Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers nach außerordentlicher Kündigung wegen Auflösungsverschuldens des Arbeitgebers; Vergütungsausfall; Bestandsschutz; Kündigung des Arbeitsvertrages

8 AZR 739/00 Urteil verkündet am 26. Juli 2001 BAG Ansprüche bei und nach Vertragsende, Kündigung

Bundesarbeitsgericht
Im Namen des Volkes
Urteil

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 27. Juli 2000 – 19 Sa 44/99 – aufgehoben, soweit das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben und über die Kosten entschieden hat.

Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatz wegen behaupteten Auflösungsverschuldens der Beklagten, nachdem der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 5. März 1996 fristlos gekündigt und sich Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB vorbehalten hat.
Der Kläger war seit 1992 als Beauftragter für den Omnibusverkauf angestellt. Ihm war die Verkaufsniederlassung M. zugewiesen. Sein Gehalt setzte sich aus einem Fixum und Provisionen zusammen. Seit November 1995 hatte der Kläger die Beklagte zweimal vergeblich zur Zahlung von Provisionen aufgefordert. Mit Schreiben vom 15. Februar 1996 forderte er die Zahlung von Ausgleichsprovisionen für verschiedene Zeiträume des Jahres 1994 in Höhe von 3.869,19 DM spätestens mit der Februarabrechnung. Am 23. Februar 1996 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass einige bei ihm verbliebenen Kunden aus anderen Niederlassungen seiner Zuständigkeit entzogen würden; außerdem wurden ihm auch einzelne Gebiete der Verkaufsniederlassung M. entzogen. Auf ein Schreiben des Klägers vom 29. Februar 1996, in dem er darauf hinwies, dass er diese Vorgehensweise für eine unzulässige Teilkündigung halte, die für ihn einen wichtigen Grund zur Kündigung darstelle, reagierte die Beklagte nicht. Daraufhin kündigte der Kläger am 5. März 1996 fristlos.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat demgegenüber festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger allen aus der außerordentlichen Kündigung entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe ein Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB zu, weil seine außerordentliche Kündigung durch vertragswidriges und schuldhaftes Verhalten der Beklagten veranlasst worden sei …

B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Auf Grund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann dem Kläger ein Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB nicht zugesprochen werden. Ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB ist bislang nicht in ausreichendem Maße festgestellt. Im Übrigen wäre ein Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB zeitlich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist einer fiktiven ordentlichen Kündigung zu begrenzen, zu dem allerdings eine den Verlust des Bestandsschutzes ausgleichende angemessene Entschädigung entsprechend §§ 9, 10 KSchG hinzutreten kann …

Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch sind nicht dargetan.

II. Die haftungsbegründenden Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs des Klägers sind bislang nicht ausreichend festgestellt.

1. Als Anspruchsgrundlage kommt lediglich § 628 Abs. 2 BGB in Betracht. Hiernach ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer durch sein vertragswidriges schuldhaftes Verhalten die Kündigung des Arbeitsverhältnisses veranlasst hat. Da § 628 Abs. 2 BGB für durch selbst gewollte Vertragsbeendigung entgangene Erfüllungsansprüche als ein spezialgesetzlich geregelter Fall der positiven Vertragsverletzung angesehen werden kann (BAG 11. Februar 1981 7 AZR 12/79 AP KSchG 1969 § 4 Nr. 8, unter C I 3 der Gründe mit zustimmender Anm. Wolf; KR Weigand 5. Aufl. BGB § 628 Rn. 19), ist ein Anspruch aus positiver Vertragsverletzung daneben nicht zu prüfen.

