Bundesarbeitsgericht
Im Namen des Volkes
Urteil
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Saarland vom 23. April 2003 – 2 Sa 134/02 – aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung. Die Beklagte hat hilfsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses beantragt.
Der Kläger trat 1993 als Auszubildender in die Dienste der Beklagten und war danach als Facharbeiter im Schichtbetrieb beschäftigt. Die Frühschicht beginnt bei der Beklagten um 5:45 Uhr, die Spätschicht um 13:45 Uhr. Mit Schreiben vom 27.05.2000 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, in der es u. a. heißt:
„… am 22.05.00 haben Sie Ihren Vorgesetzten Meister Herrn B angerufen und ihm mitgeteilt, dass Sie weiterhin krank seien. Bis heute ist keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in der Personalabteilung eingegangen. Spätestens am 4. Tag der Erkrankung muss dem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegen. Wir werten dieses Fehlen als unentschuldigt. Ihr Verhalten ist ein Verstoß gegen Ihre Anzeigepflicht. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Entgeltfortzahlungsgesetz und Ziffer 10.3 unserer Betriebsordnung ist es Ihre arbeitsvertragliche Pflicht, nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit, fristgerecht unter Beachtung der gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen, eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer einzureichen. Wir weisen Sie mit allem Nachdruck darauf hin, dass durch diese wiederholte Pflichtverletzung der Bestand Ihres Arbeitsverhältnisses in hohem Maße gefährdet ist. Im Wiederholungsfalle oder bei ähnlichen Pflichtverstößen in Zukunft werden wir das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis kündigen. Bei zukünftigen Krankfehlzeiten verlangen wir die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits am Folgetag Ihrer Erkrankung. Dieses Schreiben verbleibt für die Dauer von zwei Jahren in Ihrer Personalakte. Wird Ihnen vor Ablauf dieser Frist eine weitere schriftliche Abmahnung oder sonstige Ordnungsmaßnahme erteilt, erlischt die frühere Frist mit Ablauf der späteren …“
In einem als „2. Abmahnung“ bezeichneten, an den Kläger gerichteten Schreiben der Beklagten vom 06.02.2001 heißt es u. a.:
“ … am 05.01.2001 sind Sie erst gegen 6.14 Uhr zur Arbeit gekommen und haben sich bei Ihrem Einrichter mündlich entschuldigt. Am 19.01.2001 haben Sie um 13.47 Uhr die Arbeit aufgenommen. Da Sie keine Information an den Meister (Herr B) gegeben haben, hat er Sie auf die erneute Verspätung angesprochen – Sie gaben zur Antwort „es waren ja nur zwei Minuten“. Ihr Verhalten ist ein Verstoß gegen Ihre Anzeigepflicht. Es ist Ihre arbeitsvertragliche Pflicht, den direkten Vorgesetzten über das verspätete Kommen und den Grund hierfür zu informieren …“
Ferner wird dem Kläger in dem Schreiben vorgeworfen, im Einzelnen beschriebene Fehler bei der Arbeit begangen zu haben. Abschließend heißt es:
“ … Wir weisen Sie mit allem Nachdruck darauf hin, dass durch diese wiederholte Pflichtverletzung der Bestand Ihres Arbeitsverhältnisses in hohem Maße gefährdet ist. Wir werden im Wiederholungsfalle oder bei ähnlichen Pflichtverstößen in Zukunft das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis kündigen. Dieses Schreiben verbleibt für die Dauer von zwei Jahren in Ihrer Personalakte. Wird Ihnen vor Ablauf dieser Frist eine weitere schriftliche Abmahnung oder sonstige Ordnungsmaßnahme erteilt, erlischt die frühere Frist mit Ablauf der späteren …“
In einem als „3. Abmahnung“ bezeichneten an den Kläger gerichteten Schreiben vom 10.07.2002 heißt es u. a.:
