Umfassendes Wettbewerbsverbot und Pflicht zur Bestandspflege führt zur Arbeitnehmereigenschaft

2 W 108/04 Beschluss verkündet am 28. Januar 2005 OLG Bremen Versicherungsvertretervertrag, Wettbewerbsverbot und Konkurrenzverbot

Oberlandesgericht Bremen
Im Namen des Volkes
Beschluss

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des LG Bremen vom 23.06.2004 wird auf ihre Kosten mit der Maßgabe als unbegründet zurückgewiesen, dass der Rechtsstreit an das ArbG Bremen-Bremerhaven verwiesen wird.

Gründe

I. Die Klägerin hat den Beklagten im Wege des Mahnverfahrens auf Zahlung von 5.300,37 € unter Berufung auf eine Kontokorrentabrechnung vom 21.06.2003 auf der Grundlage eines Handelsvertretervertrags vom 18.6./8.7.2002 sowie auf Rückzahlung eines Darlehens über 2.432,63 € zzgl. Zinsen von 73,79 €, vorgerichtliche Mahnkosten von € 10,– sowie weitere Kosten von 85,50 €, insgesamt also 7.902,29 € in Anspruch genommen (Bl. 3 d.A.). Nachdem der Beklagte Widerspruch erhoben und das AG Hannover als zuständiges Mahngericht den Rechtsstreit an das LG Hannover abgegeben hafte, hat dieses durch Beschluss der 22. Zivilkammer (2. Kammer für Handelssachen) vom 02.12.2003 sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das örtlich zuständige LG Bremen – Kammer für Handelssachen verwiesen (Bl. 21 d.A.). Diese hat den Rechtsstreit durch Beschl. v. 09.02.2004 (Bl. 32/33 d.A.) an die funktionell zuständige Zivilkammer „verwiesen“ (richtig: abgegeben), da der Beklagte nicht eingetragener Kaufmann sei. Die Zivilkammer hat den Rechtsstreit durch Verfügung ihres Vorsitzenden vom 24.02.2004 übernommen und ihn dem zuständigen Einzelrichter übertragen (Bl. 34 Rs. d.A.). Dieser hat mit dem angefochtenen Beschl. v. 23.06.2004 (Bl. 246-260 d.A.) den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das ArbG Bremerhaven verwiesen. Gegen diesen ihr am 28.06.2004 zugestellten Beschluss wendet sich die Klägerin mit der sofortigen Beschwerde (Bl. 252/253 d.A.), der das LG mit Beschl. v. 30.11.2004 (Bl. 383-388 d.A.) nicht abgeholfen hat.

II. Die Klägerin hat die von ihr erhobene Forderung wie folgt begründet: Sie begehre Rückzahlung von Provisionsvorschüssen, die der Beklagte im Rahmen seiner Tätigkeit als selbständiger Handelsvertreter „nicht ins Verdienen gebracht“ habe. Darüber hinaus habe sie ihm darlehensweise eine sog. Ausbildungsbeihilfe gewährt, deren Rückzahlung von dem Beklagten verweigert worden sei. Sie, die Klägerin, habe mit dem Beklagten am 08.07.2002 einen Handelsvertretervertrag (Anlage K 1) abgeschlossen, kraft dessen dieser als selbständiger Handelsvertreter innerhalb ihrer, der Klägerin, Außendienstorganisation tätig gewesen sei. Ferner sei am 09.07.2002 eine Vereinbarung (Anlage K 2) zwischen den Parteien zustande gekommen, worin die Grundlage für die an den Beklagten ausgezahlten linearisierten Provisionsvorschüsse zu finden sei. Mit Rücksicht auf zunehmende Untätigkeit des Beklagten habe sie, die Klägerin, den Handelsvertretervertrag mit Schreiben vom 06.02.2003 (Anlage K 4) fristgerecht zum Ablauf des 31.03.2003 gekündigt und ihn zugleich über den Stand der jeweiligen ihn betreffenden Konten in Kenntnis gesetzt. Mit Schreiben vom 16.04.2003 (Anlage K 5) habe sie, die Klägerin, den Beklagten über die Verpflichtung zur Rückzahlung der gewährten Ausbildungsbeihilfe i. H. v. 2.432,63 € zzgl. jährlicher Zinsen von 6,6 % unterrichtet. Der Beklagte habe zum einen nicht gezahlt, zum anderen sich bis zum Widerspruch gegen den erlassenen Mahnbescheid auch nicht geäußert.