2. Die Schadensersatzpflicht nach § 628 Abs. 2 BGB kann bei jeder Vertragsbeendigung, für die der andere Vertragsteil durch ein vertragswidriges schuldhaftes Verhalten den Anlass gegeben hat, entstehen (BAG 11. Februar 1981 7 AZR 12/79 AP KSchG 1969 § 4 Nr. 8). Dabei muss das für den Schadensersatz erforderliche „Auflösungsverschulden“ des Vertragspartners das Gewicht eines wichtigen Grundes i. S. d. § 626 BGB haben. Nur derjenige kann Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB fordern, der auch wirksam hätte fristlos kündigen können, denn aus dem Zusammenhang der Absätze 1 und 2 ergibt sich die gesetzliche Wertung, dass nicht jede geringfügige schuldhafte Vertragsverletzung, die Anlass für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewesen ist, die schwer wiegende Folge des § 628 Abs. 2 BGB nach sich zieht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG 11. Februar 1981 7 AZR 12/79 a.a.O., zu C I 2 der Gründe).

3. Die Würdigung des Berufungsgerichts, dass ein wichtiger Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB vorlag, kann nach ständiger Rechtsprechung vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüft werden. Zu prüfen ist allerdings, ob der Sachverhalt unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben, und ob bei der erforderlichen Interessenabwägung alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls daraufhin überprüft worden sind, ob es dem Kündigenden unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis bis zur ordentlichen Beendigung bzw. Beendigungsmöglichkeit fortzusetzen. Die Bewertung der für und gegen die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sprechenden Umstände liegt weitgehend im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz. Hält sich die Interessenabwägung im Rahmen des Beurteilungsspielraums, kann das Revisionsgericht die angegriffene Würdigung nicht durch seine eigene ersetzen (ständige Rechtsprechung, BAG 29. Januar 1997 2 AZR 292/96 BAGE 85, 114 = BB 97, 1420; 5. Februar 1998 2 AZR 227/97 BAGE 88, 10 = BB 99, 1330). Auch dieser eingeschränkten Überprüfung halten die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts nicht stand …

Provisionsrückstand als wichtiger Grund zur Kündigung

c) Zu Recht rügt die Revision allerdings die Wertung des Landesarbeitsgerichts, der Provisionsrückstand habe als wichtiger Grund die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gem. § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. Hierzu bedarf es weiterer Feststellungen und ggf. einer erneuten Interessenabwägung.

aa) Zutreffend geht das Berufungsgericht zwar davon aus, dass ein Gehaltsrückstand an sich geeignet sein kann, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Nichtzahlung des Lohnes eine nicht unerhebliche Höhe erreicht oder der Verzug mit der Lohnzahlung sich über einen erheblichen Zeitraum hinweg erstreckt und der Arbeitnehmer diesen Fehler abgemahnt hat (BAG 24. April 1980 3 AZR 985/77 n. v.; 25. September 1980 3 AZR 119/78 n. v.; LAG Köln 23. September 1993 10 Sa 587/93 LAGE BGB § 626 Nr. 73; LAG Hamm 29. September 1999 18 Sa 118/99 NZA RR 00, 242; KR Fischermeier 5. Aufl. BGB § 626 Rn. 467; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz 7. Aufl. Rn. 589). Allerdings können auch Rückstände mit kleinen Lohnbeträgen zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigen, wenn der Arbeitgeber den Lohn willkürlich oder ohne nachvollziehbare Begründung hartnäckig verweigert (vgl. schon BAG 25. Juli 1963 2 AZR 510/62 BAGE 14, 266 = BB 63, 1137).

bb) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, es sei angesichts der Hartnäckigkeit der Beklagten unerheblich, dass der Gehaltsrückstand im Verhältnis zum Jahreseinkommen des Klägers relativ geringfügig sei. Dies überzeugt nicht. Der streitige Provisionsrückstand betrug mit 3.869,19 DM angesichts eines Jahresgehaltes von ca. 130.000,00 DM deutlich weniger als die Hälfte eines Monatsgehalts und war gemessen am Gesamteinkommen geringfügig. Damit kommt dem Grund für die Nichtzahlung des Provisionsbetrags erhebliche Bedeutung zu. Das Landesarbeitsgericht hat nicht ausgeführt, welche Verhaltensweise der Beklagten es im Einzelnen als „hartnäckig“ subsumiert. War aus Sicht der Beklagten die Zahlungsverweigerung berechtigt, handelte sie weder willkürlich noch hartnäckig. Das Landesarbeitsgericht wird daher die näheren Umstände noch aufzuklären haben, die zur Zahlungsverweigerung der Beklagten führten.

