Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung bei schwerwiegendem Vertragsverstoß

I-16 U 137/10 Urteil verkündet am 22. Dezember 2011 OLG Düsseldorf Kündigung des Handelsvertretervertrags

Oberlandesgericht Düsseldorf
Im Namen des Volkes
Urteil

In dem Rechtsstreit
[…]

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 16. Dezember 2011 durch […]

Tenor

für Recht erkannt:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 3. August 2010 verkündete Teilurteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Wuppertal wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klägerin, die eine Handelsvertretung betreibt, macht gegenüber der Beklagten, einem internationalen Unternehmen für fertige Systembaustoffe zur Bauwerksabdichtung, -Instandsetzung, Fliesenverlegung und Industriebodenbeschichtung, im Wege der Stufenklage auf der ersten Stufe einen Anspruch auf Erteilung eines Buchauszugs für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Januar 2008 geltend.

Die Klägerin war seit Dezember 1969 als Handelsvertreterin für die Beklagte tätig. Mit Schreiben vom 4. Juli 2007 kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis mit der Klägerin fristlos. Als Grund für die fristlose Kündigung gab die Beklagte an, dass der Geschäftsführer der Klägerin versucht habe, die für sie tätigen Handelsvertreter dazu zu veranlassen, eine vertragswidrige Konkurrenztätigkeit aufzunehmen. Die Parteien streiten darüber, ob der von der Beklagten erhobene Vorwurf zutreffend und überhaupt geeignet ist, die fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Mit weiterem Schreiben vom 19. Juli 2007 erklärte die Beklagte nochmals die fristlose Kündigung des Vertragsverhältnisses, wobei sie sich insbesondere auf eine wettbewerbswidrige Verwendung von Kundendaten durch die Klägerin stützte.

Das Landgericht hat entsprechend des Anerkenntnisses der Beklagten diese durch Anerkenntnisteilurteil vom 18. März 2008 zur Erteilung eines Buchauszuges für die Zeit vom 1. Januar bis 4. Juli 2007 verurteilt.

Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Buchauszug nach Maßgabe und mit dem Inhalt des Anerkenntnisses in dem Verhandlungstermin vom 18. März 2008 über den 4. Juli 2007 hinaus bis zum 31. Januar 2008 zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage insoweit abzuweisen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung von drei für die Beklagte tätigen selbständigen Handelsvertretern als Zeugen. Es hat sodann die Klage auf der ersten Stufe durch das am 3. August 2010 verkündete Teilurteil abgewiesen, soweit die Klägerin von der Beklagten verlangt, den nach dem Anerkenntnisurteil der Kammer vom 18. März 2008 geschuldeten Buchauszug auch für die Zeit nach dem 4. Juli 2007 bis zum 31. Januar 2008 zu erteilen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt:

Es bestehe kein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Erteilung des Buchauszugs für die weitere Zeit, d. h. vom 5. Juli 2007 bis zum 31. Januar 2008, da das Vertragsverhältnis der Parteien durch die von der Beklagten am 4. Juli 2007 erklärte Kündigung mit sofortiger Wirkung (fristlos) beendet worden sei. Die Beklagte sei gem. § 89a Abs. 1 HGB zur fristlosen Kündigung berechtigt gewesen, weil Tatsachen vorgelegen hätten, auf Grund derer ihr unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen ein Abwarten bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zumutbar gewesen sei. Die Klägerin habe in besonders gravierender Weise gegen die ihr gegenüber der Beklagten bestehenden vertraglichen Pflichten verstoßen. Der Verstoß bestehe darin, dass die Klägerin durch ihren Geschäftsführer wiederholt und über Jahre hinweg und zum Teil mit Erfolg versucht habe, andere Handelsvertreter der Beklagten für eine Konkurrenztätigkeit zu gewinnen. An einem derartigen Verhalten habe das Gericht auf Grund der Angaben der vernommenen Zeugen keinen Zweifel. Die Zeugen hätten solche Abwerbungsversuche übereinstimmend geschildert, im Fall des Zeugen […] auch den Erfolg der Abwerbung. Nach dem Aussageverhalten und der Geburtsstunde der Angaben der Zeugen sei das Gericht auch von der Richtigkeit ihrer Angaben überzeugt. Dabei zeigten die Vielzahl der Abwerbungsversuche und der lange Zeitraum, über den der Geschäftsführer der Klägerin sich immer wieder bemüht habe, andere Handelsvertreter der Beklagten zu einer ihnen verbotenen Konkurrenztätigkeit zu veranlassen, dass das von der Klägerin apostrophierte vertrauensvolle Vertragsverhältnis gerade von ihrer Seite aus nicht bestanden habe. Zwar habe vor dem Ausspruch der fristlosen Kündigung eine Abmahnung gefehlt. Gleichwohl erachte das Gericht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für gewahrt. Denn die der Klägerin anzulastenden Vertragsverletzungen beträfen nicht die Leistungsseite, sondern in der geschilderten gravierenden Weise das an sich vorauszusetzende Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie insbesondere die Beweiswürdigung des Landgerichts angreift und ihren erstinstanzlichen Klageantrag in vollem Umfang weiterverfolgt. Die Klägerin erhebt im Wesentlichen die folgenden Einwendungen:

