Berechtigte fristlose Entlassung wegen umfangreicher privater, nicht abgerechneter Telefonate

2 AZR 478/01 Urteil verkündet am 5. Dezember 2002 BAG Durchführung des Arbeitsverhältnisses, Kündigung

Bundesarbeitsgericht
Im Namen des Volkes
Urteil

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Eigenkündigung.

Der Kläger war bei der Beklagten seit 1966 beschäftigt. Von der Konzernrevision wurde in ihrem endgültigen Bericht vom 17.05.2000 festgestellt, dass der Kläger umfangreiche private Telefongespräche nicht abgerechnet hatte und mit dem Dienstwagen Privatfahrten unternommen hat. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin am 18.05. mit, dass sie ihm fristlos kündigen werde, falls er nicht selbst bis zum 30.06.2000 kündige. Seine noch am selben Tag erklärte Kündigung hat der Kläger am 08.06. angefochten.

Die auf die Anfechtung der Eigenkündigung gestützte Kündigungsschutzklage blieb in allen Instanzen (LAG Niedersachsen 12 Sa 1766/00) erfolglos.

Entscheidungsgründe

A. … B. Der Kläger hat seine Eigenkündigung vom 18.05.2000 nicht wirksam angefochten.

I. Gem. § 123 Abs. 1 BGB kann derjenige, der widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt worden ist, die Erklärung mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 Abs. 1 BGB anfechten.

1. Eine Drohung i. S. des § 123 Abs. 1 BGB setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird. Die Androhung des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis durch eine außerordentliche Kündigung beenden zu wollen, falls der Arbeitnehmer nicht selbst kündige, stellt die Ankündigung eines zukünftigen empfindlichen Übels dar, dessen Verwirklichung in der Macht des ankündigenden Arbeitgebers liegt (St. Rspr. des Senats 16.11.1979 – 2 AZR 1041/77, BAGE 32, 194, 196 = DB 80, 1450; v. 22.12.1982 – 2 AZR 282/82, BAGE 41, 229, 236 = DB 83, 1602; v. 09.03.1995 – 2 AZR 644/94, RzK I 9 k Nr. 25; v. 21.03.1996 – 2 AZR 543/95, DB 96, 1879; v. 12.08.1999 – 2 AZR 832/98, DB 99, 2574; zuletzt: v. 06.12.2001 – 2 AZR 396/00, DB 02, 1328.). Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ist widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Die Widerrechtlichkeit der Kündigungsandrohung kann sich regelmäßig nur aus der Inadäquanz von Mittel und Zweck ergeben. Hat der Drohende an der Erreichung des verfolgten Zwecks (die Eigenkündigung des Arbeitsverhältnisses des Arbeitnehmers) kein berechtigtes Interesse oder ist die Drohung nach Treu und Glauben nicht mehr als angemessenes Mittel zur Erreichung des Zwecks anzusehen, so ist die Drohung widerrechtlich (Senat v. 09.03.1995 und 21.03.1996 – 2 AZR 644/94 und 2 AZR 543/95, a.a.O.).

Dabei ist es nicht erforderlich, dass die angedrohte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, sich in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte )Senat v. 21.12.1982, a.a.O.; v. 30.09.1993 – 2 AZR 268/93, BAGE 74, 281, 285 = DB 94, 279; v. 09.03.1995 und 21.03.1996, a.a.O.).

2. Von einem verständigen Arbeitgeber kann zwar nicht generell verlangt werden, dass er bei seiner Abwägung die Beurteilung des Tatsachengerichts „trifft“. Wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde im Fall ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er die außerordentliche Kündigungserklärung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zum Ausspruch einer Eigenkündigung zu veranlassen (Senat v. 09.03.1995, v. 21.03.1996, v. 12.08.1999 und v. 06.12.2001, alle a.a.O.).

3. Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil stand.

a) Ein verständiger Arbeitgeber durfte in der Situation der Beklagten eine außerordentliche Kündigung deshalb in Betracht ziehen, weil der Kläger schon durch seine umfangreichen und nicht abgerechneten Privatgespräche seine arbeitsvertraglichen Pflichten und die Vermögensinteressen der Beklagten erheblich verletzt hat (ErfK Müller Glöge, 3. Aufl., § 626 BGB Rdn. 158, m.w.N.; KR Fischermeier, 6. Aufl., § 626 BGB Rdn. 445; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 8. Aufl., Rdn. 731.).

b) Soweit der Kläger meint, aufgrund seiner langen Betriebszugehörigkeit habe die Beklagte angesichts der auch von ihm eingeräumten Pflichtverletzungen keine außerordentliche Kündigung androhen dürfen, weil sie unverhältnismäßig gewesen wäre, halten sich die gegenteiligen Bewertungen des LAG im Rahmen seines tatrichterlichen Beurteilungsspielraums. Angesichts der Intensität der Pflichtverletzungen des Klägers hätte die Beklagte weder ein milderes Mittel in Betracht ziehen müssen noch hätte die notwendige Interessenabwägung zwingend zu Gunsten des Klägers ausfallen müssen.

c) Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung war auch nicht deshalb widerrechtlich, weil die Beklagte wegen eines Fristablaufs nach § 626 Abs. 2 BGB gar keine Kündigung mehr wirksam hätte erklären können. Die Beklagte musste unter verständiger Abwägung aller Umstände des Einzelfalls vorliegend gerade nicht davon ausgehen, die angedrohte Kündigung werde im Falle ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit an § 626 Abs. 2 BGB scheitern.

aa) (1) Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (BAG v. 28.10.1971 – 2 AZR 32/71, BAGE 23, 475 DB 72, 147; v. 06.06.1972 – 2 AZR 386/71, BAGE 24, 341.). Auch grob fahrlässige Unkenntnis ist ohne Bedeutung (BAG v. 28.10.1971, a.a.O.; KR Fischermeier, a.a.O., § 626 BGB Rdn. 319, m.w.N.). Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Ohne Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt kann das Kündigungsrecht nicht verwirken. Der Kündigende, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur fristlosen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt. Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat der Kündigende nunmehr die Kenntnis des Kündigungssachverhalts, so beginnt die Ausschlussfrist zu laufen. Diese Ermittlungen dürfen zwar nicht hinausgezögert werden (BGH v. 19.05.1980 – II ZR 169/79, BGHZ 80, 69; KR Fischermeier, a.a.O., § 626 BGB Rdn. 319, 321.). Es darf jedoch nicht darauf abgestellt werden, ob die Maßnahmen des Kündigenden etwas zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren. Bis zur Grenze, die ein verständig handelnder Arbeitgeber beachten würde, kann der Sachverhalt durch erforderlich erscheinende Aufklärungsmaßnahmen vollständig geklärt werden. Allerdings besteht für Ermittlungen dann kein Anlass mehr, wenn der Sachverhalt bereits geklärt oder vom Gekündigten sogar zugestanden worden ist (BGH v. 25.11.1975 – II ZR 104/73, LM BGB § 626 Nr. 18; KR Fischermeier, a.a.O., § 626 BGB Rdn. 331; Stahlhacke/Preis/Vossen, a.a.O., Rdn. 846.).

Der Beginn der Ausschlussfrist wird gehemmt, solange der Kündigungsberechtigte die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen mit der gebotenen Eile durchführt (Zusammenfassend: BAG v. 10.06.1988 – 2 AZR 25/88, DB 89, 282; v. 31.03.1993 – 2 AZR 492/92, BAGE 73, 42; Stahlhacke/Preis/Vossen, a.a.O., Rdn. 839 ff.).

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