Überstundenabgeltung im Versicherungsvertrieb

5 AZR 629/10 Urteil verkündet am 21. September 2011 BAG Inhalt des Arbeitsvertrages

Bundesarbeitsgericht
Im Namen des Volkes
Urteil

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. März 2010 – 9 Sa 2161/08 -, – 9 Sa 2266/08 – und – 9 Sa 2316/08 – teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17. September 2008 – 30 Ca 18451/07 – und – 30 Ca 14891/08 (WK) – in seinen Ziff. II. 1. bis 3. teilweise abgeändert und insoweit zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.000,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. September 2008 zu zahlen.

3. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17. September 2008 – 30 Ca 18451/07 – und – 30 Ca 14891/08 (WK) – wird mit der vom Landesarbeitsgericht in Ziff. II. seines Urteils vom 19. März 2010 – 9 Sa 2161/08 -, – 9 Sa 2266/08 – und – 9 Sa 2316/08 – ausgesprochenen Maßgabe insgesamt zurückgewiesen.

4. Die Kosten der Revision hat der Kläger zu tragen. Von den Kosten der Berufung haben der Kläger 19/20 und die Beklagte 1/20 sowie von den erstinstanzlichen Kosten der Kläger 9/10 und die Beklagte 1/10 zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob für die Monate Oktober bis Dezember 2007 eine Brutto- oder Nettovergütung geschuldet ist, und über die Abgeltung von Überstunden. Der 1965 geborene Kläger war bei der Beklagten, einer Versicherungsmaklerin, seit dem 01.04.2005 als Büroleiter tätig. Grundlage seiner Tätigkeit war die am 22.03.2005 handschriftlich festgehaltene Vereinbarung, in der es heißt:

1. Beide Parteien beschließen ab 01.04.2005 eine Zusammenarbeit. S ist bereit ab 21.03.2005 in der H zeitweise tätig zu sein. Diese Zeit wird separat vergütet oder verrechnet.
2. Die Tätigkeit von S ist die eines Büroleiters gemäß den ausgehändigten Beschreibungen.
3. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden (Montag – Freitag).
4. Das Arbeitsentgelt beträgt 3.000,– Euro per Monat.
5. Es wird eine Probezeit von 3 Monaten vereinbart. Die Kündigungsfrist beträgt in dieser Zeit 14 Tage.

7. Nach Ablauf der Probezeit wird über die Vertragsmodalitäten neu verhandelt.
8. Geplant ist ab 01.01.2006 die Tätigkeit als stellvertr. GF.
9. Ab 01.01.2007 ist die Tätigkeit als GF geplant mit Unternehmensbeteiligung in Höhe von 10% (i. W. zehn) ….

Rückwirkend zum selben Zeitpunkt schlossen die Parteien eine „Zusatzvereinbarung zum Mitarbeitervertrag“, in der sie unter anderem Folgendes vereinbarten:

§ 1. Herr S erhält als Vergütung für von ihm allein und eigenständig vermitteltes Neugeschäft von den dem Arbeitgeber daran zufließenden Abschlussprovisionen in den Bereichen Kapitalanlagen (Fonds), Lebens, Renten- und Krankenversicherung eine Beteiligung in Höhe von siebenundsechzig Prozent. Ist das Neugeschäft nicht aus dem Umfeld von H geworben, beträgt der Beteiligungssatz achtzig Prozent der H zufließenden Provisionen.
§ 2. Herr S erhält als Vergütung für von ihm allein und eigenständig vermitteltes Neugeschäft, von den dem Arbeitgeber daran zufließende Erstjahrescourtagen in den Bereichen der Sach-, Haftpflicht-, Unfall-und Rechtsschutz-Versicherung eine Beteiligung in Höhe von siebenundsechzig Prozent. Ist das Neugeschäft nicht aus dem Umfeld von H geworben, beträgt der Beteiligungssatz achtzig Prozent der H zufließenden Provisionen.
§ 3. Für Verträge, die mit Hilfe von weiteren Mitarbeitern des Arbeitgebers als Zuträger abgeschlossen werden, wird der Provisionsanspruch um fünfundzwanzig Prozent der vorgenannten Provisionen des Arbeitgebers gekürzt ….
In einem Nachtrag hierzu heißt es:
„a) Das vereinbarte Grundgehalt ist ausschließlich dem Arbeitsvertrag mit den dazu gehörigen Arbeitsplatzbeschreibungen zuzuordnen.
b) Außendiensttätigkeiten gemäß der Zusatzvereinbarung sind, sofern ein Grundgehalt bezahlt wird, nach Arbeitsschluss (reguläre Arbeitszeit) durchzuführen.
c) Sollte ein Termin während der Arbeitszeit anfallen, kann dieser durchgeführt werden und wird jedoch mit der Arbeitszeit verrechnet und abgezogen.
d) Angebote und Telefonate fallen in den Bereich der Arbeitszeit. …“