Eine Interessenabwägung ist erforderlich.

cc) Auch wenn man den Provisionsrückstand als an sich geeigneten wichtigen Grund i. S. d. § 626 BGB anerkennt, rechtfertigt das nicht ohne weiteres eine fristlose Kündigung. Vielmehr bedarf es der fallbezogenen Abwägung aller für und gegen die sofortige Lösung des Arbeitsverhältnisses sprechenden Umstände im Einzelfall im Rahmen einer Interessenabwägung (BAG 30. Mai 1978 2 AZR 630/76 BAGE 30, 309, 313 f. = BB 78, 1310; 15. November 1984 2 AZR 613/83 AP BGB § 626 Nr. 87 = EzA BGB § 626 n. F. Nr. 95, zu III a der Gründe = BB 85, 1817). Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Interessenabwägung halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Das Landesarbeitsgericht hat insoweit keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Es hat lediglich pauschal die Wertung getroffen, angesichts der Hartnäckigkeit des bisherigen Verhaltens müsse der Kläger gewärtigen, dass die Beklagte auch in Zukunft ohne jeglichen sachlichen Grund bestehende Ansprüche nicht erfülle und er somit zur Durchsetzung seiner Forderungen und zur Vermeidung einer Verjährung seiner Ansprüche „immer wieder“ gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen müsse. Dabei hat es aber weder Bezug genommen auf den relativ kurzen Zeitraum von etwa sieben Wochen bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit noch aufgeklärt, wie häufig der Kläger bereits seine rückständigen Provisionsansprüche in dem seit 1991 bestehenden Arbeitsverhältnis hat anmahnen oder gerichtlich durchsetzen müssen. Es finden sich auch keine Feststellungen, warum es dem Kläger angesichts der bereits seit ca. 1 ½ Jahren bestehenden Provisionsrückstände aus 1994 sowie im Hinblick auf die relativ geringe Höhe im Verhältnis zum Gesamtjahreseinkommen im Kündigungszeitpunkt nicht zuzumuten gewesen sein soll, seine Provisionsrückstände einzuklagen oder zumindest eine ordentliche Kündigung zum 30. April 1996 auszusprechen …

Die Wahrung der Zweiwochenfrist ist auch vom Arbeitnehmer zu beachten.

d) Der Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB setzt weiter die Wahrung der Zwei Wochen Frist des § 626 Abs. 2 BGB voraus (BAG 22. Juni 1989 8 AZR 164/88 AP BGB § 628 Nr. 11 = EzA BGB § 628 Nr. 17 = BB 90, 425).

Auch insoweit ist der Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die Frist sei gewahrt, nicht beizupflichten. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht zwar angenommen, dass die Ausschlussfrist auch auf die Kündigung durch den Arbeitnehmer anzuwenden ist (KR Fischermeier 5. Aufl. BGB § 626 Rn. 311). Die weitere Feststellung, die Ausschlussfrist beginne in jedem Fall erst mit Ablauf der vom Kläger gesetzten Frist zur Zahlung der rückständigen Vergütung, also mit Abrechnung der Februarvergütung frühestens Ende Februar 1996 zu laufen, so dass mit Zugang der Kündigung am 8. März 1996 die Frist eingehalten gewesen sei, differenziert aber nicht in ausreichendem Maße zwischen abgeschlossenen Sachverhalten und Dauertatbeständen.