“ … am 09.07.2001 sind Sie erst gegen 5.49 Uhr zur Arbeit gekommen und haben sich bei Ihrem Einrichter mündlich entschuldigt. Am 21.06.2001 haben Sie um 5.46 Uhr die Arbeit aufgenommen und am 15.06.2001 sind Sie erst um 14.01 Uhr zur Arbeit erschienen. Bereits in der Abmahnung vom 06.02.2001 wurde Ihr verspätetes Kommen moniert und Sie wurden aufgefordert, zukünftig pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Ihr Verhalten ist ein erheblicher Verstoß gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten. Häufig kommt es vor, dass Sie Buchungen vergessen – die manuelle Erfassung der Kommt- und Gehtzeiten über Zeiterfassungsbelege bereitet sowohl in der Zeitrechnung als auch in der Meisterei Mehrarbeit. Momentan stehen wieder von zwei Tagen Buchungen „Geht“ offen. Am Pfingstmontag mussten sogar Kommt- und Gehtbuchung manuell erfasst werden. Wir fordern Sie nochmals auf, zukünftig pünktlich zu Schichtbeginn die Arbeit aufzunehmen, da die pünktliche Schichtübergabe zur Gewährleistung eines reibungslosen Produktionsablaufes absolut erforderlich ist. Wir bitten Sie außerdem besser auf die Buchungen zu achten, um den erhöhten Arbeitsaufwand für die Personalabteilung und Ihre Vorgesetzten zu reduzieren…“
Die sich daran anschließenden beiden Absätze sind wortgleich mit den beiden Schlussabsätzen aus der „2. Abmahnung“.
Am 18.12.2001 kam der Kläger um 13.49 Uhr, am 10.01.2002 wiederum um 13.49 Uhr, am 13.03.2002 um 5.58 Uhr und am 21.03. um 5.50 Uhr zur Arbeit. Am Freitag, dem 05.04.2002, war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt; am selben Tag erhielt die Beklagte auch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für diesen Tag. Am folgenden Montag, dem 08.04.2002, erschien der Kläger nicht zur Arbeit. Am Mittwoch darauf, dem 10.04.2002, stellte der Arzt des Klägers eine Folgebescheinigung hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeit aus, die den Zeitraum bis zum 12. umfasste; diese Bescheinigung reichte der Kläger bei der Beklagten ein. Mit Schreiben vom 26.04.2002 teilte die Beklagte dem bei ihr bestehenden Betriebsrat mit, sie beabsichtige, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich zu kündigen. Unter dem 30.04.2002 teilte der Betriebsratsvorsitzende der Beklagten mit, der Betriebsrat sehe keine rechtliche Möglichkeit, der Kündigung zu widersprechen. Mit Schreiben vom gleichen Tage kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31.05.2002.
Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam und macht u. a. geltend, er sei immer nur wenige Minuten zu spät gekommen und habe auch über erhebliche Arbeitszeitguthaben verfügt. Seine Verspätungen hätten nicht zu Störungen des Arbeitsablaufs geführt.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten einschließlich des Auflösungsantrags zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin Abweisung der Klage und hilfsweise Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
A. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der Kläger habe auch in der Zeit nach der dritten Abmahnung arbeitsvertragliche Pflichten verletzt, indem er mehrfach zu spät zur Arbeit erschienen sei und die Beklagte nicht unverzüglich über die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit unterrichtet habe. Auf die Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dürfe eine Kündigung jedoch nur gestützt werden, wenn sie die ultima ratio sei. Deshalb müsse der Kündigung grundsätzlich eine Abmahnung vorausgehen. Die Beklagte habe den Kläger zwar drei Mal abgemahnt. Es handele sich bei den abgemahnten Verstößen und den Kündigungsvorwürfen auch, soweit es um Verspätungen und Verletzungen der Anzeigepflicht gehe, um gleichartige Pflichtverletzungen, die alle als Ausdruck einer spezifischen Unzuverlässigkeit des Klägers zu verstehen seien. Indes sei im vorliegenden Fall die Warnfunktion der dritten Abmahnung abgeschwächt gewesen. Alle drei Abmahnungen enthielten hinsichtlich der Folgen weiterer Pflichtverletzungen die gleiche Formulierung. Eine Kündigung sei schon in der ersten Abmahnung für den Fall gleichgelagerter Pflichtverletzungen als sicher hingestellt, dann aber doch nicht ausgesprochen worden. Es hätte deshalb aus der dritten Abmahnung deutlich werden müssen, dass sie von höherer Relevanz für den Bestand des Arbeitsverhältnisses habe sein sollen …
