Kunden sind bei der Vermittlung von Nettopolicen mit eigener Vergütungsvereinbarung auf die Gefahren eines Frühstornos hinzuweisen und wenn der Versicherungsmakler sich vom Kunden und vom Versicherer eine Courtage zahlen lässt, verwirkt er nach § 654 BGB regelmäßig seinen Vergütungsanspruch.

18 O 270/16 Urteil verkündet am 15. Oktober 2018 LG Köln Versicherungsmaklerrecht

Landgericht Köln
Im Namen des Volkes
Urteil

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

2 Die Klägerin nimmt die Beklagte auf restliche Vergütung für die Vermittlung eines Lebensversicherungsvertrages in Anspruch.

3 Die Klägerin ist Versicherungsmaklerin. Der Zeuge T ist als Vermittler für die Klägerin tätig. Auf Empfehlung des Zeugen T schloss die Beklagte am 28.02.2014 eine fondsgebundene Rentenversicherung bei der Q AG mit einer Beitragssumme von 133.200,– € ab. Als monatlicher Beitrag wurden 300,– € vereinbart, wobei in den ersten 60 Monaten ein reduzierter monatlicher Beitrag von 145,– € vereinbart wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf das Antragsformular vom 28.02.2014 (Anlage K 5, Bl. 62 ff. der Akte) Bezug genommen. Es handelt sich um eine so genannte Nettopolice, also um ein Vertragsmodell, bei dem die Vermittlungs- und Abschlusskosten – anders als bei Bruttopolicen – nicht vom Versicherungsunternehmen in die vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien eingerechnet werden. Am gleichen Tag schloss die Klägerin mit der Beklagten eine als „Einrichtungsauftrag“ bezeichnete separate Vergütungsvereinbarung über einen Betrag von 9.324,– €, der in 60 Monatsraten zu je 155,40 € gezahlt werden sollte. Wegen der Einzelheiten des Vertragsformulars wird auf die Anlage K 1 (Bl. 6 der Akte) verwiesen. Der Einzug der Monatsraten erfolgte durch die Q AG. Zur Sicherung der Ansprüche aus dem Einrichtungsauftrag trat die Beklagte gemäß den Formularbedingungen ihre Ansprüche gegen das Versicherungsunternehmen aus dem vermittelten Versicherungsvertrag an die Klägerin ab. Am selben Tag unterzeichnete die Beklagte außerdem eine Beratungsdokumentation, bezüglich deren Inhalt auf die Anlage K 6 (Bl. 65 ff. der Akte) Bezug genommen wird. In der Zeit von März 2014 bis Oktober 2015 zahlte die Beklagte die monatlichen Raten, im November zahlte sie einen reduzierten Betrag in Höhe von 153,80 €. Weitere Zahlungen leistete sie nicht. Insgesamt leistete die Beklagte Zahlungen in Höhe von 3.261,80 €. Mit Schreiben vom 02.05.2016 erklärte die Beklagte die Kündigung des Versicherungsvertrags und des Einrichtungsauftrags. Mit Schreiben vom 06.05.2016 teilte die Q AG im Namen der Klägerin der Beklagten mit, dass der Einrichtungsauftrag nicht gekündigt werden könne und dass die gesamte Restschuld fällig gestellt werde. Nach Abzug der geleisteten Zahlungen und nach Verrechnung des Rückkaufswerts aus der Lebensversicherung in Höhe von 302,60 € macht die Klägerin noch einen Betrag in Höhe von 5.759,60 € zzgl. 15,– € Mahnkosten und Rücklastschriftgebühren geltend.

4 Die Klägerin behauptet, die Beklagte sei durch den Zeugen T umfassend über die Besonderheiten der Nettopolice aufgeklärt worden, insbesondere darüber, dass die Kosten für die Vermittlung über den Einrichtungsauftrag auch im Falle einer frühzeitigen Beendigung oder Beitragsfreistellung des Versicherungsvertrags vollumfänglich zu begleichen seien. Sie ist der Ansicht, der Ausschluss des Kündigungsrechts bezüglich der Kostenvereinbarung sei bei einer Nettopolice zulässig. Eine wirtschaftliche Einheit der beiden Verträge liege nicht vor, sie ergebe sich insbesondere nicht daraus, dass der Versicherer den Forderungseinzug für sie übernommen habe.

