Fortsetzung der Service- und Reparaturtätigkeit eines gekündigten Automobil-Vertragshändlers rechtfertigt einen Billigkeitsabschlag gem. § 89 b Abs. 1 Nr. HGB
21 U 23/05 Urteil verkündet am 1. Februar 2006 OLG Frankfurt/Main Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers analog § 89 b HGBOberlandesgericht Frankfurt/Main
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
[..]
hat der 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter [..]
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2005 für Recht erkannt:
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 3. März 2005 verkündete Grundurteil der 10. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main – 3/10 O 134/04 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 € abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 100.000,00 €.
Die Revision wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
I. Die Parteien streiten um einen Kraftfahrzeug-Vertragshändler-Ausgleichsanspruch.
Gemäß Art. 81 (früher 85) Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) sind Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind oder eine Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb des gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten. Gemäß Absatz 3 dieses Artikels können die Bestimmungen des Absatzes 1 für auf bestimmte Vereinbarungen nicht anwendbar erklärt werden. Durch Verordnung (EG) Nr. 1475/95 der Kommission vom 28.06.1995 wurde Art. 81 Abs. 3 auf Vereinbarungen für nicht anwendbar erklärt, an denen nur zwei Unternehmen beteiligt waren und in denen sich ein Vertragspartner gegenüber dem anderen verpflichtete, zum Zwecke des Weiterkaufs bestimmte Kraftfahrzeuge und Ersatzteile innerhalb des gemeinsamen Marktes nur an ihn oder nur an ihn und eine bestimmte Anzahl von Unternehmen des Vertriebsnetzes zu liefern. Die „Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31. Juli 2002 über die Anwendung von Artikel 81 Abs. 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor“ (EG-Gruppenfreistellungsverordnung – GVO – Nr. 1400/2002) nahm die Freistellung des Kraftfahrzeugsektors von den Wettbewerbsanforderungen des Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag in mehreren Punkten zurück. Generell wurde die Zulässigkeit von Wettbewerbsbeschränkungen in „vertikalen Vereinbarungen“ (Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die auf unterschiedlichen Stufen einer Produktions- oder Vertriebskette tätig sind) daran geknüpft, dass der Lieferant keinen höheren Marktanteil als 30 Prozent beim Vertrieb neuer Kraftfahrzeuge oder Ersatzteile bzw. von 40 Prozent beim „quantitativen selektiven Vertrieb“ (Begriffsdefinition in Art. 1 (1) g) der Verordnung) für den Verkauf von Neufahrzeugen hat. Des Weiteren wurde die Möglichkeit der Festsetzung von Mindest- oder Festpreisen sowie der Begrenzung des Verkaufsgebietes in vertikalen Vereinbarungen zurückgenommen, der Verkauf vom Originalersatzteilen an unabhängige Werkstätten geöffnet, die Verknüpfung von Verkauf und Kundendienst abgeschafft, ebenso das Verbot oder die Einschränkung der Verwendung qualitativ gleichwertiger Ersatzteile bei Instandsetzung und Wartung von Kraftfahrzeugen. Den Herstellern wurde die Möglichkeit genommen, in einigen Märkten einen selektiven Vertrieb (Begriffsdefinition Art. 1 (1) f) der GVO) und in anderen Märkten andere Vertriebsformen zu praktizieren. Ferner wurden das Verbot des Verkaufs konkurrierender Marken sowie Einschränkungen für Instandsetzungs- oder Wartungsdienstleistungen für Marken konkurrierender Lieferanten untersagt. Die Verordnung trat zum 01.10.2002 in Kraft und gewährte eine Übergangsfrist von einem Jahr.
Die Klägerin war seit 1924 Vertragshändlerin der Beklagten, zuletzt auf Grund eines Händlervertrages von 1996 für Vertrieb und Service von Fahrzeugen und Ersatzteilen (Anlage K 1, Bl. 37-48 d.A.). Bestandteil des Händlervertrages waren gemäß Artikel 8.1 (Bl. 46 R d.A.) u. a. die „Zusatzbestimmungen zum Händlervertrag für Vertrieb und Service“ (Bl. 59-133 d.A.), in deren Art. 6 (Bl. 74-78 d.A.) die Beendigung des Vertrages geregelt ist. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 20.03.2002 wie gegenüber allen A-Vertragshändlern den Händlervertrag zum 30.09.2003 und erklärte darin ihre Absicht, im Frühjahr 2003 ein neues Vertragsangebot für die Zeit ab 01.10.2003 zu unterbreiten (Anlage K 3, Bl. 95-97 d.A.). In einem Schreiben vom 19.12.2002 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie „notwendige Schritte“, darunter den Neubau einer Ausstellungshalle und eine moderne und zeitgemäße Gestaltung der Gebrauchtwagenpräsentation, erwarte und sie bitte, diese Auflage bis Ende 2004 zu erfüllen (Blatt 98 d.A.). Die in diesem Schreiben angesprochenen Maßnahmen hätten nach Darstellung der Klägerin eine Investitionssumme von 800.000,– € erfordert; nach Darstellung der Beklagten standen eine „große Lösung“ mit einer Investitionssumme von 700.000,– oder eine „kleine Lösung“ mit einer Investitionssumme von 350.000,– € zur Debatte. Am 04.09.2003 teilte der Geschäftsführer der Klägerin dem Distriktleiter B der Beklagten (C) telefonisch mit, dass er den neuen Vertragshändlervertrag nicht annehmen wolle. Die Klägerin führt ihr Unternehmen als A-Service-Partner mit Werkstattbetrieb sowie Vertrieb von Ersatzteilen und Zubehör fort (Vertragsschluss im September 2003, Bl. 319, 320 d.A.). Von seinerzeit 784 Vertragshändlern machte die Beklagte 521 Händlern ein neues Vertragsangebot. 24 davon lehnten das Angebot ab.
Mit der Klage verlangt die Klägerin die Zahlung von 100.000,00 € nebst Zinsen als Teilbetrag eines Vertragshändlerausgleichs in Höhe von 871.790,09 €, den sie entsprechend einer Methode, die nach ihrer Darstellung einvernehmlich mit der Beklagten entwickelt worden sei, berechnet hat (Bl. 16-32 d.A.). Die Annahme des Folgevertrages sei nicht zumutbar gewesen, da er nachteilige Änderungen bei den Grundmargen und eine Verlagerung der Gewinnmöglichkeiten auf ein kompliziertes Bonussystem, die erstmalige verbindliche Vorgabe von Standards (grundlegender und weiterführender Markenstandards, operativer Standards und Händlerstandards) mit einem Leistungsbewertungssystem durch Punktevergabe und verstärkte Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten der Beklagten vorgesehen habe.
