Zur Neukundenwerbung und Stammkundeneigenschaft, Anforderungen an die Schlüssigkeit und Erheblichkeit des Vortrags zum Ausgleichsanspruch durch den Handelsvertreter

VIII ZR 228/08 Beschluss verkündet am 16. November 2010 BGH Ausgleichsanspruch

Bundesgerichtshof
Im Namen des Volkes
Beschluss

In dem Rechtsstreit
[..]
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. November 2010 durch [..] beschlossen:

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15. Juli 2008 aufgehoben, soweit die Klage betreffend den Ausgleichsanspruch des Klägers nach § 89b HGB in Höhe von 213.485,03 € abgewiesen worden ist.

Die Sache wird insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf 213.485,03 € festgesetzt.

Gründe

Die Parteien streiten im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nur noch über die vom Kläger begehrte Zahlung eines Handelsvertreterausgleichs gemäß § 89b HGB.

Die Beklagte ist Handelsvertreterin für Werkzeugmaschinen. Am 15. März/9. Juli 1999 schlossen die Parteien einen Unterhandelsvertretervertrag ab, nach welchem dem Kläger das Vertretungsgebiet Südwürttemberg/Südbaden, das vorher von anderen Personen bearbeitet worden war, zugewiesen wurde. Der Kläger sollte von sämtlichen direkten und indirekten Verkaufsgeschäften in seinem Verkaufsgebiet 50 % der von der Beklagten verdienten Provisionen erhalten. Am 1. Oktober 1999 nahm der Kläger seine Tätigkeit auf.

Nachdem es im Februar 2004 zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien gekommen war, kündigte die Beklagte den Handelsvertretervertrag am 14. Mai 2004 zum 31. Dezember 2004.

Mit seiner Klage hat der Kläger ursprünglich unter anderem im Wege der Stufenklage die Erteilung eines Buchauszugs für den Zeitraum vom 1. Oktober 1999 bis zum 31. Dezember 2004 über sämtliche provisionspflichtigen Geschäfte sowie deren Ausführung und anschließende Zahlung eines sich daraus ergebenden Handelsvertreterausgleichs begehrt. Nach Erteilung des Buchauszugs durch die Beklagte hat der Kläger seinen Ausgleichsanspruch zuletzt auf 213.485,03 € beziffert.

Der Kläger hat seiner Berechnung das Jahr 2003 als Basisjahr zu Grunde gelegt, da er seine Provisionseinnahmen im Jahr 2004 angesichts der besonderen Umstände des Falles für nicht repräsentativ hält. Er hat vorgetragen, dass er sämtliche Kunden, mit denen während seiner Tätigkeit in seinem Vertretungsgebiet Geschäfte getätigt worden seien, der Beklagten als (Unter-) Vertreter vermittelt habe. Bei 43 im Einzelnen benannten Kunden handele es sich um Neukunden, die er geworben habe; diese seien auch alle als Stammkunden einzustufen. Zum Beweis hierfür hat der Kläger für jeden der 43 Kunden einen Zeugen benannt. In der vorliegenden Branche, in der die Abschreibungsdauer sowie die Lebensdauer einer Maschine (als Investitionsgut) acht Jahre betrage, gebe es keine Laufkundschaft, zumal sich die Kunden auch während der Betriebszeit bei Problemen mit der Beklagten auseinandersetzen müssten. Diesen Vortrag hat der Kläger unter Sachverständigenbeweis gestellt.

Das Landgericht hat den Vortrag des Klägers zum Vorliegen von Neukunden nach entsprechendem Hinweis zwar für nicht nachvollziehbar gehalten, da der Kläger den Vertreterbezirk nicht als sogenannter „Mann der ersten Stunde“ übernommen habe, den Ausgleichsanspruch des Klägers aber nach § 287 ZPO auf 90.000,– € geschätzt. Gegen das erstinstanzliche Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt.

Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil betreffend den geltend gemachten Handelsvertreterausgleich abgeändert, die Klage insoweit abgewiesen und zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Der Ausgleichsanspruch nach § 89b Abs. 1 Satz 1 HGB setze voraus, dass der Handelsvertreter neue Kunden geworben habe und die Geschäftsbeziehung des Unternehmers zu diesen Kunden im Zeitpunkt der Beendigung des Handelsvertretervertrages fortbestehe. Eine vom Unternehmer nutzbare fortdauernde Geschäftsbeziehung gebe es allerdings nur mit Stammkunden, das heißt Kunden, von denen innerhalb eines überschaubaren Zeitraums Nachbestellungen zu erwarten seien, nicht jedoch mit Laufkunden.

Der darlegungs- und beweisbelastete Kläger habe vorliegend nicht hinreichend dargelegt, welche Stammkunden er gewonnen habe und welche erheblichen Vorteile die Beklagte daraus ziehen könne. Er habe lediglich vorgetragen, sämtliche – im Einzelnen bezeichnete – Kunden seien entweder Neukunden (43 Fälle) oder intensivierte Altkunden (8 Fälle) gewesen, und ersteres unter Zeugenbeweis gestellt. Dies sei jedoch nicht ausreichend, da der Kläger nicht als sogenannter „Mann der ersten Stunde“ eingesetzt worden sei, sondern das ihm überlassene Gebiet auch vorher schon zum Tätigkeitsfeld der Beklagten gehört habe. Die Beklagte habe den Vortrag des Klägers bestritten und insbesondere eine – nachträglich erstellte – Altkundenliste vorgelegt. Ferner habe die Beklagte bei einigen der genannten 43 Kunden einen kausalen Werbebeitrag des Klägers oder die Stammkundeneigenschaft in Abrede gestellt. Angesichts dieses substantiierten Vortrags der Beklagten hätte der Kläger näher darlegen müssen, wie, wann und auf welche Art und Weise er die einzelnen Kunden geworben habe. Die Berufung des Klägers darauf, dass er hierzu keine schriftlichen Unterlagen mehr besitze, könne keine Darlegungs- und Beweiserleichterung für ihn bewirken. Mangels ausreichenden Sachvortrags sei der angebotene Zeugenbeweis nicht zu erheben gewesen, denn es habe sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis gehandelt. Unabhängig von der Kundenwerbung als solcher hätte vom Kläger ferner dargelegt und bewiesen werden müssen, welche der neuen Kunden als Stammkunden anzusehen seien.

Das Landgericht habe den Ausgleichsanspruch auch nicht nach § 287 ZPO schätzen dürfen, sondern hätte eine Beweislastentscheidung zu Lasten des Klägers treffen müssen. Greifbare Anhaltspunkte für eine Schätzung hätten nicht vorgelegen; diese stelle sich daher als Spekulation dar.

Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2, § 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie ist auch begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit dieses die Klage betreffend den Handelsvertreterausgleich abgewiesen hat, und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) dadurch in entscheidungserheblicher Weise verletzt, dass es dem vom Kläger für seine Behauptung, er habe in seinem Bezirk für die Beklagte 43 neue Stammkunden geworben, rechtzeitig angetretenen Beweis durch Vernehmung von Zeugen und erforderlichenfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht nachgegangen ist, weil es den Vortrag des Klägers zu Unrecht für unsubstantiiert gehalten hat. Wegen der verfassungsrechtlichen Relevanz dieses Verfahrensfehlers ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO).

1. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, WM 2009, 671, 672; BGH, Beschluss vom 12. Juni 2008 – V ZR 223/07, juris Rn. 5; Urteil vom 2. April 2009 – I ZR 16/07, TranspR 2009, 410 Rn. 23; Senatsbeschluss vom 11. Mai 2010 – VIII ZR 212/07, juris Rn. 10). Das ist unter anderem dann der Fall, wenn ein Gericht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs missachtet, wonach ein Beweisantritt für erhebliche, nicht willkürlich ins Blaue hinein aufgestellte Tatsachen nur dann unberücksichtigt bleiben darf, wenn das angebotene Beweismittel ungeeignet ist, weil es im Einzelfall zur Beweisbehauptung erkennbar keine sachdienlichen Ergebnisse bringen kann, oder wenn die unter Beweis gestellte Tatsache so ungenau bezeichnet ist, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann (BVerfG, a.a.O.; BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2005 – XII ZR 275/02, NJW 2005, 2710 unter II 2 a; vom 12. Juni 2008 – V ZR 223/07, a.a.O.; Senatsbeschluss vom 11. Mai 2010 – VIII ZR 212/07, a.a.O.). Die der Beweiserhebung vorgeschaltete Handhabung der Substantiierungsanforderungen verletzt Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie – wie hier – offenkundig unrichtig ist (BGH, Beschluss vom 12. Juni 2008 – V ZR 223/07, a.a.O.; Senatsbeschluss vom 11. Mai 2010 – VIII ZR 212/07, a.a.O.).

a) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Klageanspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person des Klägers entstanden scheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten, die den Zeitpunkt und den Vorgang bestimmter Ereignisse betreffen, ist nicht erforderlich, soweit diese Einzelheiten für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Solches kann allenfalls dann bedeutsam werden, wenn der Gegenvortrag dazu Anlass bietet. Das bedeutet aber nicht, dass derjenige, der ein Recht beansprucht, schon deshalb, weil der Gegner bestreitet, gezwungen ist, den behaupteten Sachverhalt in allen Einzelheiten wiederzugeben (BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2005 – XII ZR 275/02, a.a.O.; vom 12. Juni 2008 – V ZR 223/07, a.a.O. Rn. 7 f.; vgl. auch BGH, Urteile vom 4. Juli 2000 – VI ZR 236/99, NJW 2000, 3286 unter II 1; Senatsbeschluss vom 11. Mai 2010 – VIII ZR 212/07, a.a.O. Rn. 11).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze rechtfertigen die Überlegungen des Berufungsgerichts nicht die im Berufungsurteil gezogene Schlussfolgerung, der Kläger habe nicht hinreichend substantiiert dargelegt, welche Stammkunden er geworben habe und welche erheblichen Vorteile der Beklagten aus Lieferbeziehungen zu diesen entstünden. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts musste der Kläger nicht näher ausführen, wie, wann und auf welche Art und Weise er die einzelnen Kunden geworben hat. Ebenso bedurfte es keines detaillierteren als des gehaltenen Vortrags zur Stammkundeneigenschaft.

aa) Der Kläger hat vorgetragen, er habe als (Unter-)Handelsvertreter 43 im Einzelnen benannte Kunden neu geworben. Alle Neukunden seien als Stammkunden einzustufen. In der hier vorliegenden Branche, in der die Abschreibungsdauer sowie die Lebensdauer einer Maschine (als Investitionsgut) acht Jahre betrage, gebe es keine Laufkundschaft, zumal sich die Kunden auch während der Betriebszeit bei auftretenden Problemen mit der Beklagten auseinandersetzen müssten.

