Nachvertragliche Wettbewerbsabrede gemäß § 90 a HGB, Karenzentschädigung

23 U 1474/12 Urteil verkündet am 8. November 2012 OLG München Wettbewerbsverbot und Konkurrenzverbot

Oberlandesgericht München
Im Namen des Volkes
Urteil

In dem Rechtsstreit
[…]
wegen Forderung
erlässt das Oberlandesgericht München – 23. Zivilsenat – durch […] auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 04.10.2012 folgendes
ENDURTEIL:

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts München I vom 13.03.2012, 16 HK O 2401/11, dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 156.006,35 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.08.2011 zu zahlen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in jeweils gleicher Höhe leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Der Kläger war für die Beklagte aufgrund Vertrags vom 19./24.092001 (Anlage K 2) als „Vertriebspartner“ tätig. Er macht mit seiner Klage Ansprüche auf Karenzentschädigung wegen eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots geltend.

§ 11 Abs. 6 des Vertrags vom 19./24.09.2001 lautet:

„Der Vertriebspartner verpflichtet sich, innerhalb von zwei Jahren nach Beendigung des Vertragsverhältnisses die Abwerbung und Ausspannung von Kunden/Beständen der Gesellschaft und ihrer Partnerunternehmen zu unterlassen. Je Verstoß wird eine Vertragsstrafe von DM 20.000,– fällig. Weitergehende Schadenersatzansprüche der Gesellschaft bleiben unberührt.“

Nachdem die Beklagte das Vertragsverhältnis zunächst mit Schreiben vom 14.01.2008 (Anlage k 3) zum 31.07.2008 gekündigt hatte, schlossen die Parteien unter dem 30.06/02.07.2008 eine Aufhebungsvereinbarung, mit der der bestehende Vertriebspartnervertrag „einschließlich aller Nachträge, Anlagen und Zusatzvereinbarungen mit sofortiger Wirkung aufgehoben“ werden sollte Hinsichtlich des weiteren Inhalts der Aufhebungsvereinbarung wird auf Anlage K 5 Bezug genommen.

Mit Anwaltsschreiben vom 22.07.2011 (Anlage K 7) machte der Kläger gegenüber der Beklagten Ansprüche auf Karenzzahlung in Höhe von 300.000,- € geltend und setzte insoweit eine Zahlungsfrist bis 17.08.2011. Die Beklagte wies mit Anwaltsschreiben vom 17.08.2011 (Anlage K 8) die Ansprüche zurück.

Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm aufgrund eines in § 11 Abs. 6 des Vertriebspartner-Vertrages enthaltenen nachvertraglichen Wettbewerbsverbots Ansprüche auf Karenzentschädigung gegen die Beklagte zustünden.

Der Kläger hat in erster Instanz beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 300.940,26 € nebst 8 % Zinspunkte über dem Basiszinssatz seit dem 18.08.2011 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie hat die Ansicht vertreten, § 11 des Vertriebspartner-Vertrages enthalte kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot, sondern lediglich eine Vertragsstrafenregelung. Wollte man die Klausel in § 11 Abs. 6 des Vertrages als Wettbewerbsabrede ansehen, sei diese zu weit gefasst und gemäß § 90 a Abs. 1, Satz 2, 2. Halbsatz, Abs. 4 HGB unwirksam. Da die Beklagte die Vertriebstätigkeit zum 30.06.2008 eingestellt habe, sei eine etwaige Wettbewerbsbeschränkung zudem als gegenstandslos zu betrachten. Jedenfalls hätten die Parteien auch diese Klausel mit ihrer Vereinbarung vom 30.06./02.07.2008 aufgehoben.

Die Beklagte hat bestritten; dass sich der Kläger an das von ihm behauptete Wettbewerbsverbot gehalten habe. Da er unmittelbar im Anschluss an den Aufhebungsvertrag im gleichen Vermittlungssortiment tätig geworden sei, müsse er der Beklagten Unterlagen zu jedem von ihm seit der Aufhebung des Vertragsverhältnisses vermittelten Geschäfts vorlegen, damit die Beklagte überprüfen könne, ob tatsächlich kein Verstoß vorliege. Der Beklagten stehe insoweit ein Auskunftsrecht zu, weshalb sie nach §§ 421, 424 ZPO beantragt hat, dem Kläger die Vorlage der entsprechenden Urkunden aufzuerlegen.

