Zur Wirksamkeit eines nachträglichen Verzichts eines Handelsvertreters auf den Provisionsanspruch
VIII ZR 60/02 Urteil verkündet am 9. Juli 2003 BGH Provisionsanspruch, Wettbewerbsverbot und KonkurrenzverbotBundesgerichtshof
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
[…]
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juli 2003 durch […] für Recht erkannt:
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 22. Januar 2002 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 9. Juli 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, ein Direktmarketingunternehmen, und die […] GmbH, die Betreiberin des gleichnamigen Mobilfunknetzes ist, schlossen am 6. Mai 1999 einen als „Zielvereinbarung“ bezeichneten Vertrag, nach welchem ein Jahresziel von 10.000 […] Servicekarten bis zum 31. Dezember 1999 angestrebt wurde und die Klägerin für die von ihr vermittelten Laufzeitverträge und Prepaid Verträge im einzelnen genannte Prämien erhalten sollte. Die Klägerin hatte dabei die Aufgabe, die Werbung mit zu entwerfen und durch sogenannte Mailings Neukunden anzuwerben, die älter als 50 Jahre sind. Die Klägerin wurde in der Folgezeit für die Beklagte, ein Tochterunternehmen der […] GmbH, tätig. Sie leitete die aufgrund der Mailings gestellten Kundenanträge an die Beklagte weiter. Sobald die Freischaltung durch die Beklagte erfolgte, versandte die Klägerin Karten und die Handys, die sie von der Beklagten erworben hatte, an die Kunden weiter.
Am 3. August 1999 trafen sich die Parteien in L., wo über die Antragsformulare und Mailings gesprochen wurde. Dabei einigten sich die Parteien, dass „Problemfälle“, in denen die durch die Mailings geworbenen Kunden nicht bemerkt hatten, dass sie mit dem Antrag auf ihr „Gratis Handy“ einen Zweijahresvertrag mit der Beklagten geschlossen hatten, kulant abgewickelt werden sollten. Nachdem in der Folgezeit die Werbung der Klägerin in der Presse kritisiert und vor dem Erwerb sogenannter Gratis Handys gewarnt worden war, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 23. August 1999 ein etwaiges mit der Klägerin bestehendes Vertriebspartnerverhältnis fristlos aus wichtigem Grund, hilfsweise zum 30. September 1999. Da die Klägerin der Kündigung widersprochen hatte, schlossen die Parteien am 1. September 1999 eine Vereinbarung, durch welche die zwischen ihnen „geschlossene Vertriebsvereinbarung“ in beiderseitigem Einvernehmen mit Wirkung zum 23. August 1999 aufgehoben und zur Abwicklung des Vertriebspartnerverhältnisses unter Nr. 1 folgendes bestimmt wurde:
„6.960 (6.588 + 372) Mobilfunk Verträge, die bereits freigeschaltet und mit Geräten versendet sind, werden zum 7. September 1999 abgerechnet und verprovisioniert, soweit nicht bis dahin durch den Kunden storniert. (Die Beklagte) rechnet gegen den Anspruch (der Klägerin) auf Provisionszahlungen mit offenen Forderungen aus der Lieferung von Mobilfunktelefonen in Höhe von 776.851,60 DM auf. (Die Beklagte) wird den sodann noch ausstehenden Provisionsbetrag unter Abzug eines Sicherheitseinbehaltes in Höhe von 15 % bis zum 9. September 1999 auszahlen. Die Auszahlung des Sicherheitseinbehaltes unter Berücksichtigung der bis dahin eingetretenen Kundenstornos erfolgt am 29.10.1999.“
Mit Schreiben vom 2. September 1999 erteilte die Beklagte für den Zeitraum vom 18. Juli 1999 bis 22. August 1999 die Abrechnung über die von der Klägerin verdienten Provisonen in Höhe von 2.496.180,80 DM und zahlte diesen Betrag nach Abzug eines Sicherheitseinbehaltes, den sie mit 279.870,30 DM ermittelte, an die Klägerin aus. Weiter erteilte die Beklagte für zurückgesandte Handys Gutschriften von 57.808,09 DM und 1.421,51 DM. Bis zum 29. Oktober 1999 stornierte die Beklagte insgesamt 2.154 von der Klägerin vermittelte Verträge. Mit Schreiben vom 7. Oktober 1999 erteilte die Beklagte sodann eine Abrechnung für Stornierungen aus dem Monat September und am 5. November 1999 eine solche für im Oktober 1999 stornierte Verträge, aus denen sich zu ihren Gunsten Beträge in Höhe von 428.330,- DM und 371.582,80 DM, korrigiert auf 365.968,40 DM, insgesamt 794.298,40 DM ergaben. Mit ihrer Klage macht die Klägerin zuletzt Ansprüche auf Auszahlung des Sicherheitseinhaltes sowie der erteilten Handy Gutschriften in Höhe von insgesamt 339.099,90 DM nebst Zinsen geltend. Die Beklagte verlangt im Wege der Widerklage Zahlung des von ihr errechneten Abrechnungsguthabens abzüglich der Klageforderung, somit eines Betrages von 455.198,50 DM nebst Zinsen.
Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihre in der Berufungsinstanz gestellten Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
I. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt: Der Klägerin stünden die geltend gemachten Ansprüche nicht aus einem zwischen den Parteien bestehenden Handelsvertretervertrag zu, da die Vereinbarung vom 6. Mai 1999 mit der Muttergesellschaft der Beklagten, der […] GmbH, getroffen worden sei. Auch stillschweigend sei ein Handelsvertretervertrag zwischen den Parteien nicht geschlossen worden. Vielmehr sei der Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit Gebietsschutz zugunsten der Klägerin beabsichtigt gewesen, hierzu sei es aber nicht mehr gekommen. Die Ansprüche der Klägerin ergäben sich jedoch aus Ziff. 1 der Aufhebungsvereinbarung vom 1. September 1999.
Die Ansprüche auf Auszahlung des Sicherheitseinbehaltes und der Gutschriften für die Rückgabe der Handys seien unstreitig. Der Beklagten stünden keine Einwendungen zu, die zu einer Abweisung der Klage und einem Erfolg der Widerklage führten. Zwar seien nach Ziff. 1 der Aufhebungsvereinbarung sämtliche bis zum 29. Oktober 1999 erfolgten Stornierungen zu berücksichtigen. Hierunter fielen jedoch nur solche Stornierungen, die auf Initiative des Kunden herbeigeführt seien, nicht dagegen solche, die die Beklagte selbst veranlasst habe. Dass vereinbart worden sei, Kunden könnten schon bei den geringsten Beschwerden aus dem Vertrag entlassen werden, ergebe sich aus der Aufhebungsvereinbarung nicht. Absprachen, die am 3. August 1999 getroffen worden sein sollten, seien nicht geeignet, zur Auslegung der am 1. September 1999 unterzeichneten Aufhebungsvereinbarung beizutragen. Die somit getroffene Vereinbarung, dass die Stornierungen, die auf Initiative des Kunden bis zum 29. Oktober 1999 herbeigeführt worden seien, den Provisionsanspruch der Klägerin entfallen lassen sollten, sei nach § 87 a Abs. 5 HGB unwirksam.
Selbst wenn die Vereinbarung der Parteien wirksam wäre, hätte die Beklagte darlegen und beweisen müssen, dass es in dem von ihr behaupteten Umfang derartige Stornos gegeben habe. Die Beklagte habe jedoch nicht vorgetragen, dass in jedem der von ihr behaupteten 2.154 Fälle Stornierungen auf Kundenwunsch erfolgt seien.
II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.
1. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Beklagte gemäß Nr. 1 der Aufhebungsvereinbarung vom 1. September 1999 berechtigt war, von der geltend gemachten und der Höhe nach unstreitigen Klageforderung von 339.099,90 DM Provisionen für solche von der Klägerin vermittelte Mobilfunk Verträge abzusetzen, die seitens der Kunden bis zum 29. Oktober 1999 storniert worden waren. Das Berufungsgericht hat der Bestimmung der Nr. 1 der Aufhebungsvereinbarung entnommen, dass bis zum 7. September 1999 eine Abrechnung der bis dahin nicht stornierten Verträge und hierauf eine Abschlagszahlung von 85 % erfolgen sollte, während bei der Auszahlung des Sicherheitseinbehaltes am 29. Oktober 1999 die bis zu diesem Zeitpunkt weiter erfolgten Kundenstornos zu berücksichtigen waren. Diese tatrichterliche Auslegung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Soweit die Klägerin im Wege der Gegenrüge geltend macht, die Regelung sei dahin zu verstehen, dass eine Provisionsabrechnung zum 7. September 1999 lediglich unter Berücksichtigung der bis dahin erfolgten Stornierungen habe vorgenommen werden sollen, kann sie damit nicht durchdringen. Eine solche Auslegung steht einmal im Widerspruch zum Wortlaut des Satzes 4 der Nr. 1 der Aufhebungsvereinbarung, wonach die Auszahlung des Sicherheitseinbehaltes unter Berücksichtigung der bis zum 29. Oktober 1999 eingetretenen Kundenstornos erfolgen sollte. Zum anderen vermag die Klägerin nicht zu erklären, weshalb der Sicherheitseinbehalt erst am 29. Oktober 1999 ausgezahlt werden sollte, obwohl eine Abrechnung unter Berücksichtigung der bis zum 7. September 1999 erfolgten Kundenstornos bereits kurz nach diesem Zeitpunkt durchgeführt werden konnte.