Die Beklagte stützt ihren Klagabweisungsantrag unter Berufung auf die Urteile des LG Frankfurt vom 20.10.2004, 3-03 O 28/04 (Bl. 272-276 d.A., rechtskräftig) und des OLG München vom 26.02.2004, U (K) 5664/03, BB 04, 798 (Blatt 277 bis 279 d.A.) sowie U (K) 5585/03 (Blatt 280 bis 292 d.A.) im Wesentlichen darauf, dass die Ablehnung des Abschlusses eines Folgevertrages durch die Klägerin einer Eigenkündigung im Sinne des § 89 b Abs. 3 Nr. 1 HGB gleichzusetzen sei. Die Kündigung vom 20.03.2002 habe in erster Linie der Anpassung an die GVO Nr. 1400/2002 gedient. Nach ihrer Ansicht wäre eine einvernehmliche Vertragsanpassung nicht zweckmäßig gewesen und wären ohne die Kündigungen die Händlerverträge mit dem 01.10.2003 zumindest in großen Teilen nichtig geworden. Die Mehrzahl der gekündigten Händler habe einen neuen Händlervertrag unterzeichnet. Die wirtschaftliche Situation der Händler habe sich mit dem neuen Vertrag nicht oder zumindest nicht erheblich verschlechtert. Die geänderte Margenstruktur habe im Ergebnis nicht zu erheblich niedrigeren Margen der Händler geführt (Aufstellung Anlage B 6, Bl. 298 d.A.). Der neue Händlervertrag sei mit dem Händlerverband ausgehandelt gewesen. Ein etwaiger Ausgleichsanspruch sei aus Billigkeitsgründen zu mindern, da die Klägerin auf ein zumutbares Vertragsangebot der Beklagten nicht eingegangen sei. Das Ausscheiden der Klägerin sei für die Beklagte überraschend gekommen. Investitionen der Klägerin seien von ihr – der Beklagten – nie als zwingende Voraussetzung des Vertragsneuabschlusses dargestellt worden. Die Klägerin verkaufe unautorisiert A-Neuwagen und nutze damit ihren Kundenstamm weiter. Ferner sei im Rahmen der Billigkeit die Fortführung des Servicebetriebes zu berücksichtigen. Im Übrigen tritt sie der Berechnung des Ausgleichsanspruchs entgegen.
Durch das angefochtene Grundurteil hat das Landgericht den Ausgleichsanspruch für dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt.
Die Klägerin sei seit vielen Jahren in die Vertriebsorganisation der Beklagten eingebunden. Darin, dass die Klägerin den Fortsetzungsvertrag ab 01.10.2003 nicht unterzeichnet habe, könne kein einer Eigenkündigung nach § 89 b Abs. 3 Nr. 1 HGB vergleichbarer Fall gesehen werden. Der Fall eines Kettenvertrages liege nicht vor. Schon rein äußerlich unterscheide sich der Neuvertrag durch seinen mehr als doppelten Umfang vom Altvertrag. Das in einer Kombination von Grundmargen und Boni bestehende neue Margensystems bedeute eine Verschlechterung gegenüber dem Altvertrag und sei nicht ohne weiteres verständlich und schwer durchschaubar. Die in Art. 12.5.2 (Seite 48 des Vertragsmusters, Anlagenordner) vorgesehene Möglichkeit, die Weitergabe der Kundeninformationen an einen Dritten zu verlangen, könne zukünftig den Ausgleichsanspruch entfallen lassen und bedeute damit eine weitere Verschlechterung. Die Beklagte habe der Klägerin trotz Kenntnis von deren wirtschaftlich schwieriger Lage Investitionen von wenigstens 350.000,00 € bis Dezember 2004 zur Auflage gemacht. Hauptgrund für die Kündigung sei die Restrukturierung des Vertriebsnetzes der Beklagten, nicht die GVO Nr. 1400/2002, gewesen.
Hinsichtlich des übrigen Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Mit der Berufung verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter.
Sie macht geltend, der Erlass eines Grundurteils sei unzulässig gewesen. Das Landgericht habe die vom BGH (NJW 96, 48) schon für das Grundurteil geforderte Billigkeitsprüfung, insbesondere hinsichtlich eines durch Mehrfachkunden bedingten Vorteils, aber auch im Hinblick auf die weitere Tätigkeit der Klägerin im Servicebereich und die Sogwirkung der Marke A, nicht angestellt. Außerdem habe das Landgericht nicht berücksichtigt, dass die Klägerin weiterhin unautorisiert Neuwagen verkaufe, weswegen sie die Klägerin am 08.03.2005 abgemahnt habe (Anlagen BK 3, BK 4, Urteil des OLG München BK 1).
Sie bekräftigt ihre Ansicht, dass die Ablehnung des Abschlusses eines neuen Händlervertrages ab 01.10.2003 durch die Klägerin einer Eigenkündigung nach § 89 b Abs. 3 Nr. 1 HGB gleichkomme, da ihre Kündigung nur der Anpassung an die GVO Nr. 1400/02 gedient habe. Sie bezieht sich neben den genannten Urteilen des Landgerichts Frankfurt am Main und des OLG München hierzu auf die Urteile des 11. Zivilsenats vom 08.03.2005 [11 U (Kart) 36/04, Anlage BK 6], des Landgerichts Köln vom 02.01.2004 (Anlage BK 3) und des OLG München BB 04, 798. Die Kündigung zum 30.09.2003 sei zu diesem Zeitpunkt wegen des In-Kraft-Tretens der neuen GVO, was eine Ausnahmesituation bedeutet habe, gerechtfertigt gewesen.
Ob es daneben noch andere Gründe gegeben habe, sei unerheblich. Die Annahme des Neuvertrages sei der Klägerin zumutbar gewesen. Er habe den Händlern durch neue Expansionsmöglichkeiten im Rahmen des (nur noch) selektiven Vertriebssystems, durch die Möglichkeit der Hinzunahme weiterer Marken und der Trennung von Neuwagenverkauf und Servicebereich Vorteile geboten.