Schließlich hat die Beklagte auch die Höhe der geltend gemachten Entschädigung bestritten.

Entscheidungsgründe

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Parteien hätten ein etwaiges in § 11 des Vertriebspartner-Vertrages enthaltenes Wettbewerbsverbot jedenfalls mit der Vereinbarung vom 30.06./02.07.2008 aufgehoben. Dies entspreche dem erkennbaren Parteiwillen.

Hiergegen Wendet sich der Kläger mit seiner Berufung und verfolgt seine erstinstanzlichen Anträge weiter. Das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass mit der Aufhebungsvereinbarung vom 30.06./02.07.2008 auch das nachträgliche Wettbewerbsverbot aufgehoben werden sollte.

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Der Senat hat aufgrund Beschlusses vom 12.07.2012 über die Behauptung der Beklagten Beweis erhoben, zwischen den Parteien sei erörtert worden, dass nachvertraglich keinerlei Wettbewerbsbeschränkungen bestehen sollten, durch Einvernahme des Zeugen […] und die Parteieinvernahme des Klägers. Zudem wurde der Geschäftsführer der Beklagten angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 04.10.2012 Bezug genommen. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird ergänzend auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Hinsichtlich des Parteivorbringens wird ergänzend auf die in II. Instanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 12.07. und 04.10.2012.

2. Die zulässige Berufung führt zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils: Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Karenzentschädigung nach § 90a Abs. 1 Satz 3 HGB zu, der jedoch der Höhe nach hinter dem geltend gemachten Betrag zurückbleibt.
2.1. Der Kläger war aufgrund des Vertriebspartner-Vertrages damit betraut, für den Beklagten und ihre Partnerunternehmen Finanzprodukte zu vermitteln, und daher als Handelsvertreter tätig. Dies wird auch in § 1 des Vertrages durch Verweis auf die §§ 84 ff. HGB ausdrücklich klargestellt.

2.2. Die Klausel in § 11 Abs. 6 des Vertriebspartner-Vertrages, zielte darauf ab, den Kläger nach Beendigung des Vertragsverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit zu beschränken, und stellt daher eine Wettbewerbsabrede im Sinne des § 90a Abs. 1 Satz 1 HGB dar.
Die Beklagte kann sich demgegenüber nicht darauf berufen, die Bestimmungen stellten erkennbar allein auf die Verletzung der Regeln zulässiger Wettbewerbstätigkeit eines Handelsvertreters ab, so dass eine Wettbewerbsabrede nicht vorliege. Der Kläger weist insoweit zu Recht daraufhin, dass aus wettbewerbsrechtlicher Sicht das Abwerben von Kunden nicht grundsätzlich verboten ist (vgl. BGH, Urteil vom 22.04.2004, I ZR 303/01, Juris Tz. 11; BGH, Urteil vom 08.11.2001, I ZR 124/99, Juris Tz. 23). Wettbewerbswidrig wird ein Einbrechen in fremde Vertragsbeziehungen erst dann, wenn besondere Unlauterkeitsumstände hinzutreten. Diese können insbesondere im Missbrauch von anvertrauten Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen bestehen, vgl. § 90 HGB, § 17 UWG. Ein generelles Verbot des Abwerbens von Kunden des Unternehmers folgt jedoch aus diesen Vorschriften nicht. Auch aus den Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, auf die der Kläger unwidersprochen Bezug genommen hat, ergibt sich kein generelles Verbot der Ausspannung, also der absichtlichen Veranlassung der vorzeitigen Auflösung eines anderwärts bestehenden Versicherungsverhältnisses. Wie sich aus dem allgemeinen Teil, Ziffer C. V. 43, und dem Besonderen Teil, Ziffern A. L 48 und B. I. 65 der Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft ergibt, wird nur die Ausspannung mit unlauteren Mitteln oder auf unlautere Weise als unzulässig angesehen, beispielsweise wenn eine nach -den Umständen erforderliche Aufklärung über die mit der Vertragsbeendigung verbundenen Nachteile unterblieben ist.

In § 11 Abs. 6 des Vertriebspartner-Vertrages wird jedoch nicht nur die unlautere Abwerbung und Ausspannung von Kunden/Beständen der Gesellschaft und ihrer Partnerunternehmen unter Vertragsstrafe gestellt, sondern dem Kläger generell verboten. Es erfolgt auch keine Bezugnahme auf die Wettbewerbsrichtlinie Versicherungswirtschaft, aus der eine Einschränkung des Verbots eindeutig hervorginge. Dass in § 15 des Vertriebspartner-Vertrages der Erhalt der Wettbewerbsrichtlinien bestätigt wird, genügt insoweit nicht.