5 Die Klägerin beantragt,

6 die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.744,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.07.2016 zu zahlen.

7 Die Beklagte beantragt,

8 die Klage abzuweisen.

9 Die Beklagte behauptet, sie habe vor dem Beratungsgespräch am 28.02.2014 keine Unterlagen von dem Zeugen T erhalten und sei somit nicht in der Lage gewesen, sich mit dem Produkt auseinanderzusetzen. Eine Aufklärung über die Besonderheiten einer Nettopolice sei nicht erfolgt, insbesondere sei sie nicht anschaulich darüber aufgeklärt worden, dass im Fall der Kündigung der Rentenversicherungspolice die im Einrichtungsauftrag enthaltene Vergütungsvereinbarung selbstständig bestehen bleibe. Ihr sei suggeriert worden, dass die Rentenversicherung jederzeit gekündigt werden könne und der Rückkaufswert ausgezahlt würde. Über die Gefahren eines Früh-Storno sei sie nicht aufgeklärt worden. Bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung hätte sie die Verträge nicht unterzeichnet. Sie ist der Ansicht, die beiden Verträge seien als wirtschaftliche Einheit zu sehen, so dass der Kündigungsausschluss bezüglich des Einrichtungsauftrags unwirksam sei.

10 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

11 Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 31.01.2018 (Bl. 85 der Akte) durch Anhörung der Beklagten und Vernehmung des Zeugen T. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.09.2018 (Bl. 85 ff. der Akte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13 Die zulässige Klage ist unbegründet.

14 Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf weitere Zahlungen aus dem Einrichtungsauftrag vom 28.02.2014.

15 Ein solcher Anspruch steht der Klägerin aus mehreren Gründen nicht zu. Denn es liegt sowohl eine Verwirkung des Honoraranspruchs gemäß § 654 BGB wegen treuwidriger Doppeltätigkeit vor als auch ein Anspruch der Beklagten auf Befreiung von der Zahlungsverpflichtung aus § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der der Klägerin obliegenden Aufklärungspflichten.

16 Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin für die Vermittlung des Lebensversicherungsvertrags sowohl mittels Einrichtungsauftrags eine Vergütung von der Beklagten erhalten hat als auch eine gegenüber der Beklagten nicht offengelegte Zusatzvergütung von der Q AG. Der Zeuge T hat im Termin diesbezüglich ausgesagt, dass er seinen Kunden nur Nettopolicenverträge vermittele und er für diese Vermittlungen von den verschiedenen Versicherungsgesellschaften immer die gleiche Provision bekomme, abhängig von der Beitragssumme der Versicherung. Bei einer Beitragssumme von etwa 133.000,– € gehe er davon aus, dass er für diesen Vertrag von der Q AG eine Abschlussprovision von ca. 2.300,– € erhalten habe, wobei es sich dabei nur um den Betrag handle, der bei ihm ankomme und er nicht wisse, was die Q AG an anderer Stelle (im Unternehmen der Klägerin) an Provision zahle.

17 Ein vom Versicherungsnehmer beauftragter Versicherungsmakler ist dessen Interessen- oder sogar Abschlussvertreter, hat ihm als Vertrauter und Berater individuellen Versicherungsschutz zu besorgen und weitgespannte Betreuungs- und Beratungsverpflichtungen (BGH NJW-RR 2007, 1503). Bietet der Makler eine Nettopolice an, bringt er konkludent zum Ausdruck, dass der Versicherungsnehmer bei erfolgreicher Vermittlung an ihn ein Vermittlerhonorar zahlen muss (Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 59, Rn. 84). Die Vermittlung einer Nettopolice unterscheidet sich gerade dadurch von der Vermittlung einer Bruttopolice, dass bei einer Bruttopolice typischerweise der Versicherungsvermittler eine Courtage von dem Versicherer erhält und der Versicherer diese Abschlusskosten dann in den durch den Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien an diesen weiterberechnet. Vor diesem Hintergrund erweckt ein Versicherungsmakler, der eine Nettopolice vermittelt, den Eindruck, dass er allein von dem Versicherungsnehmer entlohnt werde und von dem Versicherer keine Vergütung erhalte. Lässt er sich gleichwohl von dem Versicherer eine Courtage zahlen, ohne dies ausdrücklich gegenüber dem Versicherungsnehmer offenzulegen, verstößt er damit gegen seine Treuepflichten. Eine versteckte Entgegennahme einer Zusatzvergütung vom Versicherer führt daher regelmäßig zu einer Verwirkung des Honoraranspruchs gemäß § 654 BGB (Prölss/Martin, VVG, § 59, Rn. 88). Der Makler muss im Übrigen gemäß § 667 BGB alle Vorteile und damit insbesondere Gewinnbeteiligungen und Vermittlungsprovisionen an den Versicherungsnehmer herausgeben, die ihm im Zusammenhang mit der Geschäftsbesorgung für den Versicherungsnehmer vom Versicherer zugewandt werden (Prölss/Martin, VVG, § 59, Rn. 88).