B. Dem folgt der Senat nur zum Teil.
I. Die Annahme, die Kündigung sei sozialwidrig im Sinne des § 1 KSchG, ist mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung nicht aufrechtzuerhalten. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts liegt nicht nur eine Vertragspflichtverletzung vor, die einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund zu bilden geeignet ist, sondern der Kündigung gingen auch Abmahnungen voraus, deren Warnfunktion weder abgeschwächt noch entwertet war.
Voraussetzungen für eine rechtmäßige verhaltensbedingte Kündigung
1. Ein die Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigender Grund liegt vor, wenn das dem Arbeitnehmer vorgeworfene Verhalten eine Vertragspflicht verletzt, das Arbeitsverhältnis dadurch konkret beeinträchtigt wird, keine zumutbare Möglichkeit anderweitiger Beschäftigung besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Parteien billigenswert und angemessen erscheint (BAG 22.07.1982 – 2 AZR 30/81 – DB 83, 180 = BB 83, 834; 05.11.1992 – 2 AZR 287/92 – ArbuR 93, 124; 17.06.2003 – 2 AZR 62/02 – DB 03, 2554). Entscheidend ist, ob das Fehlverhalten des Arbeitnehmers im Einzelfall geeignet ist, einen ruhig und verständig urteilenden Arbeitgeber zur Kündigung zu bestimmen (vgl. BAG 02.11.1961 – 2 AZR 241/61 – BAGE 11, 357; 13.03.1987 – 7 AZR 601/85 – DB 87, 1494 = BB 87, 1741; 21.05.1992 – 2 AZR 10/92 – BAGE 70, 262; KR-Etzel 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 398).
Wiederholte Verspätungen und unterlassene Anzeigender fortdauernden Arbeitsunfähigkeit können eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen.
2. Von diesen Grundsätzen ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen und hat angenommen, der Kläger habe durch die Verspätungen Anfang 2002 sowie durch sein Verhalten im Zusammenhang mit der Erkrankung Anfang April 2002 mehrfach seine vertraglichen Pflichten verletzt. Das ist nicht zu beanstanden und wird letztlich auch vom Kläger nicht anders gesehen. Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass wiederholte Verspätungen ebenso wie Verstöße gegen die Pflicht, die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit anzuzeigen, als verhaltensbedingte Kündigungsgründe in Betracht kommen.
Eine Abmahnung war vor Ausspruch der Kündigung erforderlich.
3. Ebenfalls zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, es liege hier ein steuerbares Verhalten vor, so dass nach dem ultima-ratio-Grundsatz der Kündigung zumindest eine erfolglose Abmahnung vorausgehen musste. Dass eine Abmahnung keinen Erfolg versprochen hätte oder die Pflichtverletzungen des Klägers so schwer wögen, dass ihre Hinnahme durch den Arbeitgeber von vornherein als ausgeschlossen hätte erscheinen müssen, ist nicht erkennbar (vgl. BAG 18.05.1994 – 2 AZR 626/93 – AP BPersVG § 108 Nr. 3 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 31 = BB 94, 1857; KR-Etzel 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 402).
4. Die Beklagte hat gegenüber dem Kläger insgesamt drei Abmahnungen ausgesprochen, bevor es zu den Pflichtverletzungen kam, die der Beklagten Anlass zur Kündigung gaben. Das Landesarbeitsgericht hält gleichwohl den ultima-ratio-Grundsatz für verletzt. Es meint, im vorliegenden Fall sei die Warnfunktion der „3. Abmahnung“ derart abgeschwächt gewesen, dass der Kläger bei den Vertragsverletzungen Anfang Januar 2002 und Anfang April 2002 nicht mehr hätte damit rechnen müssen, dass die Beklagte eine Kündigung darauf stützen würde. Dem stimmt der Senat nicht zu.