Vom Beginn der Zusammenarbeit an erhielt der Kläger von der Beklagten monatlich 3.000,– Euro. Die Beklagte führte hierfür weder Lohnsteuern ab, noch meldete sie den Kläger zur Sozialversicherung an. Auch der Kläger zahlte weder Steuern noch Sozialversicherungsbeiträge auf das Entgelt. Über den Betrag von 3.000,– Euro existieren monatliche Rechnungen des Klägers, deren Echtheit teilweise streitig ist. Mit Schreiben vom 23.10.2007 kündigte die Beklagte „die Zusammenarbeit aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung“. Im Kündigungsschutzprozess stützte sie ihre Kündigung darauf, der Kläger habe sich in Medien als „kommissarischer Reichspräsident“ dargestellt. Das LAG hat im Berufungsurteil festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23.10.2007 nicht fristlos aufgelöst wurde, sondern bis zum 31.12.2007 fortbestand.

Ab Oktober 2007 zahlte die Beklagte keine Vergütung mehr. Auf ihre Aufforderung arbeitete der Kläger wieder vom 13.11.2007 bis zu seiner Freistellung ab dem 03.12.2007.

Mit Klageerweiterungen im Kündigungsschutzprozess hat der Kläger Vergütung für die Monate Oktober bis Dezember 2007 begehrt, die er ausgehend von 3.000,– Euro netto unter Zugrundelegung der Steuerklasse V auf eine monatliche Bruttovergütung von 6.910,77 Euro hochrechnete. Er hat geltend gemacht, die Parteien hätten ein Nettoentgelt vereinbart, zumindest ergebe sich eine Nettolohnabrede aus § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV. Außerdem hat der Kläger die Abgeltung von während der gesamten Beschäftigungszeit geleisteter 1 448,5 Überstunden verlangt und vorgetragen, der Geschäftsführer der Beklagten habe diese angeordnet und genehmigt. Wie alle anderen Arbeitnehmer habe der Kläger mittels einer Excel-Tabelle ein Arbeitszeitkonto führen müssen. Dieses habe er regelmäßig, letztmalig am 06.07.2007 dem Geschäftsführer vorgelegt Der Kläger begehrt nach vorläufiger Vollstreckung des erstinstanzlichen Urteils, die Zahlung von

a) 6.910,77 Euro brutto (Gehalt Oktober 2007) abzüglich gezahlter 3.000,– Euro netto nebst Zinsen,

b) 6.910,77 Euro brutto (Gehalt November 2007) abzüglich gezahlter 3.000,– Euro netto nebst Zinsen,

c) 6.910,77 Euro brutto (Gehalt Dezember 2007) abzüglich gezahlter 3.000,– Euro netto nebst Zinsen,

d) weitere 55.000,66 Euro brutto zuzüglich Zinsen.

Die Beklagte hat geltend gemacht, die Parteien hätten keine Schwarzgeldabrede getroffen, sondern sich über eine freie Mitarbeit geeinigt, weil der Erwerb von Gesellschaftsanteilen beabsichtigt war. Ein Arbeitszeitkonto habe der Kläger nicht führen müssen. Seine Aufzeichnungen über angeblich geleistete Arbeitszeit hätten nachträglich manipuliert werden können. Überstunden habe sie weder angeordnet noch genehmigt.