2.3. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf die Unwirksamkeit der Wettbewerbsabrede mit dem Argument berufen, diese verstoße gegen § 90a Abs. 1 Satz 2 HGB und sei daher nach § 90a Abs. 4 HGB nichtig.

Die Beklagte hebt insoweit darauf ab, dass der von der Klausel betroffene Kundenkreis weder örtlich noch spartenbezogen eingegrenzt sei. Nach Ansicht des Senats geht die Wettbewerbsabrede jedoch nicht über den dem Kläger nach dem Vertriebspartner-Vertrag zugewiesenen Bezirk oder Kundenkreis hinaus und steht daher mit § 90a Abs. 1 Satz. 2 HGB in Einklang. Der Kläger sollte seine Tätigkeit zwar schwerpunktmäßig in einem bestimmten räumlichen Zuständigkeitsgebiet ausüben (§ 2 des Vertrages), ein bestimmter Bezirk wurde dem Kläger aber nicht zugewiesen. Er war auch auf kein bestimmtes Kundenpotenzial festgelegt. Die in § 11 Abs. 6 genannten Partnerunternehmen der Beklagten sind in § 3 des Vertrages aufgeführt und gehören zu dem dem Kläger zugewiesenen Kunden- bzw. Produktkreis.

Selbst wenn man aber unterstellt, dass durch die vertraglich vorgesehene schwerpunktmäßige Konzentration des Klägers auf das zugewiesene Zuständigkeitsgebiet eine örtliche Beschränkung im Sinn des § 90a Abs. 1 Satz 2 HGB erfolgt wäre, verhilft dies dem Einwand der Beklagten nicht zum Erfolg.

Hätte es sich bei dem Vertriebspartner-Vertrag nämlich um eine Individualvereinbarung gehandelt, so hätte die Klausel in § 11 Abs. 6 des Vertrages entsprechend dem mutmaßlichen Parteiwillen dahingehend ausgelegt werden können, dass dieses gleichlaufend mit der örtlichen Zuweisung in § 2 des Vertrages nur für das dort genannte Betreuungsgebiet gelten sollte. Denn die Wettbewerbsabrede bezieht sich nicht explizit auf einen bestimmten örtlichen Geltungsbereich. Wollte man dies anders sehen und einen zu umfassenden räumlichen Bereich des Wettbewerbsverbots und damit einen Verstoß gegen § 90 a Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 annehmen, würde auch dies bei einer Individualvereinbarung nicht zu einer Unwirksamkeit der Klausel führen. Denn dann wäre zu prüfen, ob die zu weit gehende Vereinbarung insgesamt unwirksam ist oder ihr als „Minus“ eine zulässige räumliche Reichweite zu entnehmen ist, die der Wettbewerbsabrede unterliegt (vgl. Emde in Staub, HGB, 5. Aufl., § 20a Rz. 32 m.w.N.; noch weitergehend von Hoyningen-Huene in MünchKommHGB, 3. Aufl., § 90 a Rz. 29, wonach an die Stelle der unwirksamen Abrede generell die jeweils gesetzlich zulässige Regelung treten soll). Im vorliegenden Fall wäre eine entsprechende Zurückführung des räumlichen Geltungsbereichs der Wettbewerbsabrede möglich und entspräche auch den mutmaßlichen Parteiwillen.

Allerdings handelt es sich bei der Vertriebspartner-Vereinbarung vom 19.09./24.09.2001 nicht um eine Individualvereinbarung, sondern unstreitig um von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen. Daher wäre bei einer Auslegung des Inhalts des § 11 Abs. 6 des Vertrages im Sinn einer „kundenfeindlichsten Auslegung“ (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 305c Rz. 18) von einem unbeschränkten räumlichen Anwendungsbereich auszugehen. Eine geltungserhaltende Reduktion kommt bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht in Betracht (vgl. Palandt, a.a.O., § 306 Rz. 6). Auf diese sich speziell aus den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Vorschriften sich ergebende Unwirksamkeit der Wettbewerbsabrede kann sich die Beklagte als Verwenderin jedoch nicht berufen. Denn die §§ 305 ff. BGB erfassen nur vorformulierte Vertragsbedingungen, die von der anderen Partei bei Vertragsschluss gestellt. wurden (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Verwendung der Klausel muss dem Verantwortungsbereich des Gegners zuzurechnen, die Einbeziehung also auf dessen Veranlassung erfolgt sein. Die speziell für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Vorschriften schützen den Klauselverwender nicht vor den von ihm selbst eingeführten Formularbestimmungen (BGH, Urteil vom 02.04.1988, IX ZR 79/97, MW 1998, 2280, 2281).

