Anspruch auf Provisionsabrechnung des Handelsvertreters; unbegründete außerordentliche Kündigung; Schadensersatzanspruch des Unternehmers wegen entgangenem Gewinn
VIII ZR 70/00 Urteil verkündet am 30. Mai 2001 BGH Kündigung des Handelsvertretervertrags, Provisionsabrechnung, Buchauszug und BucheinsichtBundesgerichtshof
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
[…]
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 2001 […] für Recht erkannt:
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 3. Februar 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger waren Handelsvertreter der Beklagten, die chemische Produkte vertreibt. Durch Schreiben vom 9. Juli 1997 kündigten die Kläger ihre Verträge mit der Beklagten fristlos. Zugleich stellten sie ihre Tätigkeit für die Beklagte ein.
In dem vorliegenden Rechtsstreit haben die Kläger die Beklagte im Wege der Stufenklage auf Provisionsabrechnung und -zahlung in Anspruch genommen. Durch rechtskräftiges Teilurteil vom 17. April 1998 hat das Landgericht die Beklagte zur Abrechnung bestimmter Geschäfte verurteilt. Auf die Widerklage der Beklagten hat es ebenfalls rechtskräftig festgestellt, dass die Handelsvertreter Verträge der Parteien durch die fristlosen Kündigungen der Kläger nicht beendet worden sind.
Anschließend haben die Kläger ihren Anspruch auf Zahlung restlicher Provision weiterverfolgt. Die Beklagte hat ihrerseits widerklagend von den Klägern wegen deren unberechtigten fristlosen Kündigungen Schadensersatz in Höhe von 51.371,49 DM (Kläger zu 1) bzw. 56.915,17 DM (Kläger zu 2) für entgangenen Gewinn in der Zeit bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung begehrt. Das Landgericht hat Klage und Widerklage abgewiesen. Die Berufung der Beklagten, mit der diese ihren Schadensersatzanspruch hinsichtlich des Klägers zu 1) in herabgesetzter Höhe von 25.685,74 DM und hinsichtlich des Klägers zu 2) in unveränderter Höhe weiterverfolgt hat, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Die unbegründete und deshalb unwirksame außerordentliche Kündigung mache den Kündigenden zwar schadensersatzpflichtig. Hier habe die Beklagte jedoch nicht schlüssig dargelegt, dass der Rückgang ihres Umsatzes auf die Einstellung der Handelsvertretertätigkeit der Kläger zurückzuführen sei. Aus den von ihr vorgetragenen Umsatzzahlen seit Januar 1996 ergebe sich, dass die Umsätze der Kläger bereits vor deren fristloser Kündigung zurückgegangen seien. Deswegen könne nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass der weitere Umsatzrückgang in der Zeit nach der fristlosen Kündigung der Kläger allein auf deren Untätigkeit zurückzuführen sei. Angesichts des unbestrittenen Einsatzes des Geschäftsführers der Beklagten und anderer Mitarbeiter in den Bezirken der Kläger spreche auch einiges dafür, dass dort von den Klägern selbst kein höherer Umsatz hätte erzielt werden können. Möglicherweise habe auch der Rechtsstreit der Beklagten mit der Firma M. erheblichen Einfluss auf die Umsätze der Beklagten gehabt, weil die Beklagte dadurch gehindert gewesen sei, weiter ein konkurrenzfähiges Unkrautvernichtungsmittel zu vertreiben, und weil es ihr ferner gerichtlich untersagt worden sei, das Mittel „S.“ als Ersatz für das Unkrautvernichtungsmittel zu vertreiben. Des weiteren sei der Darstellung der Beklagten nicht zu entnehmen, was sie konkret getan habe, um ihrer Schadensminderungspflicht nachzukommen. Ihr Vortrag, sie habe vergeblich Anzeigen geschaltet, um andere Handelsvertreter zu finden, sei nicht hinreichend substantiiert. Der Beklagten sei durch Auflagenbeschluss aufgegeben worden, ihre Umsatzentwicklung der letzten Jahre, aufgegliedert nach Bezirken, Produkten und Monaten, und ihre Bemühungen um Ersatzkräfte im einzelnen darzulegen. Sie habe daraufhin lediglich ein umfangreiches Konvolut von Unterlagen vorgelegt, ohne dieses schriftsätzlich aufzuarbeiten. Das genüge den Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Vortrag nicht.
II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht den mit der Widerklage geltend gemachten Schadensersatzanspruch der Beklagten wegen der – gemäß rechtskräftigem Feststellungsurteil ungerechtfertigten fristlosen Kündigung ihrer – Handelsvertreter Verträge durch die Kläger verneint. Es hat zwar nicht verkannt, dass der Beklagten dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 1990 – 1 ZR 32/89, WM 91, 196 unter I 1. m.w.Nachw.) zusteht. Es halt jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, die Beklagte habe weder schlüssig dargelegt, dass der von ihr behauptete Umsatzrückgang darauf zurückzuführen sei, dass die Kläger ihre Handelsvertretertätigkeit eingestellt hätten, noch, dass sie selbst nicht in der Lage gewesen wäre, den Umsatzrückgang durch die Einstellung anderer Handelsvertreter zu verhindern.