Der Arbeitgeber kann durch sein Verhalten die Warnfunktion einer zuvor ausgesprochenen Abmahnung „entwerten“
a) Im Ansatz noch zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die Warnfunktion einer Abmahnung erheblich dadurch abgeschwächt werden kann, dass der Arbeitgeber bei ständig neuen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers stets nur mit einer Kündigung droht, ohne jemals arbeitsrechtliche Konsequenzen folgen zu lassen (BAG 15.11.2001 – 2 AZR 609/00 – RAGE 99, 340 = BB 02, 1269; ErfK/Ascheid 4. Aufl. KSchG § 1 Rn. 369; KR-Fischermeier 6. Aufl. § 626 BGB Rn. 270; Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR 5. Aufl. Einleitung, Stichwort Abmahnung Rn. 145; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 8. Aufl. Rn. 1175; APS-Dörner 2. Aufl. § 1 KSchG Rn. 430; Betkerle/Schuster Die Abmahnung 4. Aufl. Rn. 135 ff.; Kleinebrink Abmahnung Rn. 484). Eine Abmahnung kann nur dann die Funktion erfüllen, den Arbeitnehmer zu warnen, dass ihm bei der nächsten gleichartigen Pflichtverletzung die Kündigung droht, wenn der Arbeitnehmer diese Drohung ernst nehmen muss. Dies kann je nach den Umständen nicht mehr der Fall sein, wenn jahrelang die Kündigung stets nur angedroht wird (BAG 15.11.2001 – 2 AZR 609/00 – BAGE 99, 340 = BB 02, 1269). Es handelt sich dann um eine „leere“ Drohung.
Vorliegend lag jedoch eine solche „Entwertung“ der Abmahnungen nicht vor.
b) Diese Voraussetzungen einer Entwertung der in der Abmahnung liegenden Warnfunktion waren hier nicht erfüllt.
aa) Zwar ist dem Landesarbeitsgericht darin beizupflichten, dass die drei von der Beklagten ausgesprochenen Abmahnungen gleichartige Pflichtverletzungen betrafen.
Gleichartigkeit der abgemahnten Pflichtverletzungen
(1) Pflichtverletzungen sind dann gleichartig, wenn sie in einem inneren Bezug zu der der Kündigung zugrunde liegenden negativen Zukunftseinschätzung stehen. Abmahnung und Kündigung sind in erster Linie keine Sanktionen für vergangenes Fehlverhalten. Die Abmahnung dient vielmehr als Mittel der möglichst ordnungsgemäßen und vollständigen Vertragserfüllung in der Zukunft. Sie soll bei Vertragsverstößen, die nicht so schwer wiegen, als dass aus ihrem einmaligen Vorkommen mit hinreichender Sicherheit eine nachteilige Einschätzung der zukünftigen Entwicklung gewonnen werden könnte, auf ordnungsgemäße Vertragserfüllung hinwirken. Wenn mit solcher Vertragserfüllung – z. B., weil sich Abmahnungen als erfolglos erwiesen haben – nicht mehr gerechnet werden kann, ist der Gläubiger berechtigt, das Vertragsverhältnis zu beenden (vgl. APS-Dörner § 1 KSchG Rn. 427 ff.). Es liegt auf der Hand, dass Vertragsverstöße, die zu etwa bereits abgemahnten Pflichtverletzungen in keinem Zusammenhang stehen, nichts zu einer Einschätzung der Frage beitragen können, ob mit einer Wiederholung der abgemahnten Pflichtverletzungen zu rechnen ist.