Schließlich wäre die Klage selbst dann nicht erfolglos, wenn die Wettbewerbsabrede unwirksam wäre. Denn dann stünde dem Kläger gegen die Beklagte aufgrund der Verwendung der unwirksamen Klausel ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung vertragsbegleitender Treuepflichten nach § 280 BGB zu (vgl. Emde, a.a.O., § 90a Rz. 49). Entgegen der Ansicht der Beklagten wäre dieser Schadensersatzanspruch vorliegend nicht davon abhängig, dass der Kläger die Beklagte vergeblich zur Klarstellung und zum Verzicht auf die unwirksame Abrede hätte auffordern müssen. Es kann dahinstehen, ob bei individuell vereinbarten Wettbewerbsabreden eine entsprechende Verpflichtung unter dem Gesichtspunkt eines sonst gegebenen Mitverschuldens nach § 254 BGB bestehen kann. Hinsichtlich einseitig vom Unternehmer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen gestellter Klauseln kann eine derartige Pflicht jedenfalls nicht bestehen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Beklagten zitierten Kommentarstelle. Denn dort wird lediglich die Auffassung vertreten, die Schadensersatzpflicht trete „jedenfalls“ nach einer entsprechenden Rüge des Benachteiligten ein (Emde, a.a.O., § 90a Rz. 49). Der Schadensersatzanspruch bestünde mindestens in Höhe einer angemessenen Karenzentschädigung, entsprechend dem Schutzgedanken des § 90a HGB (vgl. Emde, a.a.O.).

2.4. Die Beklagte hat auch nicht nachweisen können, dass die Wettbewerbsabrede einvernehmlich mit der Aufhebungsvereinbarung vom 30.06.2008/02.07.2008 (Anlage K 5) aufgehoben wurde. Entgegen der Ansicht das Landgerichts ist der Inhalt der Aufhebungsvereinbarung insoweit nicht eindeutig.

Die Aufhebung, also die einvernehmliche Beendigung, des Vertriebspartner-Vertrages erfasst nicht automatisch auch die in diesem Vertrag beinhaltete nachvertragliche Wettbewerbsabrede, die nach Beendigung des Vertragsverhältnisses zur Anwendung gelangen sollte. Ausdrücklich erwähnt ist die Wettbewerbsabrede in der Aufhebungsvereinbarung nicht, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Vertragsstrafenregelung. Sie fällt auch nicht – zumindest nicht hinreichend eindeutig – unter die „Nachträge, Anlagen und Zusatzvereinbarungen“ zu dem Vertriebspartner-Vertrag, die ebenfalls aufgehoben werden sollten. Insoweit weist der Kläger zu Recht auf die §§ 13 und 15 des Vertriebspartner-Vertrages hin, die sich auf die Anlagen und dort enthaltenen Zusatzvereinbarungen beziehen […], aber keinen Bezug zu § 11 Abs. 6 des Vertrages herstellen. Als „Nachtrag“ zum Vertriebspartner-Vertrag kann die Wettbewerbsabrede ebenfalls nicht angesehen werden. Das Fehlen einer Abgeltungsklausel spricht vielmehr dagegen, dass die Parteien über den Regelungsinhalt der Ziffern 1 – 7 der Aufhebungsvereinbarung hinaus sämtliche sich möglicherweise noch aus den Regelungen im Vertrag vom. 19./24.09.2001 ergebende Ansprüche erledigen wollten.