Der Beklagte hat bereits mit dem Widerspruch gegen den Mahnbescheid (Bl. 19/20 d.A.) geltend gemacht, dass er als Einfirmenvertreter anzusehen und damit die Zuständigkeit der Gerichte der ArbGbarkeit gegeben sei. Er sei nicht Kaufmann i. S. d. § 1 HGB. In dem zwischen ihm und der Klägerin geschlossenen Vertrag werde seine Stellung als Handelsvertreter im Nebenberuf beschrieben. Einen kaufmännischen Geschäftsbetrieb habe er nicht unterhalten. Die aus seiner Tätigkeit in den Abrechnungen 01/2002 bis 07/2002 sowie 01/2003 und 02/2003 ersichtlichen, den Zeitraum zwischen dem 22.06.2002 und dem 22.03.2003 umfassenden Einnahmen aus der Vertretertätigkeit beliefen sich auf insgesamt 5.949,51 €. Die Einnahmen aus den Abrechnungen 04/2002 bis 02/2003 (Abrechnungszeitraum zwischen September 2002 und März 2003), also den letzten sechs Monaten des Vertragsverhältnisses, hätten sich auf insgesamt £ 5.002,63 belaufen. Von diesem rechnerischen Gesamtbetrag habe die Klägerin, wie den Abrechnungen 04/2002 bis 02/2003 zu entnehmen sei, insgesamt 2.536,05 € einbehalten, so dass er, der Beklagte, lediglich 2.466,58 € ausgezahlt erhalten habe. Dies entspreche einem durchschnittlichen monatlichen Betrag von 411,10 €.

III. Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist statthaft (§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG) sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 569 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 567 Abs. 2 ZPO). Sie ist aber nicht begründet und war daher zurückzuweisen.

1. Nach § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat sich das angegangene Gericht, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, auf Antrag des Klägers durch Beschluss für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen, wenn sich auf Grund der Vorschriften über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Unzuständigkeit des Gerichts ergibt. Dieser Beschluss ist, bezogen auf das Gericht, das er bezeichnet, nicht jedoch auf den in ihm namhaft gemachten Spruchkörper, grundsätzlich bindend (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Die Verweisung des Rechtsstreits vom LG Hannover an das LG Bremen ist daher, da kein Fall der Willkür vorliegt, nicht zu überprüfen und deshalb auch nicht zu beanstanden. Anerkannt ist ferner, dass trotz der in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ausgesprochenen Bindung eine Weiterverweisung in einen anderen Rechtsweg nicht ausgeschlossen ist (Prütting in MünchKomm/ZPO, § 281 Rz. 45).

2. Nach § 13 GVG gehören vor die ordentlichen Gerichte alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, für die nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder VG begründet ist oder auf Grund von Vorschriften des Bundesrechts besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) des ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Ergänzend bestimmt § 5 Abs. 3 Satz 1 des ArbGG, dass Handelsvertreter nur dann als Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes – d. h. des ArbGG – gelten, wenn sie zu dem Personenkreis gehören, für den nach § 92a des Handelsgesetzbuchs die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmens festgesetzt werden kann, und wenn sie während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses, bei kürzerer Vertragsdauer während dieser, im Durchschnitt nicht mehr als 1.000,– € aufgrund des Vertragsverhältnisses an Vergütung einschließlich Provision und Ersatz für im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen bezogen haben. § 92a HGB schreibt vor, dass für das Vertragsverhältnis eines Handelsvertreters, der vertraglich nicht für weitere Unternehmer tätig werden darf oder dem dies nach Art und Umfang der von ihm verlangten Tätigkeit nicht möglich ist, das Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit nach Anhörung von Verbänden der Handelsvertreter und der Unternehmer durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers festsetzen kann, um die notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse dieser Handelsvertreter oder einer bestimmten Gruppe von ihnen sicherzustellen. Zu dem in diesen Vorschriften angesprochenen Personenkreis zählt der Beklagte nicht.