1. Zu Recht beanstandet die Revision, das Berufungsgericht habe die Darlegungslast der Beklagten überspannt, weil es die Bestimmungen der §§ 252 BGB, 287 ZPO nicht bedacht habe, die es bezeichnenderweise nicht einmal erwähnt habe.
a) Die Beklagte macht mit ihrem Schadensersatzanspruch entgangenen Gewinn geltend. Gemäß § 252 Satz 2 BGB gilt unter anderem der Gewinn als entgangen, welcher nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann. Danach ist die volle Gewissheit, dass der Gewinn gezogen worden wäre, nicht erforderlich; es genügt der Nachweis einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Ist ersichtlich, dass der Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, wird vermutet, dass er gemacht worden wäre; dem Ersatzpflichtigen obliegt dann der Beweis, dass er nach dem späteren Verlauf oder aus irgendwelchen anderen Gründen dennoch nicht erzielt worden wäre (BGHZ 29, 393, 398; 54, 45, 55; 100, 36, 49/50). Dabei dürfen keine zu strengen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten gestellt werden (BGHZ 54, 45, 56; BGH, Urteil vom 5. Oktober 1989 – 1 ZR 160/88, WM 90, 281 unter II 2, m.w.Nachw.). Ferner bietet § 252 Satz 2 BGB dem Geschädigten zwei Möglichkeiten der Schadensberechnung, nämlich die abstrakte Methode, die von dem regelmäßigen Verlauf im Handelsverkehr ausgeht, dass der Kaufmann gewisse Geschäfte im Rahmen seines Gewerbes tätigt und daraus Gewinn erzielt, und die konkrete Methode, bei der der Geschädigte nachweist, dass er durch die unerlaubte Handlung an der Durchführung bestimmter Geschäfte gehindert worden ist und dass ihm wegen Nichtdurchführbarkeit dieser Geschäfte Gewinn entgangen ist (BGHZ 29, 393, 399; 62, 103, 105).
b) Hier hat die Beklagte den ihr durch die unberechtigten fristlosen Kündigungen der Kläger entgangenen Gewinn in der Weise abstrakt berechnet, dass sie aus den im einzelnen aufgeführten Umsätzen der beiden Kläger von Januar 1996 bis einschließlich Juni 1991 jeweils den monatlichen Durchschnittssatz ermittelt, daraus den Umsatzausfall in der Zeit von Juli 1997 (fristlose Kündigung) bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung Ende September bzw. Dezember 1997 (vgl. insoweit BGHZ 122, 9 für den Schadensersatzanspruch aus § 89 a Abs. 2 HGB) errechnet und davon die vertraglich geschuldete Provision und den Wareneinsatz abgezogen hat. Daraus ergeben sich rechnerisch die von der Beklagten geforderten Beträge von 25.685,74 DM (Kläger zu 1) und 56.915,17 DM (Kläger zu 2). Damit hat die Beklagte gemäß § 252 Satz 2 BGB hinreichend dargelegt, welcher Gewinn nach dem gewöhnlichen Laufe mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.
Aus dem Umstand, dass der Umsatz der Kläger bereits vor der Kündigung zurückgegangen ist, ergibt sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nichts anderes. Dieser Umstand lässt sich naheliegenderweise damit erklären, dass sich die Kläger bereits vor ihrer fristlosen Kündigung nicht mehr ausschließlich um den Vertrieb der Produkte der Beklagten gekümmert haben. Das hat das Berufungsgericht in seinem Urteil vom 5. November 1998, mit der es die Berufung des Klägers zu 2) gegen das erstinstanzliche Teilurteil vom 17. April 1998 zurückgewiesen hat, im übrigen noch selbst angenommen.
Soweit nach Ansicht des Berufungsgerichts „einiges dafür spricht“, dass in den Bezirken der Kläger nach deren Kündigung kein höherer Umsatz hätte erzielt werden können, als ihn die von der Beklagten eingesetzten anderen Mitarbeiter erzielt haben, betrifft das lediglich einen Umstand, der gegebenenfalls einen außergewöhnlichen Lauf der Dinge im Sinne des § 252 Satz 2 BGB begründen könnte. Das gleiche gilt für die Überlegung des Berufungsgerichts, der Rechtsstreit der Beklagten mit der Firma M. habe „möglicherweise“ erheblichen Einfluss auf ihre Umsätze gehabt, weil die Beklagte aufgrund dieses Verfahrens gehindert gewesen sei, weiter ein konkurrenzfähiges Unkrautvernichtungsmittel zu vertreiben, und weil der Beklagten darüber hinaus untersagt worden sei, das Mittel „S.“ als Ersatz für das Unkrautvernichtungsmittel zu vertreiben. Auch daraus könnte sich allenfalls ein außergewöhnlicher Lauf der Dinge im Sinne des § 252 Satz 2 BGB ergeben. Die vorgenannten Umstände könnten damit zwar möglicherweise geeignet sein, die Vermutung des § 252 Satz 2 BGB zu widerlegen. Voraussetzung dafür wären jedoch eindeutige Feststellungen des Berufungsgerichts, an denen es – schon mangels einschlägigen Vortrags der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Kläger – bislang fehlt.