Der vom Landgericht erwähnte eventuelle Wegfall des Ausgleichsanspruchs in Folge des Artikels 12.5.2 des Neuvertrages sei bedeutungslos; von der Möglichkeit, die Kundendaten an Dritte zu leiten, was den Wegfall zur Folge hätte, habe die Beklagte bislang keinen Gebrauch gemacht. Die Ansicht des Landgerichts, dass die maximal erzielbare Marge durch den Neuvertrag um bis zu 1,29 % gesunken wäre, beruhe auf einer falschen Interpretation der entsprechenden Aufstellung (Anlage B 6, Bl. 298 d.A.). In Wirklichkeit hätten sich die Gewinnspannen erhöht. Der D (E) habe die Annahme der neuen Händlerverträge empfohlen. Die A-Vertragshändler, von denen ja nur ca. 5 % (24 von 521) das neue Vertragsangebot abgelehnt hätten, seien 2004 zufriedener als 2003. Nur im Falle der Unzumutbarkeit des angebotenen Folgevertrages wäre der Ausgleichsanspruch bestehen geblieben. Die jetzt schriftsätzlich vorgetragenen Gründe hätten seinerzeit bei der Ablehnung des Abschlusses des Folgevertrages für die Klägerin keine Rolle gespielt. Bei unterbliebener Anpassung an die GVO Nr. 1400/02 wäre der Händlervertrag von 1997 nichtig geworden; aus einem nichtigen Händlervertrag könne kein Ausgleichsanspruch hergeleitet werden (BGH NJW-RR 03, 894).
Die Beklagte beantragt,
1. das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 03.03.2005, Az. 3-10 O 134/04, abzuändern und die Klage abzuweisen,
2. hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Das Grundurteil sei zulässig. Die GVO Nr. 1400/2002 sei für die Beklagte nur willkommener Anlass für tiefgreifende Eingriffe in das Margen- und Bonussystem sowie für die Einführung eines neuen Standardsystems gewesen. Die Ablehnung des Fortsetzungsvertragsangebots durch die Klägerin sei keineswegs mutwillig gewesen. Die Vertragshändler, die den Neuvertrag der Beklagten angenommen hätten, hätten überwiegend wirtschaftlich keine andere Wahl gehabt. Einvernehmen mit dem E über den neuen Vertragsentwurf sei nicht erzielt worden, vielmehr sei in einer Vielzahl von Vertragspunkten offener Dissens geblieben. Der E habe keine Empfehlung zur Vertragsannahme ausgesprochen und sogar Beschwerde zur EU-Kommission erhoben. Der neue Händlervertrag habe der Klägerin keine ausreichenden betriebwirtschaftlichen Perspektiven geboten. Der nach dem neuen Vertrag mögliche Wegfall von Ausgleichsansprüchen bedeute einen wesentlichen Nachteil, ebenso die erhöhten Standardanforderungen. Die Bezeichnung als A-Vertragshändler und das einmalige Angebot eines neuwertigen A-Pkw im Internet beruhten auf Irrtümern. Sie verkaufe nur noch Gebrauchtfahrzeuge. Im übrigen dürfe sie Neuwagen vermitteln.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im übrigen zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Das Landgericht konnte gemäß § 304 ZPO durch Zwischenurteil über den Grund des Klageanspruchs vorab entscheiden.
Allerdings müssen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 67, 2153; NJW 82, 1757 = MDR 82, 821 = VersR 82, 647; NJW 96, 848 = MDR 96, 371 = VersR 96, 627) sämtliche Voraussetzungen des § 89 b Abs. 1 HGB vorliegen, um einen Ausgleichsanspruch auch nur dem Grunde nach bejahen zu können. Insbesondere muss feststehen, dass der Unternehmer erhebliche Vorteile aus der Geschäftsverbindung mit den vom Vertragshändler geworbenen Kunden auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses hat und dass ein Ausgleich der Billigkeit entspricht. Dies gilt gleichermaßen für die analoge Anwendung des § 89 b HGB im Falle des Vertragshändlerausgleichsanspruchs (BGH VIII ZR 102/97, veröffentlicht bei juris, und DStR 98, 1763; BGH WM 86, 530 = DB 86, 1069). Die Anspruchsmerkmale für einen Ausgleichsanspruch der Klägerin sind aber sämtlich gegeben.
Die Parteien arbeiteten über viele Jahre als Kfz-Hersteller und Vertragshändler zusammen. Die Klägerin war unstreitig in die Vertriebsorganisation der Beklagten eingebunden, was durch die Verpflichtung zur aktiven und wirksamen Verkaufsförderungs- und Vertriebstätigkeit für Kraftfahrzeuge und A Teile (Ziffer 2.2 (b) des Händlervertrages), die Anerkennung eines durch die Beklagte bestimmten Marktverantwortungsgebietes (Ziffer 4.1 des Händlervertrages) sowie durch die Verpflichtung der Klägerin zur Serviceleistung gegenüber Kunden der Beklagten (Ziffer 2.2 (c) des Händlervertrages) und zum Verkauf und zur Verwendung von A-Ersatzteilen (Ziffer 4.1 des Händlervertrages) unterstrichen wird. Nach Ziffer 2.8.3.2 der Zusatzbestimmungen zum Händlervertrag (Blatt 64 d.A.) war sie verpflichtet, die Stammdaten der von ihr geworbenen Kunden an die Beklagte weiterzugeben, und unstreitig hat sie dies regelmäßig getan. Die von der Klägerin mit Neuwagen, die ihr die Beklagte geliefert hat, erzielten Umsätze, die die Klägerin zur Begründung des Ausgleichsanspruchs vorgetragen hat (Seiten 21 ff. der Klageschrift, Blatt 21 ff. d.A., und Anlage K 8 nebst dazugehörigen vorgerichtlichen Anlagen, Blatt 108 bis 182 d.A.), hat die Klägerin nicht bestritten. Sie hat lediglich methodische Einwendungen gegen die Berechnung des Ausgleichsanspruchs erhoben (Seiten 20 ff. der Klageerwiderung vom 09.11.2004, Blatt 233 ff. d.A.). Auch die Auflistung der Mehrfachkunden in der Anlage 3 zum Schreiben der Klägerin vom 28.10.2003 (Blatt 126 bis 182 d.A.) wird als solche von der Beklagten nicht bestritten; die Beklagte hat lediglich beanstandet, dass die Klägerin dort auch Kunden mit einem mehr als fünf Jahre zurückliegenden Nachkauf aufgeführt habe, dass die Klägerin sich auf eine atypische Entwicklung stütze, und angemerkt, dass es nicht auf die Anzahl der Mehrfachkunden, sondern die mit diesen erzielten Umsätze ankomme. Unabhängig von der Bewertung im Einzelnen ergibt sich allein aus diesen Zahlen, dass der Beklagten erhebliche Vorteile aus der Zusammenarbeit mit der Klägerin verblieben sind. Dass die Klägerin infolge der Beendigung des Vertragshändlerverhältnisses Provisionseinbußen hinnehmen musste, kann keinem Zweifel unterliegen.