Sie verfolge ihren Anspruch auf Auskunftserteilung durch die Beklagte bis zu dem Zeitpunkt, auf den bezogen eine fristgerechte Kündigung der Beklagten Wirksamkeit erlangt hätte, mit ihrer Berufung weiter. Sie sei weiterhin der Ansicht, dass das Vertragsverhältnis jedenfalls bis zum 31. Januar 2008 gewährt habe und nicht zu einem früheren Zeitpunkt durch die von der Beklagten erklärte fristlose Kündigung beendet worden sei. Die vom Landgericht in der angefochtenen Entscheidung vorgenommene Beurteilung, Abwerbungsversuche ihres Geschäftsführers hätten die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für die Beklagte unzumutbar gemacht, halte einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Dem Landgericht könne bereits nicht in der Beurteilung gefolgt werden, „Abwerbungsversuche“ der Firma […] GmbH, deren Geschäftsführer Herr […] sei, hätten in vorwerfbarer Weise Interessen der Beklagten verletzt. Die vernommenen Zeugen hätten als selbständige Kaufleute und Handelsvertreter sowohl der Beklagten als auch der Firma […] GmbH gegenüber gestanden. Sie sehe nichts Vorwerfbares darin, wenn die Firma […] GmbH in Person ihres Geschäftsführers an selbständige Handelsvertreter, die zugleich auch für die Beklagte tätig gewesen seien, die allgemeine Frage gerichtet habe, ob für sie eine vertragliche Zusammenarbeit auch mit der Firma […] GmbH in Betracht kommen. Das vom Landgericht angenommene übersteigerte Bestreben ihres Geschäftsführers, die eigene Einnahmesituation zu verbessern, könne sie nicht erkennen. Ihr Geschäftsführer sei vielmehr verpflichtet gewesen, auch die Interessen der Firma […] GmbH wahrzunehmen. Ebenso wenig sei die Annahme des Landgerichts nachvollziehbar, in Rede stehe eine Vielzahl von Abwerbungsversuchen während eines langen Zeitraums. Dass sich Versuche über einen „langen Zeitraum“ hingezogen hätten, sei nicht zutreffend. Darüber hinaus sei es einem selbständigen Handelsvertreter nicht verwehrt, eine weitere Vertretung zu übernehmen. Im vorliegenden Fall umfasse das Warenangebot der Firma […] GmbH eine Fülle von Produkten, welche die Beklagte nicht vertreibe. Die Beklagte hätte also darauf hinwirken können, dass ein von dem Geschäftsführer der Firma […] GmbH angesprochener Handelsvertreter mit der Firma […] GmbH die Vereinbarung getroffen hätte, keine „kollidierenden“ Produkte zu vertreten. Wenn es aber unterschiedliche Möglichkeiten gebe, Verträge mit selbständigen Handelsvertretern zu schließen, ohne Interessen der Beklagten zu tangieren, könne es nicht bereits als schwerwiegender, eine fristlose Kündigung rechtfertigender Vertragsverstoß angesehen werden, dass ihr Geschäftsführer das Gespräch mit anderen Handelsvertretern gesucht und in allgemeiner Weise über die Möglichkeit einer Zusammenarbeit gesprochen habe. Schließlich sei eine vorherige Aussprache und Abmahnung nicht entbehrlich gewesen. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass die Parteien über den Zeitpunkt des Ausspruchs der fristlosen Kündigung hinaus weiter zusammengearbeitet und respektable Umsätze generiert hätten. Eben die Fortsetzung der vertraglichen Zusammenarbeit zeige, dass diese für die Beklagte keineswegs unzumutbar gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagten unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Wuppertal vom 3. August 2010 zu verurteilen, der Klägerin einen Buchauszug gem. § 87c Abs. 2 HGB nach Maßgabe und mit dem Inhalt des Anerkenntnisses der Beklagten in dem Verhandlungstermin vom 18. März 2008 über den 4. Juli 2007 hinaus bis zum 31. Januar 2008 zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und trägt vor, die Berufung der Klägerin sei bereits unzulässig. Der Berufungsbegründung fehle die nach § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO notwendige Auseinandersetzung mit den wesentlichen, die Entscheidung des Landgerichts maßgeblich stützenden Urteilsgründen. Die Berufung sei zudem unbegründet, da die Klägerin verkenne, dass bereits der Versuch der Gewinnung von Handelsvertretern der Beklagten, denen aufgrund der bestehenden Handelsvertreterverträge und des sich aus § 86 Abs. 1 2. Halbsatz HGB ergebenden Wettbewerbsverbots der Vertrieb konkurrierender Produkte nicht gestattet gewesen sei, für eine parallele Wettbewerbstätigkeit für die Firma […] GmbH eine schuldhafte Verletzung der der Klägerin gegenüber der Beklagten obliegenden vertraglichen Pflichten darstelle. Die vom Landgericht durchgeführte Beweisaufnahme habe bestätigt, dass die Klägerin in sämtlichen Fällen, die Gegenstand der Beweisaufnahme gewesen seien, entsprechende Abwerbungsversuche zugunsten der Firma […] GmbH über einen längeren Zeitraum (wiederholt) unternommen habe. Dies seien jedoch lediglich diejenigen Fälle gewesen, in denen die Beklagte Kenntnis von entsprechenden Abwerbungsversuchen der Klägerin erlangt habe. Es bestehe indes kein Zweifel, dass es weitergehende Abwerbungsversuche der Klägerin gegeben habe, die zum Teil offenbar sogar von Erfolg gekrönt gewesen seien. Darüber hinaus habe die Klägerin – was nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststehe und von der Klägerin in ihrer Berufungsbegründung auch nicht (mehr) in Zweifel gezogen werde – versucht, Handelsvertreter der Beklagten hinter deren Rücken zu einer parallelen Konkurrenztätigkeit für die Firma […] GmbH zu gewinnen und sie dabei offen zum Vertragsbruch gegenüber der Beklagten aufgefordert. Aufgrund der Aussagen der vernommenen Zeugen stehe fest, dass die Klägerin versucht habe, die Beklagte zu hintergehen und vorsätzlich zu schädigen, indem diese den von ihr angesprochenen Handelsvertretern vorgeschlagen habe, die von ihr selbst als vertragswidrig erkannte Konkurrenztätigkeit für die Firma […] GmbH vor der Beklagten geheim zu halten und zu diesem Zwecke formell über deren Ehepartner laufen zu lassen. Gerade mit diesem schuldhaften vertrags- und wettbewerbswidrigen Verhalten habe die Klägerin das für eine Fortsetzung der Zusammenarbeit unerlässliche Vertrauensverhältnis endgültig und unwiederbringlich zerstört und der Beklagten hierdurch eine Fortsetzung der Zusammenarbeit auch nur bis zum nächsten ordentlichen Kündigungszeitpunkt unzumutbar gemacht. Es könne keinem Unternehmer zugemutet werden, auch nur einen Tag länger mit einem Handelsvertreter zusammenzuarbeiten, der versucht habe, ihn vorsätzlich zu hintergehen und absichtlich zu schädigen. Aus diesem Grunde sei schließlich auch eine vorherige Abmahnung der Klägerin entbehrlich gewesen.