Nach § 626 Abs. 2 BGB beginnt die Ausschlussfrist mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Hierbei ist zu unterscheiden, ob der Kündigungsgrund aus einem in sich abgeschlossenen Lebenssachverhalt hergeleitet wird oder aus einem sog. Dauertatbestand. Ein Dauertatbestand liegt vor, wenn fortlaufend neue kündigungsrelevante Tatsachen eintreten, die zur Störung des Arbeitsverhältnisses führen. In derartigen Fällen ist die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten, wenn bis in die letzten zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung der Dauertatbestand angehalten hat und damit die Störung des Arbeitsverhältnisses noch nicht abgeschlossen war (vgl. BAG 25. Februar 1983 2 AZR 298/81 AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 14 = EzA BGB § 626 n. F. Nr. 83 = BB 83, 1922; 21. März 1996 2 AZR 455/95 AP BGB § 626 Krankheit Nr. 8 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 10 = BB 96, 1722; 22. Januar 1998 2 ABR 19/97 AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 38 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 11 = BB 98, 1231).

Bleibt der Arbeitgeber mit Lohnzahlungen längere Zeit im Rückstand, so kann es sich zwar um einen echten Dauertatbestand handeln mit der Folge, dass die Ausschlussfrist erst mit Beendigung dieses Zustandes beginnt. Der Pflichtverstoß bei Zahlungsverzug setzt sich mit jedem weiteren Tag fort, und je länger der Verzug dauert, desto gewichtiger ist das Fehlverhalten des Arbeitgebers. Oft wird der Grad der Pflichtwidrigkeit erst nach einer längeren Verzugsdauer so gravierend, dass der Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für nicht zumutbar hält. Die Dauer der negativer Auswirkungen gehört deshalb i. d. R. mit zu den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen, auf deren Kenntnis § 626 Abs. 2 BGB für den Fristbeginn abstellt. Um einen abgeschlossenen Kündigungssachverhalt mit Fortwirkung handelt es sich dagegen, wenn der Arbeitnehmer aus bestimmten Vorgängen den Vorwurf herleitet, die Vertrauensgrundlage sei nachhaltig zerstört oder es bestünden nach wie vor ohne Hinzutreten weiterer Ereignisse Zweifel an der Zahlungswilligkeit des Arbeitgebers.

Ob ein Vertrauensverlust oder eine fehlende Bereitschaft zur Zahlung zustehender Ansprüche vorliegt, ist eine Schlussfolgerung, die auf Grund bestimmter Tatsachen vorzunehmen ist (vgl. auch KR Fischermeier 5. Aufl. BGB § 626 Rn. 328). Nicht die Ergebnisse einer solchen Würdigung, sondern die Vorgänge, die eine solche Beurteilung rechtfertigen, sind die maßgebenden Tatsachen i. S. d. § 626 Abs. 2 BGB (BAG 17. August 1972 2 AZR 359/71 BAGE 24, 383 = BB 73, 385). Aus diesem Grunde müssen in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Arbeitnehmer zunächst trotz bereits wiederholter Zahlungsablehnung weiter zuwartet, besondere Darlegungen erfolgen, warum erst zum Zeitpunkt der Abmahnung bzw. Kündigung der vorher hingenommene Zahlungsrückstand plötzlich als Kündigungsgrund relevant geworden ist. Allein die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten, da ihm nach der Abmahnung vom 14. Februar 1996 frühestens am 29. Februar 1996 bekannt gewesen sei, dass die Beklagte nach wie vor die Zahlung ohne Begründung verweigere, erklärt nicht, warum der Kläger erst auf Grund dieses Fristablaufs und nicht bereits nach der ihm Ende November 1995 mitgeteilten Zahlungsablehnung eine außerordentliche Kündigung erwogen hat. Hatte die Beklagte wofür vieles spricht im November endgültig die Zahlung der vom Kläger begehrten Provision verweigert, so lief von diesem Zeitpunkt an die Ausschlussfrist, ohne dass es einer weiteren Abmahnung durch den Kläger bedurfte. Auch hierzu hat das Landesarbeitsgericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen …

Der Schadensersatzanspruch ist zeitlich begrenzt.