Der Beklagte ist bereits kein Handelsvertreter i.S.d. § 84 Abs. 1 Satz 1 und 2 HGB, § 5 Abs. 3 Satz 1 des ArbGG. Nach § 84 Abs. 1 Satz 1 HGB ist Handelsvertreter, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer (Unternehmer) Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Selbständig ist, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (§ 84 Abs. 1 Satz 2 HGB). Schon an dem ersten Erfordernis fehlt es beim Beklagten. Zwar ist die zwischen den Parteien unter dem 18.6./8.7.2002 abgeschlossene Vereinbarung mit „Handelsvertretervertrag“ überschrieben, darauf kommt es indessen nicht entscheidend an (§ 133 BGB). Es ist vielmehr anerkannt, dass eine Gesamtschau des Vertragsverhältnisses ausschlaggebend ist, wobei allerdings einzelne Ausprägungen des konkreten Falles durchaus wesentliche Hinweise für die Einordnung in rechtlicher Hinsicht abgeben können. Von besonderer Bedeutung ist hier die Vorschrift der Nr. 7.2. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Bestimmung ist der Handelsvertreter nicht berechtigt, für Wettbewerber des […] oder der Partnergesellschaften tätig zu werden oder sich an einem Konkurrenzunternehmen direkt oder indirekt, mittelbar oder unmittelbar zu beteiligen oder es sonst in irgendeiner Weise zu unterstützen. Dabei werden die Rechtsbeziehungen des […] zu seinen Partnergesellschaften in gesonderten Verträgen – also außerhalb des Handelsvertretervertrages – geregelt (Nr. 1.2), so dass aus dem Handelsvertretervertrag selbst nicht einmal ersichtlich ist, welchen Umfang dieses „Wettbewerbsverbot“ einnimmt, das im Übrigen rechtssystematisch in den Zusammenhang des Handlungsgehilfen (§ 74 Abs. 1 und 2 HGB) und nicht in denjenigen des Handelsvertreters gehört. Dem Beklagten war darüber hinaus jegliche Konkurrenztätigkeit untersagt (Nr. 7. 2 Abs. 1 Satz 2 des Handelsvertretervertrages). Das Konkurrenzverbot bezog sich auf sämtliche Produkte, die vom […] vertrieben wurden, mithin auch auf die Vermittlung von Immobilien, Krediten und Kapitalanlagen (Nr. 7.2 Abs. 1 S. 3). Dem Beklagten wer auch nicht gestattet, Produkte zu vermitteln, die nicht in der Provisionsliste (Produktplan) des […] enthalten waren (Nr. 7.2 Abs. 1 S. 4). Darüber hinaus war die Missachtung nur einer dieser Bestimmungen vertragsstrafebewehrt. Ergänzend wurde in Nr. 7.2 Abs. 2 S. 1 bestimmt, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung der Beklagte die Zahlung einer Vertragsstrafe schuldete, die vom […] nach billigem Ermessen festzusetzen war, wobei allerdings 15.000,– DM nicht überschritten werden durften. Schadensersatzansprüche des […] blieben hiervon unberührt, wobei der […] die Vertragsstrafe auf Schadensersatzansprüche anrechnete (Nr. 7.2 Abs. 2 S. 2). Schon allein diese die Tätigkeit des Beklagte einengenden Regelungen sprechen für die Annahme, dass er nicht weisungsfrei i. S. d. § 84 Abs. 1 Satz 1 HGB arbeiten konnte. Hinzukommt, dass der Beklagte zum Erhalt und zur Förderung seiner Beratungsqualität gehalten war, sich das für die Ausübung seiner Tätigkeit notwendige Wissen anzueignen und sich insoweit weiterzubilden (Nr. 7.7 S. 1). Der […] bot hierzu Schulungen an (Nr. 7.7 S. 2), Dem Gesamtzusammenhang der Vorschriften ist ohne weiteres zu entnehmen, dass der Beklagte verpflichtet war, von diesem Schulungsangebot Gebrauch zu machen. Eine Verpflichtung, vom Prinzipal angebotene Schulungsmaßnahmen wahrzunehmen, stellt aber ein weiteres wesentliches Merkmal für eine Eingliederung des „Handelsvertreters“ in den Betrieb des Unternehmers dar (v. Hoyningen/Huene in MünchKomm/HGB, Band 1 1998, § 84 Rz. 39, letzter Satz m.N. in Fn. 50).

Einen zusätzlichen Gesichtspunkt von Gewicht stellt die in Nr. 7.6 des Vertrages enthaltene Regelung dar. Nach Satz 1 dieser Vorschrift war der Beklagte während der Dauer des Vertrages zur ständigen Pflege seines von ihm vermittelten Bestandes verpflichtet. Unterließ er diese Bestandspflege oder eine notwendige Nachbearbeitung innerhalb einer ihm vom […] gesetzten Frist, so ermächtigte er „hierdurch“ den […], an seiner Stelle einen anderen Handelsvertreter mit der Bestandspflege zu betrauen (Nr. 7.6 S. 2). Dieser erhielt auch den bis dahin nicht verdienten Anteil an der Provision (Nr. 7.8 S. 3). Einem Handelsvertreter, der i. S. d. § 84 Abs. 1 Satz 1 HGB „selbständig“ ist, wird aber nicht vom Unternehmer die Verpflichtung auferlegt, „Bestandspflege“ zu betreiben. Diese stellt sich vielmehr als eine im eigenen Interesse, nämlich der Erzielung und Erhaltung von Provisionsansprüchen, einzuhaltende Obliegenheit dar. Hier dagegen wird die Bestandspflege als eigenständige Verpflichtung des „Handelsvertreters“, deren Verletzung mit schadensersatzrechtlichen Folgen ausgestaltet ist, niedergelegt. Demgegenüber entfalten die übrigen Bestimmungen des Handelsvertretervertrages, soweit sie geeignet sind und sein können, die Weisungsfreiheit des Beklagten und seine Möglichkeit, den Arbeitseinsatz eigenverantwortlich zu gestalten, herauszustellen, kein solches Gewicht, als dass sie die für die Eingliederung des Beklagten in den Betrieb der Klägerin sprechenden oben im Einzelnen angesprochenen Gesichtspunkte entkräften könnten.

IV. Die Beschwerde war allerdings mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Rechtsstreit an das ArbG Bremen-Bremerhaven verwiesen wird, weil das ArbG Bremerhaven mit Ablauf des 31.12.2004 aufgehoben worden ist (§ 2 Abs. 1 des Gesetzes über die ArbGbarkeit – Art.1 des Gesetzes über die Neuordnung der ArbGbarkeit im Land Bremen – vom 16.11.2004 [Brem. GBl. S. 579]).

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Schlagwörter
Versicherungsvertreter (34) Rechtswegzuständigkeit (1) Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses (1) AWD XXXX (1) Arbeitnehmer (3) Abgrenzung (20)