Rechtsschutz-Gruppenversicherung, Erlöschen Versicherungsschutz, Rechtsschutzfall auslösendes Ereignis fristlose Kündigung

10 O 152/17 Urteil verkündet am 22. August 2017 LG Bonn Kündigung des Handelsvertretervertrags, Provisionsabrechnung, Buchauszug und Bucheinsicht

Landgericht Bonn
Im Namen des Volkes
Urteil

In dem Rechtsstreit
[…]

hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Bonn aufgrund mündlicher Verhandlung vom 01.08.2017 durch […]

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist dem Kläger für die klageweise Geltendmachung eines handelsvertreterrechtlichen Ausgleichsanspruchs gegenüber der […] entsprechend der Schadenmeldung/Deckungsanfrage vom 03.11.2016, bei der Beklagten unter der Leistungs-Nummer […] erfasst, bedingungsgemäßen Versicherungsschutz aus dem Handelsvertreter-Rechtsschutz-Gruppenversicherungsvertrag zur Versicherungsnummer […] zu gewähren.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten über das Bestehen eines Anspruchs auf Gewährung von Versicherungsschutz in einer Rechtsschutzsache.

Der Kläger war für die […] mehr als 23 Jahre lang als Handelsvertreter tätig.

Die Beklagte ist eine Rechtsschutzversicherung, bei der der Kläger seit dem 01.01.2010 im Rahmen eines Gruppenversicherungsvertrages über Handelsvertreter-Rechtsschutz versichert war.

In dem Vertrag heißt es

㤠6 Beginn und Ende des Versicherungsschutzes

Für die Mitglieder des Versicherungsnehmers besteht für die Dauer der Mitgliedschaft Versicherungsschutz.

§ 8 Versicherungsbeginn und Versicherungsdauer

Der Vertrag beginnt am 01.01.2010 und läuft für ein Jahr bis zum Ablauf des 31.12.2010. Der Vertrag verlängert sich jeweils um ein Jahr, wenn nicht dem Vertragspartner spätestens drei Monate vor dem Ablauf des jeweiligen Versicherungsjahres eine schriftliche Kündigung zugegangen ist.“

Am 05.07.2016 wurde dem Kläger seitens der […] fristlos gekündigt. Am 21.07.2016 kündigte der Kläger mittels Schreiben seines Prozessbevollmächtigten das Vertragsverhältnis seinerseits fristlos gegenüber der […] und machte sogleich einen Ausgleichsanspruch geltend. Diesem Begehren wurde seitens der […] nicht entsprochen. Der Kläger beabsichtigt, vor dem Landgericht Frankfurt im Wege der Stufenklage klären zu lassen, dass ihm Auskunfts- und Zahlungsansprüche aus § 89b Abs. 1 HGB gegen die […] zustehen. (Anlagen K9, K10) Mit anwaltlichem Schreiben vom 03.11.2016 forderte der Kläger von der Beklagte die Abgabe einer Deckungszusage für den bevorstehenden Prozess. Es folgte bis Ende Februar 2017 weitere schriftliche Korrespondenz zwischen den Parteien. Die Beklagte lehnte eine Deckungszusage für den betreffenden Rechtsstreit des Klägers ab. (Anlagen K12, K15, K17).

Der Kläger ist der Ansicht, dass der beabsichtigte Prozess von dem bestehenden Rechtsversicherungsverhältnis umfasst sei. Der Rechtsschutzfall sei vorliegend spätestens mit der fristlosen Kündigung der […] vom 05.07.2016 eingetreten, während das Handelsvertreterverhältnis erst mit der klägerseitigen fristlosen Kündigung geendet habe. Das Versicherungsverhältnis mit der Beklagten habe dagegen gemäß § 8 des Gruppenversicherungsvertrages nicht mit Ende der klägerischen Tätigkeit als Handelsvertreter für die […] am 21.07.2016 geendet.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für die klageweise Geltendmachung eines handelsvertreterrechtlichen Ausgleichsanspruchs gegenüber der […] entsprechend der Schadenmeldung/Deckungsanfrage vom 03.11.2016, bei der Beklagten unter der Leistungs-Nummer […] erfasst, bedingungsgemäßen Versicherungsschutz aus dem Handelsvertreter-Rechtsschutz-Gruppenversicherungsvertrag zur Versicherungsnummer […] zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, es sei kein unter den Versicherungsvertrag fallender Rechtsschutzfall gegeben. Die Rechtsverletzung, auf die sich der Kläger gegenüber der […] berufe, liege in der Nichtauszahlung beziehungsweise der Verweigerung der Auskunftserteilung. Dieses Verhalten habe sich wegen § 11 Nr. 1 a) der „Geschäftsordnung der Interessenvertretung der selbständigen hauptberuflichen Vertreter der […] Versicherung AG (IVHV)“ in Verbindung mit § 6 des Gruppenversicherungsvertrages erst nach Beendigung des Versicherungsschutzes ereignet.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 01.08.2017 ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Das Landgericht Bonn ist gemäß §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG sachlich und gemäß § 20 Abs. 1 ARB 2009 in Verbindung mit § 215 Abs. 1 Satz 1 VVG (der insoweit auch nicht durch § 12 Abs. 2 des Gruppenversicherungsvertrages abdingbar ist, siehe Langheid/Rixecker-Rixecker VVG 5. Auflage 2016, § 215 Rn. 9) örtlich zuständig.