Auch aus der durchgeführten Beweisaufnahme hat sich nicht zur Überzeugung des Senats ergeben, dass die Parteien mit der Vereinbarung vom 30.06./02.07.2008 auch die Wettbewerbsabrede aufheben wollten. Aus der Aussage des Zeugen […] ergibt sich nicht, dass er mit dem Kläger im Rahmen der Verhandlungen über die Aufhebungsvereinbarung über das Thema „Wettbewerbsabrede/Vertragsstrafe“ gesprochen hätte und diese Thematik in die Aufhebungsvereinbarung einbezogen werden sollten. Der Zeuge […] hatte den Auftrag seitens der Beklagten, sämtliche Aufhebungsverträge zu verhandeln. Nach der Schilderung des Zeugen […] lag die Intention der Beklagten bei Abschluss der Aufhebungsvereinbarung auch nicht darin, hinsichtlich der Thematik „Wettbewerbsabrede/Vertragsstrafe“ eine weitergehende Regelung zu treffen, als sie sich bereits aus den schon vorher ausgesprochenen Kündigungen gegenüber allen Mitarbeitern ergab. Der wesentliche Zweck der Aufhebungsvereinbarung lag in der im Vergleich zur Kündigung vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses. Auch nach der Aussage des Geschäftsführers der Beklagten wurde im Zusammenhang mit der Aufhebungsvereinbarung nicht über ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot gesprochen. Dies entspricht den Angaben des Klägers bei seiner Parteieinvernahme.

Das seitens der Beklagten im Zusammenhang mit den ausgesprochenen Kündigungen möglicherweise den Vertriebspartnern signalisiert wurde, dass sie sich nach Beendigung des Vertragsverhältnisses frei auf den Markt bewegen könnten, führt nicht dazu, dass eine Aufhebung der Wettbewerbsabrede ohne weiteres Inhalt der nur mit einem Teil der Vertriebspartner abgeschlossenen Aufhebungsvereinbarungen geworden wäre. Ein einseitiger, formloser Verzicht auf die Wettbewerbsabrede wäre rechtlich ohne Wirkung geblieben, § 90a Abs. 2 HGB. Die Aussage des Geschäftsführers der Beklagten gegenüber dem Kläger am Rande einer Versammlung in Kassel im Mai 2008, er „gehe davon aus“, dass bei Übertragung von Kunden der Partnerunternehmen der Beklagten an die neue Firma des Klägers von der Beklagten „nichts komme“, kann gleichfalls allenfalls als einseitiger Verzicht, nicht aber als übereinstimmende Aufhebung des Wettbewerbsverbots gewertet werden.

Eine Aufnahme der Wettbewerbsabrede in den Inhalt der Aufhebungsvereinbarung kann auch nicht aus dem Umstand gefolgert werden, dass der Kläger bei Abschluss der Vereinbarung um die Möglichkeit etwaiger Karrenzentschädigungsansprüche wusste, diese aber gegenüber der Beklagten nicht erwähnte. Im Sinne einer endgültigen und klaren Regelung der noch bestehenden beiderseitigen Verpflichtungen wäre dies vielleicht wünschenswert gewesen, zumal der Anspruch auf Karenzentschädigung grundsätzlich unmittelbar im Anschluss an die Beendigung des Handelsvertretervertrages entsteht und fällig wird (vgl. Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HBG, 2. Aufl. § 90a, Rz. 25). Eine Pflicht des Klägers, deren Versäumung zu ihm nachteiligen Rechtsfolgen führen könnte, bestand insoweit aber nicht, auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben, § 242 BGB. Aus dem Umstand, dass der Kläger erst im Juli 2011 mit Ansprüchen auf Karrenzentschädigung an die Beklagte herangetreten ist, kann schließlich ebenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit geschlossen werden, die Wettbewerbsabrede sei einvernehmlich aufgehoben worden.

2.5. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass durch die Einstellung ihrer Vertriebstätigkeit die Geschäftsgrundlage für die Wettbewerbsabrede entfallen wäre. Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot entfällt grundsätzlich nicht, wenn der Unternehmer nachträglich seinen Betrieb einstellt oder das Vertriebsprogramm umstellt (vgl. Emile, a.a.O., § 90a Rz. 59; Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl., § 90a R. 18). Somit bleibt auch die Entschädigungspflicht bestehen. Vorliegend kommt hinzu, dass die Wettbewerbsabrede auch nach Einstellung der eigenen Vertriebstätigkeit der Beklagten jedenfalls ihren Partnerunternehmen noch zugutekam. Nach unbestrittenem Vortrag des Klägers erhält die Beklagte zudem weiterhin aus den vermittelten Beständen Bestandsprovisionen, so dass insoweit auch, ein eigenes wirtschaftliches unmittelbares Interesse an der Einhaltung der Wettbewerbsabrede besteht.