Sachverhaltswürdigung im Einzelnen
(2) Gemessen an diesen Grundsätzen ist entgegen der Auffassung der Revision die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die mit den Abmahnungen gerügten Verspätungen und Verstöße gegen die Anzeigepflicht lägen auf einer Linie, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. In der Tat erscheinen sie, wie das Berufungsgericht ausgeführt hat, als Ausdruck einer spezifischen Unzuverlässigkeit. Sie zeigen, dass der Kläger es „nicht so genau hält“ und pünktliches Erscheinen zur Arbeit oder, falls das nicht möglich ist, die Unterrichtung über zu erwartende Verspätung oder absehbares Nichterscheinen für sich nicht als Verpflichtung begreift, sondern als eher unverbindlichen Vorschlag, dem man nicht immer folgen muss.
bb) Unzutreffend ist aber die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Warnfunktion der letzten Abmahnung sei abgeschwächt gewesen.
(1) Bei der Frage ob eine Abmahnung entgegen ihrem Wortlaut der ernsthaft gemeinten Warnung entbehrt, ist insbesondere die Anzahl der vorausgegangenen Abmahnungen von Bedeutung. Angesichts der im Arbeitsleben verbreiteten Praxis, bei als leichter empfundenen Vertragsverstößen einer Kündigung mehrere – häufig drei – Abmahnungen vorausgehen zu lassen, kann in aller Regel nicht bereits die dritte Abmahnung als „entwertet“ angesehen werden.
(2) Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung darauf verwiesen, bereits in der ersten Abmahnung – und ebenso in der zweiten – heiße es, im Wiederholungsfall werde die Beklagte kündigen. Sie habe damit den Ausspruch der Kündigung für die Zukunft als sicher hingestellt und sich, indem sie sich daran nicht gehalten habe, widersprüchlich verhalten und dadurch Zweifel am Ernst der Drohung geweckt. Damit misst das Landesarbeitsgericht dem Wortlaut der entsprechenden Passagen in den Abmahnungen eine Bedeutung bei, die ihm nicht zukommt. Die Verwendung des von der Beklagten gebrauchten Futur I drückt stets und naturgemäß eine gewisse Unsicherheit über das zukünftige Geschehen aus. Im vorliegenden Fall ist sie ersichtlich als Drohung zu verstehen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Drohungen nicht immer wahrgemacht werden. Hätte die Beklagte in der ersten Abmahnung weniger entschlossen formuliert, etwa in dem Sinne, eine erneute Pflichtverletzung werde „vielleicht“ zur Kündigung führen, so hätte der Kläger einwenden können, er sei nicht nachhaltig genug gewarnt worden. Unabhängig von der Formulierung im Einzelnen ist entscheidend, dass alle drei Abmahnungen deutlich zum Ausdruck bringen, die Beklagte sehe in den darin erwähnten Verhaltensweisen ernsthaft vertragsgefährdende Pflichtverletzungen. Damit war der Kläger gewarnt.
(3) Dass nach der dritten Abmahnung unklar geblieben sein mag, ob die Beklagte bereits den nächsten oder erst den übernächsten Vorfall zum Anlass nehmen würde, ihre Drohung in die Tat umzusetzen, ändert daran nichts. Es liegt, wie ausgeführt, in der zukunftsbezogenen Natur von Drohungen, dass sie nicht stets wahrgemacht werden. Allein aus dieser gewissen Unsicherheit kann nicht auf ihren fehlenden Ernst geschlossen werden. Das gilt im vorliegenden Fall für die dritte Abmahnung umso mehr, als ihr Vorwürfe zu Grunde lagen, von denen das Landesarbeitsgericht ausdrücklich bezweifelt, ob sie allein eine Kündigung hätten rechtfertigen können. Wenn unter diesen Umständen die in der Abmahnung enthaltene Warnung beim Arbeitnehmer die Hoffnung offen lässt, der Arbeitgeber werde vielleicht „Gnade vor Recht ergehen lassen“, weil er in der Vergangenheit „Milde walten“ ließ, so entwertet dies die Warnung nicht. Ansonsten wäre gerade der ruhig und verständig abwägende, im Zweifel eher zur Nachsicht neigende Arbeitgeber benachteiligt.