Die von der Beklagten angeführten Billigkeitsgesichtspunkte – Zumutbarkeit der Annahme ihres Fortsetzungsvertragsangebotes, Sogwirkung der Marke A (Blatt 251 ff. d.A.), Fortführung eines autorisierten Servicebetriebes durch die Klägerin (Blatt 256 ff. d.A.) und unautorisierter Vertrieb von Neuwagen (Bl. 259 f. d.A.) – können zum Teil bei der Höhe des Ausgleichsanspruchs Berücksichtigung finden; ihnen kommt jedoch nicht ein solches Gewicht zu, dass ihretwegen der Ausgleichsanspruch insgesamt entfiele.
Aus der von ihr behaupteten Zumutbarkeit der Annahme ihres Fortsetzungsvertragsangebotes durch die Klägerin kann die Beklagte keine Minderung des Ausgleichsanspruchs herleiten, da, wie noch auszuführen sein wird, nicht die Klägerin eine in der Vergangenheit erfolgreiche Zusammenarbeit durch die Ablehnung eines zumutbaren Vertragsangebotes verhindert hat, sondern die Beklagte die Kündigung ausgesprochen und ein Vertragsangebot unterbreitet hat, dessen Annahme durch die Klägerin nach Treu und Glauben nicht zu erwarten war.
Für die Höhe des von der Beklagten behaupteten Abzuges wegen der Sogwirkung der Marke A (60 Prozent) konnte sie keine überzeugenden Gesichtspunkte nennen. Der sich rechnerisch ergebende Ausgleichsanspruch wird beim Handel mit den Produkten großer Autohersteller von der Rechtsprechung bis zu einem Anteil von 25 Prozent gemindert (vgl. BGH NJW 96, 2302 = ZIP 96, 1294 = VersR 96, 1011 in einem Fall der Marken X und Y; s.a. BGH NJW 96, 2298 = BB 96, 1683 = MDR 96, 1121: Sogwirkung 10% ). Was die Beklagte erstinstanzlich als Besonderheiten der Marke A vorgetragen hat, um den besonders hohen Sogwirkungswert von 60 Prozent zu begründen, trifft in gleicher oder ähnlicher Weise auf alle großen, zumindest europäischen, Automarken zu, so dass für ein Überschreiten der Obergrenze von 25 Prozent im vorliegenden Fall kein Anlass gegeben ist.
Es mag sein, dass die Klägerin für den von ihr fortgeführten A-Servicebetrieb gewisse Vorteile daraus herleiten kann, dass sie bis zum 30.09.2003 Vertragshändlerin dieser Automarke war. Solche Vorteile nehmen aber mit dem Wegfall des Neuwagengeschäfts rasch ab. „Altkunden“ werden zunehmend ihre Reparatur- und Serviceaufträge am Werkstattpreis ausrichten; Kundentreue zu dem früheren A-Vertragshändler spielt allenfalls eine untergeordnete Rolle. Dass ein Großteil der Kunden, die in der Vergangenheit bei der Klägerin ein Neufahrzeug gekauft hatten, nunmehr bei einem anderen Händler ein Neufahrzeug kaufen, aber Reparatur- und Serviceleistungen von der Klägerin erbringen lassen wird, kann nicht erwartet werden. Insofern ist unter diesem Gesichtspunkt höchstens ein geringfügiger, keinesfalls in der von der Beklagten gewünschten Höhe von 50 Prozent vorzunehmender Abzug gerechtfertigt.
Die Bezeichnung als A-Vertragshändler und das Angebot eines neuwertigen A-Fahrzeuges nach Beendigung des Vertragshändlerverhältnisses im Internet hat die Klägerin unwiderlegt als Irrtümer bzw. Versehen bezeichnet; es handelt sich dabei um einmalige, auf Abmahnung abgestellte Ereignisse ohne gravierende Bedeutung. Soweit die Beklagte darüber hinausgehenden unautorisierten Handel der Klägerin mit A-Neuwagen beanstandet, hat die Klägerin unwiderlegt dargetan, dass es sich jedenfalls bei der Mehrzahl der Fahrzeuge in Wirklichkeit nicht um Neuwagen gehandelt hat. Wenn danach noch eine geringe Anzahl zweifelhafter Pkw-Verkäufe verbleibt, fällt dies nicht derart ins Gewicht, dass ein Billigkeitsabzug größeren Umfangs oder gar ein Wegfall des Ausgleichsanspruchs gerechtfertigt wäre. Die Beklagte trägt selbst vor, dass die Klägerin sich bereit erklärt habe, den „unautorisierten Vertrieb“ einzustellen. Zur Vermittlung von Neuwagenkäufen ist die Klägerin unstreitig berechtigt.
Etwa vorzunehmende Billigkeitsabschläge bewegen sich demnach insgesamt in einem Bereich, der das Bestehen des Ausgleichsanspruchs dem Grunde nach nicht in Frage stellt.
Der Vertragshändlerausgleichsanspruch der Klägerin ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Klägerin das Angebot der Beklagten zum Abschluss eines Folgevertrages nicht angenommen hat.
Nach § 89 b HGB, der unzweifelhaft auf Vertragshändlerverhältnisse entsprechend anzuwenden ist (vgl. Baumbach/Hopt, HGB, Rdnr. 12 zu § 84 m.w.N.; BGHZ 142, 358 = NJW 00, 515 = ZIP 00, 138, juris-Rdnr. 35) ist unter den in Absatz 1 der Vorschrift aufgezählten Voraussetzungen bei Beendigung des Vertragsverhältnisses ein Ausgleichsanspruch gegeben. Nach Absatz 3 der Vorschrift besteht dieser Anspruch nicht, wenn
– – von Ausnahmen abgesehen – der Vertragshändler gekündigt hat,
– der Unternehmer aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verhaltens des
Vertragshändlers gekündigt hat oder
– das Vertragsverhältnisse durch einen Dritten fortgeführt wird.