2. Im Ergebnis zu Recht beanstandet die Revision auch die Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach der Darstellung der Beklagten nicht zu entnehmen sei, was sie konkret unternommen habe, um ihrer Schadensminderungspflicht aus § 254 BGB nachzukommen.
Für die Verletzung der Schadensminderungspflicht der Beklagten sind grundsätzlich die Kläger als Schädiger darlegungs- und beweispflichtig (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 1993 – VIII ZR 101/92, WM 93, 1259 unter II 3 c m.w.Nachw., insoweit in BGHZ 122, 9, 15 nicht abgedruckt). Die Beklagte trifft insoweit allenfalls eine Obliegenheit zur weiteren Substantiierung ihres Bestreitens, wenn die Kläger zu der Frage, ob sich die Beklagte um Ersatz für sie bemüht hat, mangels Kenntnis der internen Vorgänge der Beklagten nicht substantiiert vortragen können, während die Beklagte hierfür alle wesentlichen Tatsachen kennt und ihr deswegen nähere Angaben zumutbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2000 – VIIIZR 19/99, WM 00, 877 unter II 2 b m.w.Nachw.). Unter diesem Gesichtspunkt mag das bloße Überreichen von Anzeigenaufträgen und Anfragen an verschiedene Arbeitsämter ohne nähere Erläuterung unzureichend sein, zumal sich die Unterlagen zu einem großen Teil auf die Zeit vor der Kündigung der Kläger beziehen. Weiter mag die unter Zeugenbeweis gestellte Behauptung der Beklagten, sie habe nach der Kündigung der Kläger erfolglos eine Vielzahl von Anzeigen geschaltet, zur Substantiierung ihres Bestreitens nicht ausreichend sein. Das würde es jedoch keinesfalls rechtfertigen, der Beklagten den Schadensersatzanspruch wegen Verletzung ihrer Schadensminderungspflicht vollständig zu versagen.
Zum einen wird der Beklagten allgemein eine gewisse Übergangszeit einzuräumen sein, in der sie sich nach geeigneten neuen Handelsvertretern umsehen durfte, zumal solche erfahrungsgemäß nicht ohne weiteres kurzfristig zu finden sind und sich gegebenenfalls auch noch aus ihrer bisherigen Tätigkeit lösen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 1989 – 1 ZR 160/88, WM 90, 281 unter II 3). Zum anderen dürfte unstreitig sein, dass die Beklagte zumindest den Zeugen D. neu eingestellt und zusammen mit der Zeugin K. in dem Verkaufsgebiet des Klägers zu 1) eingesetzt hat, wo sie in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August 1997 einen Umsatz von 18.530,40 DM erzielt haben. Jedenfalls haben die Kläger dies nicht bestritten, sondern vielmehr sogar selbst behauptet, nach ihrer Kündigung seien neben den Zeugen K. und D. zusätzlich noch der Geschäftsführer der Beklagten selbst und ein weiterer Vertreter namens P. in ihren Verkaufsgebieten tätig geworden, was die Beklagte allerdings ihrerseits bestritten hat. Danach ist die Beklagte keineswegs völlig untätig geblieben, so dass die vollständige Verneinung ihres Schadensersatzanspruchs durch das Berufungsgericht nicht gerechtfertigt ist. Vielmehr hätte das Berufungsgericht jedenfalls gemäß § 254 BGB eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge vornehmen müssen. Dies hat es fehlerhaft unterlassen.
3. Letztlich beanstandet die Revision zu Recht, dass das Berufungsgericht nicht wenigstens gemäß § 287 ZPO einen Mindestschaden geschätzt hat.
Steht wie hier eine Schadensersatzforderung dem Grunde nach fest und ist nur ihre Höhe nicht sicher zu ermitteln, so darf das Gericht die Klage nicht einfach abweisen, sondern muss prüfen, in welchem Umfang der Sachverhalt eine hinreichende Grundlage für die Schätzung eines in jedem Fall gegebenen Mindestschadens bietet (BGHZ 54, 45, 55; BGH, Urteil vom 12. Oktober 1993 – X ZR 65/92, WM 94, 758 unter II 2 c bb; Urteil vom 12. Januar 2000 – VIII ZR 19/99, WM 00, 877 unter III, jeweils m.w.Nachw.). Das hat das Berufungsgericht hier versäumt.
III. Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif, da es noch weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf. In diesem Zusammenhang werden die Kläger Gelegenheit haben, ihre in der Revisionserwiderung geltend gemachten Einwände gegen den Schadensersatzanspruch der Beklagten erneut vorzubringen, soweit ihnen diese nicht durch das rechtskräftige Feststellungsurteil des Landgerichts vom 17. April 1998 abgeschnitten sind. Daher waren das Berufungsurteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.