2. Auf Verfahrensfehlern beruht jedoch, wie die Revision mit Erfolg rügt (§ 286 ZPO), die Feststellung des Berufungsgerichts, da sich aus der Aufhebungsvereinbarung vom 1. September 1999 nicht ergebe, dass Kunden „schon bei den geringsten Beschwerden“ aus dem Vertrag entlassen werden durften, habe der Klägerin ein entsprechender Provisionsanspruch insoweit weiterhin zugestanden.
a) Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz unter Antritt von Zeugenbeweis vorgetragen, schon bei der Besprechung vom 3. August 1999 hätten sich die Parteien auf eine „kulante Abwicklung von Problemfällen“ geeinigt. Danach hätten bereits bei geringsten Kundenbeschwerden der Mobilfunk Vertrag storniert und die gegebenenfalls an die Klägerin ausgezahlte Provision zurück belastet werden sollen. Diese Vereinbarung vom 3. August 1999 habe auch für die von beiden Parteien angestrebte einvernehmliche Aufhebungsvereinbarung Bestand haben sollen, was ausdrücklich nochmals in den telefonischen Besprechungen Ende August 1999 klargestellt worden sei. Es habe in diesen Vorbesprechungen zur Aufhebungsvereinbarung Einvernehmen darüber bestanden, dass Kundenstornos im Einzelfall keiner juristischen Prüfung unterzogen werden sollten, sondern von beiden Seiten hinzunehmen seien, weil Anträge auf Abschluss des Mobilfunkvertrages von den Kunden nur aufgrund der irreführenden Werbung der Klägerin abgegeben worden seien. Damit hat die Beklagte, was das Berufungsgericht unberücksichtigt gelassen hat, nicht nur anlässlich der Besprechung vom 3. August 1999 eine Vereinbarung über eine großzügige Stornopraxis, sondern auch bei Abschluss der Aufhebungsvereinbarung am 1. September 1999 behauptet.
b) Gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt die Erwägung des Berufungsgerichts, da sich in den Wochen zwischen dem 8. August 1999 und dem 1. September 1999 die Verhältnisse gravierend geändert hätten, weil die Medien auf die Werbung der Klägerin aufmerksam geworden seien und Verbraucher hiervor gewarnt hätten, hätte die Beklagte detaillierter vortragen müssen, dass eine am 3. August 1999 bestehende Einigung über eine großzügige Stornierungspraxis auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Publizität der Werbemethoden der Klägerin Bestand haben sollte. Bei einem Bekanntwerden der Werbemethoden und der daran geübten Kritik in Presse und Fernsehen, wodurch auch das Ansehen der Beklagten in der Öffentlichkeit beeinträchtigt wurde, war vielmehr zu erwarten, dass die Beklagte nunmehr zur Wahrung ihres Rufes Kundenverträge erst recht großzügig stornierte.
3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist auch die Vereinbarung, dass auf Wunsch von Kunden veranlasste Vertragsstornierungen den Provisionsanspruch der Klägerin entfallen lassen sollten, nicht gemäß § 87 a Abs. 5 HGB unwirksam.