III. Sollte das Landesarbeitsgericht auf Grund der weiteren Feststellungen zu dem Ergebnis kommen, dass dem Kläger ein Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB zusteht, wird es zu beachten haben, dass dieser Schadensersatzanspruch zeitlich begrenzt ist. Nach dem Zweck der Norm beschränkt sich der Anspruch grundsätzlich auf den dem kündigenden Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist einer fiktiven Kündigung entstehenden Vergütungsausfall, zu dem allerdings eine den Verlust des Bestandsschutzes ausgleichende angemessene Entschädigung entsprechend §§ 9, 10 KSchG hinzutreten kann.

1. Der Ersatz des Auflösungsschadens umfasst grundsätzlich die Pflicht, den Anspruchsberechtigten so zu stellen, wie er bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses stehen würde (§§ 249 ff. BGB), denn der Anspruch aus § 628 Abs. 2 BGB geht auf das volle Erfüllungsinteresse (KR Weigand 5. Aufl. BGB § 628 Rn. 8; MünchKomm/ Schweidtner 3. Aufl. BGB § 628 Rn. 20; Staudinger/Preis BGB 13. Aufl. § 628 Rn. 45).
2. Einigkeit besteht, dass der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist den entgangenen Verdienst als Schadensposten beanspruchen kann. Umstritten ist, ob der Schadensersatzanspruch darüber hinausgeht.

a) Der Bundesgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung sowohl für den insoweit gleich lautenden § 89 a Abs. 2 HGB als auch für § 628 Abs. 2 BGB davon aus, dass der Schadensersatzanspruch zeitlich bis zum Ablauf, zu dem der andere Vertragspartner ordentlich kündigen könnte bzw. bis zu dem vereinbarten Vertragsende begrenzt ist (BGH 3. März 1993 VIII ZR 101/92 BGHZ 122, 9 = EzA § 89 a HGB Nr. 1 m.w.N. = BB 93, 883). Die zeitliche Begrenzung der Schadensersatzpflicht sei durch den Schutzzweck der Norm geboten. § 89 a HGB und § 628 Abs. 2 BGB verpflichteten nur zum Ersatz des so genannten „Verfrühungsschadens“. Dies soll dem Kündigenden ersparen, ein unzumutbar gewordenes Vertragsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder der vereinbarten Beendigung fortsetzen zu müssen. Insbesondere mit einer fristgerechten Kündigung des anderen Teils müsse der Partner immer rechnen (BGH 3. März 1993 VIII ZR 101/92, BB 93, 883 unter II 3 a cc der Gründe).

Entsprechend hat auch das Bundesarbeitsgericht zumindest in den Fällen einer durch den Arbeitnehmer verschuldet veranlassten Kündigung des Arbeitgebers eine Beschränkung der Schadensersatzpflicht nach § 628 Abs. 2 BGB vorgenommen (BAG 27. Januar 1972 2 AZR 172/71 AP BGB § 252 Nr. 2 = BB 72, 839; 9. Mai 1975 3 AZR 352/74 AP BGB § 628 Nr. 8, unter II 2 a der Gründe = SAE 76, 216, 219 mit zustimmender Anm. Hadding = BB 75, 1112; unklar BAG 23. August 1988 1 AZR 276/87 BAGE 59, 242, 252 = BB 88, 2387).