Keiner der drei Ausnahmefälle ist vorliegend unmittelbar gegeben.
Die Ablehnung des Abschlusses des Folgevertrages ab 01.10.2003 durch die Klägerin ist auch nicht – wie die Beklagte meint – in analoger Anwendung des § 89 b Abs. 3 Nr. 1 HGB dem Fall einer eigenen Kündigung gleichzustellen.
Laut Baumbach/Hopt, Randnummer 54 zu § 89 b HGB, steht einer Eigenkündigung der Fall der Ablehnung der Verlängerung bei Handelsvertreterverträgen mit Verlängerungsoption gleich. Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben. Der Händlervertrag von 1996 sollte laut Artikel 6 außer Kraft treten, wenn er gemäß Art. 6 der Zusatzbestimmungen gekündigt oder durch einen neuen Vertrag ersetzt wird. Art. 6 der Zusatzbestimmungen regelt demgemäß Voraussetzungen und Wirkungen von Kündigungen; eine Verlängerungsoption existiert nicht.
Der Bundesgerichtshof hat eine Analogie bisher nur im Falle von Kettenhandelsvertreterverträgen, also über einen längeren Zeitraum in festem zeitlichem Rhythmus – in der Regel jährlich – immer wieder neu abgeschlossenen gleichlautenden Handelsvertreterverträgen, angewandt (NJW 96, 848 = MDR 96, 371 = ZIP 96, 330; NJW 99, 2668; vgl. Stumppf und Ströbl in MDR 04, 1209 und Baumbach/Hopt, HGB, 30. Auflage, Rdnr. 54 zu § 89 b). Auch der Fall eines Kettenvertrages ist vorliegend nicht gegeben.
Da somit der vorliegende Fall weder im Sinne der Beklagten im Gesetz ausdrücklich geregelt ist noch mit einem der in der Kommentierung oder der Rechtsprechung als mit der gesetzlichen Regelung der Handelsvertreter-Eigenkündigung gleich zu behandelnden Fälle übereinstimmt, kann nur ein weiterer Fall der analogen Anwendung des § 89 b Abs. 3 Nr. 1 HGB in Betracht kommen. Da dies die Analogie zu einer gesetzlich geregelten Ausnahme vom Normalfall des Bestehens des Ausgleichsanspruchs bei Kündigung durch den Hersteller wäre, sind an ihre Voraussetzungen strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BGH ZIP 00, 618 = NJW 00, 1866 = MDR 00, 651 – juris-Rdnr. 36 – unter Verweis auf BGHZ 45, 385, 387; 52, 12, 14; 129, 290, 294 u.a.). Der Grund für die Analogie in den Kettenvertragsfällen – ähnlich bei den Verträgen mit Verlängerungsoption – wurde darin gesehen, dass durch die Kettenverträge zwischen den dort Beteiligten ein einheitliches und unbefristetes Handelsvertreterverhältnis zu Stande gekommen sei, welches der Handelsvertreter durch die Ablehnung des Vertragsangebotes für das fragliche Geschäftsjahr beendet habe. Es lag eine gesetzliche Regelungslücke vor, weil ohne den Ausspruch einer Kündigung durch den Unternehmer oder den Handelsvertreter das auf Fortdauer angelegte Rechtsverhältnis in Folge passiven Verhaltens des Handelsvertreters beendet wurde. Diese Fallkonstellation ist von der vorliegend gegebenen grundlegend verschieden, denn vorliegend wurde das Vertragsverhältnis durch den Unternehmer gekündigt und sind keine für eine Fortdauer des Rechtsverhältnisses über den Kündigungszeitraum hinaus sprechenden Gesichtspunkte gegeben. Vielmehr wird der vorliegende Fall nach dem Wortlaut der Vorschrift von § 89 b Abs. 1 HGB erfasst und gewährt daher dem Vertragshändler den Ausgleichsanspruch. Eine analoge Anwendung des Ausschlusstatbestandes des § 89 b Abs. 3 Nr. 1 HGB wäre allenfalls denkbar, wenn die Klägerin nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen wäre, nach der Kündigung der Beklagten auf deren neues Vertragsangebot für die Zeit ab 01.10.2003 einzugehen. Eine solche Verpflichtung sieht der Senat nicht. Die Frage einer etwaigen, aus Treu und Glauben herzuleitenden Verpflichtung zum Neuabschluss ist dabei nach objektiven Kriterien zu beurteilen, unabhängig davon, ob die Klägerin sich seinerzeit auf die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte berufen hat.
Die Behauptung der Beklagten, dass die Kündigung vom 20.03.2002 ausschließlich oder in erster Linie der Anpassung der Händlerverträge an die neue EG-GVO gedient hätte, trifft bereits nach dem Text des Kündigungsschreibens eindeutig nicht zu. Im Einleitungssatz des Kündigungsschreibens heißt es, dass die Beklagte „im Rahmen der Reorganisation und Neuausrichtung von A unser Vertriebsnetz restrukturieren“ werde. Sodann wird angekündigt, dass die Beklagte zukünftig in Deutschland nur noch 470 Händlerbetriebe (statt bisher rund 800, genauer: 784) an ca. 1850 Standorten haben wolle. Der Kommissionsentwurf einer neuen Gruppenfreistellungsverordnung taucht als Begründung erstmals im 5. Absatz des Schreibens auf und wird mit „des Weiteren“ eingeleitet. Sodann heißt es dort, dass die „darin (in der neuen GVO) enthaltenen Regelungen … über die zuvor skizzierten Veränderungen in unserem Vertriebsnetz hinaus weitere erhebliche Umstrukturierungen erforderlich machen“. Weiter heißt es: „Zum gleichen Zeitpunkt (1. Oktober 2003, Ende der Übergangsfrist der neuen GVO, Anmerkung des Senats) soll unser Vertriebsnetz entsprechend unseren Planungen restrukturiert sein und den Anforderungen an die Zukunft gerecht werden. Der hierzu erforderliche Prozess der Anpassung an die sich ändernden rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die wirtschaftlich notwendige Umstrukturierung unseres Vertriebes machen die Kündigung des bisherigen A-Händlervertrages erforderlich“. Anschließend ist als Kündigungsgrund ausgeführt, dass „sowohl die von uns im Rahmen des Projekts Z initiierten als auch die von der neuen GVO zu erwartenden Änderungen unseres Vertriebsnetzes in eine wesentliche Änderung der bisherigen Vertriebsstruktur münden werden“. Kündigungsgründe waren demnach
– Reorganisation und Neuausrichtung des A-Vertriebsnetzes (Projekt Z) durch Verringerung der Zahl der Händlerbetriebe und der Standorte auf 470 beziehungsweise 1850 auf dem deutschen Automobilmarkt,
– Neuausrichtung des Margensystems,
– Änderung der Grundlagen für das Geschäft mit Großkunden und Gewerbetreibenden
und
– Neudefinition künftiger Standards
sowie
– Umstrukturierung im Hinblick auf die neue GVO.