II.
Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.

I.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere hat die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung vom 25. Oktober 2010 die in § 520 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ZPO gesetzlich festgelegten Anforderungen eingehalten.

Nach § 520 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Diese Anforderungen sind gewahrt, wenn die Berufungsbegründung erkennen lässt, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält und zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit die Umstände mitteilt, die das Urteil aus Sicht des Rechtsmittelführers in Frage stellen. Ob die von ihm erhobenen Rügen schlüssig oder auch nur vertretbar sind, ist ohne Belang (vgl. BGH, Urteil vom 31. August 2010 – VIII ZB 13/10 -, juris; BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 – VIII ZB 133/02-, NJW-RR 2003, 1580).

Entgegen der Ansicht der Beklagten genügt die Berufungsbegründung der Klägerin diesen Anforderungen. Aus der Begründung wird ersichtlich, dass die Klägerin die Beurteilung des vorliegenden Streitfalls durch das Erstgericht überprüft hat und im Einzelnen aufzeigt, in welchen Punkten und aus welchen Gründen sie das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Die Begründung ist dabei auf den vorliegenden Fall zugeschnitten und lässt im Einzelnen erkennen, in welchen Punkten rechtlicher und tatsächlicher Art und aus welchen Gründen das angefochtene Urteil nach Ansicht der Klägerin fehlerhaft ist.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen, soweit die Klägerin auch für die Zeit nach dem 4. Juli 2007 bis zum 31. Januar 2008 gegenüber der Beklagten die Erteilung eines Buchauszugs gem. § 87c Abs. 2 HGB verlangt. Für den genannten Zeitraum besteht ein derartiger Anspruch nicht, da dessen Voraussetzungen nicht vorliegen (1). Die Beklagte hat mit Schreiben vom 4. Juli 2007 das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis wirksam gem. § 89a Abs. 1 Satz 1 HGB fristlos gekündigt (2). Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es nicht, da diese entbehrlich war (3).

1. Voraussetzung für den Anspruch auf Erteilung eines Buchauszugs nach § 87c Abs. 2 HGB ist lediglich, dass der Handelsvertreter ihn fordert und die Möglichkeit von Vergütungsansprüchen des Handelsvertreters besteht (vgl. Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 34. Auflage 2010, § 87c Rdnr. 13 ff.; Oetker, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 11. Auflage 2011, § 87 c HGB Rdnr. 4 mit weiteren Nach

eisen).
Während die erste Voraussetzung für einen Anspruch nach § 87c Abs. 2 HGB, nämlich seine Geltendmachung durch den Handelsvertreter, vorliegt, ist die weitere Voraussetzung, die Möglichkeit von der Klägerin zustehenden Vergütungsansprüchen für diesen Zeitraum nicht gegeben. Aufgrund der am 4. Juli 2007 wirksam erklärten fristlosen Kündigung durch die Beklagte (vgl. die folgenden Ausführungen unter 2.) besitzt die Klägerin für den Zeitraum ab dem 5. Juli 2007 keine Vergütungsansprüche gegenüber der Beklagten, so dass diesbezüglich ein Anspruch auf Erteilung eines Buchauszugs ausscheidet.
2. Die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung gemäß § 89a HGB lagen vor.

a) Ein wichtiger Grund im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 1 HGB ist in Anlehnung an die gesetzlichen Definitionen in §§ 314 Abs. 1 Satz 2, 626 Abs. 1 BGB jeder tatsächliche oder rechtliche Umstand, welcher bei Beachtung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung von Wesen und Zweck des Handelsvertretervertrages sowie der durch den Vertrag begründeten beiderseitigen Rechte und Pflichten dem kündigenden Vertragspartner die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zu dem ursprünglich im Vertrag vorgesehenen oder einem durch fristgerechte Kündigung nach § 89 HGB herbeizuführenden Vertragsende unzumutbar macht, weil es trotz der Beachtung des Gebots der Vertragstreue im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls Treu und Glauben sowie der Billigkeit widerspricht, den Kündigenden am Vertrag festzuhalten (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 2011 – VIII ZR 212/08 -, juris; BGH, Urteil vom 10. November 2010 – VIII ZR 327/09 -, NJW 2011, 608 ff.; OLG München, Urteil vom 29. Juli 2010 – 23 U 4893/09 -, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Januar 2001 – 16 U 84/00 -, juris; Löwisch, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, 2. Auflage 2008, § 89a Rdnr. 7 mit weiteren Nachweisen).

b) Die Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ergibt im vorliegenden Fall, dass die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Handelsvertretervertragsverhältnis mit Schreiben vom 4. Juli 2007 aus wichtigem Grund gem. § 89a HGB wirksam ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist beendet hat.