b) Nach anderer Ansicht, der das Landesarbeitsgericht in seiner Entscheidung gefolgt ist, wird eine zeitlich unbeschränkte Schadensersatzpflicht für den Anspruch des Arbeitnehmers im Hinblick auf die Vorschriften des KSchG differenzierend zumindest dann vertreten, wenn bei einem unbefristeten Arbeitsverhältnis für den Geschädigten Kündigungsschutz besteht (Nikisch I 3. Aufl. S. 854; Trinkner BB 66, 1025, 1027; KR Weigand 5. Aufl. BGB § 628 Rn. 35; Soergel/Kraft BGB 12. Aufl. § 628 Rn. 16; Roeper DB 70, 1489; MünchKomm/Schwerdtner 3. Aufl. BGB § 628 Rn. 20; Stahlhacke/Preis/Vossen a.a.O. Rn. 495; Staudinger Preis BGB 13. Aufl. § 628 Rn. 48). Der Arbeitgeber soll später einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG geltend machen können (so ausdrücklich: Erman Belling BGB 10. Aufl. § 628 Rn. 30; RGRK Corts 12. Aufl. BGB § 628 Rn. 42, 50). Eine zeitliche Beschränkung auf eine fiktive fristgerechte Kündigung sei unangemessen, da eine arbeitgeberseitige Kündigung gem. § 1 KSchG dann rechtsunwirksam ist, wenn Gründe vorliegen, welche die soziale Rechtfertigung i. S. d. § 1 KSchG ausschließen. Der Arbeitnehmer soll vorbringen können, dass es ohne das vertragswidrige Verhalten nicht zu einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses, auch nicht durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers gekommen wäre. § 10 KSchG sei eine Ausnahmevorschrift und nicht ohne weiteres einer analogen Anwendung außerhalb des Kündigungsschutzprozesses fähig, so dass eine Beschränkung auf die Höchstgrenzen des § 10 KSchG nicht zulässig sei.

Zum Ersatz des Vergütungsausfalls kann eine angemessene Entschädigung hinzukommen.

c) Im Hinblick auf diese Bedenken will ein Teil der Literatur den Schutzzweck des § 628 Abs. 2 BGB neu bestimmen. Der Arbeitnehmer verzichte durch die von ihm ausgesprochene außerordentliche Kündigung selbst auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses und auf den Schutz des Kündigungsschutzgesetzes. Er begebe sich damit in die gleiche Situation wie ein Arbeitnehmer, der nach Ausspruch einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers im deswegen geführten Kündigungsschutzprozess einen Auflösungsantrag nach § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG stellt. Dementsprechend sei der Schadensersatzanspruch zwar einerseits zu Gunsten des Arbeitgebers beschränkt. Dieser dürfe aber andererseits nicht dadurch besser gestellt werden, dass er anstatt eine unberechtigte außerordentliche Kündigung auszusprechen und damit ggf. abfindungspflichtig nach § 13 Abs. 1 Satz 3, §§ 9, 10 KSchG zu werden, durch vertragswidriges Verhalten den Arbeitnehmer zur außerordentlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses veranlasst (ErfK/Müller Glöge 2. Aufl. BGB § 628 Rn. 71 ff.; Röhsler DB 57, 358; Weiß JuS 85, 593, 595 f.; Gamillscheg Arbeitsrecht I 7. Aufl. S 446 ff.; Roeper DB 70, 1489; Gessert Schadensersatz nach Kündigung S 136 ff., 172, der dem Wortlaut der Norm grundsätzlich einen unbeschränkten Schadensersatzanspruch entnimmt, den er teleologisch reduzieren will).

d) Der zuletzt genannten Auffassung ist zu folgen. Der Schadensersatzanspruch ist zwar auf den Zeitraum der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist zu beschränken, zu dem Ersatz des Vergütungsausfalles kann aber eine den Verlust des Bestandsschutzes ausgleichende angemessene Entschädigung entsprechend §§ 9, 10 KSchG hinzutreten.