Schon daraus wird deutlich, dass die Beklagte unabhängig von der Frage, zu welchen Zeiten eine Kündigung des bisherigen Händlervertrages möglich war, das voraussichtliche Inkrafttreten der neuen GVO lediglich zum Anlass („Auslöser“, Blatt 504 d.A.) der wegen der beabsichtigten Neustrukturierung des Vertriebsnetzes („Projekt Z“) ohnehin beabsichtigten Kündigung der Händlerverträge genommen hat und das Inkrafttreten der GVO lediglich ein weiterer, hinzutretender Kündigungsgrund war. Auf Seite 14 der Berufungsbegründung (Blatt 505 d.A.) räumt die Beklagte selbst ein, ihr Projekt Z „als sicheren Kündigungsgrund der GVO sprachlich“ vorangestellt zu haben. Gegenüber dieser eindeutigen Schwerpunktsetzung auch noch im Sachvortrag des vorliegenden Rechtsstreits klingt es wenig überzeugend, dass andere Motive (als die Anpassung an die GVO) im Kündigungsschreiben nur sprachlich – nicht aber in der Sache – in den Vordergrund gerückt worden sein sollen.
Ein weiteres mit der Kündigung verfolgtes Ziel räumt die Beklagte selbst ein: die Ausdünnung des Händlernetzes. Denn – wie ausgeführt – von den vorherigen 784 A-Händlern wählte sie nur 521 aus, denen sie ein neues Vertragsangebot machte.
Für die Klägerin nach Treu und Glauben zumutbar wäre eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses gewesen, wenn der neue Vertrag neben der Anpassung an die neue GVO keine zusätzlichen Verschlechterungen oder auch nur Ungewissheiten mit sich gebracht hätte. So war es aber unstreitig nicht. Als eine Verschlechterung hat das Landgericht zutreffend die im neuen Vertrag vorgesehene Möglichkeit angeführt, das System der Kundeninformation umzustellen und die Weitergabe von Kundendaten an einen Dritten zu verlangen. Die Beklagte räumt in der Berufungsbegründung ein, dass sie sich durch diese Regelung (Art. 12.5.2 des neuen Händlervertrages) die Möglichkeit verschaffen wollte, etwaige Ausgleichsansprüche zukünftig zu verneinen. Damit bestätigt sie selbst, dass es für die Klägerin einen gewichtigen Grund gab, den Abschluss des Neuvertrages abzulehnen. Der Hinweis der Beklagten, sie habe bisher von diesem Recht keinen Gebrauch gemacht, und ihre Ansicht, dass die Bedeutung des Ausgleichsanspruchs vom Landgericht überbewertet worden sei, sind keine überzeugenden Gegenargumente.
Die Behauptung der Beklagten, dass die im Neuvertrag vorgesehenen Margen die Gewinnmöglichkeiten der Klägerin nicht verringert, sondern erhöht hätten, ist nur unter der Annahme bestimmter Entwicklungen des Automobilmarktes und des Käuferverhaltens nachvollziehbar. Die Zuverlässigkeit der entsprechenden Vorhersagen und damit die Gewinnentwicklung nach Abschluss eines Neuvertrages waren für die Klägerin zumindest unsicher, und damit war eine ablehnende Haltung gegenüber dem Abschluss des Neuvertrages jedenfalls nicht treuwidrig. Der Klägerin muss die unternehmerische Entscheidungsfreiheit zugestanden werden, den Abschluss eines Vertrages abzulehnen, der neue Regelungen über die ihr verbleibende Gewinnspanne enthält, von denen sie nicht einschätzen kann, ob sie zu einer Verschlechterung oder Verbesserung ihrer Betriebsergebnisse führen werden. Ob sich die Annahme des Vertragsangebotes bei der Beklagten auf längere Sicht sogar als Vorteil herausgestellt hätte, ist dabei unerheblich. Wenn dies so gewesen wäre, war es jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung über den Neuabschluss für die Klägerin nicht sicher vorhersehbar. Auch wenn die Margen im Kfz-Handel wegen der Unverbindlichkeit der Preisempfehlungen des Herstellers für die Verdienstmöglichkeiten des Händlers an Bedeutung eingebüßt haben, existieren sie weiterhin und haben im Vertriebssystem der Beklagten durch ihre steuernde und vereinheitlichende Wirkung nach wie vor einen hohen Stellenwert für die Akzeptanz des Händlervertrages durch die Vertragshändler bzw. Interessenten. Indem die Beklagte ein zunehmendes Ersetzen des Margensystems durch eine Vielzahl von Prämien und Boni einräumt (Schriftsatz vom 01.02.2005, Seiten 25 ff., Bl. 394 ff. d.A.), gesteht sie zu, dass das System für die Vertragshändler schwerer durchschaubar wurde. Da sie nach eigener Darstellung sich in den neuen Händlerverträgen in stärkerem Maße die Möglichkeit vorbehielt, Vergütungsbestandteile auslaufen zu lassen, beizubehalten oder zu ersetzen, räumt sie weitere Umstände ein, die geeignet sind, stärkere Abhängigkeiten und Ungewissheiten bei den Vertragshändlern zu schaffen. Es ist nur legitim, wenn sich ein Händler in freier kaufmännischer Entscheidung darauf nicht einlassen will.
Die Beklagte hat die Klägerin darüber hinaus mit dem Schreiben vom 19.12.2002 (Blatt 98 d.A.) eindeutig unter Druck gesetzt. Die Klägerin musste damit rechnen, dass die Beklagte im Falle eines Neuabschlusses des Händlervertrages Investitionen zur Auflage machen würde, die im günstigsten Falle bei 350.000,– € und im ungünstigsten Falle bei 800.000,– € liegen würden, sowie mit den Überwachungs- und Sanktionsmechanismen des neuen Vertrages auf Erfüllung der Auflage dringen würde. Wenn ihr aus betriebswirtschaftlichen Gründen diese Investitionen zu hoch erschienen und sie deswegen einen neuen Händlervertrag nicht abschloss, ist dies ebenfalls eine legitime Überlegung und Entscheidung, aus der nicht eine Eigenkündigung des von der Beklagten gekündigten Händlervertrages fingiert werden kann.