Der Kläger verfügt über ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO. Ihm wird seine Rechtsdurchsetzung gegen die […] erschwert, sollte ihm keine Deckung seitens der Beklagten zugesagt werden.

Eine Pflicht der Beklagten, den ersuchten Versicherungsschutz zu gewähren, ergibt sich aus § 125 VVG in Verbindung mit dem Versicherungsvertrag. Aus § 125 VVG in Verbindung mit § 17 Abs. 4 ARB 2009 lässt sich unmittelbar ein Anspruch des Versicherungsnehmers auf Erteilung einer Deckungszusage ableiten. (Langheid/Rixecker-Rixecker, VVG 5. Auflage 2016, § 125 Rn. 5) Unstrittig wurde der Versicherungsvertrag am 03.11.2009 mit Wirkung zum 01.01.2010 zwischen den Parteien geschlossen.

Für den vom Kläger gegen die […] zu führenden Rechtsstreit besteht auch in zeitlicher Hinsicht Versicherungsschutz.

Das den Rechtsschutzfall auslösende Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 1 des Gruppenversicherungsvertrages in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 1 d), S. 2 ARB 2009 ist hier in der fristlosen Kündigung seitens der […] vom 05.07.2016 zu sehen.

Es fällt in den Geltungszeitraum des Versicherungsvertrages gemäß § 7 Abs. 1 des Gruppenversicherungsvertrages in Verbindung mit § 12 Abs. 1 Satz 1 des Gruppenversicherungsvertrages und § 4 Abs. 1 Satz 1 d), S. 2 ARB 2009, denn das Versicherungsverhältnis hätte frühestens durch die außerordentliche Kündigung – deren Wirksamkeit unterstellt – vom 05.07.2016 gemäß § 12 Abs. 1 ARB 2009 enden können.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, welcher sich die Kammer anschließt, kommt es zur Bestimmung des den Versicherungsfall auslösenden Ereignisses darauf – an, welche Verstöße der Versicherungsnehmer im Ausgangsverfahren – im Gegensatz zum Deckungsprozess – geltend macht. Der Verstoß müsse den „Keim eines Rechtsstreites“ in sich tragen. (BGH, Urteil vom 28. September 2005 – IV ZR 106/04 – Rn. 25, juris) Dabei genügt grundsätzlich die bloße Behauptung eines Rechtsverstoßes (BGH, Urteil vom 24. April 2013 – IV ZR 23/12 – VersR 2013, 899, 900), da bereits eine solche Behauptung ausreicht, um den Eröffnungsrechtsstreit zu beginnen. (Prölss/Martin-Armbrüster, VVG, 29. Auflage 2015, ARB 2010 § 4 Rn. 41) An die Substantiiertheit der Behauptung des Verstoßes sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Denn, ob sich die Behauptung auch als begründet herausstellt, ist ja gerade die im Ausgangsrechtsstreit zu klärende Frage. Der BGH wendet das sogenannte „3-Säulen-Modell“ an. (BGH, Urteil vom 19. November 2008 – IV ZR 305/07 – VersR 2009, 109, 110) Das vom Kläger behauptete Verhalten seines Vertragspartners muss danach – erstens – einen objektiven Tatsachenkern besitzen, mit dem der Kläger – zweitens – einen Rechtsverstoß verbindet, auf den er – drittens – seine Interessenwahrnehmung im Ausgangsverfahren stützt. (BGH, Urteil vom 19. November 2008 – IV ZR 305/07 – VersR 2009, 109, 111; Rüffer/Halbach/Schimikowski-Münkei, Versicherungsvertragsgesetz 3. Auflage 2015 ARB 2010 § 4 Rn. 7) Alle drei Kriterien sind vorliegend erfüllt. Der Kläger wirft der Generell eine unberechtigte fristlose Kündigung, sowie die Verweigerung von Auskunft und Zahlung eines Ausgleichs nach § 89b Abs. 1 HGB vor. Diese Verhaltensweisen sind unabhängig von der rechtlichen Einordnung tatsächlich gegeben. Daraus leitet der Kläger auch Rechtsverstöße ab. Eine (unberechtigte) Kündigung, sowie die (ebenfalls unberechtigte) Verweigerung von Ausgleichszahlungen stellen Verletzungen des Handelsvertreterverhältnisses dar.