Das ArbG (ArbG Berlin, Urt. v. 17.09.2008 – 30 Ca 18451/07, 30 Ca 14891/08 [WK]) hat die Beklagte zur Zahlung von 9.000,– Euro netto nebst Zinsen verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Nach vier Terminen zur mündlichen Verhandlung hat das LAG (BeckRS 2010, 75549) die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und sie auf die Berufung des Klägers verurteilt, an diesen weitere 23.671,42 Euro netto nebst Zinsen zur Abgeltung von Überstunden zu zahlen. Die Revision der Beklagten hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe

[13] Streitgegenständlich sind in der Revisionsinstanz nach der Erklärung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu ihrem Revisionsantrag und mangels Anschlussrevision des Klägers nur die Fragen, ob für die Monate Oktober bis Dezember 2007 eine Brutto- oder Nettovergütung geschuldet ist und der Kläger die Abgeltung von Überstunden beanspruchen kann. Damit steht insbesondere rechtskräftig fest, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestand, das durch die Kündigung der Beklagten vom 23.10.2007 zum 31.12.2007 aufgelöst wurde.

[14] Zu Unrecht hat das LAG die Berufung der Beklagten gegen die erstinstanzliche Verurteilung zu einer Nettovergütung für die Monate Oktober bis Dezember 2007 zurückgewiesen und der Berufung des Klägers gegen das die Klage auf Abgeltung von Überstunden abweisende Urteil des ArbG stattgegeben.

[15] I. Die Revision der Beklagten ist allerdings nicht bereits deshalb begründet, weil der von ihr geltend gemachte absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des BerGer. nach § 547 Nr. 1 ZPO i. V. mit § 72 V ArbGG vorläge. Die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts ist unbegründet.

[16] 1. Die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts ist unverzichtbar, so dass entgegen der Auffassung des Klägers ein mögliches Einverständnis der Beklagten mit der Besetzung der Richterbank in der letzten Berufungsverhandlung am 19.03.2010 unerheblich ist.

[17] 2. Nach § 547 Nr. 1 ZPO ist eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Die Norm umfasst auch diejenigen Fälle, in denen über die Rechtsstreitigkeit andere Richter entscheiden als die gesetzlich Berufenen (BAG, NZA 2011, 1446 = NJW 2011, 3053 Rdnr. 16; BAG, NZA 2007, 1318 = AP ZPO § 547 Nr. 7 Rdnr. 11; BAGE 101, 145 AP GG Art. 101 Nr. 61 [zu II 3], jew. m.w.Nachw.). Aus dem verfassungsrechtlichen Verbot, einem Verfahrensbeteiligten den gesetzlichen Richter zu entziehen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) folgt, dass die Rechtsprechungsorgane nicht anders besetzt werden dürfen als es in den allgemeinen Normen der Gesetze und der Geschäftsverteilungspläne vorgesehen ist. „Gesetzlicher Richter“ bedeutet, dass sich der für die einzelne Sache zuständige Richter im Voraus eindeutig aus einer allgemeinen Regelung ergeben muss. Kennzeichnung der Gewährleistung des gesetzlichen Richters ist die normative, abstrakt-generelle Vorherbestimmung des jeweils für die Entscheidung zuständigen Richters (BAG, NZA 2007, 1315 = NJW 2007, 3146 = AP ZPO § 547 Nr. 6 = EzA GG Art. 101 Nr. 8 Rdnr. 16; BAGE 84, 189 = NZA 1997, 333 = NJW 1997, 2133 [zu A I]).

