Berücksichtigung übertragener Bestände im Rahmen einer Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach den „Grundsätzen zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs“ für Sachversicherungen

I - 18 U 91/17 Beschluss verkündet am 11. September 2017 OLG Hamm Ausgleichsanspruch

Oberlandesgericht Hamm
Im Namen des Volkes
Beschluss

In dem Rechtsstreit
[…]

hat der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11.09.2017 durch […] am Oberlandesgericht Hahnenstein

Tenor

beschlossen:

Die Berufung des Klägers gegen das am 29.06.2017 verkündete Urteil des Landgerichts Detmold hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg; auch die weiteren Voraussetzungen der Zurückweisung gem. § 522 Abs. 2 ZPO liegen vor.

Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen.

Gründe

A.

Der Kläger war mit der Beklagten über einen Agenturvertrag vom 30.06.2003 verbunden, der mit dem „Handelsvertretervertrag“ vom 24.03.2007 neu gefasst wurde. Dieser Vertrag sah in Ziff. 12 u. a. vor, dass bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs die „Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs“ in ihrer jeweils gültigen Fassung herangezogen werden sollten. Zum 01.07.2003 sowie zum 01.01.2014 fanden Bestandsübertragungen auf den Kläger statt. Die Beklagte kündigte ihm ordentlich zum Ablauf des 31.12.2015. Den Ausgleichsanspruch gab sie ihm am 14.01.2016 mit 26.142,74 € bekannt und zahlte ihn aus. Dabei hatte sie die „Grundsätze Sach“ angewandt, und zwar mit der Maßgabe, dass sie die Provisionszahlungen aus übertragenen Beständen gem. Ziff. I. 2. der „Grundsätze Sach“ im Rahmen des für die Durchschnittsbildung gem. Ziff. I. 1. a) maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraums nur ab dem Zeitpunkt mit den betreffenden Prozentsätzen berücksichtigte, ab dem die betreffenden Bestandsfristen abgelaufen waren, mithin nicht etwa rückwirkend für den gesamten Fünf-Jahres-Zeitraum. Mit Schreiben vom 12.02.2016 forderte der Kläger die Beklagte auf, den von ihm errechneten Ausgleich von (insgesamt) 60.056,98 € zu zahlen. Seine Aufforderung, die Differenz von 34.514,24 € bis zum 05.03.2016 auszugleichen, blieb ohne Erfolg.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe die „Grundsätze Sach“ bezüglich der übertragenen Verträge zu seinen Ungunsten falsch angewandt. Sofern der Fristablauf für die Bewertung (Ziff. 1. 2. der „Grundsätze Sach“) erst innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums ablaufe, seien die Provisionen mit den entsprechenden Prozentsätzen von Beginn dieses Zeitraums an zu berücksichtigen. Im Übrigen trage die Beklagte eine sekundäre Beweislast für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs, weil er selbst mit vertretbarem Aufwand die mehreren tausend Datensätze nicht mit dem Ziel verarbeiten könne, den Fehler zu beseitigen. Die Beklagte hingegen sei in der Lage, ohne großen Aufwand eine zutreffende Berechnung unter Berücksichtigung seiner – richtigen – Rechtsauffassung zu erstellen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 34.514,24 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.03.2016 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Klage sei schon unschlüssig, weil es dem Kläger obliege, den geltend gemachten Ausgleichsanspruch darzulegen und ggf. zu beweisen. Für eine sekundäre Darlegungslast bestehe kein Anlass, nachdem sie dem Kläger sämtliche Unterlagen, die eine Eigenberechnung des Ausgleichs ermöglichten, zugänglich gemacht habe. Ferner sei die Auffassung des Klägers zur Auslegung von Ziff. I. 2. der Grundsätze unzutreffend.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt es aus, die Rechtsauffassung der Beklagten, wonach die Provisionen aus übertragenen Beständen (mit den jeweils angeordneten Sätzen) nur insoweit in den Fünf-Jahres-Zeitraum fielen, als sie nach Ablauf der jeweiligen Fristen angefallen seien, sei zutreffend.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger u. a. seinen Zahlungsanspruch weiter.
Er wiederholt seine Rechtsauffassung bezüglich des Verständnisses der Ziff. I. 2. „Grundsätze Sach“. Ferner bekräftigt er seine Meinung, wonach die Beklagte die sekundäre Darlegungslast trage, die sie mit Übergabe der Anlage B1 nicht erfüllt habe, weil diese nicht die Namen der Kunden enthalte und per 01.07.2003 ein zu hohes Volumen der übertragenen Bestände wiedergebe, das mit den vertraglichen Vereinbarungen nicht übereinstimme. Schließlich sei sie nicht geeignet, die Provisionen aus übertragenen Beständen der letzten fünf Jahre wiederzugeben. Die Anlage B2, die ihm nur in Papierform vorliege, erfordere einen unzumutbaren Arbeitsaufwand, um die Berechnung zu überprüfen bzw. zu korrigieren, nämlich von rund 164 Arbeitstagen, wie bereits in erster Instanz dargelegt.