Der Kläger stützt seine Interessenwahrnehmung im Ausgangsprozess maßgeblich auf die fristlose Kündigung vom 05.07.2017. Die fristlose Kündigung vom 05.07.2016 ist (mit-)ursächlich für die rechtliche Auseinandersetzung des Klägers mit der […]. Dies reicht aus.

Grundsätzlich muss der behauptete Verstoß den Rechtskonflikt verursacht haben. (BGH, Urteil vom 28. September 2005 – IV ZR 106/04 – Rn. 25, juris) Unbeachtlich sind solche Verstöße, die zwar erhoben werden, aber nur als Beiwerk („Kolorit“) zur Untermauerung des Rechtsverstoßes dienen. (BGH, Urteil vom 14. März 1984 – IVa ZR 24/82 – Rn. 24, juris; Rüffer/Halbach/Schimikowski-Münke, VVG, 3. Auflage 2015, ARB 2010 § 4 Rn. 7) Der behauptete Verstoß muss aber nicht zwingend (alleiniger) Hauptgegenstand des Ausgangsverfahrens sein; es reicht schon, wenn er „Anlass“ zu dem Rechtsstreit gegeben hat. (Prölss/Martin-Armbrüster, Versicherungsvertragsgesetz 29. Auflage 2015, ARB 2010 § 4 Rn. 48) Dabei ist bei einem Aktivprozess des Versicherungsnehmers, nicht nur der Vorwurf, den dieser gegenüber seinem Vertragspartner erhebt, sondern auch ein vom Vertragspartner behaupteter Verstoß des Versicherungsnehmers zu beachten, der den Konflikt mit ausgelöst hat. (Matusche/Beckmann-Obarowski, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Auflage 2015, 2. Teil. Einzelne Versicherungszweige 4. Abschnitt. Schadensversicherung § 37. Rechtsschutzversicherung, Rn. 415; OLG Koblenz, Beschluss vom 17. April 2001 – 10 W 146/01 – r+s 2001, 509).

Der Beklagten ist zwar dahingehend zu folgen, dass es dem Kläger im Ausgangsverfahren primär um Auskunftserteilung sowie die Verwirklichung seines Ausgleichsanspruchs geht. (Anlage K9 S. 1, Anlage K10) Allerdings wird bereits im Klageentwurf vom 03.11.2016 deutlich, dass nach Ansicht des Klägers, die Rechtswidrigkeit der fristlosen Kündigung vom 05.07.2016 notwendige Anspruchsvoraussetzung im Hinblick auf § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB ist. Die fristlose Kündigung vom 05.07.2016 hat den Rechtsstreit um das Bestehen von Ansprüchen nach § 89b HGB geradezu vorprogrammiert. Dass eine fristlose Kündigung gegenüber einem Handelsvertreter (nicht zuletzt wegen § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB) einen Rechtsstreit um Ansprüche nach § 89b HGB nach sich zieht ist nicht ungewöhnlich. Eine zu kleinteilige Trennung der vom Kläger behaupteten Rechtsverstöße würde zudem der vom BGH vorgenommenen weiten Auslegung (so ausdrücklich BGH, Urteil vom 19. November 2008 – IV ZR 305/07 – VersR 2009, 109, 111) des § 4 Abs. 1 d) ARB 2009 nicht gerecht.

Der Versicherungsschutz des Klägers ist deshalb auch nicht durch eine Beendigung seiner Mitgliedschaft in der Interessenvertretung der selbständigen hauptberuflichen Vertreter der […] (IVHV) gemäß § 11 Nr. 1 der „Geschäftsordnung der Interessenvertretung der selbständigen hauptberuflichen Vertreter der […] (IVHV)“ (Anlage B2) nach § 8 des Gruppenversicherungsvertrages erloschen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Streitwert: 31.000,– €

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