[18] 3. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die von der Beklagten gerügte Mitwirkung des ehrenamtlichen Richters R an der angefochtenen Entscheidung entspricht dem Geschäftsverteilungsplan des LAG Berlin-Brandenburg für das Geschäftsjahr 2010 (im Folgenden: GVP1.). Nach dessen Nr. 7.1 S. 3 war zwar zunächst auf Grund der in der Berufungsverhandlung vom 31.07.2009 erfolgten Beweisaufnahme die ehrenamtliche Richterin W zu den Fortsetzungsterminen heranzuziehen. Dementsprechend nahm Frau W an der Berufungsverhandlung am 20.11.2009 teil, die mit dem Beschluss endete, Termin zur Verkündung einer Entscheidung werde auf den 18.12.2009 bestimmt. Diesen Verkündungstermin hob die Kammervorsitzende mit Beschluss vom 14.12.2009 auf. Am 05.03.2010 erließ die vollbesetzte Kammer unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterin W den am selben Tag verkündeten Beschluss, die mündliche Verhandlung am 19.03.2009 fortzusetzen. Nachdem die ehrenamtliche Richterin W sich für diesen Termin für verhindert erklärte, wurde statt ihrer der ehrenamtliche Richter R herangezogen.

[19] Diese Verfahrensweise steht im Einklang mit Nr. 7.2 GVP1. Danach sind bei Verhinderung ehrenamtlicher Richter und Richterinnen an der Wahrnehmung einer Sitzung, eines Fortsetzungstermins oder eines für diesen anberaumten Ersatztermins der festgelegten Reihenfolge nach noch nicht zu nachfolgenden Sitzungen eingeteilte ehrenamtliche Richter und Richterinnen heranzuziehen. Für die Anzeige einer Verhinderung durch den ehrenamtlichen Richter oder die ehrenamtliche Richterin ist deren förmliche Ladung nicht erforderlich. Das gilt umso mehr, als im Streitfall der ehrenamtlichen Richterin W durch ihre Mitwirkung an dem Beschluss vom 05.03.2010 der anberaumte Fortsetzungstermin schon vor einer förmlichen Ladung hierzu bekannt war.

[20] II. Die Revision der Beklagten ist begründet, soweit das LAG die Berufung der Beklagten gegen ihre erstinstanzliche Verurteilung zu einer Nettovergütung für die Monate Oktober bis Dezember 2007 zurückgewiesen hat. Der Kläger kann eine Nettovergütung für diesen Zeitraum nicht beanspruchen.

[21] 1. Zwischen den Parteien steht in der Revisionsinstanz außer Streit, dass dem Kläger für die Monate Oktober bis Dezember 2007 Vergütung nach § 611 Abs. 1 BGB für geleistete Arbeit und im Übrigen unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs (§ 615 Satz 1 BGB) zusteht. Eine Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger die vereinbarte Vergütung in Höhe von 3.000,– Euro monatlich als Nettovergütung zu zahlen, besteht jedoch nicht.

[22] a) Eine solche ergibt sich nicht aus den Vereinbarungen der Parteien. Eine ausdrückliche Nettolohnvereinbarung wurde von ihnen nach den Feststellungen des LAG nicht getroffen.

[23] b) Eine Nettolohnabrede folgt auch nicht aus § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV. Danach gilt ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart, wenn bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt worden sind. Unbeschadet der – vom LAG bejahten – Frage, ob die Parteien eine Schwarzgeldabrede getroffen haben, beschränkt sich der Anwendungsbereich dieser Vorschrift auf das Sozialversicherungsrecht und erstreckt sich nicht auf das bürgerlich-rechtliche Rechtsverhältnis der Arbeitsvertragsparteien (BAGE 133, 332 = NZA 2010, 881 = NJW 2010, 2604 Rdnrn. 13 ?.; ErfK/Preis 11. Aufl., § 611 BGB Rdnr. 475; Dornbusch/Fischermeier/Löwisch/Kamanabrou, 4. Aufl., § 611 BGB Rdnr. 228; Palandt/Weidenkaff, BGB, 70. Aufl., § 611 Rdnr. 51; Arnold, ArbR Aktuell 2010, 322; 322. Steenfatt BB 2010, 1992). Das ergibt eine systematische Auslegung der Norm, deren Ergebnis durch den Zweck und die Entstehungsgeschichte des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bestätigt wird (s. dazu im Einzelnen BAGE 133, 332 = NZA 2010, 881 = NJW 2010, 2604).