Wenn somit die Klägerin das Angebot zum Abschluss eines Folgevertrages ablehnte, der nicht lediglich der Anpassung an eine neue Gesetzeslage diente, sondern die neue Möglichkeit enthielt, ihr den sonst bei Beendigung des Vertragsverhältnisses entstehenden Ausgleichsanspruch zu nehmen, der ein neues, in seinen Auswirkungen schwer einschätzbares Margensystem enthielt und – so der unwiderlegte Vortrag der Klägerin – die verbindliche Vorgabe von Standards mit einem Leistungsbewertungssystem durch Punktevergabe sowie verstärkte Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten einführte, und wenn zugleich die Beklagte von der Klägerin Investitionen forderte, die die Klägerin nach eigener Einschätzung betriebswirtschaftlich zu überfordern drohten, kann in dieser Ablehnung kein Verstoß gegen Treu und Glauben gesehen werden. Die Klägerin hatte die Wahl, entweder das Vertragsverhältnis zu den veränderten Bedingungen fortzusetzen oder sich durch Nichtannahme des modifizierten Vertragsangebotes vom Vertrag zu lösen. Da sie die zweite Möglichkeit gewählt hat, steht ihr dem Grunde nach ein Ausgleichsanspruch zu (BGHZ 142, 358 = NJW 00, 515 = ZIP 00, 138, juris-Rdnrn. 33 und 36).
Würde § 89 b Abs. 3 Nr. 1 HGB analog angewandt, träte der Verlust des Ausgleichsanspruchs bei Eigenkündigung des Vertragshändlers dann nicht ein, wenn ein Verhalten des Unternehmers begründeten Anlass zur Kündigung gegeben hat. Bei der analogen Anwendung der Vorschrift im Falle der Kettenhändlerverträge (NJW 96, 848 = MDR 96, 371 = ZIP 96, 330; NJW 99, 2668) hat der Bundesgerichtshof als ausreichenden Grund für die Weigerung zur alljährlichen Verlängerung des Kettenvertrages angesehen, dass der Unternehmer eine für den Handelsvertreter nach Treu und Glauben nicht mehr hinnehmbare Situation geschaffen habe. Er hat ausgeführt: „In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass angesichts der den Ausgleichsanspruch bestimmenden Billigkeitsgesichtspunkte an den ‚begründeten Anlass‘ im Sinne dieser Vorschrift weniger strenge Anforderungen zu stellen sind als an einen wichtigen Kündigungsgrund, so dass hierfür auch ein unverschuldetes oder sogar rechtmäßiges Verhalten des Unternehmers genügen kann. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass hierdurch eine für den Handelsvertreter nach Treu und Glauben nicht mehr hinnehmbare Situation geschaffen wird“. Auch im vorliegenden Fall hat die Beklagte dadurch, dass sie das Inkrafttreten der neuen GVO zum Anlass nahm, die bestehenden Händlerverträge zu kündigen und Neuverträge anzubieten, die der Umsetzung einer neuen Vertriebsstruktur dienten und für die Vertragshändler neben Verschlechterungen ihrer Position neue, nicht überschaubare Regelungen enthielten, eine Situation geschaffen, in der nach Treu und Glauben von den Vertragshändlern die Annahme der Neuverträge nicht erwartet werden konnte.
Die von der Beklagten angeführten Urteile anderer Gerichte stützen ihre Ansicht, dass es für die Zumutbarkeit der Annahme des Folgevertrages und damit für eine fiktive Eigenkündigung ausreiche, die neue GVO zum Anlass der Kündigung und des Angebotes des Neuvertrages gemacht zu haben, und dass es auf daneben gegebene Gründe nicht ankomme, nicht.
Das Urteil der 3. KfH des Landgericht Frankfurt vom 20.10.2004 (Blatt 272-276 d.A., veröffentlicht in WRP 04, 1506 und besprochen in WRP 05, 32 sowie WRP 04, 1507) ist unergiebig, weil es ohne nähere Begründung davon ausgeht, dass die Änderungskündigung der Beklagten nicht vornehmlich der von der Herstellerin betriebenen Änderung der Vertragslage, sondern der Anpassung an die anstehende Gesetzesänderung gedient habe.
Das Urteil des Landgerichts Köln (Anlage BK 3) geht ersichtlich von einem nicht vergleichbaren Sachverhalt aus. Das Urteil befasst sich mit einer Eigenkündigung des Vertragshändlers durch konkludentes Verhalten im Jahre 1999. Die Urteile des 11. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 08.03.2005 [11 U (Kart) 36/04] und des OLG München [U (K) 5664/03, BB 04, 798 = OLGReport 04, 163 = NJW 04, 2530, Bl. 277 ff d.A. und U (K) 5585/03, Bl. 280-292 d.A.] befassen sich nicht direkt mit der vorliegenden Problematik. Der 11. Zivilsenat hatte über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eines F-Vertragshändlers zu entscheiden, mit dem dieser die Weiterbelieferung mit Neufahrzeugen und Ersatzteilen erreichen wollte, obwohl F den Vertragshändlervertrag zum 30.09.2003 gekündigt hatte. Der 11. Senat bejahte ein Kündigungsrecht, weil die dortige Verfügungsbeklagte vorgetragen und glaubhaft gemacht hatte, dass sie speziell im Hinblick auf das In-Kraft-Treten der neuen GVO Umstrukturierungen habe vornehmen müssen. Ob Letzteres gegeben ist, ist im vorliegenden Rechtsstreit gerade streitig, und außerdem geht es vorliegend darum, ob die Klägerin, die unzweifelhaft nicht gekündigt hat, sich so behandeln lassen muss, als hätte sie eine eigene Kündigung ausgesprochen. Dies ist ein anderer Streitgegenstand.