(4) Das Landesarbeitsgericht hat auch unberücksichtigt gelassen, dass in allen Abmahnungen auf die Möglichkeit einer weiteren Abmahnung hingewiesen wird („Wird Ihnen vor Ablauf dieser Frist eine weitere schriftliche Abmahnung …“). Dadurch war klargestellt, dass sich die Beklagte durch die vom Landesarbeitsgericht in den Mittelpunkt seiner Erwägungen gestellte Formulierung nicht etwa in dem Sinne binden wollte, dass im Fall einer erneuten Pflichtverletzung die Kündigung die automatische Folge sein sollte, so dass aus dem Ausbleiben dieser Folge auf den mangelnden Ernst der Warnung geschlossen werden könnte. Ferner hat die Beklagte, indem sie die Abmahnung von Februar 2001 als „2. Abmahnung“ und die Abmahnung von Juli 2001 als „3. Abmahnung“ bezeichnete, sehr wohl zum Ausdruck gebracht, dass die Abmahnungen nicht gewissermaßen mechanisch und „nur so“ ausgesprochen wurden, sondern einen Bezug auf die aus Sicht der Beklagten negative Entwicklung hatten.
(5) Die dritte Abmahnung enthält darüber hinaus auch inhaltlich eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Abmahnung von Februar 2001. Der Kläger wird im Anschluss an die Beschreibung seines Fehlverhaltens „nochmals“ aufgefordert, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Bei aufmerksamer Lektüre enthielten die zweite und dritte Abmahnung jeweils durchaus eine gewisse Steigerung der Intensität.
(6) Auch die weitere Überlegung des Landesarbeitsgerichts, die Warnfunktion der letzten Abmahnung sei deshalb erschüttert, weil die Beklagte die vier Verspätungen vom 18.12.2001, 10.01.2002, 13.03.2002 und 21.03.2002 weder zum Anlass einer Ermahnung, Abmahnung oder einer Kündigung genommen habe, ist nicht zutreffend. Es handelte sich jeweils um geringe Verspätungen zwischen 4 und 13 Minuten. Auch hier konnte ein ruhig und verständig urteilender Arbeitgeber zweifeln, ob schon eine oder zwei Verspätungen dieses Ausmaßes als Begründung für eine Sanktion ausgereicht hätten. Es liegt bei derartigen – nicht je für sich, sondern in der Häufung ins Gewicht fallenden – Pflichtverletzungen nahe, dass der Arbeitgeber abwartet, ob es zu jener Häufung, die den Vertragsverstößen ihr Gewicht gibt, auch kommt. Es wäre dann jedoch offenkundig unangemessen, ein so motiviertes Abwarten entgegen dem Wortlaut mehrfacher schriftlicher Abmahnungen als Ausdruck einer permissiven Haltung in Anspruch nehmen zu wollen.
Zurückverweisung an das LAG
II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Ebenso wenig ist die Sache im Sinne der Beklagten entscheidungsreif.
1. Das Landesarbeitsgericht hat – aus seiner Sicht folgerichtig – die Frage offen gelassen, ob die bei einer verhaltensbedingten Kündigung erforderliche Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers oder der Beklagten ausgehe. Die Interessenabwägung ist Sache des Tatsachengerichts, in dessen Beurteilungsspielraum der Senat nicht eingreifen will. Außerdem hat das Landesarbeitsgericht ersichtlich noch Feststellungen hinsichtlich der betrieblichen Auswirkungen der Verspätungen des Klägers für erforderlich gehalten …
III. Schließlich wird über den Auflösungsantrag gegebenenfalls erneut zu entscheiden sein. Dabei wird vom Stand der tatsächlichen Entwicklung im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts auszugehen sein. Dies kann u. a. deshalb von Bedeutung sein, weil der Kläger im Laufe des Prozesses bei der Beklagten gearbeitet hat.