; über sein Widerrufsrecht wurde er nicht belehrt.

In der Folgezeit erhielt der Kläger die auf S. 7 der Kurzinformation aufgeführten Studien und Handbücher ausgehändigt; auf S. 72 des Handbuchs D I wird die Zahl der Franchisebetriebe in der Bundesrepublik Deutschland für 1988 mit zwei angegeben, ferner ein Monatsnettoumsatz „in der Startphase“ von ca 302.000,– DM bis 435.000,– DM.

In der Folgezeit mietete der Kläger ab dem 1.2.1989 in der B.-Straße 47 einen Ladenraum an, für den W. eine Standortanalyse erstellte, die ergab, dass dieser Laden für den D.-Service bedingt geeignet sei; doch mit massiver und kontinuierlicher Werbung könnten nach einem Vierteljahr die prognostizierten Umsatzzahlen erreicht werden. Am 14.4.1989 eröffnete der Kläger das Geschäft B.-Straße 47; bereits am 8.6.1989 fand zwischen dem Kläger und den Verantwortlichen der Beklagten sowie neuen, offenbar von der Beklagten beigezogenen Franchising-Beratern ein Gespräch statt, in dem das weitere Vorgehen gegenüber der Firma W. einerseits und die Entwicklung eines strategischen Gesamtkonzepts für die Firma D. und eines Aktivitätenplaners für das Geschäft des Klägers besprochen wurden. Am 16.6.1989 schloss der Kläger sein Geschäft.

Während des Betriebs hatte er von der Beklagten insgesamt Waren zum Preis von 6.014,66 DM bezogen, allerdings hiervon lediglich 1.434,41 DM bezahlt. Bereits am 24.4.1989 hatte der Kläger einen weiteren Laden in der C.-Straße 1 angemietet; einen weiteren Franchisevertrag hinsichtlich dieses Ladens schloss er mit der Beklagten nicht ab. Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 14.7.1989 ließ der Kläger schließlich die Bezugsverpflichtung in Nr. 4 des Franchisevertrages vom 3.11.1988 widerrufen und verlangte „wegen Nichtigkeit des gesamten Franchisevertrages“ die Rückzahlung der Franchisegebühr binnen drei Tagen.

Mit der Klage verlangt der Kläger einerseits die Rückzahlung der Franchisegebühr und andererseits aus Verschulden bei den Vertragsverhandlungen den Ersatz sämtlicher ihm im Zusammenhang mit der Anmietung und Eröffnung sowie dem Betrieb der Franchiseläden in der B.-Straße 47 und in der C.-Straße 1 entstandenen Aufwendungen abzüglich der erzielten Einnahmen. Das LG hat der Klage in Höhe von 84.541,60 DM stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Gegen das Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das OLG hat der Klage in Höhe von 136.507,90 DM stattgegeben.

Entscheidungsgründe

I. 1. Die Aberkennung des geltend gemachten Verdienstausfallschadens greift der Kläger nicht an.

2. Die Anrechnung eines Mitverschuldens des Klägers bei der Schadensentstehung entfällt vollständig, so dass der Kläger seinen Schaden grundsätzlich in voller Höhe verlangen kann. Zwar ist, wenn ein Schaden eingetreten ist, gem. § 254 BGB grundsätzlich ein Verschulden des Geschädigten von Einfluss auf die Höhe des zu ersetzenden Schadens. Als „Verschulden“ wird dabei angesehen ein „Verschulden gegen sich selbst“, eine Außerachtlassung derjenigen Sorgfalt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren. Es handelt sich um eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben, um ein Verbot des „venire contra factum proprium“, des Verbots eines Verhaltens, das im Widerspruch zum eigenen Verhalten steht (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 51. Aufl., § 254 Rdnr. 2).

Zwar entfällt eine Mitverschuldensanrechnung beim Kläger nicht schon deshalb, weil auf seiner Seite eventuell Fahrlässigkeit und auf der Seite der Beklagten eventuell Vorsatz vorliegt. Die Beklagte handelte nämlich nicht selbst, sondern durch ihren Erfüllungsgehilfen W, so dass sie demgegenüber eine Fahrlässigkeit des Klägers geltend machen könnte (vgl. Palandt/Heinrichs, § 254 Rdnr. 53). Aufgrund der besonderen Umstände braucht sich jedoch der Kläger als Geschädigter nicht anrechnen zu lassen, dass er selbst bei seiner Handlungsweise nicht so kritisch und zurückhaltend zu Werke ging, wie ein vorsichtiger Geschäftsgründer dies im eigenen Interesse tun sollte. Entscheidend ist dabei, dass der Kläger nicht nur durch die „vollmundigen“ Inserate der Beklagten bestimmt wurde, sondern sogar in der zur Anbahnung des Geschäfts übergebenen „Kurzinformation“ falsche Angaben über grundlegende wirtschaftliche Positionen enthalten waren, die in dem später ausgehändigten Handbuch D I noch vertieft wurden. Gegenüber diesen bewusst falschen Angaben auf der Beklagtenseite ist dem Kläger kein Mitverschulden darin zuzurechnen, dass er diesen Angaben Glauben schenkte, auch wenn vorsichtige angehende Gewerbetreibende noch weitere Informationen einzuziehen versucht hätten. Derartigen Zusagen darf man im Verkehr trauen und muss sie nicht in Zweifel ziehen und nachrecherchieren, um sich dem Vorwurf des Mitverschuldens zu entziehen. Dies gilt auch, wenn dem Kläger eine gewisse Geschäftsgewandtheit zugesprochen wird. Keinesfalls verstößt er mit seinem Begehren vollen Schadensersatzes gegen Treu und Glauben. Vielmehr verstößt die Beklagte gegen Treu und Glauben und den Grundsatz des „venire contra factum proprium“, wenn sie dem Beklagten entgegenhält, er hätte vorsichtiger sein sollen. Sie hat das Vertrauen des Klägers durch ihre Aussagen begründet und muss sich ihrerseits daran festhalten lassen. Wer als Vertragspartei eine Zusage macht, kann hinterher nicht geltend machen, der Vertragspartner habe sie nicht so ernst nehmen dürfen.