18 Da die Klägerin die Beklagte nicht über die ihr von der Versicherungsgesellschaft gewährten Vorteile informiert hat, hat sie ihren Honoraranspruch verwirkt.

19 Daneben stünde der Beklagten zudem ein Anspruch auf Freistellung von den mit dem Einrichtungsauftrag eingegangenen Verbindlichkeiten gemäß § 280 Abs. 1 BGB zu, selbst wenn diese nicht verwirkt wären.

20 Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass die Beklagte weder in ausreichendem Maße noch rechtzeitig über die Besonderheiten einer Nettopolice in Verbindung mit dem Einrichtungsauftrag aufgeklärt worden ist.

21 Gemäß § 61 Abs. 1 VVG hat der Versicherungsvermittler den Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungssaufwand und zu zahlenden Prämien zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Gemäß § 60 Abs. 2 VVG hat der Versicherungsmakler, der auf eine eingeschränkte Auswahl hinweist, dem Versicherungsnehmer mitzuteilen, auf welcher Markt- und Informationsgrundlage er die Leistung erbringt und die Namen der dem Rat zugrunde gelegten Versicherer anzugeben. Gemäß § 62 Abs. 1 VVG sind dem Versicherungsnehmer die Informationen nach § 60 Abs. 2 und § 61 Abs. 1 VVG vor dem Abschluss des Vertrags klar und verständlich in Textform zu übermitteln. Eine mündliche Übermittlung ist zulässig, wenn der Versicherungsnehmer dies wünscht.

22 Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Beklagte die betreffenden Informationen nicht vor Abgabe der Vertragserklärung in Textform erhalten hat. Bereits der Umstand, dass sämtliche Dokumente am selben Tag unterzeichnet wurden, deutet darauf hin, dass die Beklagte alle Dokumente zusammen unterschrieben hat, also sowohl das Antragsformular als auch den Einrichtungsauftrag und die Beratungsdokumentation. Die Vernehmung des Zeugen T war insoweit unergiebig, als dass er keine Erinnerung mehr an den genauen Gesprächsinhalt der Gespräche mit der Beklagten oder auch nur an die Anzahl der Gespräche hatte. Die Beklagte selbst hat im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung glaubhaft angegeben, dass es insgesamt bei zwei persönlichen Treffen zu Gesprächen über den Vertrag gekommen sei und dazwischen es nur zu Telefonaten gekommen sei, bei denen die persönlichen Daten und die Beitragshöhe erörtert worden seien. Das erste persönliche Treffen, bei dem es um die Vermittlung der Rentenversicherung gegangen sei, habe an ihrem Arbeitsplatz stattgefunden. Sie habe aufgrund ihrer finanziellen Probleme in Folge der Trennung von ihrem Ehemann in einem Bordell gearbeitet und der Zeuge T sei dort Kunde gewesen. Man sei auf dessen berufliche Tätigkeit zu sprechen gekommen und daraufhin habe er ihr gesagt, dass er ihr etwas anbieten könne, um für später zu sparen, wobei es sich um eine private Rentenversicherung handeln sollte. Er habe ihr gesagt, sie könne jederzeit kündigen und es solle sich um einen Vertrag mit den geringsten Kosten handeln. Das zweite persönliche Gespräch habe bei McDonald’s stattgefunden. Zu diesem Treffen habe der Zeuge T die ausgedruckten Unterlagen dabei gehabt, die man noch um die Kontodaten ergänzt habe und die sie dann unterschrieben habe. Bei dem Gespräch bei McDonald’s habe sie dann alle Unterlagen ausgehändigt bekommen und später habe sie auch Post mit schriftlichen Unterlagen von der Versicherungsgesellschaft bekommen. Vor dem Gespräch bei McDonald’s habe sie indes keine schriftlichen Unterlagen erhalten. Die Beklagte wirkte im Rahmen ihrer Anhörung authentisch und sichtlich darum bemüht, sich an die Einzelheiten der betreffenden Vorgänge zu erinnern. Bezüglich der Abläufe hatte die Beklagte keine großen Schwierigkeiten, sich zu erinnern. Ihr Vorbringen steht auch nicht in Widerspruch zu den Angaben des Zeugen T. Dieser hat ausgesagt, dass die Kunden von ihm alle vorgesehenen Unterlagen im Zeitpunkt der Antragstellung erhalten würden, wobei es auch sein könne, dass die Antragstellung, die Überreichung der Unterlagen und die Vertragsunterzeichnung in einem Gespräch stattfinden würden. Im Rahmen der Gesamtwürdigung ist daher davon auszugehen, dass die Beklagte die Informationen nach §§ 60, 61 VVG nicht vor der Antragstellung erhalten hat.