bb) Dieser Vortrag zu den neu geworbenen Stammkunden ist schlüssig, denn aus ihm ergeben sich Anspruchsvoraussetzungen nach § 89b Abs. 1 HGB. Dass der Kläger nur bezüglich 18 der 43 behaupteten Neukunden ein oder mehrere dem Erstgeschäft nachfolgende Folgegeschäfte benannt hat, steht der Schlüssigkeit seines Vortrags im Hinblick auf die Stammkundeneigenschaft aller Neukunden nicht entgegen. Zwar begründet bei – wie vorliegend – langlebigen Wirtschaftsgütern mit einem längeren Nachbestellungsintervall bereits ein Zweitkauf die Stammkundeneigenschaft (vgl. Senatsurteil vom 6. August 1997 – VIII ZR 150/96, NJW 1998, 66 unter B I 1 a; MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene, 2. Aufl., § 89b Rn. 67 zum Kauf von Autos und Gabelstaplern). Ein solcher Zweitkauf während der Dauer des Handelsvertretervertrages ist jedoch nicht zwingende Voraussetzung der Qualifikation eines Kunden als Stammkunden. Bei langlebigen Wirtschaftsgütern ist anerkannt, dass auch Kunden, die bei Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses erst „Einmal-Kunden“ waren, als Stammkunden behandelt werden können, wenn und soweit unter Berücksichtigung branchenspezifischer Besonderheiten aufgrund einer Schätzprognose innerhalb eines überschaubaren Zeitraums nach Vertragsende Wiederholungskäufe zu erwarten sind (sog. potentielle Stammkunden, vgl. Senatsurteil vom 26. Februar 1997 – VIII ZR 272/95, BGHZ 135, 14, 19 m.w.N.). Der Kläger hat dazu vorgetragen und unter Sachverständigenbeweis gestellt, dass bei den hier gegebenen Investitionsgütern schon aufgrund ihres Preises ein Geschäftsabschluss nur zustande komme, wenn der Kunde Vertrauen aufgebaut habe. Ferner hat er auf die Besonderheit hingewiesen, dass sich die Kunden bei Zwischenfällen mit den bereits gelieferten Maschinen in deren achtjähriger Laufzeit mit der Beklagten auseinandersetzen müssten, was ebenfalls eine Kundenbindung fördern könne.

cc) Die vom Berufungsgericht geforderte weitere Angabe von Details zu der Werbetätigkeit des Klägers ist nicht erforderlich. Dass die Beklagte bezüglich 20 der 43 Kunden eine Werbung durch den Kläger und bezüglich 18 der 43 Kunden die Neukundeneigenschaft bestritten hat, führte nicht dazu, dass der Tatsachenvortrag des Klägers, er habe sämtliche genannten Kunden als Stammkunden neu geworben, unklar wurde. Die Frage, ob die Darstellung des Klägers angesichts der von der Beklagten als Anlage 22 vorgelegte Altkundenliste wahrscheinlich ist, spielt für die Substantiierungsanforderungen keine Rolle. Es ist vielmehr Aufgabe des Tatrichters, bei der Beweisaufnahme die benannten Zeugen nach Einzelheiten zu befragen, die ihm für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Bekundungen erforderlich erscheinen (BGH, Urteil vom 2. April 2007 – II ZR 325/05, NJW-RR 2007, 1483 Rn. 23; Beschluss vom 12. Juni 2008 – V ZR 223/07, a.a.O. Rn. 7; Senatsbeschluss vom 11. Mai 2010 – VIII ZR 212/07, a.a.O.). Gleiches gilt für die vom Berufungsgericht geforderte nähere Darlegung, welche der neuen Kunden Stammkunden seien. Abgesehen davon, dass der Vortrag des Klägers zu Folgegeschäften von 18 der 43 Kunden ohne weiteres zur Begründung von deren Stammkundeneigenschaft ausreicht, lag auch bezüglich der potentiellen Stammkunden hinreichender Vortrag vor, dem im Wege der Beweisaufnahme erforderlichenfalls durch Erhebung des angetretenen Sachverständigenbeweises zur Kundenbindung nachzugehen gewesen wäre.

2. Damit hat das Berufungsgericht das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf Gewährung des rechtlichen Gehörs verletzt. Das Berufungsurteil beruht auf dieser Grundrechtsverletzung. Denn es ist – was für die Annahme eines Beruhens bei Verfahrensfehlern ausreicht (BGH, Urteil vom 20. März 1995 – II ZR 198/94, NJW 1995, 1841, unter II 2; MünchKommZPO/Wenzel, 3. Aufl., § 545 Rn. 14) – nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es den vom Kläger angebotenen Beweis für die Werbung von 43 neuen Stammkunden erhoben hätte.

Besprechung(en) zur Rechtsprechung
Zur Neukundenwerbung und Stammkundeneigenschaft, Anforderungen an die Schlüssigkeit und Erheblichkeit des Vortrags zum Ausgleichsanspruch durch den Handelsvertreter
Schlagwörter
Schätzung (2) Mehrfachkunden (5) Ausgleichsanspruch (86)