[24] Die Befürchtung des Klägers ein solches Verständnis des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV schaffe für Arbeitgeber Anreize zur Schwarzarbeit, ist unberechtigt. Neben seiner Strafbarkeit wegen des Vorenthaltens und der Veruntreuung von Arbeitsentgelt nach § 266 a StGB muss der Arbeitgeber die Nachentrichtung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gegenwärtigen, in der Regel ohne (volle) Rückgriffsmöglichkeit auf den Arbeitnehmer, §§ 28 e Abs. 1 Satz 1, 28 g Satz 3 SGB IV.

[25] Die Rechtsprechung des BAG steht auch nicht in Widerspruch zu der des BGH. Dieser versteht § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ebenfalls (nur) als sozialversicherungsrechtliche Berechnungsgrundlage des Arbeitsentgelts in einem illegalen Beschäftigungsverhältnis, die er im Rahmen der Strafnorm des § 266 a StGB bei der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge anwendet (BGHSt 53, 71 = NJW 2009 528 Rdnrn. 12 ff.). Der vom Kläger angeregten Vorlage an die Vereinigten Großen Senate beim BGH (§ 132 Abs. 1 Satz 2 GVG) bedurfte es schon deshalb nicht, weil das BAG – anders als das Reichsarbeitsgericht, das als besonders besetzter Senat des RG konzipiert war (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting/Prütting, 7. Aufl., ArbGG, Einl. Rdnr. 14) – ein eigenständiger Oberster Gerichtshof des Bundes (Art. 95 Abs. 1 GG) ist.

[26] 2. Der Kläger kann die vereinbarte Vergütung von 3.000,– Euro monatlich, die auch dann wirksam vereinbart ist, wenn die Parteien – wie das LAG festgestellt hat – eine Schwarzgeldabrede getroffen haben (vgl. BAGE 105, 187 = NZA 2004, 313 [zu II 4] ), nur als Bruttovergütung beanspruchen (BAGE 111, 131 = NZA 2004, 1274 = NJW 2004, 3588 [zu II 1 und 2]; ErfK/Preis, § 611 BGB Rdnr. 474 m.w.Nachw.). Denn der Arbeitnehmer ist gem. § 38 Abs. 2 EStG Schuldner der Lohnsteuer und muss im Innenverhältnis zum Arbeitgeber den ihn treffenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags tragen, § 28 g SGB IV. Dass das Vertragsverhältnis der Parteien als Arbeitsverhältnis einzuordnen ist, steht auf Grund der nicht angegriffenen Entscheidung des BerGer. im Kündigungsschutzprozess rechtskräftig fest.
[27] 3. Die Beklagte hat den Vergütungsanspruch nach ihrem eigenen Vorbringen nicht erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB). Die vorläufige Vollstreckung des erstinstanzlichen Urteils durch den Kläger bewirkt nicht die materiell-rechtliche Erfüllung des Vergütungsanspruchs und führt bis zur Rechtskraft der Entscheidung nicht zur endgültigen Tilgung nach §§ 815 Abs. 3, 819 ZPO (vgl. Palandt/Grüneberg, § 362 BGB Rdnr. 15 m.w.Nachw.).

[28] 4. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1 BGB i. V. mit § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

[29] III. Die Revision der Beklagten ist auch begründet, soweit das LAG der Berufung des Klägers gegen das die Klage auf Abgeltung von Überstunden abweisende Urteil des ArbG stattgegeben hat. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Überstundenvergütung.

[30] 1. Der Arbeitsvertrag der Parteien enthält weder eine positive noch eine negative Regelung zur Vergütung von Überstunden. Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers kann deshalb nur § 612 Abs. 1 BGB sein. Nach dieser Vorschrift gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.