23 Darüber hinaus waren die der Beklagten erteilten Informationen aber auch nicht ausreichend, um sie über die Besonderheiten einer Nettopolice aufzuklären. Zwar ist ein Makler üblicherweise verpflichtet, über das von ihm zu vermittelnde Versicherungsverhältnis umfangreich zu beraten, nicht jedoch über den vorgelagerten Maklervertrag selbst; liegen jedoch besondere Umstände vor, anhand derer der Makler davon ausgehen muss, dass der künftige Vertragspartner die Verhältnisse nicht durchschaut, ist er ausnahmsweise nach Treu und Glauben auch diesbezüglich zu weitergehender Aufklärung verpflichtet, insbesondere bei Anhaltspunkten für ein fehlerhaftes Verständnis oder eine besondere geschäftliche Unerfahrenheit (BGH NJW-RR 2007, 1503). Die Aufklärungspflicht erstreckt sich auch auf die Auswirkungen des Abschlusses einer Nettopolice im Fall einer vorzeitigen Kündigung, insbesondere muss deutlich auf den Umstand hingewiesen werden, dass der Kunde bei der Nettopolice auch dann zur Zahlung der vollen Vergütung verpflichtet bleibt, wenn der vermittelte Versicherungsvertrag nach kurzer Zeit beendet wird (OLG München NJOZ 2017, 1366 unter Verweis auf BGH NJW-RR 2015, 548). Ein Kunde, der nicht über vertiefte Kenntnisse im Versicherungsbereich verfügt, kann einem pauschalen vorgedruckten Hinweis auf die rechtliche Unabhängigkeit der Vergütungsvereinbarung auch bei vorzeitiger Beendigung des Versicherungsvertrags nicht entnehmen, dass er auch bei Beendigung des Versicherungsvertrags nach kurzer Zeit zur Zahlung der vollen Vergütung verpflichtet bleibt und damit erheblich schlechter gestellt wird als bei einer Bruttopolice (OLG München NJOZ 2017, 1366).