Dabei kann offenbleiben, ob § 87 a Abs. 5 HGB überhaupt Anwendung findet, nachdem das Berufungsgericht das Zustandekommen eines Handelsvertretervertrages zwischen den Parteien als nicht erwiesen angesehen und den Klageanspruch aus der als Vergleich qualifizierten Aufhebungsvereinbarung vom 1. September 1999 hergeleitet hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hindert § 87 a Abs. 5 HGB den Handelsvertreter nicht daran, Provisionsforderungen zu erlassen, die nach Abs. 3 Satz 1 bereits „unbedingt“ geworden waren (BGH, Urteil vom 1. Dezember 1960 – VII ZR 210/59, BB 61, 147; siehe auch MünchKommHGB/v. Hoyningen Huene, § 87 a Rdnr. 57; Hopt, Handelsvertreterrecht, 3. Aufl., § 87 a Rdnr. 33). Dasselbe hat dann zu gelten, wenn der Provisionsanspruch nach §§ 87, 87 a Abs. 1 Satz 1 HGB entstanden ist, weil der Unternehmer das Geschäft bereits ausgeführt hat; im übrigen steht § 87 a Abs. 5 HGB einer § 87 a Abs. 1 Satz 1 HGB abändernden Vereinbarung nicht entgegen (vgl. Schröder, Recht der Handelsvertreter, 5. Aufl., § 87 a Anm. 45 und 46). Die Revision weist zu Recht darauf hin, dass die Klägerin einen Restbetrag aus der Abrechnung vom 2. September 1999 geltend macht, die einen Zeitraum bis zum 22. August 1999 bezüglich solcher Mobilfunk Verträge betrifft, die wie sich aus Nr. 1 der Aufhebungsvereinbarung vom 1. September 1999 ergibt von der Beklagten schon „freigeschaltet“ und für die die Geräte versandt worden waren. Bei Abschluss der Aufhebungsvereinbarung waren somit etwaige Provisionen bis Ende des Abrechnungszeitraumes bereits angefallen, so dass die Klägerin jedenfalls auf diese nachträglich durch Einverständnis mit einer einvernehmlichen Stornierung verzichten konnte.
4. Ausgehend von seinen nicht verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den nach der Aufhebungsvereinbarung vom 1. September 1999 erlaubten Kundenstornos hat das Berufungsgericht auch die Anforderungen an die Darlegungslast der Beklagten zum Grund der jeweiligen Vertragsstornierungen überspannt.
a) Soweit ein Teil der 2.154 Stornierungen anhand von Listen erfolgte, welche die Klägerin der Beklagten mit dem Vermerk: „Für folgende Kunden bitte Auftrag stornieren“ überlassen hatte, bedurfte es keiner weiteren Darlegung entsprechender Kundenwünsche mehr, nachdem die Klägerin selbst eine Stornierung der genannten Verträge verlangt hatte.
b) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts hat die Beklagte, wie die Revision zu Recht rügt, in der Berufungsinstanz unter Beweisantritt vorgetragen, dass in sämtlichen 2.154 Fällen, in denen die Beklagte die Provisionen rückbelastet hat, die Kunden den Mobilfunkvertrag nicht erfüllt, sondern das Vertragsverhältnis storniert haben. Die Beklagte hat ferner unter Zeugenbeweis vorgetragen, dass in zahlreichen Fällen keine schriftliche Kündigung der Kunden vorliege, wobei es sich bei 1.776 der in der Liste der Klägerin aufgeführten Kunden um solche handele, die sich entweder telefonisch bei der Klägerin oder der Beklagten gemeldet und die Stornierung ihres Vertrages gewünscht hätten.
5. Sollte aber, wovon für das Revisionsverfahren auszugehen ist (vgl. oben zu II 2), nach den zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen die von den Kunden gewünschten Stornierungen ihrer Verträge ohne juristische Prüfung durchgeführt werden, bedurfte es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keines weiteren Vortrags der Beklagten dazu, ob der Stornierungswunsch des Kunden berechtigt war. Vielmehr entfiel in einem solchen Fall der Provisonsanspruch der Klägerin aufgrund der im Zusammenhang mit der Aufhebungsvereinbarung vom 1. September 1999 getroffenen Abrede mit der jeweiligen auf Kundenwunsch vorgenommenen Vertragsstornierung.
III. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben, und die Sache ist zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass nach dem durch Beschluss vom 9. Juli 2002 berichtigten Tatbestand des Berufungsurteils jedenfalls 30 der von der Beklagten stornierten Provisionen Verträge betrafen, die nicht von der Klägerin vermittelt worden waren.