aa) Die Zuerkennung eines „Endlosschadens“ entspricht weder dem Wortlaut der Norm noch ihrer Entstehungsgeschichte. Während in der ersten Kommission zum Entwurf des BGB der Antrag, dieser Norm eine auf die Kündigungsfristen bezogene Beschränkung beizufügen, abgewiesen wurde, wurde in der Beratung der zweiten Kommission ein entsprechender Unterantrag nur deswegen zurückgezogen, weil sich bei den Beratungen die Beteiligten darüber einig waren, dass der zum Schadensersatz Verpflichtete so zu behandeln sei, als wenn er seinerseits gekündigt habe, sobald dies nach der Kündigung des anderen Teils statthaft gewesen sei (vgl. Jakobs/Schubert Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs II 1980 §§ 626 628 S 814 bis 827). Es ging also um den sog. „Verfrühungsschaden“. Dies entsprach dem Umstand, dass mangels Bestehens eines Kündigungsschutzes jeder der Vertragsteile mit einer ordentlichen Kündigung des anderen immer rechnen musste. An dieser grundsätzlichen zeitlichen Begrenzung ist festzuhalten, auch wenn heute die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer eingeschränkt ist (siehe dazu aber sogleich unter bb). Gegen eine darüber hinausgehende Ausweitung spricht, dass dem Arbeitgeber kaum der Beweis gelingen wird, dass das Arbeitsverhältnis zu einem früheren Zeitpunkt als dem Eintritt in das Rentenalter geendet hätte. Tatsachen, die eine ordentliche Kündigung des Arbeitnehmers rechtfertigen, können bis auf wenige Ausnahmefälle nicht mehr geschaffen werden. Der Anerkennung eines Endlosschadens steht auch entgegen, dass selbst nach der Wertung des Gesetzgebers trotz Kündigungsschutzes bei grob sozialwidrigen oder sittenwidrigen Kündigungen durch den Arbeitgeber eine Ersatzpflicht im Rahmen der §§ 9, 10 KSchG beschränkt und damit der Wert für einen Arbeitsplatz bestimmt ist, wenn ein Festhalten am Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer unzumutbar ist.

Eine reduzierte Schadensersatzpflicht entspricht nicht der gesetzlichen Wertung.

bb) Die auf den reinen „Verfrühungsschaden“ reduzierte Schadensersatzpflicht entspricht andererseits nicht den gesetzlichen Wertungen zum Kündigungsschutz. Sie berücksichtigt nicht hinreichend, dass der Arbeitnehmer veranlasst durch das vertragswidrige Verhalten des Arbeitgebers auf den durch die Kündigungsschutzbestimmungen vermittelten Bestandsschutz verzichtet. Ihn trifft insoweit neben der für die Dauer der Kündigung entfallenden Vergütung ein weiterer wirtschaftlicher Verlust, für den er einen angemessenen Ausgleich verlangen kann. Für die Bemessung dieses Ausgleichs bietet es sich an, auf die Abfindungsregelung der §§ 9, 10 KSchG abzustellen. Die Lage des wegen schuldhafter Vertragspflichtverletzung des Arbeitgebers selbst kündigenden Arbeitnehmers ist vergleichbar derjenigen des Arbeitnehmers, dem gegenüber der Arbeitgeber eine unberechtigte Kündigung ausgesprochen hat und der nun seinerseits einen Auflösungsantrag stellt, weil ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist (siehe insbesondere ErfK/Müller Glöge a.a.O. BGB § 628 Rn. 72 f. m.w.N.).

Danach umfasst der Schadensersatzanspruch gem. § 628 Abs. 2 BGB neben der entgangenen Vergütung auch eine angemessene Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes entsprechend §§ 9, 10 KSchG. Dieser Anspruch tritt kumulativ zu dem Anspruch auf Ersatz des Vergütungsausfalls hinzu, wenn der Auflösungsantrag des Arbeitnehmers bei unberechtigter fristloser Kündigung des Arbeitgebers zum Kündigungstermin einer (umgedeuteten) ordentlichen Kündigung hätte gestellt werden können (zutreffend ErfK/Müller Glöge a.a.O. BGB § 628 Rn. 74; Weiß JuS 85, 593, 596; zur Möglichkeit des auf die ordentliche Kündigung bezogenen Auflösungsantrages siehe BAG 26. August 1993 2 AZR 159/93 BAGE 74, 143 = BB 94, 862). Für einen solchen Ausgleich des durch den Verzicht auf Kündigungsschutz bedingten Schadens spricht auch, dass der Arbeitgeber es sonst beispielsweise in der Hand hätte, einen Arbeitnehmer durch gezieltes vertragswidriges Verhalten zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu bewegen, ohne seinerseits weitere Folgen wie etwa die einer Abfindungszahlung bei eigener ungerechtfertigter Kündigung befürchten zu müssen …

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