24 Zwar enthält das Formular für den Einrichtungsauftrag einen vorgedruckten Hinweis auf die Unabhängigkeit des Einrichtungsauftrags von dem Versicherungsvertrag und auch einen Hinweis darauf, dass auch bei Kündigung der Versicherung die Vergütung in voller Höhe zu zahlen ist. Dies war angesichts der besonderen Umstände hier jedoch nicht ausreichend. Vorliegend war für den Zeugen T erkennbar, dass bei der Beklagten ein überdurchschnittlich hohes Beratungsbedürfnis bestand. Ausweislich des Einrichtungsauftrags und der Versicherungsunterlagen ist die Beklagte rumänische Staatsangehörige. Im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung konnte das Gericht sich davon überzeugen, dass die Beklagte der deutschen Sprache zwar mächtig ist, jedoch mit deutlichem Akzent spricht, so dass bereits vor diesem Hintergrund ein größerer Aufklärungsbedarf besteht. Keinesfalls konnte der Zeuge T davon ausgehen, dass die Beklagte im Rahmen der Übergabe der Unterlagen und der Unterschriftsleistung den Inhalt der vorgedruckten Formulare zutreffend zur Kenntnis nehmen könnte. Insoweit ist es für einen Nichtmuttersprachler schwieriger, die in „Vertragsdeutsch“ formulierten Informationen richtig zu erfassen, als für einen Muttersprachler. In dem Antragsformular ist als Berufsbezeichnung der Beklagten „Masseurin“ angegeben und die Beklagte und der Zeuge T haben sich in einem Bordell kennengelernt. Auch dieser Umstand belegt, dass der Zeuge T bei der Beklagten nur unterdurchschnittliche wirtschaftliche bzw. juristische Kenntnisse voraussetzen konnte. Schließlich ergibt sich aus der Beratungsdokumentation, dort Seite 3 (Bl. 68 der Akte), dass die Beklagte nur über geringe Kenntnisse im Bereich verschiedener Geldanlageformen verfügte. Sofern sich dort der Hinweis auf gute Kenntnisse im Bereich der fondsgebundenen Lebensversicherung findet, bezieht sich dies auf den Riester-Vertrag, den die Beklagte nicht selbst, sondern mit ihrem Ehemann abgeschlossen hatte. Im Rahmen ihrer Anhörung hat die Beklagte angegeben, dass sie den Unterschied zwischen einem Versicherungsvertreter und einem Versicherungsmakler nicht kenne und damals außer einem Girokonto nur den Riester-Rentenvertrag gehabt habe. Auf die Frage, ob über den Rückkaufswert gesprochen worden sei, antwortete sie, dass sie das „alles“ nicht mehr wisse. Das Gericht hatte dabei den Eindruck, dass die Beklagte gar nicht wusste, was der Begriff Rückkaufswert genau bedeutet. Vor dem Hintergrund erscheint es auch plausibel, wenn die Beklagte angibt, sie habe den Vertrag bei dem Termin bei McDonald’s nicht mehr gelesen, sondern einfach unterschrieben und dem Zeugen T insoweit vertraut.

25 Selbst wenn der Zeuge T, wie nach seinem Bekunden im Rahmen seiner Beratungsgespräche üblich, die Beklagte darauf hingewiesen haben sollte, dass bei dem gewählten Vertragsmodell eine Kündigung in den ersten 5 Jahren wegen der Kosten nicht möglich sei, weil die Kosten immer gezahlt werden müssten, wäre dies nicht ausreichend gewesen. Abgesehen davon dass die Beklagte geschildert hat, der Zeuge T habe ihr gesagt, sie könne den Vertrag jederzeit kündigen, kann letztlich dahinstehen, ob dies zutrifft. Denn allein aus dem Hinweis, dass die Vergütungsvereinbarung nicht kündbar ist und auch im Falle einer Kündigung der Versicherung die Vergütung voll zu zahlen ist, konnte die Beklagte nicht den Schluss ziehen, was dies wirtschaftlich für sie bedeutet.

26 Die Beratungspflicht erstreckt sich im Falle der Vermittlung einer Nettopolice insbesondere darauf, dass der Kunde im Falle einer frühzeitigen Kündigung – anders als bei einer Bruttopolice – nicht nur keine Rückzahlung erhält, sondern darüber hinaus weitere Beträge zahlen muss und sich so deutlich schlechter stellt als beim Abschluss einer Bruttopolice (OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.03.2016 – 12 U 144/15; OLG München NJOZ 2017, 1366; OLG Hamm, Beschluss vom 23.08.2017 – 20 U 38/17). Der Versicherungsnehmer muss darauf hingewiesen werden, dass bei der Vermittlung von Nettopolicen weder der Schicksalsteilungsgrundsatz gilt noch die Mindestrückkaufswertregelung des § 169 Abs. 3 Satz 1 VVG oder das Abzugsverbot des § 169 Abs. 5 VVG zu beachten sind, weil der durchschnittliche Versicherungsnehmer häufig davon ausgehen wird, dass er im Falle eines Frühstorno einen Teil der Abschluss- und Vertriebskosten zurückerhält; bei einem anzustellenden Kostenvergleich zwischen Bruttopolice und Nettopolice muss auch das separat in Rechnung gestellte Honorar berücksichtigt werden (Prölss/Martin, VVG, § 59, Rn. 55).