Unter Berücksichtigung des unstreitigen Sachverhalts und nach dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Geschäftsführer der Klägerin in mehreren Fällen versucht hat, andere Handelsvertreter der Beklagten für eine weitere Handelsvertretung die Firma […] GmbH betreffend zu gewinnen. Dies hat die Klägerin, der das Verhalten und das Wissen ihres Geschäftsführers nach §§ 166, 31 BGB zuzurechnen ist, in ihrer Berufungsbegründung nunmehr eingeräumt.

Der Einwand der Klägerin, in diesem Vorgang sei kein vorwerfbares Verhalten ihres Geschäftsführers zu erkennen, geht fehl. Die Klägerin verkennt, dass sie als Handelsvertreterin die Interessen ihres Geschäftsherrn, hier der Beklagten, wahrzunehmen hat (§ 86 Abs. 1 2. Halbsatz HGB); sie ist verpflichtet, alles zu unterlassen, was eine Schädigung dieser Interessen herbeizuführen geeignet ist (vgl. BGHZ 42, 59, 61; Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 86 Rdnr. 20 ff.; Löwisch, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, § 86 Rdnr. 7). Dieser Grundsatz gilt nicht nur, soweit der Handelsvertreter die Konkurrenz anderer Unternehmen fördert, sondern auch, soweit seine Maßnahmen dem Geschäftsherrn in anderer Weise Schaden zufügen oder zuzufügen geeignet sind; dazu gehört auch die Abwerbung von Handelsvertretern seines Geschäftsherrn zugunsten eines anderen Unternehmens (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 1977 – I ZR 146/75 -; OLG Dresden, Beschluss vom 9. Oktober 2007 – 14 U 430/07 -; beide Entscheidungen sind unter juris abrufbar).

In zweiter Instanz ist zudem unstreitig, dass die Produkte der Firma […] GmbH, deren Geschäftsführer mit demjenigen der Klägerin personengleich ist, in weiten Teilen in unmittelbarer Konkurrenz zum Produktprogramm der Beklagten stehen. Aus dieser Konkurrenzsituation ergibt sich, dass die Handelsvertreter der Beklagten eine Vertretung für die Firma […] GmbH nicht übernehmen konnten, ohne gegen das ihnen bereits gem. § 86 Abs. 1 2. Halbsatz HGB gegenüber der Beklagten obliegende Wettbewerbsverbot zu verstoßen. Hiervon hatte der Geschäftsführer der Klägerin auch spätestens beim zweiten von ihm unternommenen diesbezüglichen Abwerbungsversuch positive Kenntnis. Die positive Kenntnis des bestehenden Wettbewerbsverstoßes zeigt sich auch darin, dass der Geschäftsführer der Klägerin den Zeugen […] und […] zur Umgehung der Wettbewerbsproblematik nach deren Aussagen ausdrücklich nahegelegt hat, die Handelsvertretung für die Firma […] GmbH formell über deren Ehefrauen laufen zu lassen, damit sie formell gegenüber der Beklagten gedeckt seien. Nach den Aussagen der Zeugen unterbreitete der Geschäftsführer der Klägerin den Zeugen diesen Vorschlag, nachdem diese ihm jeweils mitgeteilt hatten, dass sie aufgrund der bestehenden Konkurrenztätigkeit für die Firma […] GmbH nicht zur Verfügung stehen würden. Unerheblich ist insofern, der Umstand, dass das Warenangebot der Firma […] GmbH auch zahlreiche Produkte umfasst, die von der Beklagten nicht vertrieben werden. Denn die vom Geschäftsführer der Klägerin angesprochenen Handelsvertreter der Beklagten sollten das gesamte Produktprogramm der Firma […] GmbH vertreiben, also auch konkurrierende Produkte. Eine Beschränkung auf diejenigen Produkte der Firma […] GmbH, welche die Beklagte nicht vertreibt, hatte der Geschäftsführer der Klägerin (unstreitig) nicht vorgesehen, und zwar selbst dann nicht, nachdem Handelsvertreter der Beklagten eine Zusammenarbeit mit der Firma […] GmbH gerade wegen bestehender Konkurrenzsituation abgelehnt hatten.