3. Die Schadenspositionen Leasingkosten für zwei Pkw (5.700,– DM; 3.383,52 DM; 6.840,– DM; 1.667,82 DM; insgesamt 17.591,34 DM) sind vom LG zu Unrecht nicht anerkannt worden. Es steht fest, dass der Kläger und seine Frau die Pkw zum Ausfahren der Waren benutzten und dass sie anlässlich der Geschäftsgründung angeschafft wurden. Nachdem im Geschäftskonzept auch von einem Heimservice die Rede war, also das Ausliefern der heißen Waren auf telefonische Bestellung, ist die Anschaffung zweier Pkw ohne weiteres verständlich. Daran ändert es nichts, dass sie eventuell gelegentlich auch für Privatfahrten benutzt wurden.

4. Dagegen sind die Kosten für das geleaste Autotelefon zu Recht vom LG nicht anerkannt worden. Die Notwendigkeit eines solchen ergibt sich weder aus der Aufstellung der Investitionsausgaben im Unternehmenskonzept noch ist es sonst daraus zu entnehmen. Sie ist auch sonst nicht einsichtig, weil Kundenbestellungen angesichts der erhöhten Gesprächskosten für einen Autotelefonruf diesen nicht benutzt hätten und der Kläger auf die Eigenschaft eines Autotelefons sogar in der Werbung hätte hinweisen müssen. Der normale Telefonanschluss samt Anrufbeantworter war völlig ausreichend. Insoweit handelte der Kläger bei der Anschaffung auf eigenes Risiko und kann dieses nicht der Beklagten überbürden.

5. Das LG hat ferner zu Recht dem Kläger einen Restwert von 50 % des Anschaffungspreises von 47.011,31 DM der nicht mehr verwendeten Geräte zugerechnet. Die Geräte waren nur einige Monate in Betrieb und wurden dabei nur wenig beansprucht. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, wie in der Berufungsverhandlung geschehen, die Geräte als wertlos immer noch zu besitzen. Er hätte versuchen müssen, sie alsbald als Gebrauchtgeräte zu veräußern, zumal die Beklagte hierzu ihre Hilfe angeboten hatte, oder er hätte substantiiert darlegen müssen, dass sie trotz Bemühung nicht mehr verkäuflich waren. Da dies nicht geschehen ist, kann der volle Anschaffungspreis nicht der Beklagten als Schaden angelastet werden.

6. Das LG hat ferner zu Recht dem Kläger eine Einnahme aus Umsätzen von 12.028,– DM angerechnet. Der Schaden des Klägers kann sich naturgemäß nur aus den entstandenen Kosten abzüglich der gehabten Einnahmen ergeben. Es wäre seine Sache gewesen, angesichts des Bestreitens der Beklagten substantiiert darzulegen und zu beweisen, dass seine Einnahmen nur den von ihm behaupteten Betrag ausmachten und nicht höher gewesen sind.

II. … 5. Die Berufung der Beklagten erweist sich hinsichtlich der Aufwendungen des Klägers für den Laden C.-Straße 1 als begründet. Insoweit hat der Kläger seinen Schaden als in erster Linie von ihm verursacht selbst zu tragen. Zwar war es nach dem System des Franchisevertrags nicht ausgeschlossen, mehrere Läden zu eröffnen, doch wurde dies nicht sofort in der Anfangsphase nahegelegt, nachdem in der gesamten Bundesrepublik überhaupt erst zwei Betriebe existierten und damit nur wenig Vergleichsmaterial vorlag. Ohne Drängen der Beklagten, wenn auch mit ihrer Billigung, mietete der Kläger unmittelbar nach der Eröffnung des ersten Ladens in der B.-Straße das zweite Ladenlokal an, ohne abzuwarten, wie sich die Geschäftstätigkeit entwickeln würde und ob er insbesondere personell beide Betriebe würde bewirtschaften können, nachdem auch die von der Beklagten gelieferten Informationen darauf hinwiesen, dass die Betriebsführung den starken Einsatz des Unternehmers brauchen würde. Der Kläger hat kein Konzept vorgelegt, wie er beide Läden gleichzeitig personell bewältigen wollte. Der Kläger handelte insofern voreilig und muss das deutlich erhöhte Risiko von Verlusten bei Misserfolg allein tragen. Er handelte insoweit unvernünftigerweise gegen seine eigenen Interessen und kann einen entstandenen Schaden nicht mehr der Beklagten aufbürden, trotz deren vorangegangener Pflichtverletzung.

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