Bei den Verfahren vor dem OLG München lag ein Antrag auf Feststellung vor, dass die zum 30.09.2003 ausgesprochene Kündigung eines Händlervertrages durch den Automobilhersteller unwirksam sei. Das OLG München sprach dem beklagten Automobilhersteller ein Recht zur Kündigung zu, um wegen des Erlasses der EGVerordnung Nr. 1400/2002 und den daraus resultierenden Änderungen für den Automobilvertrieb sein Vertriebsnetz umzustrukturieren. Der alte Händlervertrag (vom 01.10.1996) habe auf der EG-Verordnung Nr. 1474/95 basiert, die ein kombiniertes exklusives und selektives Vertriebssystem und eine weitgehende Beschränkung des Mehrmarkenvertriebs erlaubte, weswegen der Vertrag eine Verbindung von Verkauf und Service vorsah. Demgegenüber sei seit dem 01.10.2003 die Kombination von exklusivem und selektivem Vertrieb nicht mehr zulässig, die Möglichkeiten des Händlers zum Mehrmarkenvertrieb seien erweitert, Verkauf und Service (Kundendienst) entkoppelt worden. Diese Überlegungen würden für den vorliegenden Fall nur dann Geltung haben, wenn tatsächlich die mit dem Angebot eines Neuvertrages verbundene Kündigung nur dem Ziel der Anpassung an die neue Rechtslage gedient hätte. Dies ist aber gerade streitig und nach Ansicht des Senats nicht der Fall. Daran ändern auch die in diesen Verfahren inzwischen durch den Bundesgerichtshof ergangenen Vorlagebeschlüsse an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vom 26.07.2005, KZR 14 und 16/04 (ersterer veröffentlicht in BB 05, 2208), nichts.
Auch das von der Beklagten angeführte Urteil des OLG Saarbrücken vom 15.09.2004 (OLGReport 04, 643, Anlage BK 14) befasst sich nur mit der Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung in dem Fall, dass sich die Notwendigkeit zur Umstrukturierung des Vertriebsnetzes ergibt.
In dem von der Beklagten mit Schriftsatz vom 24.11.2005 vorgelegten Urteil vom 20.07.2005 (1 U 532/04-157, Anlage BK 13) beschäftigt sich das OLG Saarbrücken mit dem Anspruch eines G-Händlers auf Rückkauf seines Ersatzteil- und Zubehörlagers durch den Hersteller. Dabei setzt sich das OLG Saarbrücken auch mit der Frage auseinander, ob die Rückkaufverpflichtung dadurch entfalle, dass der Hersteller den Händlervertrag (zum 31.01.1999) gekündigt hat. Es gesteht dem Hersteller ein außerordentliches Kündigungsrecht im Falle der Notwendigkeit einer Umstrukturierung des Vertriebsnetzes in Folge des In-Kraft-Tretens einer neuen Gruppenfreistellungsverordnung zu, wie dies auch in den anderen angeführten Gerichtsentscheidungen der Fall ist. Auch auf diese Entscheidung kann die Beklagte sich nicht mit Erfolg stützen, da es zum einen vorliegend nicht um dieses außerordentliche Kündigungsrecht geht, zum anderen aber – und dies ist entscheidender – das Kündigungsrecht auch vom OLG Saarbrücken nur im Falle der durch eine neue GVO notwendig werdenden Umstrukturierung anerkannt wird.
Der Hinweis der Beklagten darauf, dass der Bundesgerichtshof in BGH NJW-RR 03, 894 (= MDR 03, 758 = BB 03, 1089) entschieden habe, aus einem nichtigen Vertragshändlervertrag könne kein Ausgleichsanspruch hergeleitet werden, geht fehl. Der Bundesgerichtshof hat sich in der angeführten Entscheidung in einer Nebenbemerkung zu einem wegen Verstoßes gegen § 15 GWB (von Anfang an) gesamtnichtigen Vertrag geäußert. Der vorliegende Händlervertrag von 1996 war aber zweifellos nicht nichtig. Möglicherweise hätte er bei unveränderter Beibehaltung teilweise gegen die neue GVO verstoßen. Dies ist aber für die Frage des Ausgleichsanspruchs aus einem bis zu seiner Beendigung wirksamem Vertrag unerheblich. Außerdem sind die Händlerverträge Formularverträge und unterliegen damit den AGB-Vorschriften. Deshalb greift § 306 Abs. 1 BGB (vormals § 6 AGBG) ein, der keine Gesamtnichtigkeit als Folge des Verstoßes einzelner Vertragsklauseln gegen die neue GVO vorsieht. Dass Gesamtnichtigkeit nach § 306 Abs. 3 BGB vorläge, ist nicht substantiiert dargetan. Im vorletzten Satz der Begründung des Vorlagebeschlusses an den Europäischen Gerichtshof vom 26.07.2005 (KZR 14/04, BB 05, 2208 = RP 05, 1535) hat der Bundesgerichtshof im übrigen die Gesamtnichtigkeit der Händlerverträge als Folge von gegen die GVO Nr. 1400/2002 verstoßenden Wettbewerbsbeschränkungen nur als Möglichkeit dargestellt. Ferner ist anzumerken, dass bei Nichtigkeit eines Handelsvertreter- bzw. Vertragshändlervertrages der Ausgleichsanspruch nicht zwangsläufig entfällt, wenn der Vertrag in Vollzug gesetzt worden ist (BGHZ 129, 290 = NJW 95, 1958 = MDR 95, 1018 und BGH NJW 97, 655 = MDR 97, 247 = VersR 97, 236).
Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO). Im Falle der Zurückweisung der Berufung gegen ein Grundurteil ist im Berufungsurteil eine Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens zu treffen (BGHZ 20, 397 = NJW 56, 1235 = ZZP 69, 298; BGHZ 54, 21 = NJW 70, 1416 = MDR 70, 663; OLG Oldenburg OLG-Report 02, 26; OLG Stuttgart OLG-Report 03, 398 = BauR 03, 1062 = NZBau 03, 446; OLG Braunschweig NZV 02, 563; OLG Naumburg OLG-Report 04, 316; anders OLG Frankfurt – 10. Zivilsenat – NJW-RR 88, 1213).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert ist in Höhe des Wertes der Hauptsache festzusetzen (OLG Oldenburg, OLG Stuttgart und OLG Naumburg a.a.O.; vgl. auch BGH NJW 98, 686).
Die Revision ist zuzulassen, da sowohl die Frage der Zulässigkeit eines Grundurteils als auch der analogen Anwendung des § 89 b Abs. 3 Nr. 1 HGB für eine größere Anzahl gleichgelagerter Fälle von Bedeutung ist (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).