Das gesamte vom Landgericht festgestellte Verhalten des Geschäftsführers der Klägerin, insbesondere der Versuch, Handelsvertreter der Beklagten vorsätzlich zu einem Vertragsbruch gegenüber derselben unter Vorschieben eines Strohmanns zu verleiten, stellt eine besonders schwerwiegende vertrags- und wettbewerbswidrige Pflichtverletzung dar, die einen wichtigen Kündigungsgrund im Sinne von § 89a Abs. 1 HGB darstellt (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 11. März 1977 – I ZR 146/75 -; OLG Dresden, Beschluss vom 9. Oktober 2007 – 14 U 430/07 -; OLG Hamm, Urteil vom 11. Juni 1997 – 35 U 62/96 -; alle Entscheidungen sind unter juris abrufbar). Der Beklagten konnte aus diesen Gründen auch unter Berücksichtigung des langjährigen seit 1969 bestehenden Vertragsverhältnisses die Fortsetzung des Handelsvertreterverhältnisses nicht zugemutet werden. Sie war daher berechtigt, das Vertragsverhältnis ohne Einhaltung der vertraglich vorgesehenen Kündigungsfrist zu beenden. Ob darüber hinaus auch die zweite mit Schreiben vom 19. Juli 2007 ausgesprochene fristlose Kündigung gerechtfertigt ist, kann mithin offen bleiben.

c) Soweit die Klägerin die erstinstanzliche Beweiswürdigung angreift, tritt der Senat der Beweiswürdigung des Landgerichts in vollem Umfang bei. Es besteht kein Anlass für eine erneute Beweisaufnahme.

(1) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Voraussetzung für die Durchbrechung der Bindungswirkung ist, dass das Ersturteil nicht überzeugt. Dies ist der Fall, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle der (erneuten) Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 – VIII ZR 108/08 juris; BGH, Urteil vom 18. Oktober 2005 – VI ZR 270/04, NJW 2006, 153 ff. mit weiteren Nachweisen; BGH, Urteil vom 12. März 2004 – V ZR 257/03, NJW 2004, 1876 ff.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Auflage 2010, § 529 Rdnr. 5 ff.; Heßler, in: Zöller, ZPO, 28. Auflage 2010, § 529 Rdnr. 2 ff.).

Es bedarf insoweit schlüssiger Gegenargumente, die die erhebliche Tatsachenfeststellung in Frage stellen. Im Berufungsverfahren ist die erstinstanzliche Niederschrift über die Vernehmung der Zeugen heranzuziehen, aus der sich Zweifel dahingehend ergeben müssen, dass die Beweisaufnahme nicht erschöpfend war oder die protokollierten Aussagen im Widerspruch zu den Urteilsgründen stehen. Allein aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung von Zeugenaussagen lässt sich zwar die Zulässigkeit, indes keine Pflicht des Berufungsgerichts zur (erneuten) Rekonstruktion des Sachverhalts ableiten, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit des Beweisergebnisses hinzutreten (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 12. Juni 2003 – 1 BVR 2285/02 -, NJW 2003, 2524 mit Anmerkung Greger, Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht – ein Menetekel aus Karlsruhe, NJW 2003, 2882; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. November 2004 – 1 BVR 1935/03 -, NJW 2005, 1487; Oberlandesgericht Rostock, Urteil vom 27. Oktober 2003 – 3 U 205/02 -, OLGR 2004, 60; Rixecker, Fehlerquellen am Weg der Fehlerkontrolle – Rechtsprobleme des reformierten Berufungsrechts in Verkehrs- und Versicherungssachen, NJW 2004, 705, 709). Eine erneute Beweisaufnahme ist zudem immer dann notwendig, wenn die Beweiserhebung der ersten Instanz verfahrensfehlerhaft erfolgt ist.

(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht vorliegend keine Veranlassung für eine erneute Beweiserhebung durch den Senat; ein diesbezüglicher Verfahrensfehler liegt gleichfalls nicht vor.

Es bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Beweiserhebung des Landgerichts und seiner unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben des § 286 ZPO durchgeführten Bevveiswürdigung. Die Klägerin hat keine konkreten Anhaltspunkte im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aufgezeigt, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen hinsichtlich der vom Landgericht vernommenen Zeugen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Solche sind auch anderweitig nicht ersichtlich.

Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die erstinstanzliche Beweisaufnahme sehr wohl ergeben, dass sich die streitgegenständlichen Abwerbungsversuche des Geschäftsführers der Klägerin über einen längeren Zeitraum erstreckt haben. So hat der Zeuge […] bekundet, dass die Abwerbungsversuche der Klägerin „schon Jahre zurück“ liegen würden und die Klägerin auch nicht nur einen Versuch unternommen, sondern den Zeugen trotz der unter Verweis auf die andernfalls entstehende Konkurrenzsituation erfolgten Ablehnung „dann noch ein- zweimal (…) auf eine solche Tätigkeit angesprochen“ habe. Die Zeugen […] und […] haben ferner bekundet, dass die Abwerbungsversuche des Geschäftsführers der Klägerin im Fall des Zeugen […] ca. ein Jahr und im Fall des Zeugen […] kurze Zeit vor Ausspruch der fristlosen Kündigung durch die Beklagte stattgefunden haben. Das Landgericht hat mithin zutreffend festgestellt, dass die Abwerbungsversuche des Geschäftsführers der Klägerin wiederholt und über Jahre hinweg stattgefunden haben.

Ferner haben die Zeugen – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht ausgesagt, dass es jeweils lediglich zu einem klärenden allgemein gehaltenen Gespräch gekommen sei und sich der Geschäftsführer der Klägerin damit zufrieden gegeben habe, wenn die Zeugen eine Zusammenarbeit mit der Firma […] GmbH abgelehnt hätten. Der Zeuge Blick hat vielmehr bekundet, dass der Geschäftsführer der Klägerin ihn nach seiner Absage an eine Zusammenarbeit mit der Firma […] GmbH gefragt habe, „ob denn nicht die Option bestünde, unter dem Namen meiner Ehefrau ein zweites Unternehmen ins Leben zu rufen, das für das Unternehmen von Herrn […] tätig sein könnte. Dabei stand nicht zur Debatte, dass meine Ehefrau, die schon anderweitig berufstätig ist, irgendeine Verkaufstätigkeit übernehmen sollte. Ich hätte das machen müssen, aber eben nur unter dem Namen meiner Frau.“ Auch der Zeuge […] hat bekundet, dass auch in seinem Fall nach dem Ausspruch seiner Kündigung in einem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Klägerin die Rede davon gewesen sei, „ob ich nicht formal die Vertretertätigkeit für sein Unternehmen weiterführen könnte in der Weise, dass das Ganze unter dem Namen meiner Ehefrau laufe.“ Zwar konnte sich der Zeuge […] nicht mehr daran erinnern, wer diese Idee aufgebracht hat, der Geschäftsführer der Klägerin oder er selbst. Das Landgericht hat insoweit zutreffend und von der Klägerin im Berufungsverfahren nicht angegriffen ausgeführt, dass kein Zweifel daran bestehe, dass auch im Fall des Zeugen […] der diesbezügliche Vorschlag vom Geschäftsführer der Klägerin stamme. Hierfür spricht auch, dass der Zeuge […] im Rahmen seiner Vernehmung außerdem folgendes bekundet hat: „Das mit der Fortführung einer Tätigkeit für die Firma […] unter dem Namen der Ehefrau habe ich abgelehnt. Herr […] war gegen jede Konkurrenztätigkeit und er kriegte alles raus, was er wissen wollte. Deshalb kam das gar nicht in Frage.“

3. Der Beklagten kann auch nicht vorgeworfen werden, eine Aussprache und Abmahnung der Klägerin vor dem Ausspruch der fristlosen Kündigung versäumt zu haben. Eine vorherige Abmahnung ist entbehrlich, wenn ein Kündigungsgrund besonders schwer wiegt, so dass dem Kündigenden selbst nach erfolgreicher Abmahnung eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar ist (vgl. jeweils mit weiteren Nachweisen: BGH, Urteil vom 17. Januar 2001 – VIII ZR 186/99 juris; BGH, Urteil vom 26. Mai 1999 – VIII ZR 123/98 juris; Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 89a Rdnr. 10; Löwisch, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, § 89a Rdnr. 21; Thume, in: Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band 1, 3. Auflage 2000, Rdnr. 1750).
Die in Rede stehenden wiederholten Abwerbungsversuche des Geschäftsführers der Klägerin stellen ein derart grobes Fehlverhalten dar, durch welche das notwendige Vertrauensverhältnis bei objektiver Würdigung aus Sicht der Beklagten endgültig und irreparabel zerstört worden ist und eine positive Prognose nicht mehr gestellt werden kann. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die diesbezüglichen obigen Ausführungen unter II. 2. b) Bezug genommen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts, noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 1.000,00 Euro

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wichtiger Grund (12) Vertrauensverhältnis (2) Strohmann (1) Abwerbungsversuche (1) Abmahnung (10)