Er beantragt,

I. das Urteil des Landgerichts Detmold vom 29.06.2017 aufzuheben,

II. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 34.514,24 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.03.2016 zu zahlen,

III. hilfsweise

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn die Anlage B2 als Datei herauszugeben,

2. die Beklagte zu verurteilen, einen nach Erfüllung der Ziff. 1. von ihm zu beziffernden Handelsvertreterausgleichsanspruch nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 06.03.2016 zu zahlen.

Die Beklagten beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

B.

Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung liegen vor.

Das Rechtsmittel hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

1.
Der Kläger hat den von ihm mit dem Hauptantrag weiterhin verfolgten Zahlungsanspruch auf der Grundlage der von beiden Parteien als maßgeblich angesehenen „Grundsätze Sach“ nicht schlüssig dargelegt.

Nach wie vor beruht seine Berechnung bezüglich der Provisionen aus den übertragenen Beständen auf Schätzungen der Bestandsentwicklung innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums. Hingegen liegen ihm unstreitig Daten vor, die ihm eine vertragsspezifische Betrachtung der übernommenen Bestände, namentlich der zum 01.07.2003 übertragenen Verträge, ermöglichen.

Der Vortrag des Klägers, wonach er selbst nur unter monatelangem Zeitaufwand in der Lage sei, die nach seiner Auffassung erforderliche Auswertung dieser Daten (genauer: der die per 01.07.2003 übertragenen Verträge betreffenden Bestandsprovisionszahlungen im Zeitraum 2011 – 2015) vorzunehmen, während die Beklagte sozusagen mit wenigen „Befehlen“ ihre EDV zu einer die rechtliche Bewertung des Klägers umsetzenden Neuberechnung veranlassen könne, stellt keine Situation dar, die eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten entstehen lässt. Das folgt schon daraus, dass sich der Begriff der Darlegungslast auf Fakten bzw. Daten beschränkt. Er versagt, soweit der gegnerischen Prozesspartei damit eine Berechnung (sprich Verknüpfung dieser Daten nach einer näheren Anweisung) aufgegeben wird, die sich (erst) aus einer bestimmten Auslegung einer Vertragsbestimmung ergibt, wie dies hier der Fall ist. Denn die Figur der sekundären Darlegungslast darf nicht dazu führen, die gegnerische Partei dazu zu veranlassen, trotz einer von ihr als unrichtig erachteten Auslegung einen sich daraus ergebenden „Rechenweg“ zu beschreiten und – zur Vermeidung der Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO – eine sich daraus ergebende Berechnung vorzulegen.

2.
Auch die nunmehr formulierten Hilfsanträge haben keine Aussicht auf Erfolg.

a)
Die Hilfsanträge, mit denen eine Stufenklage erhoben wird, stellen Klageerweiterungen dar, die sich an § 533 ZPO messen lassen müssen, dessen Voraussetzungen jedoch gegeben sein dürften.

b)
Ob der Kläger ggf. einen Anspruch aus § 242 BGB gegen die Beklagte auf Überlassung der Anlage B2 „als Datei“ hat, ist schon deshalb fraglich, weil der Kläger gänzlich offen gelassen hat, welche Art von Datei (im Hinblick etwa auf Format und Kompatibilität) gemeint ist. Schon deshalb lassen sich bestimmte Tatbestandsvoraussetzungen eines Anspruchs nach § 242 BGB, namentlich die Frage der Zumutbarkeit für die Beklagte, nicht beantworten.

c)
Unabhängig davon besteht ein Herausgabe- bzw. Überlassungsanspruch bezüglich einer „Datei“ auch deshalb nicht, weil dem Kläger nach dem jetzigen Sach- und Streitstand „auf der zweiten Stufe“ kein weiterer Zahlungsanspruch zusteht.

Unstreitig ist nunmehr, dass die von der Beklagten vorgelegten Daten sowie ihre bisherige Berechnung sämtliche Provisionszahlungen an den Kläger im maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum berücksichtigen. Streitig ist allein die Frage der Auslegung der Ziff. I. 2. der „Grundsätze Sach“. Insoweit ist der Auslegung der Beklagten sowie des Landgerichts zu folgen:

aa)
Die „Grundsätze“ sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie ihr Wortlaut von verständigen und redlichen Durchschnittsadressaten unter Berücksichtigung der von den beteiligten Verbänden verfolgten Zwecke und insbesondere ihres Kompromisscharakters verstanden wird (BGH, Urt. vom 08.05.2014, Az. VII ZR 282/12).

bb)
Nach diesem Maßstab ist der Auslegung zu folgen, die die Beklagte und ihr folgend das Landgericht vornehmen. Danach ist Ziff. I. Nr. 2. der „Grundsätze Sach“ dahin zu verstehen, dass Provisionen aus übertragenen Versicherungsbeständen innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums berücksichtigt werden, wenn und soweit seit der Bestandsübertragung die jeweils genannte Zeitspanne verstrichen ist.