2.6. Der Höhe nach schätzt der Senat nach § 287 ZPO die dem Kläger nach § 90a Abs. 1 Satz 3 zustehende angemessene Entschädigung für die zweijährige Dauer der Wettbewerbsbeschränkung auf 156.006,35 €. Dies entspricht. 30 % der durchschnittlichen Provisionseinnahmen des Klägers, aus den letzten 3 1/2 Jahren vor Beendigung des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien.

2.6.1. Die Parteien haben keine Vereinbarung zur Höhe der von der Beklagten zu leistenden Karenzentschädigung getroffen. Dies führt jedoch, anders als im Falle des mit einem Handlungsgehilfen vereinbarten Wettbewerbsverbots (§ 74 Abs. 2 HGB), nicht
zur Unverbindlichkeit der Wettbewerbsabrede. Vielmehr ergibt sich in diesem Fall der Anspruch auf angemessene Entschädigung unmittelbar aus § 90a Abs. 1 Satz 3 HGB und ist vom Gericht nach § 287 ZPO zu schätzen (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.1974, VII ZR 2/74, NJW 1975, 388; Emde a.a.O., § 90a R. 36).

Die Entschädigung muss der Höhe nach eine angemessene und billige Gegenleistung für das Wettbewerbsverbot bilden. Dabei sind bei der Bemessung der Entschädigung des Handelsvertreters die ihm durch den Wettbewerbsverzicht erwachsenen Nachteile und die dem Unternehmer dadurch zukommenden Vorteile zu berücksichtigen (BGH, a.a.O.). Maßgeblich sind insoweit regelmäßig die Umstände bei Vertragsende.

Indiz für den objektiven Wert des Wettbewerbsverbots und rechnerische Grundlage für die Ermittlung der Karenzentschädigung sind regelmäßig die durchschnittlichen Vergütungen des Handelsvertreters in den letzten Jahren, insbesondere die Durchschnittsprovisionen des Handelsvertreters aus der verbotenen Tätigkeit in den letzten 3 – 5 Jahren (Emile, a.a.O., § 90a, Rz. 37), sofern nicht der Handelsvertreter nachweist, dass ihm durch das Wettbewerbsverbot die konkrete Chance zu erheblich höheren Verdienstmöglichkeiten genommen wird oder der Unternehmer den Nachweis führt, dass der Handelsvertreter ohnehin nur noch geringere Einkünfte erzielt haben würde (Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl. § 90a.Rz. 24).

Vorliegend hat der Kläger seine Durchschnittseinkünfte aus dem Handelsvertreterverhältnis der Beklagten für die Zeit ab dem Jahr 2005 bis zur Vertragsaufhebung am 30.062008 mit 260.010,59 € angegeben. Das letzte halbe Jahr der Laufzeit des Vertragsverhältnisses ist dabei entgegen der Ansicht des Klägers mit in die Berechnung einzubeziehen, selbst wenn in diesem Zeitraum vom Kläger weniger Provisionen eiwirtschaftet werden konnten, weil er von dem Partneruntemehmen Commerzbank keine Kunden mehr zugewiesen bekam. Denn, zum einen war die Beklagte zu einer solchen Zuweisung nach dem Vertriebspartner-Vertrag nicht verpflichtet. Zudem fehlt konkreter Vortrag des Klägers dazu, wie viele Kunden die Commerzbank ihm konkret hätte zuführen können, so dass eine konkrete Bezifferung eines beim Kläger aufgrund der Umstellung des Vertriebsmodells eingetretenen Minderertrages nicht möglich ist. Dieser kann auch nicht ohne weiteres durch einen Vergleich mit den in den Vorjahren erzielten Provisionen ermittelt werden, da Abweichungen insoweit auch auf der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung beruhen können.

Soweit die Beklagte beanstandet, dass der Kläger bei der Berechnung seines Provisionseinkommens auch Bonifikationszahlungen mit einbezieht, kann der Senat dem nicht folgen. Denn auch die Bonifikationszahlungen sind, vom Kläger auf der Grundlage des Handfelsvertreterverhältnisses erwirtschaftete Vergütungsleistungen aus seiner Vermittlungstätigkeit, die durch die Wettbewerbsabrede eingeschränkt wird. Die von der Beklagten aufgeführten, an den Kläger gezahlten Kostenpauschalen wurden nach dem Vortrag des Klägers bei seiner Ermittlung der Durchschnittseinkünfte bereits ausgeklammert. Dem ist die Beklagte nicht mehr entgegengetreten, obwohl ihr insoweit eine konkrete Gegenrechnung möglich gewesen wäre. Sonstige Einwände gegen die Ermittlung der durchschnittlichen Einkünfte hat die Beklagte nicht erhoben, so dass der vom Kläger bezifferte Betrag der Schätzung zugrunde gelegt werden kann.