27 Trotz des erhöhten Informationsbedürfnisses, dass für den Beklagten auch erkennbar war, ist eine Beratung im Sinne der vorgenannten Grundsätze nicht erfolgt. Die Beklagte hat im Rahmen ihrer Anhörung glaubhaft angegeben, dass bei den Gesprächen mit dem Zeugen T über andere Vertragsmodelle nicht gesprochen worden sei. Der Zeuge T hat insoweit selbst angegeben, dass er seinen Kunden nur Nettopolicen vermittele und dass er bei den Beratungsgesprächen von sich aus die Frage des Rückkaufswertes nicht anspreche. Entgegen der schriftlichen Beratungsdokumentation steht danach zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Zeuge T im Rahmen der Beratung der Beklagten keine wirkliche Gegenüberstellung von Bruttopolice und Nettopolice vorgenommen hat und sie insbesondere nicht darauf hingewiesen hat, dass im Falle eines Frühstornos eine Bruttopolice deutlich günstiger wäre als eine Nettopolice, weil die Beklagte dann wenigstens einen Teil der eingezahlten Beträge zurückerhalten könnte. Eine derartige Beratung war nicht nur vor dem Hintergrund der oben geschilderten allgemeinen Beratungspflichten angezeigt, sondern insbesondere auch deshalb, weil der Zeuge T wusste, dass die Beklagte als Prostituierte tätig war und insoweit nicht von einem langfristig gesicherten Einkommen ausgegangen werden konnte. Die Gefahr eines Frühstornos drängte sich danach auf. Entgegen der schriftlichen Beratungsdokumentation ist das Gericht daher überzeugt, dass die Beklagte sich nicht nach reiflicher Überlegung für eine Nettopolice und gegen eine Bruttopolice entschieden hat, weil es sich um den transparenteren Weg handelt und die Kosten geringer sind. In Ermangelung einer entsprechenden Beratung und der Vermittlung der dafür notwendigen Kenntnisse, konnte die Beklagte eine solche Wahl gar nicht treffen. Im Übrigen erscheint es auch zweifelhaft, ob die Aussage des Zeugen T, dass es sich bei einer Nettopolice um eine kostengünstigere Variante handle, wirklich zutrifft. Legt man die Angabe des Zeugen T zu Grunde, dass bei dem streitgegenständlichen Vertrag Gesamtkosten von etwa 15 % der Beitragssumme anfallen und bei einer Bruttopolice demgegenüber üblicherweise 20 %, spricht dies erst einmal für seine Aussage. Allerdings muss man auch berücksichtigen, dass sich im Rahmen von Bruttopolicen die Abschlussprovisionen üblicherweise im Bereich von 40 Promille der Beitragssumme bewegen (vergleiche Beenken/Schiller: Die Angemessenheit selbstständiger Vergütungsvereinbarungen in der Lebensversicherung, r+s 2015, 529, 536), was für den vorliegenden Vertrag bei einem Monatsbeitrag von 300,– € und 37 Jahren Laufzeit einem Betrag von 5.328,– € entsprechen würde. Die vorliegend vereinbarte Vergütung von 9.324,– € liegt deutlich darüber. Vor diesem Hintergrund dürfte der tatsächliche Kostenvorteil, wenn er sich denn überhaupt jemals realisiert, nicht so schwer ins Gewicht fallen.

28 Bereits wegen der vorgenannten Beratungspflichtverletzungen steht der Beklagten ein Anspruch auf Freistellung von der mit dem Einrichtungsauftrag eingegangenen Verbindlichkeit zu. Insoweit kommt es nicht mehr darauf an, dass die Beratungsdokumentation auch in sich Zweifel aufwirft. Denn typischerweise lässt sich ein vorsorgeorientiertes Anlageziel, mit dem die Sicherung des Lebensstandards im Alter verfolgt wird (Bl. 67 d.A.), nur schwer mit dem erhöhten Risiko einer wachstumsstarken Anlage in Einklang bringen. Auf die Frage, ob die Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden, kommt es ebenfalls nicht mehr an.

29 Da die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der Vergütung hat, besteht auch kein Anspruch auf Erstattung von Mahnkosten.

30 Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

31 Streitwert: 5.774,60 €

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