Dafür spricht gerade das erkennbare und berechtigte Interesse des Versicherungsunternehmens daran, vom Vertreter nicht selbst geworbene Verträge – bzw. darauf gezahlte (Bestands-)Provisionen – erst nach einer bestimmten Zeitspanne im Rahmen der Ausgleichsberechnung zu berücksichtigen. In dem Ansatz dieser Zeitspannen kommt bereits der Kompromisscharakter der „Grundsätze“ zum Tragen, weil die Berücksichtigung nach Ablauf dieser Zeitspannen unabhängig davon erfolgt, ob der Vertreter tatsächlich Bestandspflegemaßnahmen ergriffen oder gar eine Erweiterung des Versicherungsvertrags bewirkt hat.
Die Annahme einer „Rückwirkung“ auf den gesamten Fünf-Jahres-Zeitraum in den Fällen, in denen die genannten Zeitspannen erst innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums vor Beendigung des Handelsvertretervertrags ablaufen, bedürfte vor diesen Hintergrund einer besonderen Rechtfertigung, für die keine Anhaltspunkte bestehen. Eine solche „Rückwirkung“ führte nämlich im Extremfall dazu, dass bereits Provisionszahlungen auf übertragene Bestände erfasst werden müssten, die erfolgten, nachdem die Bestandsübertragung erst geringfügig mehr als 5 Jahre zurücklag (eine solche Situation könnte sich etwa ergeben, wenn der Handelsvertretervertrag bereits 10 Jahre und 1 Monat nach der Bestandsübertragung endet, jedoch alle Provisionszahlungen auf die übertragenen Bestände herangezogen werden müssten, die innerhalb der letzten fünf Jahre des Bestehens des Handelsvertretervertrags erfolgt sind). Auch der Aspekt einer „Vereinfachung“ der Berechnung trägt nicht: Zwar erübrigte sich eine differenzierte Betrachtung der Provisionen aus übertragenen Beständen während des Fünf-Jahres-Zeitraums, wenn der in diesem Zeitpunkt zuletzt „erreichte“ Prozentsatz einheitlich anzuwenden wäre. Diese Differenzierung stellt aber dann, wenn die übertragenen Verträge und die aus ihnen fließenden Provisionen identifiziert sind, keine nennenswerte Verkomplizierung der Berechnung dar.

Das hier präferierte Verständnis wird im Übrigen durch die Formulierung des Satzes 2 („Bei Kraftverkehrsversicherungen findet eine volle Anrechnung schon nach 10 Jahren statt.“) gestützt. Aus ihr lässt sich entnehmen, dass vor Ablauf der genannten 10 Jahre eben keine Anrechnung erfolgen soll. Damit wäre eine „Rückwirkung“ im Sinne des Klägers schwerlich vereinbar.

Auch in der Kommentierung (Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl., Rn. 590; Küstner/Thume, a.a.O., 8. Aufl., Kap. XX Rn. 99) wird die Auffassung der Beklagten und des Landgerichts vertreten (lediglich bei Hopt, Handelsvertreterrecht, 5. Aufl., findet sich in 2. Teil Materialien, B I 2. Berechnungsbeispiele unter dem „Beispiel II“ eine rückwirkende Anwendung des zuletzt „erreichten“ Prozentsatzes, doch findet sich dafür keine Begründung).
Dem Kläger ist lediglich darin zu folgen, dass der Wortlaut der Ziff. I. 2. der „Grundsätze Sach“ auch ein Verständnis zulässt, wonach die dort genannten Prozentsätze gleichsam rückwirkend und einheitlich für den gesamten Fünf-Jahres-Zeitraum gelten sollen, wenn nur die maßgeblichen Fristen bis zum Ende des Handelsvertreterverhältnisses erfüllt worden sind (lediglich auf diese Verständnismöglichkeit verweist Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 2, 9. Aufl., Kap. XX Rn. 107). Durchgreifende Gründe für ein solches Verständnis lassen sich aber aus den dargelegten Gründen nicht erkennen.

Entgegenstehende Rechtsprechung ist nicht vorhanden.

d)
Da ein weitergehender Provisionsanspruch nicht ersichtlich ist, erweist sich die Stufenklage bereits jetzt als insgesamt abweisungsreif.

II.

Auch die übrigen Voraussetzungen einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss liegen vor. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Das wäre nur der Fall, wenn die zugrunde liegende rechtliche Problematik – hier also die Frage der Auslegung der Ziff. I. 2. der „Grundsätze Sach“ – auch künftig wiederholt auftreten wird und wenn über ihre Auslegung in der Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen geäußert worden sind (Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl., § 522 Rn. 38).

Jedenfalls an letzterem fehlt es, weshalb auch der Belang der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine mündliche Verhandlung gebietet. Auch die „Fortbildung des Rechts“ ist nicht tangiert. Schließlich sind auch keine sonstigen Gründe erkennbar, die eine mündliche Verhandlung geboten erscheinen lassen.

Besprechung(en) zur Rechtsprechung
Berücksichtigung übertragener Bestände im Rahmen einer Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach den „Grundsätzen zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs“ für Sachversicherungen
Schlagwörter
Sachversicherungen (1) Grundsätze (2) Berechnung des Ausgleichsanspruchs (8)