[31] Die nach § 612 Abs. 1 BGB erforderliche – objektive – Vergütungserwartung wird zwar in weiten Teilen des Arbeitslebens gegeben sein. Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jede Mehrarbeitszeit oder jede dienstliche Anwesenheit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten ist, gibt es jedoch nicht (vgl. BAG, NZA 2011, 1335 = ZIP 2011, 2204 Rdnr. 21; ErfK/Preis, § 612 BGB Rdnr. 18; HWK/Thüsing, 4. Aufl., § 612 BGB Rdnr. 23, jew. m.w.Nachw.). Die Vergütungserwartung ist deshalb stets anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen, ohne dass es auf deren persönliche Meinung ankäme (BADE 96, 45 = NZA 2001, 458 [zu IV 4 a]). Darlegungs- und beweispflichtig für das Bestehen einer Vergütungserwartung ist nach allgemeinen Grundsätzen derjenige, der eine Vergütung begehrt.

[32] 2. Aus dem Sachvortrag des Klägers lässt sich das Bestehen einer Vergütungserwartung nicht begründen. Anders als im „Normalarbeitsverhältnis“ sind die Vertragsbeziehungen der Parteien im Streitfall dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger neben dem Arbeitsverhältnis als Büroleiter, in dem er für eine bestimmte Wochenarbeitszeit eine gleichbleibende monatliche Vergütung erhalten sollte, damit betraut war, Versicherungsverträge für die Beklagte unabhängig von dem dafür benötigten Zeitaufwand auf Provisionsbasis zu vermitteln. Dabei waren die unterschiedlichen Vergütungsregelungen folgenden Tätigkeiten arbeitszeitlich nicht strikt getrennt, sondern ineinander verschränkt. Der Kläger durfte nach lit. d des Nachtrags zur Zusatzvereinbarung (im Folgenden: Nachtrag) während der Arbeitszeit als Büroleiter Angebote für seine Tätigkeit als Versicherungsvertreter ausarbeiten und entsprechende Telefonate führen. Außendiensttätigkeiten sollten zwar nach der Arbeitszeit als Büroleiter erfolgen, konnten aber unter Verrechnung auf diese während der „regulären Arbeitszeit“ durchgeführt werden, lit. b und lit. c des Nachtrags. Damit wird deutlich, dass es den Parteien nicht auf eine strikte Trennung der unterschiedlich vergüteten Arbeitsbereiche ankam. Der Kläger durfte ohne zeitliche Begrenzung während der Arbeitszeit als Büroleiter Angebote für seine Tätigkeit als Versicherungsvertreter ausarbeiten und entsprechende Telefonate führen. Bei einer derartigen Verschränkung arbeitszeitbezogen und arbeitszeitunabhängig vergüteter Arbeits- bzw. Dienstleistungen lässt sich das Bestehen einer objektiven Vergütungserwartung für Überstunden im arbeitszeitbezogen vergüteten Arbeitsbereich nicht ohne Hinzutreten besonderer Umstände oder einer entsprechenden Verkehrssitte begründen. Fehlt es daran, kann eine Überstundenvergütung nur verlangt werden, wenn sie arbeitsvertraglich vereinbart ist.

[33] 3. Besondere Umstände für eine Ausnahme von dieser Regel hat der Kläger nicht vorgebracht. Die geplante Tätigkeit als Geschäftsführer unter Beteiligung als Minderheitsgesellschafter an der beklagten GmbH spricht eher gegen eine Vergütungserwartung i. S. von § 612 Abs. 1 BGB. Anhaltspunkte für eine die Auffassung des Klägers stützende entsprechende Verkehrssitte hat der Senat nicht. Dieses Ergebnis bestätigt das Verhalten des Klägers, der der Beklagten bis zur Beendigung des Vertragsverhältnisses Überstunden aus seiner Büroleitertätigkeit weder in Rechnung gestellt noch sonst geltend gemacht hat.

Besprechung(en) zur Rechtsprechung
Überstundenabgeltung im Versicherungsvertrieb
Schlagwörter
Vergütungserwartung (1) Überstunden (1)