Eine feste Quote für die Ermittlung der Entschädigung gibt es nicht (vgl. Löwisch, a.a.O., § 90a Rz. 24). In der Literatur wird eine Karenzentschädigung von 75 % der Durchschnittsprovisionen der letzten 3 – 5 Jahre als in den meisten Fällen angemessen angesehen (Emile, a.a.O., § 90a Rz. 37). Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass dem Kläger nach § 11 Abs. 6 des Vertriebspartner-Vertrages lediglich das Abwerben bzw. Ausspannen von Kunden der Beklagten und ihrer Partnerunternehmen verboten war, er aber ansonsten im selben Vertriebssegment wie die Beklagte und ihre Partnerunternehmen nach Beendigung des Vertriebspartner-Vertrages vermittelnd tätig werden konnte. Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot war daher gegenüber den Beschränkungen, die während der Vertragslaufzeit galten (vgl. § 1 Abs. 3 des Vertriebspartner-Vertrages) wesentlich eingeschränkt. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Beklagte ihre eigene Vertriebstätigkeit zum Zeitpunkt der Aufhebungsvereinbarung einstellte, so dass das Wettbewerbsverbot für sie nicht die gleiche wirtschaftliche Bedeutung hatte, wie während der Vertragslaufzeit, auch wenn positive Effekte für die Beklagte und ihre Partnerunternehmen auch weiterhin möglich waren (vgl. dazu oben Ziffer 2.5.).

Dem Senat erscheint daher unter Berücksichtigung aller erkennbaren relevanten Umstände eine Entschädigungsleistung in Höhe von 30 % der in den letzten 3 1/2 Jahren vor Vertragsbeendigung erzielten durchschnittlichen Einnahmen angemessen.

Eine Anrechnung der vom Kläger im Karenzzeitraum erzielten Einkünfte findet nicht statt. § 74c HGB findet auf den Handelsvertreter keine – auch nicht entsprechende – Anwendung (Emde, a.a.O., § 90 a, Rz. 37 m.w.N.). Zwar kann der anderweitige Verdienst des Handelsvertreters im Karenzzeitraum ein Faktor bei der Ermittlung der Höhe der angemessenen Entschädigung sein (BGH, Urteil vom 19.12.1974, VII ZR 2/74, NJW 1975, 338). Vorliegend gibt es aber keine Anhaltpunkte dafür, dass das vom Kläger in der Karenzzeit erzielte Einkommen nicht hinreichend bereits durch den Ansatz von lediglich 30 % der zuvor erzielten Einkünfte berücksichtigt wurde. Umgekehrt ergibt sich aus den vom Kläger vorgetragenen Beträgen der in der Karenzzeit erzielten Einkünfte (35.018,45 € im 1. Jahr, 60.341,42 € im 2. Jahr) auch kein Grund für eine Erhöhung der angemessenen Entschädigung. Denn letztlich fehlt es an hinreichenden konkreten Anhaltspunkten dafür, dass dieser Einkommensrückschritt gerade auf dem Einhalten der Wettbewerbsabreden durch den Kläger beruhte. Daneben kommen auch andere Umstände, wie z. B. die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung als Ursache für die Einkommensentwicklung in Betracht.

2.6.2. Die Beklagte konnte keinen Verstoß des Klägers gegen die nachvertragliche Wettbewerbsabrede nachweisen, die zu einem Wegfall oder einer Kürzung der Karenzentschädigung führen könnte.

Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit bei der Beklagten (vgl. Emde, a.a.O., § 90a, Rz. 72). Der Kläger ist nicht verpflichtet, sämtliche von ihm seit der Aufhebung des Vertriebspartner-Vertrages vermittelten Geschäfte offen zu legen. Der Beklagten steht insoweit auch kein Auskunftsrecht zu, so dass sie nicht die Vorlage entsprechender Unterlagen nach §§ 421, 424 ZPO verlangen kann. Dem entsprechenden Antrag der Beklagten konnte daher nicht entsprochen werden.

3. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 und 543 Abs. 2 ZPO.

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Vertriebspartner (1) Treuepflichten (4) nachvertragliches Wettbewerbsverbot (8) Karenzentschädigung (8)